Die Arten im Porträt
Dieses zentrale Kapitel widmet sich den Bedürfnissen einzelner, ausgewählter Spezies der Stab- und Gespenstschrecken im Detail.
Mit der Auswahl der vorgestellten Arten soll ein möglichst breites Spektrum an Formen der Phasmiden abgedeckt werden. Dennoch stellt es bestenfalls einen sehr kleinen Ausschnitt der Biodiversität dar, die in der Natur zu finden ist.
Zu den Beschreibungen
Die im folgenden Teil des Buches aufgeführten Arten werden nun in loser Orientierung an den Stammbaum wie in der Abbildung Seite 36, 37 besprochen. Dies soll ermöglichen, dass der Leser auch bei einer etwaigen zukünftigen Namensänderung einer Stabschrecke seinen Pflegling im natürlichen Verwandtschaftsumfeld wieder finden kann. Eine rein alphabetische Listung ließe dies nicht zu.
Es darf aber nicht der Eindruck erweckt werden, nahe verwandte Arten würden zwangsläufig ähnliche Bedürfnisse an die Umwelt stellen. Dies kann zwar der Fall sein, doch wie uns das Beispiel der mehrfach entstandenen Baumhummer lehrt (siehe Seite 33), sind Baum- und Bodenbewohner bisweilen eng miteinander verwandt, haben aber grundverschiedene Ansprüche.
Diapheromerinae, die Wandelnden Äste der Neuen Welt
Die Stabschrecken aus der Gruppe der Diapheromerinae sind ausschließlich in Nord- und Südamerika verbreitet und dort meist in den tropischen und subtropischen Regionen. Einige Arten leben auch in den gemäßigten Breiten, so etwa die große Megaphasma denticrus im Süden der USA (siehe Abbildung Seite 12 links) und zahlreiche der namensgebenden Diapheromera-Arten, von denen die wohl bekannteste, Diapheromera femorata, sogar noch im südlichen Kanada zu finden ist.
Um die 300 Arten sind bislang innerhalb der Diapheromerinae beschrieben worden, bei denen es sich überwiegend um flügellose Stabschrecken von schlanker Gestalt mit ausgesprochen langen Antennen handelt. Ihre Körpergröße ist je nach Art sehr unterschiedlich.
Neben ausgesprochen kleinen Formen wie der nachfolgend beschriebenen Ocnophiloidea regularis mit gerade einmal 5 cm Körperlänge gibt es auch „Riesen“, die Körpergrößen von mehr als 20 cm erreichen, so beispielsweise einige Vertreter der Gattungen Bacteria und Phanocles. Bei einigen wenigen Arten finden sich Männchen mit mehr oder weniger gut entwickelten Flügeln, und nur ausnahmsweise treten kräftige gedrungene Formen auf, beispielsweise die Weibchen von Cranidium gibbosum, die in Farbe und Form Blätter nachahmen.
Ein Weibchen von Cranidium gibbosum (Burmeister, 1838), einer Art aus Französisch Guyana und dem Norden Brasiliens.
Ocnophiloidea regularis (Brunner, 1907)
Diese für Stabschrecken-Verhältnisse ausgesprochen kleine Form stammt von den Inseln Trinidad und Tobago, wo sie in einem Habitat gemeinsam mit Creoxylus spinosus (Pseudophasmatinae) auf niedrig wachsender Vegetation anzutreffen ist.
Paar von Ocnophiloidea regularis aus Trinidad. Das charakteristisch angeschwollene Abdomen des Weibchens ist prall gefüllt mit Eiern.
Beschreibung
Die Weibchen werden 4,5 bis 5 cm lang und sind einfarbig hellbraun. Mit Beginn der Eiablage ist ihr Hinterleib auffallend stark verdickt. Die dunkelbraunen Männchen werden kaum größer als 4 cm, sind deutlich schlanker als die Weibchen, mit dunkelgrünen Streifen an den Seiten. Beide Geschlechter tragen je zwei kleine Dörnchen auf dem Kopf, sind darüber hinaus völlig unbewehrt. Flugorgane fehlen vollständig.
Haltungsbedingungen
Die Art gilt als recht anspruchslos und leicht zu vermehren. Sie gedeiht bereits gut bei Zimmertemperatur, bevorzugt allerdings feuchtes Klima. Zudem benötigen die ausgesprochen inaktiven Tiere, die sich tagsüber selbst bei starker Störung kaum regen, wenig Platz. Ein relativ kleines Terrarium mit etwa 30 cm Seitenlänge bietet einigen adulten Pärchen bereits ausreichend Raum.
Die Weibchen legen nicht mehr als zwei bis drei Eier pro Woche, die schnell austrocknen können und recht zerbrechlich sind. Am besten belässt man die Eier bis zum Schlupf der Jungen, bei Zimmertemperatur zwischen drei und sechs Monaten, einfach in dem feuchten Terrarium. Nach weiteren drei bis vier Monaten sind die Tiere adult.
Ernährung
Als Nahrungspflanzen haben sich Brombeere und andere Rosengewächse sowie Eiche und Efeu bewährt.
Oreophoetes peruana (Saussure, 1868),
Die Farn-Stabschrecke
Diese Stabschrecke aus den tropischen Bergwäldern Perus und Ecuadors ist eine der wenigen tagaktiven Vertreter der Phasmatodea.
Paar von Oreophoetes peruana. Das männliche Tier ist rot. Die auffälligen Farben warnen Fressfeinde vor der chemischen Wehrhaftigkeit und Ungenießbarkeit dieser Art.
Beschreibung
Die adulten Männchen und Weibchen von Oreophoetes peruana sind auf ganz unterschiedliche Weise auffallend gefärbt: Die Weibchen sind schwarz mit grünlich oder gelblich weißen Längsstreifen an den Seiten und auf der Mittellinie des Tergum. Hüften und ‚Knie’ sind schmutzig gelb bis orange gefärbt. Der Kopf ist gleichfalls orange mit schwarzen Flecken sowie schwarzen Augen und Antennen. Die adulten Männchen haben hingegen eine kräftig bis leuchtend rote Körperfarbe, bisweilen mit einigen dunkleren Flecken auf der Oberseite und an den Seiten. Augen, Antennen und Beine sind tiefschwarz. Die frisch geschlüpften Jungtiere beider Geschlechter sind schwarz mit gelben Köpfen. Die männlichen Jungtiere zeigen anschließend zunächst die Farbtracht der Weibchen.
Die auffälligen Farben dienen als Warnsignal und weisen potenzielle Fressfeinde auf die chemische Wehrhaftigkeit dieser Insekten hin. Bereits die frisch geschlüpften Jungen vermögen bei Bedrohung eine sichtbare Menge einer weißlichen, stechend riechenden Flüssigkeit aus ihren Wehrdrüsen abzusondern, die bereits zur erfolgreichen Abwehr von Ameisen befähigt und in Kontakt mit Schleimhäuten unangenehm brennt.
Die ausgewachsenen Weibchen erreichen eine Körperlänge zwischen 6 und 7,5 cm. Männchen werden 5,5 bis 6,5 cm lang. Beide Geschlechter sind ungeflügelt.
➜ Gut zu wissen:
Die Geschlechter sind anhand der Färbung erst einmal nicht zu unterscheiden, bis schließlich bei den Männchen kurz vor der letzten Häutung das Rot des neuen Außenskeletts durch die alte Kutikula hindurchschimmert.
Haltungsbedingungen
Die Art lebt bodennah im Unterwuchs tropischer Wälder, wo sie sich von di...