exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft
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exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft

Jahrgang 19, Heft 19

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Jahrgang 19, Heft 19

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Über dieses Buch

exit! ist eine Zeitschrift für kritische Gesellschaftstheorie. Gesellschaftliche Entwicklungen analysiert sie auf der Grundlage der Kritik der Wert-Abspaltung als einer Weiterentwicklung der kritischen Theorie. Wesentliche Bezugspunkte sind dabei die Kritik der Politischen Ökonomie ebenso wie die Auseinandersetzung mit psychosozialen Phänomen vor dem Hintergrund der Psychoanalyse. Die voraussichtlichen Artikel im neuen Heft: Thomas Meyer Alternativen zum Kapitalismus – Im Check: Ökosozialismus Tomasz Konicz Von Crashpropheten, Preppern und Krisenprofiteuren – Rechte Ideologie in der Krise Kim Posster Männlichkeit ist die Krise?! Zu Geschichte und Verhältnis von latenter und manifester Krise des bürgerlichen Subjekts und seiner gesellschaftlichen (Geschlechts-)Natur Anselm Jappe Narziss oder Orpheus? Bemerkungen zu Freud, Fromm, Marcuse und Lasch Roswitha Scholz Exit! – nun sag, wie hältst du's mit der Religion? Eine Klarstellung Herbert Böttcher Herr Kant, Seien Sie mir gnädig! Gott vor Gericht in der Corona-Krise Robert Kurz Die Intelligenz nach dem Klassenkampf – Von der Entbegrifflichung zur Entakademisierung der Theorie Andreas Urban und F. Alexander von Uhnrast Geldtheorie mit Januskopf – Anmerkungen zu Eske Bockelmanns ›Das Geld‹

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Alternativen zum Kapitalismus

Im Check: Ökosozialismus
Thomas Meyer

1. Einleitung

Mit den Klimaprotesten der letzten Jahre und der Corona-Pandemie gerieten die Umwelt und ihre Zerstörung durch den Kapitalismus verstärkt in den ›Diskurs‹ (Wallace 2021, 25ff., 161ff., Malm 2020a, 7ff.). Die Fakten zum Klimawandel sind erdrückend (Deutsches Klima-Konsortium u. a. 2020). Alle dagegen angegangenen Maßnahmen sind, selbst bevor sie wieder aufgeweicht werden, höchst unzureichend. Naheliegend ist es, dann das Schlagwort system change – not climate change auszusprechen. Während die ›Gemeinwohlökonomie ‹ und anderes als vermeintliche Alternativen zum Kapitalismus mehr Zuspruch bekommen (Kloos 2018, Meyer 2021), steigt auch das Interesse am Ökosozialismus. Diese Verbindung zwischen Ökologie und Marx’scher Theorie entstand seit den 80er Jahren vor allem in den USA1 und stößt auch hierzulande in den letzten Jahren auf zunehmendes Interesse (Bierl 2020). Dabei spannen die Positionen, die mit ›Ökosozialismus‹ betitelt werden, ein ganzes Spektrum auf. So reicht es von Ökosozialisten, die anschließend an die Postwachstumsbewegung eine Deindustrialisierung fordern (Sarkar 2010, Kern 2019), bis hin zu ›Öko-Leninisten‹ bzw. ›Klimabolschewisten‹, die den Kriegskommunismus der Bolschewisten zum Teil als vorbildliche Praxis einstufen (Malm 2020a, 164ff.).2 Grund genug sich im Rahmen der Artikelreihe Alternativen zum Kapitalismus – Im Check mit dem Ökosozialismus zu befassen.
Im Folgenden werden die Positionen ausgewählter Ökosozialisten (nebst einiger Autoren, wie Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, die sich nicht unbedingt dem ›Ökosozialismus‹ zurechnen) ausgebreitet und einer Kritik unterzogen.3 Dazu soll eine Skizzierung des ›ökologischen Diskurses‹ im Werke von Karl Marx & Friedrich Engels versucht und aufgezeigt werden, wie dieser von verschiedenen Marxisten und Ökosozialisten eingeschätzt wird. Insbesondere ist hier die Dialektik der Natur von Engels – eine wichtige Referenz vieler Ökosozialisten – von Interesse. Für Ökosozialisten wie John Bellamy Foster ist eine ›Natur-Gesellschafts-Dialektik‹ im Anschluss an Marx & Engels für eine ›ökosozialistische Theorie und Praxis‹ von zentraler Bedeutung. Daran anknüpfend soll deutlich werden, dass der »Widerspruch zwischen Stoff und Form« (Claus Peter Ortlieb) sich auch in der Art und Weise des Stoffwechselprozesses mit der Natur findet. Des Weiteren sollen Einwände gegen eine industrielle Gesellschaft überhaupt sowie krisentheoretische und staatstheoretische Defizite der Ökosozialisten zur Sprache kommen.
In diesem Text werde ich auf bestimmte Aspekte des traditionellen Marxismus, die auch viele Ökosozialisten teilen, nur am Rande eingehen. Dies betrifft vor allem den Bezug auf Klassen(-kampf) und eine soziologische Verkürzung des Kapitalverhältnisses sowie die Ontologie der Arbeit.4 Die Kritik daran muss hier nicht ausgiebig wiederholt werden, daher wird sie sich nur auf Punktuelles beschränken (ausführlich dazu: Scholz 2020 sowie Kurz 1994, 2004a, 64ff., 2005, 214ff., 2012, 192ff.).

