Transzendenz im Plural
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Transzendenz im Plural

Schleiermacher und die Kunst der Moderne

Thomas Erne

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  1. 50 Seiten
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Transzendenz im Plural

Schleiermacher und die Kunst der Moderne

Thomas Erne

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Über dieses Buch

Thomas Erne entfaltet im Anschluss an Schleiermachers Ästhetik das Verhältnis von Kunst und Religion. Dabei nimmt er über Schleiermacher hinaus auch die moderne, autonome Kunst in Blick. Im Dialog mit exemplarischen Kunstwerken der Gegenwart fragt er nach Transzendenzerfahrungen in der Gegenwartskunst, in der die Kunstwerke selbst zu "autonomen Sinndomänen" werden.

Der Band dokumentiert die Schleiermacher-Lecture 2019 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Rahmen dieser Reihe sollen ausgewählte Aspekte von Schleiermachers Werk mit Fragen und Problemkonstellationen der Gegenwart in Beziehung gesetzt werden.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110746174

1Begeisterung fürs Ganze – Schleiermacher liest Ästhetik (1819)

Im Jahr 1819, also vor genau 200 Jahren, hält Friedrich Schleiermacher an der neugegründeten Berliner Universität zum ersten Mal eine Vorlesung über Ästhetik.7 Enzyklopädisch ist er gut vorbereitet. Er hat bereits über Hermeneutik (1809/10), Dialektik (1811), Ethik (1812/13), Pädagogik (1813/14) und Psychologie (1818) gelesen.8 Auch hinsichtlich der Bekanntschaft mit Künstlern ist Schleiermacher gut gerüstet. Er ist nicht nur befreundet mit Friedrich und August Schlegel, zwei prominenten Vertretern der Frühromantik. Er kennt auch Karl Friedrich Schinkel, der Berlin zum ‚Athen an der Spree‘ umbaut, besucht 1810 Caspar David Friedrich in seinem Dresdener Atelier und geht im Haus des musikalischen Wunderkindes Felix Mendelssohn-Bartholdy ein und aus.9 Gleichwohl finden sich in den Nachschriften seines Ästhetik-Kollegs kaum Hinweise auf konkrete Kunstwerke, auch nicht auf die seiner Zeitgenossen, die er persönlich kannte. Das Personenregister in der von Thomas Lehnerer herausgegebenen Ausgabe nennt als Maler Caravaggio, Dürer und Rafael. Im Text werden allerdings nur die Namen erwähnt, aber keine Werke. Musiker führt das Personenregister überhaupt nicht auf. Nicht zuletzt deshalb sind Schleiermachers konkrete Kunstkenntnisse bis heute umstritten.10
Dieser Mangel an Kunstwerken in einer Theorie der Kunst erklärt sich aus Schleiermachers Ansatz. Seine Ästhetik ist nicht in erster Linie eine Werkästhetik wie die Hegels. Sie ist auch keine Rezeptionsästhetik wie Kants Kritik der Urteilskraft, die die Beurteilung der Kunst durch den Betrachter zum Zentrum der Kunsttheorie macht. Schleiermachers innovativer Ansatz hat es vielmehr mit dem „Erzeugen und Gebären“11 von Kunst zu tun. Es ist eine Theorie des schöpferischen Leistens, die von einer Kreativität in uns allen ausgeht, „dem gemeinsamen Triebe, auch die flüchtigste innere Lebensbewegung an etwas äußerem festzuhalten“.12 Dieses Bedürfnis, sich zu äußern, ohne das wir überhaupt nicht wüssten, wer wir sind, setzt allerdings einen Widerstand voraus, der allererst eine „innere Lebensbewegung“13 anstößt. Etwas, ein äußerer Anlass, muss uns begeistern, um unser schöpferisches Leisten in Gang zu setzen, etwas in der Welt muss unsere Aufmerksamkeit erregen, unser Gefühl ansprechen, uns affizieren, anziehen oder auch abstoßen. Auf diese allgemeine und alltägliche, aber kunstlose Kreativität in uns allen baut Schleiermacher nun die Kunst und ihre verschiedenen Kunstformen auf.
Was Schleiermacher mit seiner Theorie künstlerischer Produktivität im Blick gehabt haben mag, sind Szenen wie die bei der Uraufführung des Elias in der Town Hall in Birmingham am 26. August 1846.14 Als Mendelssohn das Dirigentenpult erreicht, „the forms of etiquette were unanimously laid aside, and one loud and universal cheer acknowledged the presence of the greatest composer of the age.“15 Der Schlusschor des Elias mit der Textzeile: „Alsdann wird euer Licht hervorbrechen wie die Morgenröte“16 ertrank regelrecht in einem Beifallssturm „as though enthusiasm, long checked, had suddenly burst its bonds, and filled the air with shouts of exultation.”17
Abb. 1: Schlusschor aus dem Elias (Erstausgabe N. Simrock, Bonn [1847], S. 368), Archiv Mendelssohn-Haus Leipzig
Für Schleiermacher ist es kein Zufall, wenn sich dieses Maximum an Begeisterung an einem religiösen Stoff entzündet und dort wiederum das Maximum bei den Worten erreicht wird, welche die Vollendung der Welt im kommenden Gottesreich, dem höchsten Gut, anzeigen. Denn das künstlerische Schaffen muss in den Kunstwerken, in denen es ein Inneres im Äußeren darstellt, die jeweiligen ästhetischen Einzelereignisse überschreiten auf ein Ganzes, einen Gesamteindruck, wenn das Werk zu einem gemeinsamen Besitz aller werden soll, so wie in Birmingham. Das ist Schleiermachers strukturelles Argument für eine religiöse Dimension in der Kunst. In der Kunst wird die schöpferische Begeisterung, die mehr oder minder in jedem Menschen anzutreffen ist, durch das Formbewusstsein des Künstlers zu einem öffentlichen, allen gemeinsamen Ausdruck einer inneren Erregung, der seinerseits dazu geeignet ist, wieder schöpferische Begeisterung freizusetzen. Ein Werk zu einem die Begeisterung entfachenden gemeinsamen Besitz aller zu machen, das gelingt einem Künstler dann am besten, wenn er diese intrinsische Beziehung zur Religion auch an einem explizit religiösen Stoff entwickelt, wie etwa in Mendelssohns Elias
Wie sehr Schleiermacher mit seinen Überlegungen, wie die schöpferische Begeisterung, die die entscheidende Grundlage der Kunstproduktion bildet, öffentlich kommuniziert werden kann, auch den politischen Nerv seiner Zeit trifft, arbeitet Andreas Arndt heraus. Schleiermacher, so Arndt, greift den religiösen Gehalt der Französischen Revolution auf, ihren Enthusiasmus für das Ganze, die universalen Menschenrechte. Aber Schleiermacher transformiert diesen Ausgriff aufs Ganze und macht aus dem gesellschaftlichen Kampf um grundlegende Rechte eine Quelle der religiös-ästhetischen Bildung. Der revolutionäre Weg der Menschheit zur Freiheit führt bei Schleiermacher über die Kunst, über Schinkels Baukunst, Mendelssohns Tonkunst und Capar David Friedrichs Bildkunst zu einem neuen Gesamtleben, das sich in der Religion vollendet. So deutet Andreas Arndt das Bild „Mittelalterliche Stadt“, das Schinkel 1815 malt, nachdem Napoleon in der Schlacht von Waterloo geschlagen wurde. Das Volk kehrt heim von den Barrikaden und findet die Freiheit, die in Frankreich die politische Revolution herbeiführte, im Innern der Religion, in dem noch unvollendeten gotischen Dom.18
Abb. 2: Karl Friedrich Schinkel, „Mittelalterliche Stadt am Fluss“, 1815, 95 x 140 cm, Alte Nationalgalerie der staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Trotzdem kommt Schleiermachers Kunsttheorie bereits bei ihm selbst an ihre Grenzen. Im nächsten Schritt (2.) will ich daher zeigen, wie Schleiermacher, der in seiner Ästhetik-Vorlesung von einer religiösen Tendenz in aller Kunst ausgeht, in der Musik Ludwig van Beethovens der Autonomie des musikalischen Klangs begegnet, diese Autonomie der Kunst aber nicht mehr für eine grundlegende Revision seiner Kunsttheorie nutzen kann. Mein dritter Abschnitt (3.) fragt, welche Konsequenzen die Ausdifferenzierung von autonomen Sinndomä-nen für das Verhältnis der christlichen Religion zur modernen Kunst hat. Eine Konsequenz ist, dass die Religion, anders als bei Schleiermacher, nicht mehr notwendig ist für die Kunst. Gleichwohl gibt es gute Gründe für religiöse Menschen, aber auch für die Kirche, sich intensiv mit der Kunst der Moderne zu beschäftigen. Drei solche guten Gründe nenne ich Ihnen zum Schluss (4.).

