
- 304 Seiten
- German
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eBook - ePub
Über dieses Buch
Eike Immel: Profi-Debüt mit 17 Jahren für Borussia Dortmund ausgerechnet gegen die Bayern, anschließend Deutscher Meister, Stammtorwart der Nationalmannschaft, über 500 Bundesligaspiele. Und nach der Karriere? Abgestürzt, Privat-insolvenz und Teilnahme am "Dschungelcamp". Gregor Schnittker legt mit dieser Biografie ein sensibles und berührendes Porträt des einstigen Weltklassetorhüters vor. Neben Immel selbst hat der Autor mit vielen ehemaligen Weggefährten gesprochen, die ausführlich zu Wort kommen: Lothar Matthäus, Christoph Daum, Toni Schumacher, Berti Vogts u.v.m
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Information
eBook-ISBN:
9783730706008Auflage
1KAPITEL 1
12. August 1978
Geburtsstunde eines Torwarts
Für diesen Tag gibt es keine Anleitung. Dass ein Wendepunkt ansteht, kann der 17-Jährige nicht ahnen, als er im Parkhotel in Witten aufwacht. Das Gebäude an der Bergerstraße ragt hoch auf in der Ruhrstadt. Warmer Regen perlt an der Fensterscheibe ab. Der Sommer macht Pause an diesem 12. August 1978, als sich die Borussen nach dem Frühstück zu einem Spaziergang durch den Stadtpark aufmachen. Um elf Uhr bittet Trainer Carl-Heinz Rühl zur Besprechung, präsentiert auf einer Stellwand seine Aufstellung. So erfährt Eike, dass er wenige Stunden später, etwa 15 Kilometer entfernt, sein erstes Bundesligaspiel absolvieren wird. Sein Zimmernachbar, der eigentliche Stammtorwart Horst Bertram, ist nicht rechtzeitig fit geworden. Deshalb wird Eike nach dem Debüt im Pokal in der Vorwoche, einem 14:1 gegen Verbandsligist Schwenningen, und seinem Einsatz im letzten Test (5:0 gegen Bezirksligist Kellerberg) an diesem Tag seine Bundesliga-Premiere feiern.
Viele Jahre später erinnert sich Bertram nur ungern. Er wäre gerne selbst rechtzeitig fit geworden. „Auf ein Spiel im Westfalenstadion verzichtet man nicht freiwillig“, führt Bertram aus. „Das war ein noch junges Stadion, alles ganz eng. Und wenn dann die Anfeuerung losging, die vielen Schnipsel flogen, dieser Tropfschutz der Dortmunder Brauereien, da gab es doch für mich als Fußballer gar nichts, was hätte besser sein können. Und dann kommen an so einem Tag die Bayern. Aber es ging einfach nicht – und so wünschte ich Eike viel Glück.“ Rühl verliert zu dieser Personalie nach der Besprechung kein weiteres Wort. Ein persönliches Gespräch gibt es nicht. Eike ist 17 Jahre und 8 Monate alt, als er seine Eltern in Erksdorf anruft und sie nach Dortmund bittet.