2. Der ökologische Diskurs bei Marx & Engels

Der Begriff Ökosozialismus provoziert die Frage nach dem Verhältnis von Ökologie und Marxismus. Dabei wäre zu differenzieren zwischen der Marx’schen Theorie und dem Marxismus als »Legitimationswissenschaft« für eine nachholende Industrialisierung (Negt 2015) bzw. als »Logik der Modernisierung« (Kurz 1994). Der Realsozialismus als Projekt einer nachholenden Modernisierung, als zweites Industriesystem5 neben dem westlichen, kann wohl kaum ökologische Lorbeeren für sich verbuchen. So wurde dem Realsozialismus vorgeworfen, in ökologischer Hinsicht nichts anderes als eine Kopie des Westblocks zu sein. Der Fetisch der Produktivkraftentwicklung: »Überholen ohne Einzuholen« (Walter Ulbricht), die zahlreichen Umweltzerstörungen in der Sowjetunion legen beredtes Zeugnis dafür ab (Engert 2010, 67ff., speziell in der DDR: Beleites 2016). Die Zerstörung der Natur hatten beide Systeme gemeinsam, was den Standpunkt plausibel macht, entscheidend wären nicht die ideologischen Unterschiede, sondern vielmehr ihre gemeinsame industrielle und technische Basis. Ökologie und Sozialismus klingt daher zunächst wie ›hölzernes Eisen‹. Folglich ist der »gegen Marx erhobene Vorwurf des ›Prometheanismus‹ […] – ein unerschütterlicher Fortschrittsglaube, wonach der Mensch mithilfe technologischer Entwicklungen die Welt immer effektiver und freier zu manipulieren vermag – […] zu einem populären Stereotyp geworden« (Saito 2016, 9).6 Und in der Tat kann man Marx nicht davon freisprechen, vom Stand des 19. Jahrhunderts aus argumentierend, die Entwicklung der Produktivkräfte (Maschinen und ›allseitig‹ entwickelte Individuen) einerseits gutgeheißen zu haben, da sie die technologischen Grundlagen einer kommunistischen Gesellschaft schüfen. So argumentiert, wäre der Kapitalismus mehr oder weniger ein notwendiges historisches ›Durchgangsstadium‹ auf dem Weg zum Kommunismus. Hierbei wird deutlich, dass bei Marx sich Aspekte Hegel’scher Geschichtsphilosophie finden lassen.7 Jedoch ist Marx zugute zu halten, dass er, anders als der bornierte bürgerliche Geist, die vom Kapitalismus geschaffenen Produktivkräfte sowie »die Universalität der Entwicklung der Vermögen« nicht an die kapitalistische Produktionsweise gebunden weiß und ebenso wenig den Fehler begeht, wegen des ›Unbehagens an der Moderne‹ ein ›romantisches Zurück‹ in die Vormoderne einzufordern. So schreibt Marx in den Grundrissen: »Die universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eigenen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eigenen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind, sind kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte. Der Grad der Universalität der Entwicklung der Vermögen, worin diese Individualität möglich wird, setzt eben die Produktion auf der Basis der Tauschwerte voraus, die mit der Allgemeinheit die Entwicklung des Individuums von sich und von anderen, aber auch die Allgemeinheit und Allseitigkeit seiner Beziehungen und Fähigkeiten erst produziert. Auf früheren Stufen der Entwicklung erscheint das einzelne Individuum