Juden, Christen und Vereine im Römischen Reich
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Juden, Christen und Vereine im Römischen Reich

  1. 412 Seiten
  2. German
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Juden, Christen und Vereine im Römischen Reich

Über dieses Buch

In den letzten 30 Jahren ist in zahlreichen Arbeiten der Versuch unternommen worden, antike Juden- und Christengruppen in das Vereinswesen ihrer Zeit einzuordnen. Den dabei gewonnenen Einsichten stehen weiterhin grundsätzliche Bedenken entgegen. Oft stoßen dabei unreflektierte Prämissen aufeinander. Dieses Buch erschließt die Debatte und versucht sich an einer Klärung der Frage, was mit historischen Vergleichen erklärt werden kann und was nicht.

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Benedikt Eckhardt and Clemens Leonhard

1 Einleitung: Christen, Juden und Vereine

1.1 Antike und Gegenwart

Wer einen Blick auf die Textzeugen zur Geschichte der Alten Kirche wirft, steht vor der Entscheidung zwischen zwei Ansätzen des Verständnisses. Einerseits lassen sich die Texte schon aufgrund der Übernahme antiker Begriffe in moderne Sprachen und der mannigfaltigen Legitimitätskonstruktionen späterer Zeiten als vertraute Vorläufer aller kommenden Epochen, besonders der Gegenwart verstehen. Paulus schreibt offenbar an so etwas wie eine Gemeinde in Korinth. Die Didache, wohl ein Text aus dem frühen zweiten Jahrhundert, rechnet damit, dass aus einem Netzwerk christlicher Gemeinden Besucher, Propheten, aber auch Scharlatane umherziehen und die überregionale Zusammengehörigkeit des Christentums ausnützen. Paulus zieht im östlichen Mittelmeerraum herum und findet überall Synagogen als lokale Organisationsformen des Judentums, die zwar in der jeweiligen Ortschaft verankert, dann aber doch miteinander verbunden sind. Man blickt auf die allerersten Zeugnisse des Christentums und der Parallelphänomene im Judentum und fühlt sich sofort wie zu Hause. Alle Phänomene sind bestens verständlich.
Dabei scheinen viele einzelne Gemeinden zu einer Kirche zusammengefasst. Je detaillierter man versucht, diese Kirche zu begreifen, desto weniger greifbar wird sie in den konkreten Zeugnissen. Die literarischen Zeugnisse lassen viel eher konkrete Gemeinden sehen. Solche Gemeinden sind dennoch nicht einfach vollkommen unabhängige Organisationen. Aber auch das, was man als Gemeinde bezeichnen möchte, wird bei näherem Zusehen unkonkreter, obwohl die Vereinnahmung antiker Gruppen für eine gegenwärtige, mitteleuropäische Gruppierung „Gemeinde“ auch üblich ist. Gemeinden kann man als stabile organisatorische, juridische oder soziale Struktur verstehen. Man kann sie aber auch auf ihre Manifestation bei ihrem Treffen reduzieren. Im zweiten Fall würde man der konkreten, wenn auch kurzzeitigen Kleingruppe eine höhere Realität zumessen, als Vorstellungen über mehr oder weniger konkrete Netzwerke, zu denen sich diese Kleingruppen zugehörig fühlen. Gemeinden existieren dann, wo und insofern sie das Mahl feiern, das Paulus als „Herrenmahl“ bezeichnet hat.1 Darüber, wie die konkrete einzelne Mahlfeier einer christlichen oder jüdischen2 Gruppe zu ihrer Regelmäßigkeit und damit zu einer stabilen, lokalen Organisation steht und wie diese lokale Organisation wiederum zu einem Netzwerk anderer, ähnlicher Organisationen steht, lässt sich im Blick auf die Antike einiges rekonstruieren und manches spekulieren.
Wer sich mit der intellektuellen Befriedigung des Verstehens der Antike dennoch mit offenen Augen und Ehrlichkeit an die Deutung dieser Quellen macht, wird aus der allzu behaglichen Kontinuitätskonstruktion aufschrecken, sobald er oder sie erkennt, dass Kirche und Synagoge der Antike den entsprechenden Gegenwartsphänomenen dermaßen ähnlich zu sein scheinen, dass es unmöglich wird, ihre Geschichte zu schreiben. Im Großen und Ganzen könnte man glauben, dass es immer schon so war, wie es heute ist. Spätestens an diesem Punkt muss der Verdacht aufkommen, dass die Art Vergangenheit, die hier entworfen wird, Phänomene oder Reformen der Gegenwart legitimiert, nicht aber hilft, irgendetwas Gegenwärtiges oder Vergangenes zu verstehen.
Dagegen empfiehlt es sich, die Spuren der Ähnlichkeit genauso wie der Andersartigkeit der antiken christlichen Gruppen wahrzunehmen, zu beschreiben und nicht nur mit christlichen Gruppen der Gegenwart zu vergleichen (und damit ausschließlich als deren Vorläufer zu deuten), sondern nach zeitgenössischen Parallelen zu suchen (und ihnen damit Elemente ihres Profils zuzuschreiben, die gegenwärtigen Legitimitätskonstruktionen nicht nützen). Im Vergleich mit den spärlichen Daten, die zum frühen Christentum vorliegen, sind Parallelphänomene der Antike nicht nur exzellent und überreichlich dokumentiert. Sie sind auch in Datengattungen überliefert, wo keinerlei christliche Parallelen existieren, zum Beispiel auf Inschriften oder in literarischen Rechtsquellen. An dieser Stelle setzt die spezielle Diskussion des folgenden Buches ein.

