Verkauftes Land
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Verkauftes Land

  1. 248 Seiten
  2. German
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Verkauftes Land

Über dieses Buch

Marie verlässt Hals über Kopf ihre alte Heimat Köln, um auf dem Land einen Neuanfang zu wagen. Hier gerät sie buchstäblich vom Regen in die Traufe und findet sich zwischen allen Fronten wieder. Sie trifft auf eine Mauer des Schweigens und durch das ganze Dorf führt eine unsichtbare Grenze. Düstere Geheimnisse und eine blutige Mordserie entzweien die Menschen in dem fiktiven Dörfchen Georgsberg, das überall liegen könnte. Was hat es mit den alten Geschichten auf sich und warum begegnet ihr immer wieder dieser alte Bauer und welche Rolle spielt der junge Kommissar, der seine Nase überall hinein stecken muss. Ein Stück Landleben, real, düster, geheimnisvoll.

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Teil 1

Kapitel 1

Nicht, dass sie jemals bewusst darüber nachgedacht hätte, aber jetzt, da Marie in ihrem alten Kombi langsam die steile, regennasse Straße nach oben fuhr, auf dem Rücksitz ihre zusammengeschnürte Matratze, im Kofferraum zwei Umzugskartons und zwei große Koffer, einer mit einem Schild mit der Aufschrift Marie Joliet versehen, der andere mit Tobias Sander, da spürte sie es: Es ging nur darum, am Leben zu bleiben, möglichst lange, alles andere war zweitrangig. Allerdings war dieses Streben nach einem möglichst langen Leben völlig sinnlos, vielleicht sogar widersinnig, zumindest fragwürdig, wenn man bedachte, wie manche Menschen ihr Leben verbrachten. Es war egal, wie die Menschen ihr Leben verbrachten.
Seit sie am späten Abend in Köln losgefahren war, regnete es in Strömen. Nach Stunden hatte sie ihr Ziel jetzt beinahe erreicht: die abgeschiedene Siedlung Schäfenbach, die zu Georgsberg gehörte, einem kleinen Dorf im Südwesten. Und es hörte nicht auf zu regnen. Sie hatte sich verflucht, die Scheibenwischer nicht schon längst ausgetauscht zu haben, sie wurden kaum fertig mit den Wassermassen, die auf ihre Windschutzscheibe prasselten. Mit zusammengekniffenen Augen saß sie am Steuer, den Kopf nah an der Scheibe, was natürlich überhaupt nichts brachte, ihr aber ein Gefühl der Konzentration verschaffte, obwohl sie die schon lange verloren hatte. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, während sie beinahe im Schritttempo den Berg hinauffuhr. Zwei Koffer, Klamotten, Bettzeug, einige Bücher, wegen des Tragens auf zwei Kartons verteilt … Sie versuchte, den Winkel zu berechnen, mit dem die Regentropfen auf der windzugewandten Seite der dichtstehenden Bäume gegen die Stämme schlugen, und musste lachen. Wie sollte sie das anstellen? Mathematik war nie ihre Stärke gewesen. Sie erinnerte sich noch an den Satz des Pythagoras, a2 + b2 = c2, aber sie hatte keinen blassen Schimmer mehr, wie sie ihn anwenden sollte.
Drei Bücher fielen ihr ein, die ihr auf einmal unheimlich wichtig erschienen und von denen sie hoffte, sie mitgenommen zu haben, obwohl sie seit Jahren nicht mehr an sie gedacht hatte. Das eine war irgendetwas von Susan Sontag über Fotografie, das andere eine Liebesgeschichte von Inoue, bei der sie sich immer gefragt hatte, ob es sich überhaupt um eine Liebesgeschichte handelte und … wie hieß das dritte noch gleich, es war von dem Autor, auf dessen Erinnerungen „Cabaret“ beruhte, dieses Musical aus den 60er-Jahren. Im Buch ging es um einen Mann, der allein war – war es ein Tag im Leben dieses Mannes, der versucht, über den Verlust seines Partners hinwegzukommen? – und dann jedenfalls am Ende stirbt, als sich alles für ihn eigentlich zum Besseren wendet, als er bereit ist für den Neubeginn.
Während sie darüber nachdachte, verpasste sie beinahe die letzte, steile Kurve. Um ein Haar wäre sie von der Straße abgekommen und einen wenig vertrauenerweckenden, schmalen Weg hinein in den Wald gefahren. Es sah so aus, als würde er noch ein Stück weiter nach oben führen und dann irgendwo im Dunkeln zwischen den Bäumen versanden.
Marie war vor einigen Wochen schon einmal hier gewesen und hatte sich ihre neue Wohnung angesehen. Sie war damals auch von der größeren Straße abgebogen, aber war das hier gewesen? Eher nicht. Sie nahm die letzte Kurve und konnte in der Ferne ein paar schummrige Straßenlichter erkennen. Endlich, dachte sie. Das muss es sein.
