Reichtum begraben
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Reichtum begraben

Aushandlungsprozesse "kostspieliger Bestattungspraxis" in China zwischen Religionspolitik und Religionsökonomie

  1. 245 Seiten
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Reichtum begraben

Aushandlungsprozesse "kostspieliger Bestattungspraxis" in China zwischen Religionspolitik und Religionsökonomie

Über dieses Buch

Die kostspielige Aufwendung von Ressourcen zur Totenbestattung hat eine lange Tradition in der Begräbniskultur Chinas. Ebenso lang ist aber auch die Tradition der Kritik gegenüber solch kostspieligen Bestattungspraktiken. Die vorliegende Arbeit zeichnet Kontinuität und Wandel von Praxis und Kritik nach und analysiert sie sowohl im Kontext der religionspolitischen Entwicklungen Chinas als auch der religionswissenschaftlichen Theoriebildung.

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Information

1 Einleitung: Ökonomische Religionstheorien und die Kostspieligkeit chinesischer Bestattungspraxis

„Kostspielige Begräbnispraxis“ in China
„Kostspielige Begräbnispraxis“ (houzang 厚葬)1 bezeichnet ein Phänomen mit langer Tradition in China. Die möglichst kostspielige und aufwendige Inszenierung von Trauer- und Begräbniszeremonien für verstorbene Angehörige wurde wohl bereits vor der Shang-商 Dynastie (ca. 16.–11. Jahrhundert) praktiziert und ist für die Han-chinesischen Gemeinschaften in China,2 Singapur,3 Taiwan4 oder auch den USA5 eine nach wie vor stark gepflegte Tradition.
Ebenso wie die Durchführung kostspieliger Begräbnisse lässt sich auch die Kritik gegenüber dieser Tradition als „übertriebener Aufwendung“ oder „Extravaganz“ über einen langen Zeitraum hinweg nachweisen. Seit ca. dem 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung wurden kostspielige Begräbnisse unter verschiedenen Gesichtspunkten als ökonomisch schädliche Praxis beschrieben und in Kontrast zu einem idealisierten Konzept „frugaler“ beziehungsweise „sparsamer Begräbnisse“ (bozang 薄葬) gesetzt.6 Diese Kritik hat sich bis ins 20. Jahrhundert fortgesetzt, fungiert seitdem jedoch als Legitimation für eine Reformpolitik, die gezielt versucht, eine „zivilisierte“ (wenming 文明), wirtschaftliche Begräbniskultur der „Sparsamkeit“ (jiejian 节俭) zu befördern.7 Die Reform umfasst dabei Massnahmen wie Kremation, die Standardisierung von Gräbern oder die Ächtung von religiösen, auf die Totenbestattung bezogenen Traditionen. Das Bestreben zur Ökonomisierung von Begräbnispraxis durch die Reformpolitik des 20. Jahrhunderts macht deutlich, inwiefern die Disqualifikation religiöser Praktiken als „Verschwendung“ zu einem religionspolitisch relevanten Argument werden kann und Einfluss auf die Transformation der betreffenden Praktiken zu nehmen vermag. Daher interessiert sich die vorliegende Arbeit zum einen dafür, wie innerhalb der Verschwendungskritik an kostspieligen Begräbnissen der Anspruch auf deren Wirtschaftlichkeit begründet wurde, und zum anderen, wie sich dieser Anspruch als religionspolitisches Argument in der modernen Begräbnisreform niedergeschlagen hat. Diese Fragestellungen resultieren aus einem breiteren Erkenntnisinteresse, das im Folgenden dargelegt werden soll.
Religion und Ökonomie als Thema der Religionswissenschaft
Die sogenannte „Religionsökonomie“ bezeichnet einen Forschungsbereich innerhalb der Religionswissenschaft, der sich sowohl historisch als auch theoretisch mit den Beziehungen zwischen Religion und Wirtschaft sowie mit der ökonomischen Erklärung von Religion befasst. Burkhard Gladigow präsentierte diese Subdisziplin der Religionswissenschaft 1993 auf einer Tagung der Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte erstmals einem deutschsprachigen Publikum. Im 1995 erschienenen Tagungsband „Lokale Religionsgeschichte“ umriss Gladigow das Forschungsprogramm der Religionsökonomie. Als deren Leitfragen formulierte Gladigow: „Was kostet Religion und woher kommen die Mittel?“, „Wieviel ‚Religion‘ können und wollen sich unterschiedliche Gesellschaften leisten?“8
