3.1Diagnose chronisch entzündlicher Darmerkrankungen
Die Diagnose des M. Crohn und der Colitis ulcerosa, der beiden Hauptformen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED), lässt sich nur anhand einer Kombination von klinischem Erscheinungsbild, dem Krankheitsverlauf sowie den Ergebnissen von endoskopischen, histologischen, laborchemischen und radiologischen Methoden stellen [13, 14, 19, 34, 39].
Auch wenn aktuelle Leitlinien darauf hinweisen, dass es keinen einzelnen „Goldstandard“ bei der Diagnosestellung von CED gibt [19, 39], wird das größte Gewicht der Ileokoloskopie mit histologischer Untersuchung beigemessen, mit der sich in den meisten Fällen die Diagnose stellen lässt. Eine Schwierigkeit der differentialdiagnostischen Zuordnung besteht in der phänotypischen Heterogenität von CED. So können z. B. nur bei etwa 30–40% aller M.-Crohn-Patienten histologisch Granulome nachgewiesen werden, die als wichtiges Unterscheidungsmerkmal des M. Crohn gegenüber der Colitis ulcerosa gelten. Bei der Diagnosestellung sollten andere entzündliche, infektiöse, toxische, vaskuläre und insbesondere auch maligne Ursachen einer Colitis bzw. Enteritis ausgeschlossen werden.
Aktuell gibt es keine CED-spezifische Laboruntersuchung. Die deutsche Leitlinie für den M. Crohn rät davon ab, serologische oder genetische Marker zur primären Diagnosestellung heranzuziehen [39]. Hilfreich zur Abgrenzung von funktionellen Darmerkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom kann aber die Bestimmung des Calprotectinwertes im Stuhl sein, wobei Calprotectin ebenfalls kein CED-spezifischer Marker ist. Sofern keine Remission einer CED besteht, ist das Vorliegen einer CED bei einem normalen fäkalen Calprotectinwert unwahrscheinlich.
Der M. Crohn, aber auch die Colitis ulcerosa haben einen sehr heterogenen Phänotyp und ein unterschiedliches Befallsmuster. Während beim M. Crohn alle Abschnitte des Gastrointestinaltraktes befallen sein können, ist die Colitis ulcerosa meist auf das Kolon beschränkt, sie kann aber auch als sog. Backwash-Ileitis den distalen Abschnitt des terminalen Ileums betreffen.
Der M. Crohn zeichnet sich in den meisten Fällen durch ein diskontinuierliches Befallsmuster aus. Im Gegensatz dazu breitet sich die Colitis ulcerosa meist kontinuierlich vom Rektum ausgehend auf das Kolon aus. Aber auch bei der Colitis ulcerosa gibt es Sonderformen wie die mit der primär sklerosierenden Cholangitis (PSC) assoziierte Colitis ulcerosa, die verstärkt im rechtsseitigen Kolon auftreten kann und oft eine Aussparung des Rektums aufweist, was im Englischen als rectal sparing bezeichnet wird.
3.2Anamnese
Aufgrund der klinischen Variabilität und der Chronizität von CED kommt bei der Diagnosestellung und Verlaufsbeurteilung einer genauen Anamnese große Bedeutung zu. Wichtig ist auch die Abgrenzung zu funktionellen Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome – IBS), das deutlich häufiger als eine CED diagnostiziert wird.
Bei der Anamneseerhebung sollten genau der Beginn der klinischen Symptome, die Reiseanamnese, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Medikamente (insbesondere Antibiotika und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)) sowie die Raucheranamnese und eine Vorgeschichte bzgl. abdomineller Operationen (insbesondere Appendektomie) erfragt werden [19, 39]. Dies kann manchmal bei der differentialdiagnostischen Zuordnung später hilfreich sein. So können z. B. NSAR CED-Schub-auslösend wirkend. Eine Appendektomie sowie eine Raucheranamnese sind Risikofaktoren für einen M. Crohn, während diese Faktoren eine protektive Wirkung bei der Colitis ulcerosa haben.