Doch als sie die ersten Häuser passierte, wurde ihr klar, dass es sich nicht um die Siedlung handelte. Das da war Georgsberg, von den Einheimischen nur „das Dorf“ genannt, im Gegensatz zu Schäfenbach, der sogenannten „Neubausiedlung“ …
„Denken Sie sich nichts dabei“, hatte Maries künftiger Vermieter gesagt, als sie die Wohnung besichtigt hatte. „Damit muss man leben. Meine Frau und ich sind jetzt seit fast vierzig Jahren hier, damals haben wir das Haus gebaut. Aber Schäfenbach ist immer noch nur ‚die Neubausiedlung‘. Und wir hier …“, der schmale, ältere Herr hatte mit einer großen Geste die Häuser der Siedlung umfasst und gekichert, „… wir sind ‚die aus der Stadt‘.“
Marie war sich nicht mehr sicher, wo die Abzweigung in die Siedlung gewesen war. Vielleicht war es ja doch das schmale Sträßchen, das in den Wald führte? Im Dorf gab es nur einen Laden, den Bäcker, und der hatte jetzt mit Sicherheit geschlossen. Also blieb ihr nur übrig, in der Dorfkneipe nach dem Weg zu fragen. Auf der Straße war um diese Zeit und bei diesem Wetter niemand mehr unterwegs.
Instinktiv nahm sie die Straße zur Kirche und schon nach kurzer Zeit entdeckte sie das Schild der einzigen Gaststätte: ein Horn, ein Baum und der Name „Zur Post“. Es brannte noch Licht. Marie parkte gegenüber, zog sich die Jacke notdürftig über den Kopf und rannte die paar Meter durch den Regen über die Straße bis zur Tür.
Drin sah es aus wie in jeder Dorfkneipe. Links war die Theke, eigentlich lang, aber verbaut durch einen Holzaufsatz, der in neunzig Prozent dieser Kneipen immer noch zu finden war und in den 70er-Jahren vom Innenarchitekten wahrscheinlich als wahnsinnig effektiv empfunden worden war, konnte man in dem dort entstandenen Stauraum doch wunderbar Gläser und andere in Kneipen lebenswichtige Utensilien aufbewahren. Dass man dadurch seine Gäste nur durch einen relativ schmalen Ausschnitt zwischen Tresen und Aufbau sehen konnte, was dazu führte, dass viele Wirte jahrelang nur mit auf die Theke gestützten Oberarmen gesichtet wurden, schien die Innenarchitekten nicht gestört zu haben. Und zwei bis drei Generationen von Wirten in genormten Brauereigaststätten passten sich dieser Einschränkung ihres Sichtfeldes klaglos an.
Rechts an den Fenstern und im sich nach hinten öffnenden Schankraum standen einfache Holztische und -stühle, ebenfalls die klassische Brauereiausstattung. Hier schien es nicht nötig, sich designtechnisch einen abzubrechen. Konkurrenz gab es keine. Die Leute waren gezwungen zu kommen, wenn sie in Gesellschaft trinken wollten.
Es war schon spät und nur ein paar wenige Gäste saßen noch an der Theke bei einem letzten Glas. Mühsam und durch den Alkohol etwas verzögert drehten sie überrascht die Köpfe, als Marie hereinkam. Sie schüttelte den Regen von ihrer Jacke und ging zum Tresen.
„Guten Abend“, sagte sie.
„Wir schließen gleich“, erwiderte der Wirt, der auf seine Ellbogen gestützt hinter der Theke lehnte. Trotzdem konnte man sehen, dass es sich um einen großen, breiten Mann handelte, dem es sicher einiges abverlangte, einen Großteil seines Lebens in dieser Haltung zu verbringen.
„Ich möchte nur eine Auskunft“. Marie winkte beruhigend ab. „Ich suche den Arnikaweg. Vielleicht können Sie mir helfen, ich glaube, ich bin falsch abgebogen.“
„Arnikaweg …“ Der Wirt sah seine verbliebenen Gäste an.
„Arnikaweg“, wiederholte auch einer der Männer, die vor ihm saßen. Seine dünnen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Der neben ihm sagte: „Schenk noch eins ein, Gerd.“
„Es gibt nichts mehr, Andi. Ich hab’s dir vorhin schon gesagt.“
„Ja, aber jetzt …“ Mit einer vagen Geste deutete Andi auf Marie, als wäre sie die Rechtfertigung dafür, dass man doch jetzt noch eins trinken dürfe, ja, geradezu müsse.
„Pfhh“, machte Gerd, der Wirt.
„Sie kennen doch bestimmt den Arnikaweg, oder?“, fragte Marie.
„Arnikaweg, hm, also …“ Die Männer zuckten mit den Schultern. „Was wollen Sie denn dort?“
Marie runzelte irritiert die Stirn.
„Das geht Sie ja eigentlich nichts an, oder? Aber …“ Sie überlegte. „Ich habe da eine Wohnung gemietet. In der Siedlung … Ich war schon mal dort, aber bei der Dunkelheit und dem Regen habe ich wohl den Weg verpasst. Weiter unten gab es eine kleine Abzweigung, aber ich war mir nicht sicher, ob ich da richtig bin.“