Die von Gladigow aufgeworfenen Fragen zeigen an, dass Umfang und Form religiösen Ressourcenkonsums nicht unumstritten sind. Vielmehr können die wirtschaftlichen Aspekte religiöser Praxis Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sein. Dies lenkt den Blick auf politisch oder gesellschaftlich formulierte Ansprüche an die „Wirtschaftlichkeit“ religiöser Praxis. Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach der Rolle wirtschaftlicher Argumente für die Legitimation oder Delegitimation bestimmter Formen religiöser Praxis, sondern auch nach den jeweils zugrunde gelegten Ordnungsidealen bezüglich desVerhältnisses von Religion und Ökonomie, auf deren Grundlage die wirtschaftliche Evaluation von Religion vollzogen wird.
Obgleich die Perspektive und Themensetzung der Religionsökonomie diese Fragen nahelegen, hat sich dieser Forschungszweig in eine andere Richtung entwickelt. Im oben genannten Konferenzband präsentierte Gladigow das Themenfeld der Religionsökonomie im Problemkontext „lokaler Religionsgeschichte“ und am Beispiel der antiken römischen Tempelverwaltung. Neben dieser 2historisch ausgerichteten Fokussierung fiel die Darstellung der theoretischen Dimension der Religionsökonomie hingegen äusserst knapp aus. Gladigow verwies diesbezüglich nur kurz auf die sogenannten Economics of Religion (im Folgenden EoR) und damit auf die theoretische Übertragung eines ökonomischen Marktmodells auf Religion.9 Der Blick in jüngere Publikationen zur Religionsökonomie zeigt hingegen, dass diese sich zu einer primär theoretisch ausgerichteten Subdisziplin entwickelt hat. Folglich bildet die Erklärung religiösen Handelns durch ökonomische Theorien mittlerweile einen Hauptbestandteil des religionsökonomischen Untersuchungsfeldes. In Anne Kochs Einführungsband „Religionsökonomie“ von 2014, knapp 20 Jahre nach Gladigows erstmaliger Bekanntmachung des Forschungsfeldes, spielt die von Gladigow aufgebrachte Frage nach dem ökonomischen Stellenwert von Religion im gesellschaftlichen Ordnungsensemble, den es historisch zu erschließen gelte, in der neueren Darstellung der Religionsökonomie kaum mehr eine Rolle. Der Fokus liegt stattdessen auf theoretischen Perspektiven und Modellen, welche Religion als eine Form ökonomischen Handelns interpretieren.10 Diese werden als spezifische Zugangsweisen der Religionsökonomie präsentiert. In Hinblick auf die Entwicklung der Religionsökonomie kann daher konstatiert werden, dass sie sich heute primär über die Beschreibung von Religion und religiösem Handeln anhand wirtschaftlicher Modelle definiert. Die historisch orientierten Fragen nach den Beziehungen zwischen Religion und Ökonomie, den dabei zugrundegelegten Ordnungsmodellen sowie deren Konsequenzen für die politische und soziale Bewertung von Religion finden hingegen kaum Beachtung.
Religionsökonomische Leerstellen und kostspielige Bestattungspraxis
Die Ausklammerung dieser Fragen erscheint in zweifacher Hinsicht problematisch. Erstens lässt die Religionsökonomie damit die sozialen und (religions)politischen Dynamiken außer Acht, die mit den wirtschaftlichen Bewertungen von Religion einhergehen können. Zweitens nimmt die Religionsökonomie damit aber auch eine Leerstelle bezüglich der Reflexion ihrer eigenen theoretischen Implikationen in Kauf. Denn wenn die ökonomische Bewertung religiöser Praxis auf bestimmten Ordnungssetzungen zwischen Wirtschaft und Religion beziehungsweise bestimmten Annahmen über die Wirtschaftlichkeit religiösen Handelns beruht, dann ist dies nicht nur eine Thematik, die in verschiedenen religionsgeschichtlichen Kontexten untersucht werden kann. Vielmehr erscheint diese Thematik auch in Hinblick auf die Religionsökonomie selbst relevant, da auch deren Modelle zur Erklärung religiösen Handelns auf impliziten Verhältnissetzungen von Religion und Ökonomie beruhen. Deutlich wird dies besonders bei den bereits weiter oben erwähnten EoR. Diese gehen davon aus, dass Religion ein Gut sei, das innerhalb eines „religiösen Marktes“ zirkuliere und somit zum einen das Objekt marktwirtschaftlicher Entscheidungen und als solches zum anderen marktwirtschaftlich (also gleichsam warenförmig) strukturiert sei. Andere Ansätze wie die sogenannte Gabentheorie nach Marcel Mauss gehen hingegen davon aus, dass Religion eben nicht marktförmig