„Der Aberglaube ist ein Stück Volkspoesie und es wäre ganz zwecklos, ihn, soweit er harmlos ist, zerstören zu wollen.“2
1.1 Einleitung
Die Öffnung der universitären Portale für die Erforschung der Astrologie wird WARBURG zugeschrieben,3 der anhand der Fresken des Palazzo Schifanoia exemplarisch den überall mitschwingenden Tenor der Astrologie der Renaissancezeit aufzeigte.4 Zur gleichen Zeit verfasste JUNG seine These zur Synchronizität als ein der Astrologie zugrunde liegendes Prinzip.5 Beachtlich ist auch die Sammlung griechischer astrologischer Handschriften, die CUMONT und BOLL durch die Edition des Catalogus Codicum Astrologorum Graecorum (CCAG) bereitstellten.6 Die historischen Abrisse von GUNDEL/GUNDEL7 und BEZOLD/BOLL,8 ergänzten die in mancherlei Hinsicht immer noch unübertroffene Geschichte der Astrologie von BOUCHÉ-LECLERCQ.9 VON STUCKRAD präsentiert die Astrologie als „senkrechtes Weltbild“, um das vielzitierte Diktum CASSIRERS anzuführen: „Die Astrologie ist, rein formal betrachtet, einer der großartigsten Versuche systematisch-konstruktiver Weltbetrachtung, der je vom menschlichen Geiste gewagt wurde: die Forderung, ‚das Ganze im Kleinsten zu erblicken‘, ist selten so eindringlich gestellt und so konsequent durchzuführen versucht worden wie hier.“10
Eine zweite Renaissance der Astrologie im wissenschaftlichen Diskurs bezeugen jüngere Arbeiten zur Geschichte der Astrologie von HOLDEN 1996, CURRY 1987, TESTER 1987, CAMPION 2008, VON STUCKRAD 2000 sowie zahllose Einzeluntersuchungen. Einer der Wegbereiter hierfür war PINGREE, der als „the most towering figure in the field of the history and transmission of astrology in the 20th century“ am wissenschaftlichen Horizont aufscheint11 und sicherlich auch NEUGEBAUER, der die für die Astrologie bedeutsamen Grundlagen der Astronomie systematisch erarbeitete.12
Hand in Hand mit dem Interesse an der Astrologie geht dasjenige an Esoterik,13 Divination und Mantik. Der schon erwähnte BOUCHÉ-LECLERCQ hatte nicht nur eine Geschichte zur Astrologie verfasst, sondern auch eine vierbändige Histoire de la divination dans l’antiquité, PARIS 1879–1892. Diese wurde 1978 nachgedruckt, was nach HOGREBE kein Zufall ist, sondern ein Indiz der wissenschaftstheoretisch gestützten Offenheit für weiche und informelle Formen des Wissens und der Rückbesinnung auf altmagische Praktiken.14 Das gleiche gilt für die Orientwissenschaften, s. u.
Was Divination, Mantik und Astrologie gemeinsam haben, ist das Generieren von Antworten auf die Frage nach der Zukunft, besonders in Krisenzeiten.15 Eine ähnliche Funktion wird der Religion nach dem religionswissenschaftlichen Ansatz der religious economy zugeschrieben. Religion wird hierbei aus der Perspektive einer Marktwirtschaft gesehen: als Ware, die angeboten wird als Rituale enthaltendes Paket, welches vor allem „Sinn“ stiftet.16 Die Suche nach Möglichkeiten, das unbekannte Terrain des Zukünftigen zu urbanisieren, ist eine menschliche Universalie, die – per Definition der Zukunftsforschung – eigentlich eine Suche in der Gegenwart ist. Die wissenschaftliche Erarbeitung von Strategien, mit Zukunftsfragen umzugehen, ist das Ziel der Futurologie, die seit wenigen Jahren in Salzburg und Berlin studiert werden kann.17 Beachtlich ist aber auch die akademische Aufgeschlossenheit gegenüber historischen und volkstraditionellen Methoden der Zukunftsforschung wie der Astrologie oder Mantik. vON STUCKRAD nennt diese neue Aufgeschlossenheit der Wissenschaft eine Folge des pragmatic turn.18
Mag diese Hinwendung zu esoterischen Themen auch in „(neo)romantischen Hoffnungen auf eine Wiederverzauberung der vom okzidentalen Rationalismus entzauberten Welt“19 begründet sein, so ist es umso wichtiger, sich vor Augen zu halten, dass es „nur durch intensivierte Historisierung“ möglich ist, „die Einsicht in die Relativität und Vorläufigkeit unserer Begriffsbildung [zu] wahren und uns immer neu bewusst [zu] machen, dass wir weder über einen gottgleichen universellen Blick noch irgendeine Perspektive verfügen, die uns die Differenzen von Insider und Outsider, Beobachtetem und Beobachtendem zu überbrücken erlaubte.“20
Dass die Astrologie überhaupt erst in Diskredit geraten konnte, begründet KUHN mit dem Stagnieren der fortlaufenden Theorienbildung und dem Verwerfen von Theorien, die sich als untauglich erwiesen haben. Neben den Naturwissenschaften, die immer wieder Methoden und Theorien überwerfen, und dadurch ihre Wissenschaftlichkeit sichern, hätte sich die Astrologie nicht bewähren können.21 Der Prestigeverlust der Astrologie ist nach BARTON das Resultat moderner Wissen(schaft)spolitik,22 ein wissenschaftsexterner Faktor dazu die Tendenz, Astrologie stiefmütterlich als Pseudo-Wissenschaft zu betrachten.23
Nach und nach hatte sich die Astrologie als eigene Disziplin auch an den Universitäten durchgesetzt. Schon Thomas von Aquin, der ein vehementer Gegner der Individualastrologie war, räumte der Universalastrologie, meteorologischen Prognosen u. ä. ihre Berechtigung ein. Auch wenn sich die „klassische Astrologie“ erst im 12. Jh. in Europa etablieren konnte, so spielte sie dort eine umso größere Rolle im täglichen Leben, in der höfischen und der Populärkultur.24 An den Universitäten von Padua und Bologna wurde die Astrologie schließlich in das Curriculum von Medizin, Mathematik und Naturphilosophie aufgenommen.25 Astrologie und Astronomie wurden lange Zeit nicht getrennt voneinander behandelt, sondern wie zwei verschlungene Zweige einer Disziplin. Astronomische Berechnungen waren notwendig für astrologische Prognosen, die wiederum fester Bestandteil der medizinischen Behandlung waren. Außerdem konnte sich die astronomia auf ihren Status als Bestandteil des spätanti...