Wichtig ist eine differentialdiagnostische Abgrenzung von gastrointestinalen Infektionen, sodass diesbezüglich anamnestisch mögliche Risikofaktoren (Reisen, Restaurantbesuche, Kontakt zu Infizierten) ebenfalls erfragt werden sollten. Allerdings kann eine gastrointestinale Infektion im Jahr vor der Erstpräsentation eines M. Crohn auftreten [18]. Daher ist ein detailliertes Erfragen des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Risikofaktoren und Auftreten der Symptomatik wichtig. Im Gegensatz zum abrupten Beginn vieler gastrointestinaler Infektionen treten die Symptome bei CED oft langsamer auf [44].
Da CED-Patienten mit schwerer Erkrankung meist eine immunsuppressive Therapie benötigen, empfiehlt es sich auch, in der Anamnese entsprechende Hinweise auf Risikofaktoren (wie Auslandsaufenthalte oder Herkunft aus Risikoländern, Drogenanamnese, Gabe von Blutprodukten etc.) für eine Tuberkulose (Tbc)-, Hepatitis-B (HBV)-, Hepatitis-C (HCV)- und Human-Immunodefiency-Virus (HIV)-Infektion zu erfragen. Unter einer immunsuppressiven Therapie, insbesondere bei Mehrfachimmunsuppression ist auch das Risiko für opportunistische Infektionen erhöht, sodass von der DGVS und der ECCO die Erhebung und ggf. Vervollständigung des Impfstatus gefordert wird. Allerdings wird empfohlen, innerhalb von 3 Monaten nach einer Lebendimpfung möglichst keine immunsuppressive Therapie durchzuführen.
Bei der Erfragung der klinischen Symptome sollte insbesondere detailliert die Stuhlanamnese erfragt werden, weil v. a. bei der Colitis ulcerosa fast immer auch Diarrhöen auftreten. Während im akuten Schub einer schweren Colitis ulcerosa blutige Diarrhöen von Patienten häufig angegeben werden, sind Blutauflagerungen seltener beim M. Crohn anzutreffen. Im Gegensatz dazu werden von M.-Crohn-Patienten (insbesondere wenn eine Darmstenose vorliegt) als klinische Symptome häufig Meteorismus, Borborygmus, abdominelle Schmerzen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten v. a. für ballaststoffreiche Nahrung angegeben.
Auch Zeichen einer schweren Erkrankung wie Gewichtsverlust, Fieber, Schmerzen, blutige Diarrhöen und Tenesmen müssen beachtet und dokumentiert werden.
Aufgrund der häufig auftretenden extraintestinalen Manifestationen sollten diese bei der Anamneseerhebung gezielt erfragt werden. Dazu zählen insbesondere Symptome der Mundschleimhaut wie Aphten und Ulzera, Hautsymptome (insbesondere Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, Neurodermitis und Psoriasis), Gelenksymptome (wie Arthralgien und rheumatoide Arthritis), anale/perianale Probleme (wie Fisteln, Perianalabszesse und Fissuren) [19, 39]. Oft können perianale Fisteln und damit assoziierte perianale Abszesse schon bei der Erstdiagnose eines M. Crohn auftreten.
Aktuell sind mehr als 200 Risiko-Genloci für CED bekannt, sodass der Familienanamnese große Bedeutung zukommt. Etwa 10–25% der CED-Patienten haben einen erstgradigen Verwandten mit M. Crohn oder Colitis ulcerosa. Da es eine erhebliche Überlappung der Risikogene von M. Crohn und Colitis ulcerosa gibt, können in verschiedenen Generationen auch unterschiedliche Formen einer CED auftreten (z. B. Mutter Colitis ulcerosa, Tochter M. Crohn).
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Risikogenen, die sowohl das CED-Risiko als auch das Risiko für andere Autoimmunerkrankungen erhöhen. Ein klassisches Beispiel ist die primär sklerosierende Cholangitis (PSC), die bei ca. 5% der Colitisulcerosa-Patienten und in geringerem Maße auch beim M. Crohn auftritt, während etwa drei Viertel aller PSC-Patienten an einer Colitis ulcerosa leiden.