Die Hupe von Jüppi Wietlake ist nicht zu überhören. Der Busfahrer ist pingelig. Noch mehr als Straßenkarten, denn er kennt jeden Weg zu jedem Stadion bundesweit, und Krümel auf den Sitzen verachtet er das „ewige Zuspätkommen der verzogenen Muttersöhnchen“, wie er das gerne kommentiert. Als Eike das Zimmer verlässt, ist ihm flau zumute, was aber nicht am strengen Jüppi liegt oder dem bevorstehenden Spiel. „Zu Mittag gab es ein 300-Gramm-Steak mit Sauce béarnaise und einem Berg Pommes, dazu Cola“, erinnert sich Eike. „Das lag mir wie ein Stein im Magen. Später dachte ich: Okay, jetzt bin ich immerhin stark wie ein Bulle. Walter Maahs kümmerte sich darum, dass meine Eltern ins Stadion kamen. Ich packte meine Tasche, dann ging’s los nach Dortmund.“
Schräg hinter Eike, der sich beim Blick aus dem Fenster freut, dass ein Jugendtraum in Erfüllung geht, blättert Burghard Segler im „Kicker“, in dessen Spielvorschau noch Bertram als Torwart genannt wird. Dass es nun Eike richten soll in seinem ersten Bundesligaspiel überhaupt und das gegen den Titelkandidaten Bayern München, den dreimaligen Europapokalsieger der Jahre 1974 bis 1976 mit all diesen Weltstars, macht den Mittelfeldspieler nicht nervös. „Wir kannten Eike schon länger, auch wenn er eigentlich noch in der A-Jugend bei Heinz Keppmann war“, erinnert sich der im Vergleich zu Immel zehn Jahre ältere Segler. „Wenn wir am Donnerstag Abschlusstraining hatten, war er öfter dabei. Da sah man schon, wie gut er war. Er machte keine spektakulären Sachen, strahlte aber Ruhe aus. Er war groß, hatte gute Reflexe und man merkte ihm nie Nervosität an. Man könnte das respektvoll als Phlegma bezeichnen. In seinen Aktionen war er abgeklärt, was uns Mannschaftskollegen natürlich gefiel.“
46.402 Tickets hat der BVB verkauft, was angesichts des sportlich fatalen und seelisch verletzenden Abschlusses der Vorsaison ein Vertrauensbeweis ist. Die 4.500 Dauerkarten sind ein weiterer Beleg ungebrochener Treue und bringen dem Verein gut eine Million Mark ein. Mit dem Schwerter Unternehmen Prestolith gibt es einen neuen, jährlich 300.000 Mark schweren Trikotsponsor. Finanziell geht es dem Verein gut, aber welche Auswirkungen hat das allgemeine Klima? Fußball ist in Deutschland im WM-Sommer 1978 ein Frustthema. Auch in Dortmund sind nach dem 0:12 gegen Mönchengladbach nicht alle Fans besänftigt oder versöhnt. Beobachter spüren aber vor der neuen Spielzeit durchaus eine gewisse Aufbruchstimmung an der Strobelallee. Jetzt, gegen 14:45 Uhr, ist die Stimmung wohlwollend in einer der schönsten Arenen Europas. Das 1974 fertiggestellte Westfalenstadion mit seinen roten Flutlichtmasten verzichtet auf eine Leichtathletik-Bahn, ist gebaut wie kaum ein anderer Spielort. In diesem reinen Fußballstadion sitzt der entfernteste Besucher maximal 44 Meter weit weg vom Feld, hat dafür aus 17 Metern Höhe einen perfekten Blick auf das Geschehen. „Wenn das Flutlicht angeht, kommen allein Zehntausende“, lautet ein Spruch in der stolzen Stadt. Für Onkel Otto gilt das umso mehr. An jedem Spieltag erscheint der Hoesch-Rentner freudetrunken in seinem zweiten Wohnzimmer, haut die Pauke im Clownskostüm. Auch heute ist der Edelfan aus Hombruch rechtzeitig mit der Bahn angereist und macht am Zaun ordentlich Stimmung.
Und so riecht es – wie immer bei Heimspielen – nach Bratwurst, gemähtem Rasen und Zigarettenrauch, als sich die Tribünen füllen. Dabei ist diese Kulisse nicht die größte, vor der Eike bislang gespielt hat. „Ich hatte zuvor auch schon mal vor 80.000 gespielt in der Schüler-Nationalmannschaft. Das war in Berlin gegen England, auch mal vor 25.000 in Koblenz oder 30.000 in Augsburg. Im Stadion waren aber nur Kinder. Die hatten Freikarten und es war morgens um elf Uhr. Aber das ist ja kein Vergleich zu so einem Spiel, einem richtigen Bundesligaspiel mit allem Drum und Dran.“ Zum Drumherum gehört auch Walter Wolniewicz, der mit sonorer Stimme die Reklametexte vorliest. Der Stadionsprecher bewirbt Autohäuser, Modegeschäfte und auch den Ausbildungsbetrieb von Eike, wo er sich sein Torwartdress selbst gekauft hat. Links auf der Brust hat der Hersteller den Namen Sepp Maier einsticken lassen, wobei das Original an diesem Tag im baugleichen Hemd in Hellblau aufläuft. Vorbild und Talent werden also im gleichen Trikot aufeinandertreffen, nur in den Farben getrennt. Die Fußballgeschichte gönnt sich ein bisschen Kitsch.