2Die religiöse Tendenz in der Kunst – Schleiermacher hört Mendelssohn-Bartholdy

2.1Musikalisches Glaubensbekenntnis

Felix Mendelssohn-Bartholdy wird mit sieben Jahren 1816 in Berlin evangelisch getauft. Sein Protestantismus gehört in die Geschichte der Assimilation des jüdischen Bürgertums im Preußen des 19. Jahrhunderts. Um den Preis der Konversion erhofft sich das jüdische Bürgertum gesellschaftliche Anerkennung. Aber das Verhältnis von Felix Mendelssohn-Bartholdy zum evangelischen Glauben geht in dieser Assimilationsgeschichte nicht auf. Das zeigen seine frühen Choralkantaten.19 Sie sind sein „musikalisches Glaubensbekenntnis“.20 In diesen Kantaten äußert sich ein junger, selbstbewusster Protestant an der Schwelle zum Erwachsensein, der ein eigenständiges Verhältnis zur evangelischen Religion unterhält, ohne seine jüdischen Wurzeln zu verleugnen.21 Kirchenmusik ist für Mendelssohn keine Werkgattung. Kirchenmusik steht für eine religiöse Tendenz seines Gesamtwerks. Choralzitate und Choralhaftes sind „charakteristisch für Mendelssohns Komponieren“ und ziehen „sich durch sein gesamtes Schaffen“.22 Er flicht sie auch „in reine Instrumentaltatsachen“,23 etwa in das Finale des Klaviertrios in c-moll op. 66. Dort erscheint (Takt 128) im Klavier im Pianissimo und in der Form eines vierstimmigen Choralsatzes das dritte Thema. Es ist der Anfang des Chorals „Gelobet seist du, Jesus Christ, da...

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