1.2 Antike Vereine

Neben Christen- und Judengemeinden gab es in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. zahlreiche andere Gruppen, mit denen sie wesentliche Eigenschaften teilten: Die selbstgewählte, nicht durch Geburt oder staatliche Ordnung zugewiesene Mitgliedschaft, regelmäßige Treffen mit gemeinsamen Mahlzeiten, eine auf Dauer angelegte Organisationsstruktur und einen Gemeinschaft stiftenden Kult. Solche Gruppen bezeichnet die deutschsprachige Forschung als „Vereine“.3
Das ist zweifellos ein streitbarer Begriff, weil er jedenfalls im deutschen Sprachraum an teils sehr konkrete rechtliche Bedingungen und oft auch an ein spezifisches Verständnis der modernen Gesellschaft gebunden ist.4 Er bleibt aber doch der beste Weg, um ein vielfältiges Phänomen auf den Punkt zu bringen und gleichzeitig auszudrücken, was diese Gruppen jedenfalls nicht waren: Familien etwa, oder Karawanen, oder Unterabteilungen der Bürgerschaft, oder politische Institutionen wie zum Beispiel Stadträte. Auch Familien trafen sich regelmäßig zum Essen, doch die Mitgliedschaft in ihnen war durch Geburt bestimmt. Auch Karawanen konnten einen „Karawanenführer“ wählen und ihm bei erfolgreicher Ankunft eine Ehreninschrift widmen, doch fehlt hier die auf Dauer ausgerichtete Organisationsstruktur.5 Auch städtische Unterabteilungen wie Demen, Phylen oder Phratrien hatten eigene Amtsträger und gruppenspezifische Kulte, aber die Mitgliedschaft in ihnen war Voraussetzung für die Anerkennung als Bürger und insofern verpflichtend. Die Mitglieder eines Stadtrats schließlich konnten gemeinschaftsstiftende Rituale gemeinsam vollziehen und sich eine interne Struktur geben, erfüllten dabei aber eine genau definierte Funktion im Staatsapparat, die ihr Zusammenkommen in erster Linie bestimmte.
Wenn wir von Vereinen sprechen, geht es also nicht in erster Linie um das, was sie tun – ein Gemeinschaftsmahl oder ein Opfer etwa liefen in all diesen Kontexten sehr ähnlich ab, und auch Verfahren wie die Wahl von Amtsträgern findet man in vielen Zusammenhängen. Entscheidende Kriterien sind vielmehr:6
  • 1. Das Vorliegen von auf Dauer angelegten Organisationsstrukturen. Dieses Kriterium unterscheidet Vereine von Karawanen, aber auch von gemeinschaftlichen Badbesuchen oder einem Treffen von Freunden und Bekannten beim Gastmahl.7
  • 2. Die autonome Verhältnisbestimmung von Organisation und Gesellschaft. Dieses Kriterium unterscheidet Vereine von allen gesellschaftlichen Kontexten, in denen Mitgliedschaft und Aktivitäten einer Gruppe durch Herkunft und/oder politische Status- oder Funktionszuschreibungen bestimmt sind.
Manche Vereine bestanden aus Sklaven, manche aus Freien, manche aus Männern, manche aus Frauen. Viele Vereine versammelten aber auch, ganz wie Christen‐ und Judengemeinden, Menschen unterschiedlichen Status und Geschlechts. Darin zeigt sich die Autonomie der Vereine gegenüber gesellschaftlichen Statuszuschreibungen. Die Mitgliedschaftsbedingungen in Vereinen mussten traditionelle Einteilungen antiker Gesellschaften nicht abbilden, konnten es aber tun (auch dies dann in autonomer Entscheidung).
Zu einem modernen Verein – wie überhaupt zu modernen Organisationen im Allgemeinen – gehört nach üblichem Verständnis ein Hauptzweck, dem sich der Verein verschreibt.8 Dieser mag diffus oder präzise definiert sein; fehlen darf er schon von Rechts wegen nicht. Eine solche Zweckorientierung ist für antike Vereine nicht leicht zu zeigen. Die Vereinsstatuten, die sich erhalten haben – am bekanntesten sind diejenige eines Vereins für Antinoos und Diana aus Lanuvium in Italien und diejenige eines Dionysosvereins in Athen9 – enthalten eine Reihe von Verhaltensregeln, sagen aber nicht, warum und wozu es den Verein eigentlich