voller, weil es eben die Fülle seiner Beziehungen noch nicht herausgearbeitet und als von ihm unabhängige gesellschaftliche Mächte und Verhältnisse sich gegenübergestellt hat. So lächerlich es ist, sich nach jener ursprünglichen Fülle zurückzusehnen, so lächerlich ist der Glaube bei jener vollen Entleerung stehnbleiben zu müssen. Über den Gegensatz gegen jene romantische Ansicht ist die bürgerliche nie herausgekommen und darum wird jene als berechtigter Gegensatz sie bis an ihr seliges Ende begleiten« (Marx 1953, 79f.).
Marx positiver Bezug auf die Produktivkraftentwicklung ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einem naiven ›Industrialismus‹ im Sinne von ›höher‹, ›schneller‹, ›weiter‹ oder ›mehr‹. Wenn Marx »sich nur für die möglichst schnelle und vollkommene Entwicklung der Produktivkräfte eingesetzt [hätte]«, so wäre er in der Tat nicht mehr als »ein Epigone der Bourgeoisie gewesen« (Djurić 1969, 79). Marx erkannte, dass diese Entwicklung, da sie nicht an die bornierten bürgerlichen Verhältnisse gebunden bleiben müsse8, die Möglichkeit zur Freisetzung von Zeit, zur Vergrößerung des ›Reiches der Freiheit‹ (vgl. Kern 2015, 339ff.) gegenüber dem ›Reich der Notwendigkeit‹ eröffne. Oder in den Worten von Iring Fetscher: Für »Marx [ist] das wesentliche Charakteristikum einer sozialistischen Zukunftsgesellschaft nicht das grenzenlose Wachstum der Produktion und der Gütermassen, sondern die allseitige Entfaltung der Individuen und ihrer Produktivität […]. Eine Entfaltung, die zwar auch eine Steigerung der Produktion materieller Güter (pro Zeiteinheit) erlaubt, aber auf sie keineswegs reduziert werden darf. Sie besteht vielmehr gerade auch in einer ›Freisetzung‹ für Muße und ›höhere Tätigkeiten‹ – wie Kunst, Wissenschaft und Philosophie. Es wird bei Marx auch nicht von einer unendlichen Steigerung der industriellen Maschinerie gesprochen, sondern von einer industriellen Technik, die vor allem dazu dient, Arbeit zu erleichtern […] und möglichst generell solche Tätigkeiten zu ermöglichen, die ›wissenschaftlichen‹ und das heißt für Marx ›allgemeinen‹ Charakter haben – also keine partikulare, andressierte Spezialleistung verlangen« (Fetscher 1980, 122f., Hervorh. i. O.).
Zum Reich der Notwendigkeit gehört der Stoffwechselprozess mit der Natur (der nur mit dem Tod endet). Als Vermittlung dieses Stoffwechsels bestimmt Marx die Arbeit als eine »von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechselprozess zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln« (Marx 2005, 57). Dagegen ist zu sagen, dass der Stoffwechselprozess mit der Natur sowie die (Re)-Produktion historische Kategorien sind und man daher nicht von einer ahistorischen Vermittlung zwischen ›Mensch und Natur‹ ausgehen kann, sondern das historisch-spezifische dieser Vermittlung, d. h. eben der Arbeit, ist deutlich zu machen. In den Worten von Robert Kurz: »Der Kapitalismus hat die negative Kategorie der ›Arbeit‹ zum ersten Mal verallgemeinert, positiv ideologisiert und auf diese Weise zu einer Inflation des Arbeitsbegriffs geführt. Den Kern dieser Verallgemeinerung und