strukturiert sei, sondern einer ökonomischen Logik folge, die vielmehr auf der Zerstörung ökonomischer Tauschwerte beruhe. Diese Gegenüberstellung deutet bereits an, dass ökonomische Religionstheorien politökonomische Implikationen mit sich führen, die religionswissenschaftlich genauer zu prüfen sind. Dies gilt insbesondere deshalb, da die Politische Ökonomie eine Wissensordnung darstellt, die sich nicht in der bloßen Beschreibung wirtschaftlicher Prozesse erschöpft, sondern deren Modelle und Beschreibungsansätze in politischen Gesellschaftsentwürfen verankert sind.11 So charakterisiert der Wirtschaftswissenschaftler Karl Georg Zinn die Politische Ökonomie folgendermaßen:
Ökonomie als das Zentrum modernen Lebens ließ auf der Ebene der theoretischen Selbstvergewisserung die Politische Ökonomie an die Stelle treten, die der Theologie in vorindustriellen Gesellschaften zukam. Die theoretische Reflexion gesellschaftlichen Zusammenlebens mußte das Ökonomische in dem Maße thematisieren, wie die wirtschaftliche Entwicklung zum dominierenden Faktor gesellschaftlicher und politischer Veränderungen wurde.12
Es geht hier weniger um die Frage, ob Zinns Einschätzung über die wirtschaftliche Ablösung der Theologie durch die Politische Ökonomie zutreffend ist oder nicht. Vielmehr geht es darum, dass Zinns These die Rolle der Politischen Ökonomie als einer Bezugswissenschaft für die Begründung sozialer Ordnung herausstellt. In diesem Sinne sind wirtschaftliche Ordnungsmodelle also stets auch normative Modelle gesellschaftlicher Ordnung.
Ausgehend von dieser Feststellung kann gefragt werden, inwiefern ökonomische Modelle nicht vielmehr einen Gegenstand als einen theoretischen Analyseansatz der Religionswissenschaft bilden. Es soll an dieser Stelle noch keine Erörterung dieser Problemstellungen vorgenommen werden. Dies wird im dafür vorgesehenen Kapitel 5 erfolgen. Der hier in aller Kürze dargestellte Überblick über die Problemdimensionen wirtschaftlicher Religionstheorien sollte lediglich verdeutlichen, dass verschiedene Annahmen über das Ordnungsverhältnis von Religion und Ökonomie auch innerhalb der religionswissenschaftlichen Theoriebildung eine zentrale Rolle einnehmen können und somit auch deren politökonomische Implikationen reflektiert werden müssen.
Gleichwohl erscheint eine solche Analyse ökonomischer Religionstheorien nicht nur deshalb lohnenswert, weil damit ein allgemeiner Reflexionsbeitrag zur Theoriebildung der Religionswissenschaft geleistet werden kann. Darüber hinaus kann eine solche Analyse nämlich auch spezifisch zum Verständnis des zu Beginn skizzierten Problems kostspieliger Begräbnispraxis in China beitragen. So konnten sich religionsökonomische Theorien auch in der chinabezogenen Religionforschung etablieren, wo sie nicht selten herangezogen werden, um den Gegenstand kostspieliger Bestattungspraxis zu erklären. Letztere ist damit nicht nur der Gegenstand der wirtschaftlichen Evaluationen, die im Verlauf der chinesischen Religionsgeschichte verschiedentlich angestellt wurden und die zur negativen Einschätzung kostspieliger Begräbnisse als „wirtschaftlich irrationale“ und „verschwenderische“ Praxis führten. Denn mit der Anwendung ökonomischer Religionstheorien auf den Gegenstand kostspieliger Begräbnispraxis wird die Frage nach der wirtschaftlichen Qualität kostspieliger Begräbnisse nun ebenso im Kontext der chinabezogenen Religionsforschung diskutiert. Damit stellt sich sodann die Frage, wie sich die jeweils zugrunde gelegten Annahmen der ökonomischen Religionstheorien über das Verhältnis von Religion und Ökonomie sowie die damit einhergehenden Problemstellungen auch in der wissenschaftlichen Interpretation kostspieliger Begräbnispraxis niederschlagen.
Während folglich das Beispiel kostspieliger Bestattungspraxis in China den Ausgangspunkt für die Analyse und Reflexion eines spezifischen Korpus von Theorien in der Religionswissenschaft bildet, so sollen die Ergebnisse dieser Reflexion wieder auf das Problem kostspieliger Bestattungspraxis übertragen werden. Wie dieses Vorhaben bezüglich Vorgehen und inhaltlicher Gewichtung umgesetzt werden soll, wird im Folgenden skizziert werden.