Als Eike in prominenter Begleitung aus der Kabine kommt und die Südtribüne ihn anfeuert, hat sich längst rumgesprochen, dass heute ein A-Jugendlicher im Tor steht. Dem Nachwuchsmann eilt ein exzellenter Ruf voraus. Eike hat einen großen Sympathievorschuss und spürt das sofort. „Da passierten unfassbare Dinge“, sinniert Eike 43 Jahre später. „Auch dass mich ein Sigi Held begleitet. Ein hochinteressanter Mann. Er hat nie gesprochen, war eine Respektsperson erster Güte. Wenn ich mich erinnere, dass mich so ein Gigant warmschießt. Normalerweise macht das der zweite Torhüter, aber an diesem Samstag machte Sigi es. Wir kamen raus und ich fragte mich, was hier denn los ist. 50.000 rufen meinen Namen. Die kennen mich doch gar nicht. Ein Sigi Held neben mir, diese Legende, Vizeweltmeister und Europapokalsieger, der jeden Tag mit einer weißen S-Klasse kommt. Er sagte zu mir, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Das war wichtig für mich. Das hat mich unglaublich motiviert. Dieser Tag war in jeder Situation unglaublich.“
Beinahe wäre Held sogar zum Trainer aufgestiegen, gilt im Sommer 1978 als gute Lösung. Nach dem Ende der Ära Otto Rehhagel verkündet Pressesprecher Gerd Kolbe, man suche nach einem anerkannten Trainer. Namen wie Rinus Michels, Georg Kessler oder Helmuth Johannsen werden genannt, Dettmar Cramer wird tatsächlich angesprochen. Mit Carl-Heinz Rühl aus Köln überrascht die Borussia die Experten. Der gebürtige Berliner, ein Freund offensiver Spielweise, hat mit dem MSV Duisburg gerade den UEFA-Cup erreicht, verlässt die Zebras dennoch Richtung Dortmund. Von seinem Kölner Ziehvater Hennes Weisweiler übernimmt Rühl vieles – auch den Mut, auf junge Spieler zu setzen. „Eine Woche vorher gab es ein Spiel gegen Arsenal, und Bertram verletzte sich“, berichtet Rühl im August 2015 in seinem Kölner Appartement. „Damit war klar, dass er kaum wird spielen können. Was nun? Eike hatte erst mal keiner auf dem Plan. Man hätte noch einen verpflichten können bis zum Bayern-Spiel. Aber wo bekommen wir so schnell einen Torwart her, ausgerechnet vor so einem Spiel? Ich hatte den Eike schon auf dem Schirm, hatte ihn in der Vorbereitung kennengelernt und dachte mir: Das riskiere ich.“
Der Trainer geht also ins Risiko und wird es nicht bereuen. Burghard Segler erinnert sich noch präzise an die vertrackte Situation: „Die Vorbereitung war, wie immer in diesen Jahren, in Zeist in Holland. Da war Eike dabei, galt als zweiter Mann. Schlimm war, dass wir kaum ein Vorbereitungsspiel gewannen. Wir spielten grottenschlecht. Der Trainer war mit den Nerven schon am Ende. Ich beruhigte ihn und sagte, wir würden schon bald ganz sicher bessere Leistungen bringen. Dann kamen die Spieltermine raus. Wir mussten also direkt gegen die Bayern ran. Oha. Schon vor der Saison gab es im Tor eine gefühlte Wachablösung, zumindest deutete sich was an, obwohl Eike noch jung war. Als sich Horst Bertram verletzte, bekam Eike schnell seine Chance. Aber er traute es sich zu, machte sich keine Gedanken.“
Es ist und bleibt ein großes Wagnis: Rühl vertraut gegen das Starensemble einem Torhüter, der an diesem Tag jedes Recht hat, Fehler zu machen. Stattdessen aber erfüllt Eike alle Dortmunder Hoffnungen. Eine echte Alternative zu Immel hätte Rühl nicht gehabt. Als Reservist sitzt der in der Mannschaft beliebte Willi Brock auf der Bank, im Vergleich zweifelsohne der schwächere Torhüter. Aber Brock hat sich beim Trainer zuletzt auch unbeliebt gemacht. Beim Training ruft er etwas zu laut über den Platz: „Was ist denn das für ein Blinder?!“ Dabei übersieht er, dass es ausgerechnet der Trainer ist, der den Ball übers Tor gejagt hat.