falschen Ontologisierung von ›Arbeit‹ bildet die historisch neuartige Reduktion des Produktionsprozesses auf dem Inhalt gegenüber völlig gleichgültige Verausgabung abstrakt menschlicher Energie […] schlechthin. Gesellschaftlich ›gelten‹ die Produkte nicht als Gebrauchsgüter, sondern als Repräsentanz vergangener abstrakter Arbeit. Deren allgemeiner Ausdruck ist das Geld. In diesem Sinne bildet bei Marx abstrakte Arbeit oder abstrakt menschliche Energie die ›Substanz‹ des Kapitals« (Kurz 2013a, 31, Hervorh. TM). Genau diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Inhalt macht die Arbeit als Vermittlung des Stoffwechselprozesses mit der Natur so destruktiv. Eine Kapitalismuskritik vom Standpunkt der Arbeit (Postone 2003, 111ff.), d. h. die traditionell-marxistische, kann also keinesfalls eine radikal-ökologische sein.
Freilich hatten weder Marx noch Fetscher in ihren Ausführungen zur Freiheit & Notwendigkeit Reproduktionstätigkeiten im Blick. Nicht ›vergessen‹ werden sollte, beim Ausmalen eines Reiches der Freiheit, dass auch ›der Philosoph‹ als Kind zur Welt kommt und als Greis endet (in einer befreiten Gesellschaft wird es auch notwendig bleiben, Bettlägerigen den Arsch abwischen zu müssen – was ganz sicher nicht angenehm ist; insofern wäre es sinnvoll, mit dem ›utopischen Frohlocken‹, so wichtig es auch bleibt der ›Realität‹ den Spiegel vorzuhalten, nicht zu übertreiben).
Andererseits war für Marx klar, dass die Maschinerie und die entwickelten und entfalteten Vermögen (also auch die Wissenschaften) in einem historisch zunehmenden Ausmaße real unter das Kapital ›subsummiert‹ werden (vgl. z. B. Marx 1969, 49–64). Wenig überraschend, dass im Marxismus als Modernisierungsideologie dieser Aspekt Marx’scher Kritik keine Rolle spielte. »Es ist erstaunlich«, schreibt Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, »wie wenig die Marxsche Kritik an Wissenschaft und Technik in ihrer kapitalistischen Formbestimmtheit überhaupt zur Kenntnis genommen worden ist. Sowohl der dogmatische als auch der kritische Marxismus – bis auf ganz wenige Ausnahmen – unterstellen bisher ganz einfach, dass Marx Wissenschaft und Technik als die vorwärtstreibenden Produktivkräfte nur positiv eingeschätzt habe; wohl vor allem deshalb, weil sie selber Anbeter der Fetische objektivistischer Wissenschaften und industrieller Maschinerie sind oder weil sie Wissenschaft und Technik für etwas Ansichseiendes halten, was außerhalb der Reichweite kritischer Gesellschaftstheorie liegt. Für Marx selber trifft aber beides nicht zu, für ihn sind Wissenschaft und Technik selbstverständlich Produkte gesellschaftlicher Praxis, die in ihrer gegenwärtigen Formbestimmtheit keineswegs von der kritischen Analyse ausgespart werden dürfen. Natürlich sind Wissenschaft und Technik Produktivkräfte der gesellschaftlichen Praxis, da aber die herrschenden Produktionsverhältnisse keinesfalls die Produktivkräfte unangetastet lassen, sind sie auch in ihrer gegenwärtigen Form entfremdet und können in dieser Form nicht kritiklos in eine solidarische Gesellschaft übernommen werden« (Schmied-Kowarzik 