„Ach, in der Siedlung“, brummte einer der Männer.
Er war jung, trug ausgebeulte blaue Drillichhosen und hatte eine dunkle, wuschelige Mähne und einen deutlichen Bartschatten. Seine Augen waren klein und glänzten vom Alkohol. Er sah sie an. Marie spürte eine gewisse Unruhe in sich aufsteigen.
Der Mann leerte sein Glas und stellte es mit Nachdruck auf den Bierdeckel zurück. „Schreib’s an, Gerd“, sagte er und erhob sich.
Gerd sah ihn mit einem stumpfen Blick an. „Sicher nicht“, meinte er. „Seit wann kannst du hier anschreiben lassen?“
Marie hatte das leise Gefühl, als habe ihr Auftauchen ein äußerst filigranes, fein gesponnenes und sehr fragiles Miteinander aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihre Anwesenheit schien zu genügen, um eine Art latent in den Männern existierende Anarchie zum Vorschein zu bringen, die sich zu dieser fortgeschrittenen Stunde allerdings nur im Schnorren von Bier oder geldwerten Vorteilen auswirkte. Etwas war aus dem Ruder gelaufen … Unsicher sah sie vom einen zum anderen.
Der Wirt seufzte.
„Fahren Sie zurück“, sagte er und deutete in die Richtung, aus der Marie gekommen war. „Das ist der einfachste Weg. Aus dem Dorf raus, an der schmalen Einfahrt vorbei runter bis zur ersten Kurve und dann rechts weg. Geben Sie acht, es ist eine schmale Straße.“
Marie atmete auf und nickte.
„Dann war ich also doch richtig“, meinte sie. „Danke und Gute Nacht.“ Sie wandte sich zum Gehen.
„Ist ziemlich dunkel“, sagte der mit der wuscheligen Mähne. „Soll ich Sie bringen? Ich kann vorausfahren.“
„Nein, danke, nicht nötig. Ich weiß jetzt, wo ich abbiegen muss.“ Marie verzog den Mund. „Trotzdem, vielen Dank.“
„Vorausfahren“, schnaubte der Wirt. „Du hast sie wohl nicht mehr alle? Bei dem, was du getrunken hast …“
„Unsinn.“
„Ich wünsche noch einen guten Abend.“ Marie winkte hastig und verließ die Kneipe.
Draußen eilte sie über die Straße, sprang in ihren Wagen und fuhr den Weg zurück, den sie gekommen war. Instinktiv überprüfte sie mehrere Male im Rückspiegel, ob ihr jemand folgte.
Dann schüttelte sie ärgerlich den Kopf. „So ein Blödsinn“, murmelte sie.
An der Abzweigung angekommen, bremste sie und warf noch einmal einen zweifelnden Blick auf die schmale Straße. Das Regenwasser querte sie in kleinen Bächen, die dann quasi Hals über Kopf vom Straßenrand in die dunkle Tiefe stürzten. Entschlossen gab Marie Gas und steuerte über die rutschige Straße den Hang hinauf. Schon nach ein paar Hundert Metern konnte sie Häuser sehen. Eine Straßenbeleuchtung schien es nicht zu geben, aber hinter einigen wenigen geschlossenen Vorhängen und Jalousien brannte noch Licht.
Mit einiger Mühe konnte Marie die Straßenschilder entziffern: Akazienweg, Lindenblütenweg und von dort ging der Arnikaweg links ab. Vorgärten säumten die schmale Straße zu beiden Seiten.
„Scheißwetter …“, fluchte Marie leise vor sich hin. „Verdammter Mist.“ Sie eilte drei flache Stufen bis zur Tür ihrer Einliegerwohnung hinauf und suchte verzweifelt nach dem Schlüssel, während sie gleichzeitig versuchte, in der kleinen Eingangsnische ein bisschen Schutz vor dem Regen zu finden. Schließlich fand sie ihn, öffnete die Tür mit klammen Fingern und tastete nach dem Lichtschalter. Sie klickte einmal, zweimal und ein drittes Mal. Kein Licht.
„Verdammt.“ Marie machte ein paar unsichere Schritte in den Gang hinein und suchte einen anderen Schalter. Aber dort war es das Gleiche. Sie stand einen Augenblick regungslos in der Dunkelheit und verdrehte die Augen. Die Vermieter hatten die Rollläden heruntergelassen, weshalb wirklich totale Finsternis herrschte.
Vorsichtig tapste sie zurück zum Eingang und hastete die Stufen weiter hinauf, die zwischen irgendwelchem Gestrüpp, das sie bei diesem Wetter und zu dieser Zeit nicht näher definieren konnte und wollte, zur Eingangstür ihrer Vermieter führten. Glücklicherweise brannte dort noch Licht.
R. und M. Greßmann stand in Schnörkelschrift auf einem Schild. Marie klingelte.
Nach einiger Zeit hörte sie leise, schlurfende Schritte, dann wurde ein Sicherheitsbügel an der Tür entfernt und eine Stimme fragte leise: „Ja?“
„Ich bin’s“, rief Marie laut. „M...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Teil 1
  5. Teil 2
  6. Impressum