1Einführung
Wie andere Organe auch, verändern sich die Struktur und die Funktionsfähigkeit der Haut mit dem Alter. Die Haut wird – im wahrsten Sinne des Wortes – dünner und verliert an ihrer Barriere- und Schutzfunktion. Reparatur- und Regenerationsprozesse verlangsamen sich, während beispielsweise die Elastizität, Nährstoffversorgung, Tastsensibilität und Drüsenaktivität zurückgehen [1]. In der Summe führen die physiologischen Alterungsprozesse zu einer erhöhten Anfälligkeit für Erkrankungen oder Störungen wie beispielsweise Pilzinfektionen, Hauttrockenheit (Xerosis cutis), gutartige Hauttumoren (z. B. seborrhoische Warzen), Dekubitus oder inkontinenzassoziierte Dermatitis [2]. Begünstigt wird die Anfälligkeit der Haut im Alter zudem durch häufig auftretende Erkrankungen wie etwa arterielle und/oder venöse Durchblutungsstörungen, Diabetes mellitus Typ II, Inkontinenz oder eingeschränkte Mobilität. Diese meist chronischen Erkrankungen oder Zustände führen dazu, dass die Haut zusätzlich mechanischen (Druck) oder chemischen (Feuchtigkeit) Belastungen ausgesetzt ist und/oder die Gewebetoleranz gegenüber diesen Einwirkungen geschwächt wird. Darüber hinaus können zahlreiche, gerade bei älteren Menschen häufig verordnete Medikamente die Schutz- und Barrierefunktion schwächen, wie z. B. Antikoagulanzien oder nichtsteroidale Antiphlogistika [3].
Eine Folge der altersassoziierten Hautveränderungen und Gefährdungen der Hautgesundheit ist auch ein erhöhtes Risiko für chronische Wunden. Als chronische Wunden werden alle Schäden der Haut und einer oder mehrerer der darunterliegenden Strukturen bezeichnet, die nicht innerhalb von acht Wochen abheilen [4]. Durch Störungen in den physiologischen Wundheilungsprozessen und gegebenenfalls zusätzliche Infektionen des Wundgebiets verzögert sich die Abheilung der Wunden. Rund 1% aller Menschen in Deutschland leiden an chronischen Wunden, bei stark ansteigender Prävalenz und Inzidenz nach dem 70. Lebensjahr [5,6]. Die dominierenden Wunden im Alter sind Ulzera am Unterschenkel aufgrund von Störungen des venösen Rückstroms (Ulcus cruris venosum), der arteriellen Durchblutung (Ulcus cruris arteriosum) oder einer Kombination beider Ursachen (Ulcus cruris mixtum), Wunden am Fuß im Rahmen eines diabetischen Fußsyndroms sowie Druckgeschwüre (Dekubitus), d. h. Haut- und/oder Gewebeschädigungen infolge verlängerter oder zu starker Druckeinwirkung. Der größte Teil dieser Wunden entfällt auf das Ulcus cruris [5,6].
Können die Wundheilungsstörungen nicht effektiv behandelt werden, droht eine weitere Ausdehnung der Schädigungen in die Breite und die Tiefe sowie eine Ausbreitung der Infektionen und Entzündungsreaktionen im gesamten Körper bis hin zu einer Sepsis. Darüber hinaus können chronische Wunden die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen, etwa durch Schmerzen, Sekretbildung oder Wundgeruch, durch Einschränkungen der Mobilität und der Aktivitäten des täglichen Lebens, durch therapiebedingte Belastungen und psychische und soziale Folgen wie Schamgefühle oder sozialen Rückzug [7–10]. Sie bedeuten für die Betroffenen eine zusätzliche Komplikation ihrer Grunderkrankung und in der Regel eine weitere Erkrankung neben einer Reihe bereits bestehender Erkrankungen und Gesundheitsstörungen. Sie können zur Entstehung von Pflegebedürftigkeit beitragen oder eine bereits bestehende Pflegebedürftigkeit verstärken [6].
Den Teufelskreis aus zunehmender Morbidität, Verlust von Selbstmanagementfähigkeiten und somit wachsender Pflegebedürftigkeit zu durchbrechen oder zumindest zu verzögern, ist ein zentrales Ziel der geriatrischen Behandlung, Rehabilitation und Pflege. Die Vermeidung und Reduktion altersassoziierter Hautprobleme und chronischer Wunden stellen hierbei einen wichtigen Handlungsbereich dar. In den vergangenen Jahren haben diese Themen in der klinischen Forschung eine steigende Aufmerksamkeit erfahren. Zunehmend liegen evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die Hautpflege bei älteren Patientinnen und Patienten [11] sowie für die Behandlung und Pflege von Menschen mit chronischen Wunden [4,12–14] vor.