2018, 92). Letzteres ist heute besonders zu betonen und weiterzudenken, da »die Wissenschaft nicht nur in ihrer Anwendung dem Kapital unterworfen, sondern auch in ihrer weiteren Entwicklung durch und durch von der Logik der gegenwärtigen Produktionsweise durchdrungen [ist] « (ebd., 96, Hervorh. TM). Die technischen ›Hinterlassenschaften‹ des warenproduzierenden Patriarchats sind also nicht abstrakt zu positivieren, aber auch nicht abstrakt zu negieren, denn so »wenig die Inhalte von der gesellschaftlichen Form unabhängig sind, ebenso wenig sind sie per se und absolut nur in dieser Form darstellbar« (Kurz 2004c, 119). Eine abstrakte Negation wäre »bloß die Umkehrung des naiven arbeiterbewegungsmarxistischen Produktionskraft-Fetischismus« (ebd., 120).
Neben dem Vorwurf eines ›Prometheanismus‹ des technischen Fortschritts ist ein weiterer strittiger Punkt im ›ökosozialistischen Diskurs‹ der mutmaßliche Umfang oder die tatsächliche Tragweite der Thematisierung der Ökologie-Problematik im Werk von Marx & Engels. Von ›Ökologie‹ war dort nicht die Rede, auch wenn dieser Begriff von Ernst Haeckel bereits 1866 ›erfunden‹ wurde (Oechsle 1988, 12ff.). Stattdessen wurde vom ›Stoffwechselprozess mit der Natur‹ gesprochen und seine Formbestimmtheit durch das Kapital wurde zum Gegenstand der Kritik (zur »Genealogie des Stoffwechselbegriffs« vgl. Saito 2016, 74ff.). Die tatsächliche Bedeutung, die dieser ›Diskurs‹ im Werk von Marx & Engels einnimmt, wird unterschiedlich eingeschätzt. So ist, wie der marxistische Ökosozialist John Bellamy Foster betont, Kritik an der Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung durch das Kapital quer durch das Werk von Marx & Engels nachweisbar (Foster 2014, 169ff.). Als periphere Randbemerkung ist diese Kritik daher kaum anzusehen. Dafür spricht umso mehr, zieht man nicht veröffentliche Manuskripte bzw. Exzerpthefte hinzu (Saito 2016). Die thematische Breite stützt diese Vermutung: Die Störung des Stoffwechselprozesses mit der Natur wird vor allem hinsichtlich der kapitalistischen Agrarkultur (Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit u. a.) ausgebreitet (z. B. Marx 2005, 527ff., ders. 1973, 821), ebenso die ökologischen und klimatischen Folgen von Entwaldungen in Zeiten des Kolonialismus (Engels 1972a, 455) sowie in der Antike (ebd., 452f.). Der Anspruch, die Natur beherrschen zu können, wird von Engels als zweifelhaft moniert (ebd.). Kritisiert werden die Folgen von Umweltverschmutzung auf die Lebens- und Wohnsituation des Proletariats (Engels 1976, 324ff., Marx 2012, 548f.). Es wird »die Umweltverschmutzung durch den Normalbetrieb der kapitalistischen Industrie [angeprangert], a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Editorial, offener Brief und Spendenaufruf
  6. Alternativen zum Kapitalismus
  7. Von Crashpropheten, Putschisten, Preppern und Krisenprofiteuren
  8. Männlichkeit ist die Krise?!
  9. Narziss oder Orpheus?
  10. Exit! – Nun sag, wie hältst du’s mit der Religion?
  11. Herr Kant, seien Sie mir gnädig!
  12. Die Intelligenz nach dem Klassenkampf
  13. Geldtheorie mit Januskopf