gibt. Am ehesten könnte man nach den Namen gehen. Ein Verein von „Poseidoniasten“ etwa dürfte dann als Kultverein für Poseidon gelten, ein Verein von Schiffseignern als ökonomisches Kartell, und ein Verein von Berytiern als „Landsmannschaft“.10 Doch solche Selbstbeschreibungen sind zwar für die Frage wichtig, welchen Aspekt ihrer Identität Vereine in öffentlich aufgestellten Inschriften betonten, können jedoch über einen „Hauptzweck“ des Vereins wenig aussagen – zumal sie auch nebeneinander stehen können, wie etwa im Fall des „Vereins der berytischen Poseidoniasten, Händler, Schiffseigner und Lagerhausarbeiter“ im hellenistischen Delos.11
Zwar war es in der älteren Forschung üblich, Vereine ihrem vermeintlichen Hauptzweck nach etwa in Berufs-, Kult‐ oder Begräbnisvereine zu unterteilen.12 Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass kaum ein Verein in ein solch funktional orientiertes Raster hineinpasst: Antike Vereine waren multifunktionale Gruppen, in denen soziale, wirtschaftliche und religiöse Interessen gleichermaßen Ausdruck fanden. Jüngere Typologien ziehen daher eher die unterschiedlichen Rekrutierungsbasen (ethnisch, nachbarschaftlich, beruflich?) oder auch die unterschiedliche Nähe zu staatlichen Strukturen als Ausgangspunkt für Kategorisierungen heran.13 Ein Verein von Flachsverarbeitern in Smyrna könnte also unter Umständen mehr Merkmale mit Christen- oder Judengruppen teilen als ein Dionysosverein in Athen,14 obwohl man zunächst versucht ist, Christen und Juden als Angehörige einer Religion eher mit Dionysos als mit der Flachsverarbeitung in Beziehung zu setzen. Wenn wir hier dennoch gelegentlich von Berufsvereinen sprechen, ist damit deshalb nicht eine ausschließlich beruflichen und z. B. nicht-kultischen Zwecken dienende Gemeinschaftsform gemeint. Wir tragen damit lediglich der Tatsache Rechnung, dass ein Verein, der sich „Flachsverarbeiter“ nennt, eine andere Wahl der Selbstdarstellung getroffen hat als ein Verein von „Dionysiasten“.
Wann und wie dieses äußerst vielfältige Vereinswesen historisch entstanden ist, erscheint im Rahmen des angestrebten Vergleichs zunächst als nebensächliche Frage. Entscheidend ist schließlich seine Ausprägung in christlicher Zeit. Für die nähere Eingrenzung des Vergleichsrahmens ist aber doch die Einsicht wichtig, dass das Vereinswesen der römischen Kaiserzeit (1.–3. Jh. n. Chr.) anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterlag als die Vereine früherer und späterer Zeit.
In den griechischen Städten des östlichen Mittelmeerraums hatte sich spätestens seit dem 4. Jh. v. Chr. in einem jeweils lokal unterschiedlich verlaufenen, letztlich nur für Athen wirklich nachvollziehbaren Prozess ein privates Vereinswesen entwickelt, das den oben genannten Kriterien entsprach. Terminologische und institutionelle Übernahmen zeigen, dass das dabei zugrunde gelegte Organisationsmodell in der Regel von der Stadt bzw. ihren Unterabteilungen übernommen wurde.15 Vereine bildeten also, wie oft betont worden ist, Miniaturnachbauten der Stadt.16 Sie traten in hellenistischer Zeit vor allem als kultische Institutionen auf und konnten sich auch am Stadtkult beteiligen, blieben dabei aber autonom. Staatliches Eingreifen gegenüber Vereinen ist nicht dokumentiert.17 In Italien ist die Frühgeschichte des Vereinswesens deutlich schwerer nachzuvollziehen. Ein dem griechischen Vereinswesen ähnliches Organisationsmodell ist erst für das 2. Jh. v. Chr. nachzuweisen; gleichzeitig gab es aber offenbar römische Traditionen der beruflichen und regionalen Organisation auf Vereinsbasis.18 Nachdem im Bürgerkrieg der späten Republik derartige Gruppen wiederholt wegen politischer Agitation verboten worden waren, kristallisierte sich spätestens in augusteischer Zeit eine differenzierte Haltung zu Vereinen heraus: Sie blieben verboten, konnten aber auf Nachfrage und bei Angabe eines sinnvollen Zwecks erlaubt werden.19