Die erfolgreiche Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden beruht demnach auf drei Säulen: der konsequenten Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung oder Gesundheitsstörung, der wundstatusgerechten Lokaltherapie und der wirkungsvollen Unterstützung des Selbstmanagements der Betroffenen. In der geriatrischen Versorgung stellen sich hierbei mehrere spezifische klinische Herausforderungen: In der Regel leiden die Betroffenen an mehreren, bereits fortgeschrittenen Erkrankungen, unter Umständen auch an mehreren chronischen Wunden. Anlass der Behandlung ist meist die Exazerberation einer oder mehrerer dieser Erkrankungen oder das Auftreten einer akuten Erkrankung oder Verletzung. Und zum klinischen Bild zählen neben den chronischen Wunden meist weitere Symptomkomplexe und funktionelle Beeinträchtigungen, die sich, wie z. B. Harn- oder Stuhlinkontinenz, ungünstig auf die Wundheilung auswirken oder, wie z. B. kognitive Beeinträchtigungen, die Selbstmanagementfähigkeiten limitieren können. Die an sich bereits komplexe Behandlung der Wunde ist somit integraler Bestandteil eines noch komplexeren geriatrischen Behandlungs- und Pflegeprozesses.
Diese besonderen Ausgangsbedingungen erhöhen nicht nur die Anforderungen an die berufsgruppen- und gegebenenfalls sektorenübergreifende Versorgung, sondern auch an die Abwägung der Therapie- und Pflegeziele. Aus Sicht der Betroffenen kann Behandlungserfolg statt der kompletten Wundheilung auch (zunächst) die Reduktion belastender Wundsymptome oder ein rascher Rückgewinn von Mobilität und Unabhängigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens bedeuten [15,16]. Leitmodell der Versorgung älterer Menschen mit chronischen Wunden sollten daher die Prinzipien der patientenzentrierten geriatrischen Pflege und Behandlung sein [17]. Erste empirisch untermauerte Kriterien für die Erhebung der Ziele und Präferenzen der Betroffenen und die Integration in die Versorgungsplanung liegen vor [15].
Patientenzentrierte geriatrische Versorgung heißt zugleich evidenzbasierte und interprofessionelle Versorgung [17]. Dies sind auch die Leitgedanken des vorliegenden Buches. Als eine Art Kompendium fasst es für alle an der geriatrischen Behandlung, Rehabilitation und Pflege beteiligten Berufsgruppen die aktuellen Wissensbestände zur Versorgung älterer Menschen mit chronischen Wunden zusammen. Im Aufbau folgt es dabei zunächst dem klinischen Prozess von der Pathogenese und Ätiologie über die Wundbeurteilung zur Therapie chronischer Wunden im Alter (Kapitel 2–4). In den anschließenden Kapiteln stehen sodann die Perspektive der Betroffenen (Kapitel 5), die Förderung deren Selbstmanagements und Selbstpflege (Kapitel 6) sowie die Anforderungen an die berufsgruppen- und sektorenübergreifende Zusammenarbeit (Kapitel 7) im Vordergrund. Das Schlusskapitel (Kapitel 8) integriert schließlich fallbezogen klinische Kerninhalte der geriatrischen Versorgung älterer Menschen mit chronischen Wunden und lädt die Leserinnen und Leser ein, eigenes Wissen zu rekapitulieren und anwendungsbezogen zu vertiefen. Wissend, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Genese und Therapie chronischer Wunden kontinuierlich weiterentwickeln, soll und kann das vorliegende Buch aktuelle Leitlinien nicht ersetzen, aber die Auseinandersetzung damit und deren Anwendung in der Praxis unterstützen.
Literatur
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[3]Makrantonaki E, Wlaschek M, Scharffetter-Kochanek K. Pathogenese von Wundheilungsstörungen bei älteren Patienten. J Dtsch Dermatol Ges. 2017;15:255–78.
[4]Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz. Version 1, AWMF-Register Nr. 091/001, Stand: 12. 06. 2012, http://www.awmf.org/mwg-internal/de5fs23hu73ds/progress?id=L0PZBGBpkb91SRdY-JCNza69mQIFdU6V1YDgb0NyLbw, letzter Zugriff am 17. 07. 2017.
[5]Heyer K, Herberger K, Protz K, Glaeske G, Augustin M. Epidemiology of chronic wounds in Germany: Analysis of statutory health insurance data. Wound Repair Regen. 2016;24:434–42.
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[12]Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.). Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden – 1. Aktualisierung 2015“. Schriftenre...