Gegen Bayern sitzt neben Brock Pressesprecher Gerd Kolbe auf der Bank, der auch zu jenen gehört, die kaum glauben können, was passiert. „Da begann ein großes Spektakel“, sagt Kolbe, dem man seine Begeisterung über den Debütanten bis heute anmerkt. „Eike hielt alles, was auf sein Tor kam. Es war eine wahre Pracht. Darauf hatte man lediglich hoffen dürfen. Das hatte sprichwörtlich etwas von einem wahr gewordenen Märchen.“
Noch sind die Ermittlungen gegen die Borussia vom DFB nicht eingestellt worden. Der Verdacht, das Spiel gegen Mönchengladbach sei verschoben gewesen, wie so viele Partien einst im Bundesligaskandal, hat sich zwar nicht erhärten lassen, aber freigesprochen ist der BVB noch nicht und verarbeitet ist die Partie ebenso wenig. Es braucht Siege zur Rehabilitation. „Mit Dingen wie dem 0:12 und dass die Kollegen vielleicht noch traumatisiert sind oder die Fans sauer sind, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht“, erinnert sich Eike an seine Gefühlslage. „Ich habe sowieso nicht viel nachgedacht, sondern mich einfach gefreut.“ Wohl auch wegen dieser Unbekümmertheit hilft Eike an diesem August-Samstag dem BVB, die historische Demütigung etwas zu überwinden, wird gefeiert als Wunderheiler, ist sich in der Hektik des Tages aber zu keinem Zeitpunkt der Dimension dieses Spiels und des Sieges bewusst.
Als Schiedsrichter Günter Linn aus Altendiez pünktlich um 15:30 Uhr anpfeift, spuckt unterhalb der Südtribüne ein junger Mann noch einmal in die Hände. Zeugwart Betzer hat die Handschuhe am Mittag frisch gewaschen und in den Trockner gelegt. „Sie kleben ideal, das hat der Walter super gemacht“, denkt Eike, als der Ball rollt, er das Leder fortan nicht mehr aus dem Blick lässt. Kurz zuvor hat ihm Maier am Mittelkreis Glück gewünscht, Karl-Heinz Rummenigge klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
Schon beim Warmmachen hatte Rückkehrer Paul Breitner dem Sportstudio-Reporter Harald Clausen das Saisonziel des FCB genannt: Meister oder Pokalsieger wollen sie werden. Der Bericht am Abend zeigt später die Höhepunkte der Partie, lässt die Premiere von Eike aber zunächst außen vor. Clausen hält sich trotz der überraschenden Personalie an sein Konzept, analysiert die Gäste: „Von Meisterschaftsambitionen oder meisterlicher Form war dem Spiel der Bayern heute herzlich wenig anzumerken. Im Gegenteil: Die Borussia beherrschte eindeutig das Geschehen. Hier hatte der vierfache Europacup-Sieger Glück bei einem abgefälschten Ball von Burgsmüller, Nummer acht. Rummenigge war noch bester Angreifer der Süddeutschen. Sie enttäuschten. Nur selten übernahm jemand die Verantwortung für einen Schuss wie hier Oblak gegen den 17-jährigen Torwart Eike Immel, der übereifrig Fangprobleme hatte (Anm.: Der Reporter moniert ein kurzes Nachgreifen), ansonsten einen Einstand in der Bundesliga feierte, wie er besser nicht sein kann. Noch nie stand ein Jüngerer im Tor eines Bundesligaklubs.