1.1 Vorgehen und Aufbau der Arbeit

Gemäß dem oben dargelegten Erkentnisinteresse an den wirtschaftlichen Bewertungen religiöser Praxis als einem Faktor religionshistorischer Dynamiken einerseits und als einem Problem der religionswissenschaftlichen Theoriebildung andererseits weist die Arbeit einen exemplifizierend-historischen und einen theoretisch gelagerten Teil auf. Obgleich die Erläuterung des theoretisch gelagerten Erkenntnisinteresses bisher verhältnimässig viel Raum eingenommen hat, wird sich der Großteil der Arbeit mit dem Problem der Verschwendungskritik an kostspieligen Begräbnissen und deren Niederschlagung als religionspolitischem Argument in der modernen Begräbnisreform beschäftigen. Dies wird in drei Kapiteln der Arbeit erfolgen. Für die theoretische Reflexion ist ein daran anschliessendes Kapitel vorgesehen.
Zuerst wird in Kapitel 2 die kritisierte Praxis selbst dargestellt. Grund dafür ist, dass die Durchführung kostspieliger Begräbnisse, ihre Transformation und gesellschaftliche Ausbreitung die Voraussetzung für das Aufkommen und die Persistenz der an ihr geübten Kritik und letztlich auch ihrer Reform bilden. Da sich somit die Frage nach den kritisierten Vorstellungen und Praktiken selbst stellt, sollen diese sowohl in ihrer Dauerhaftigkeit als auch ihrer Veränderung dargestellt werden. Dabei soll insbesondere auf bestimmte Leitvorstellungen eingegangen werden, die prägend für die Gestaltung, Transformation, aber auch die Aktualität kostspieliger Begräbnispraxis waren und sind. So gehen zahlreiche Aspekte kostspieliger Begräbnispraxis auf Entwicklungen der Han-Zeit sowie des chinesischen Mittelalters zurück, die aber auch für die Gestaltung kostspieliger Begräbnisse des späten Kaiserreichs und noch bis in die Gegenwart Relevanz besitzen. Vorstellungen darüber, dass die Ahnen einer besonderen rituellen Versorgung bedürften, die Grabstelle idealerweise nach geomantischen Gesichtspunkten zu wählen sei oder dass kostspielige Begräbnisse als Ausdruck kindlicher Pietät (xiao 孝) fungierten, haben bis heute einen hohen Stellenwert für die Begründung und Persistenz kostspieliger Begräbnispraxis in den Han-chinesischen Gesellschaften inner- und ausserhalb Chinas. Zudem nahmen kostspielige Begräbnisse ab dem späten Kaiserreich eine Form an, die die Struktur traditioneller Begräbnisse bis heute bestimmt. Diese Entwicklungen gaben nicht nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Kaiserreichs Anlass zu Polemik, sondern auch im modernen China bildet die Praxis kostspieliger Begräbnisse mit ihren verschiedenen materiellen und symbolischen Aspekten einen konstanten Gegenstand der Kritik. Folglich bildet die Praxis kostspieliger Begräbnisse und deren Transformation den Hintergrund und kontinuierlichen Bezugspunkt einer immer wieder neu formulierten Verschwendungskritik.
Dementsprechend wird deutlich, dass die ökonomisch indizierte Kritik gegenüber kostspieligen Begräbnissen kein modernes Phänomen darstellt und der Anspruch wirtschaftlicher Rationalisierung religiöser Praxis kein spezifisches Merkmal moderner, säkularer Gesellschaften bildet.13 Folglich soll, obgleich der Fokus der Arbeit auf der Kritik und religionspolitischen Reform kostspieliger Begräbnispraxis im 20. Jahrhundert liegt, auch eine Betrachtung antiker und kaiserzeitlicher Varianten der Kritik gegenüber dieser Tradition in die Darstellung des Themas mit einbezogen werden. In Kapitel 3 soll daher eine Darstellung des argumentativen Spektrums der Kritik und den jeweiligen Begründungen ihres Wirtschaftlichkeitsanspruchs gegenüber kostspieliger Begräbnispraxis erfolgen. Dabei sollen verschieden...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Hinweise zu Abkürzungen, chinesischen Quellenangaben und Schriftzeichen
  7. 1 Einleitung: Ökonomische Religionstheorien und die Kostspieligkeit chinesischer Bestattungspraxis
  8. 2 Kostspielige Begräbnispraxis in China: Leitideen und Entwicklungen
  9. 3 Themen begräbnisbezogener Verschwendungskritik während der chinesischen Antike und des Kaiserreichs
  10. 4 „Religion“ und „Ökonomie“ als Themen der chinesischen Modernisierung
  11. 5 Kostspielige Bestattungspraxis als ökonomisches und theoretisches Problem: Verschwendungskritik und religionswissenschaftliche Perspektiven
  12. 6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
  13. Bibliographie
  14. Index