In der Kaiserzeit finden sich auf dem Gebiet des römischen Reiches so viele Vereine wie nie zuvor. Dass sie alle derartige Genehmigungsverfahren durchlaufen hätten, kann man unmöglich annehmen: Offensichtlich kümmerte sich die römische Verwaltung nur in Einzelfällen um Vereine. Gleichzeitig waren aber auch allen Beteiligten die Kriterien bekannt, die aus römischer Sicht legitimes Vereinswesen ausmachten. Man sieht deshalb an vielen Orten eine Orientierung auf diese Kriterien hin: Loyalität zum Kaiserhaus bestimmte den Aufstellungskontext vieler Inschriften, und im Osten des Reiches kam es zu einer Verbreitung von Berufsvereinen nach römischem Modell. Die Einbindung von Vereinen in den Kontext des Reiches war dabei vielfältig: Neben einer funktionalen Integration in die römische Ordnung, die vor allem Berufsvereinen möglich war, finden sich im kultischen Bereich Kooperationen zwischen Stadtkult und halbstaatlichen Vereinigungen; nach wie vor gab es aber auch Gruppen, die mit Rom als Zentrum des Reiches in keiner sichtbaren Verbindung standen.
Vor allem für die Berufsvereine ist vielerorts zu beobachten, dass sie sich mit der Zeit immer enger in den institutionellen Rahmen sowohl der Stadt als auch des Reiches einschrieben. Diese zunehmende Annäherung gipfelte dann ab dem 3. Jh. n. Chr. in ihrer direkten staatlichen Steuerung. Mitgliederbestand und Aufgaben der Vereine wurden von kaiserlichen Verlautbarungen bestimmt; zur Ausübung eines Berufs war die Mitgliedschaft in einem entsprechenden Berufsverein nicht mehr förderlich, sondern notwendig.20 Die oben genannten Kriterien treffen für diese Gruppen – die man mit einem für das Mittelalter etablierten Begriff „Korporationen“ nennen kann – nicht mehr zu. Da außerdem seit Konstantin das Christentum einen Sonderstatus unter den Kulten des Reiches einnahm und die Reichskirche in keiner Form mehr etwa mit Dionysos‐ oder Poseidonvereinen konkurrierte, ist klar, dass für den Vergleich mit Christen‐ und Judengemeinden nur das Vereinswesen der Zeit bis etwa 280 n. Chr. in Frage kommt.
Aus der Einteilung der antiken Vereinsgeschichte in unterschiedliche Phasen lässt sich jedoch nicht nur der Endpunkt unseres Untersuchungszeitraums ableiten. Es wird dadurch auch klar, dass diejenigen Quellen privilegiert werden müssen, die tatsächlich unter den Rahmenbedingungen entstanden sind, denen sich Christen und Juden im römischen Reich gleichermaßen ausgesetzt sahen – also aus der Kaiserzeit stammen. Gerade weil wir den „Verein“ letztlich nur unter Verweis auf das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft definieren können, ist es mit Blick auf viele Fragestellungen nicht naheliegend, etwa einen Verein thrakischer Einwanderer, der im spätklassischen Athen (ca. 330 v. Chr.) die Göttin Bendis verehrte,21 mit der paulinischen Gemeinde im frühkaiserzeitlichen Korinth zu vergleichen. Natürlich kann man es trotzdem tun und auch einige Gemeinsamkeiten herausarbeiten, aber die Ergebnisse werden dann notwendigerweise so abstrakt, dass sich die konkrete Situation der Christen im Korinth der 50er Jahre n. Chr. damit kaum beleuchten lässt.

1.3 Forschungsgeschichte: Von der Abhängigkeit zur Analogie

Dass man die Frühgeschichte...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Abkürzungen der Inschriften- und Papyruspublikationen
  7. 1 Einleitung: Christen, Juden und Vereine
  8. I Der Staat und die Vereine
  9. II Fallstudien
  10. III Kategorienfragen
  11. IV Perspektiven
  12. Autorinnen und Autoren
  13. Namen-, Orts- und Sachregister
  14. Quellenregister