“ Der Reporter vergisst Jürgen Friedl aus Frankfurt, der 1976 mit 17 Jahren und 26 Tagen im Tor der Eintracht stand, ist nun aber doch spürbar begeistert und führt fort: „Gegen Oblak vollbrachte er seine größte Tat. Dafür dankten ihm sein Kapitän Lothar Huber und rund 50.000 Besucher. Ein Freistoß von Uli Hoeneß für München. 17 Meter Entfernung. Immel im richtigen Eck. Am Nachschuss hätte er wohl nichts machen können. In der 32. Minute erzielte Burgsmüller das 1 zu 0 für Borussia Dortmund. Freistehend ließ man ihm Zeit, den Ball mit der Brust zu stoppen und Sepp Maier zu überwinden.“ Diese Schilderung ist reichlich nüchtern für ein Tor, das man auch als fußballerisches Kunstwerk bezeichnen kann: Burgsmüller lässt den Flankenball von Werner Schneider auf seiner Brust hochspringen, gibt dem Ball mit dem Kopf einen Stups, legt ihn sich mit der Sohle noch einmal in den Lauf und spitzelt das Leder dann mit dem Außenrist unter Maier hinweg. „Die Dortmunder jedenfalls mit mehr Schwung als beim 0:12 gegen Mönchengladbach. Sie erinnern sich. (…) Immel ließ keinen Treffer zu bei seinem Debüt. Auch nicht bei einem Kopfball von Gerd Müller kurz vor Schluss. Übrigens Müllers beste Leistung nach dem Gewinn der Seitenwahl. Bayern verliert (…) und das Westfalenstadion hat nun einen neuen Publikumsliebling.“
Es ist die Geburtsstunde eines Torwarts, der dieses Spiel in jeder Sequenz dieser 90 Minuten rekonstruieren kann. Eike hat Maier, den er als den „besten Torwart der Welt“ bezeichnete, wenige Wochen zuvor bei der Weltmeisterschaft noch im Fernsehen gesehen. Dieser Mann von Weltruhm steht ihm nun gegenüber. Bevor Eike darüber nachdenken kann, laufen die ersten Angriffe. „Ich hatte direkt einige Großchancen zu verhindern. Aber ich fühlte mich gut, hatte eine gute Strafraumbeherrschung, konnte einige Flanken runterholen“, sagt Eike, dem anzusehen ist, dass die Bilder von einst nie verblassen werden. „Im Nachhinein ist es unfassbar, wie normal und wie selbstverständlich alles für mich war. Der erste Schuss, es war ein Freistoß von Uli Hoeneß, rechts ins Eck, und ich habe den weggefaustet. Das ganz Stadion jubelte. Oblak tauchte fünf Meter vor mir auf. Ich schmiss mich ihm entgegen – und dann war der Bann gebrochen, das ganze Stadion rief 90 Minuten meinen Namen. Alles jubelte. Beim Schlusspfiff minutenlanges Gebrüll. Lothar Huber wollte mich auf Schultern vom Platz tragen. Das war Wahnsinn. Unglaublich.“
Die Eltern Elke und Heinrich Immel sowie Jugendtrainer Karl-August Cimiotti fiebern auf der Haupttribüne dem Schlusspfiff entgegen. Es ist ein Tag, der an die Nerven geht. Auch ein zweites Tor für die Borussen scheint möglich. Der beliebte Schlager „Zieht den Bayern die Lederhosen aus …“ entwickelt sich zu einem Chor über vier Tribünen. Dann pfeift der Schiedsrichter ab, das ganze Stadion brüllt laut auf, gefolgt von Ovationen und lauten Immel-Rufen. Die Stadtallendorfer Delegation fällt sich jubelnd in die Arme. Überall in Deutschland freuen sich ehemalige Weggefährten aus Eikes Jugend, Vereinsmitglieder der Eintracht und zahlreiche Nachbarn der Immels haben am Radio mitgefiebert.
Der Held auf dem Rasen ist derweil kaum noch zu erkennen. Schon während des Spiels haben ihn die Mitspieler ermuntert und nach gelungenen Aktionen geherzt. Jetzt umringen sie gemeinsam mit den Fotografen den Torwart. Huber springt ihm mit Anlauf in die Arme, was wegen ihrer körperlichen Differenzen etwas lustig wirkt. „Ich kannte ihn ja aus dem Training, aber dieses Spiel war wirklich unglaublich“, sagt Lothar Huber gut vier Jahrzehnte später und wirkt immer noch perplex wegen der Ereignisse an diesem Tag. „Gegen die Bayern mit so einem jungen Spieler antreten? Das war ein Experiment. Entscheidend sind die ersten Aktionen. Da pflückt Eike eine Flanke, hält die erste Großchance, holte sich Sicherheit. Er zeigte unglaubliches Selbstbewusstsein. Die Bayern sind an ihm verzweifelt. Das war die Sternstunde von Eike Immel. Sein Vorteil war die Coolness. Dieses Leck-mich-am-Arsch-Gefühl. Die Fans haben ihn unterstützt, permanent angefeuert. Das hätte in die Hose gehen können, und wer weiß, wie es mit ihm weitergegangen wäre. Aber er hat es gebracht. Er konnte uns direkt Sicherheit vermitteln.“
Pressesprecher Kolbe erlebt alles aus nächster Nähe. Seine Funktion und auch sein zurückgenommenes Wesen verbieten ihm, mit in die Jubel-Arie einzusteigen. Begeistert ist er dennoch: „Er war von der ersten Minute an Liebling der Masse. Fußballerisch war Eike stoisch. Um ihn herum konnte passieren, was wollte. Wer auch immer kam. Wie groß auch immer der Name war. Es konnte ihn nicht aus der Bahn werfen. Er hatte die Ruhe. Er hatte die Physis. Sein Auftreten war überwältigend. Das alles war sehr eindrucksvoll, und jeder dachte, der ist vom lieben Gott dafür vorgesehen, ein großer Torwart zu werden.“ Zu den ersten Gratulanten gehört Maier, was die Fotografen freut. Beobachter analysieren wohlwollend dessen Begeisterung mit seinem auffällig herzlichen Verhalten gegenüber dem Youngster auf dem Weg in die Kabine. Trotz der Niederlage wirkt der 33-Jährige nicht unzufrieden. Im „Kicker“ erhält Eike trotz seines sehr guten Spiels nur die Note zwei, schaff...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Der Autor
- Impressum
- Inhalt
- INTRO: „Man muss überlegen, wie das Leben weitergehen soll“
- KAPITEL 1: 12. August 1978
- KAPITEL 2: Torwarttraining zwischen Kuhhaufen und Gülledampf
- KAPITEL 3: „Der beste Torwart seit Norbert Nigbur“
- KAPITEL 4: „Eike Immel, du bist der beste Mann!“
- KAPITEL 5: „Kopfüber ins Stahlbad“
- KAPITEL 6: Sportliche Höhenflüge und finanzielle Desaster
- KAPITEL 7: Die Nationalmannschaft
- KAPITEL 8: „Wie ich aus der Hölle in den Himmel kam“
- KAPITEL 9: „So richtig feiern konnten die Schwaben nicht“
- KAPITEL 10: Neue Erfahrungen im Ausland und als Trainer
- KAPITEL 11: „Ich habe davon gelebt, dass es mir schlecht ging“
- KAPITEL 12: Eintracht Stadtallendorf
- Dank und Quellen