Handbuch Text und Gespräch
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Handbuch Text und Gespräch

  1. 600 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Über dieses Buch

Das Handbuch Text und Gespräch bietet einen Überblick über zentrale Befunde und aktuell relevante Fragestellungen der Text- und Gesprächslinguistik vor dem Hintergrund einer nun über 40-jährigen Forschungstradition. Im Zentrum steht dabei die Frage, in welcher Weise in und mit Texten und Gesprächen Wissen konstituiert, repräsentiert, diskursiv durchgesetzt und vermittelt wird. Dieser Fokus dient unter anderem der Reflexion der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen geschriebenen und gesprochenen Texten.
Eher allgemeine Überblicksartikel zu Oralität und Literalität, zu Text und Gespräch, zu Sprechen/Hören und Lesen/Schreiben werden ergänzt durch Perspektiven auf Textverständlichkeit und Text-Bild-Zusammenhänge. Eine Reihe von Beiträgen spürt dem Zusammenhang von Wissen(svermittlung) und Texten/Gesprächen in verschiedenen konkreten Domänen nach (z.B. in Schule, Ausbildung, Wissenschaft, Politik, Organisationen, den helping professions oder der Technischen Dokumentation). Ein weiterer Fokus wird schließlich auf Wissenskonflikte gelegt, d.h. auf Phänomene wie Streit, Missverstehen, Normenkonflikte und die Kommunikation von Nichtwissen.
Das Handbuch bietet damit nicht nur Überblick, sondern auch Orientierung über wesentliche Themen einer die Wissensgesellschaft reflektierenden Text- und Gesprächslinguistik.

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Information

IIIWissen in Text und Gespräch – domänenspezifische Perspektiven

Jörg Kilian

11.Text und Gespräch in der Schule

Abstract: Der Beitrag konzentriert sich auf diejenige Teilmenge von Text- und Gesprächssorten, die im kommunikativen Haushalt der Institution Schule die Erfüllung des wesentlichen Zwecks dieser Institution gewährleisten sollen: die Wissensvermittlung und Wissenserzeugung. Darauf bezogen nimmt der Beitrag seinen Ausgang von der Differenzierung zwischen Text- und Gesprächssorten als Instrumente der Wissensvermittlung und Wissenserzeugung sowie Text- und Gesprächssorten als gesellschaftlich und bildungspolitisch konstruierte und konstituierte Wissensbestände und insofern Gegenstände des schulischen Lehrens und Lernens. Für beide Stränge wird abschließend der Versuch unternommen, den aktuellen Forschungsstand zur Effektivität und Effizienz von Text- und Gesprächssorten als Instrumente und Gegenstände didaktischen Handelns im Kommunikations- und Praxisbereich Schule zu erfassen.
1Einführung
2Text und Gespräch als didaktische Instrumente des Lehrens und Lernens
3Text und Gespräch als gesellschaftlich konstituierte Gegenstände des Lehrens und Lernens
4Zur Effizienz und Effektivität von Text und Gespräch für den Lernerfolg
5Ausblick
6Literatur

1Einführung

Im Lauf der deutschen Bildungsgeschichte sind für die Schule als bedeutendste gesellschaftliche Bildungsinstitution zahlreiche institutionsspezifische Text- und Gesprächssorten ausgebildet worden, die insgesamt – als institutionsspezifische „kommunikative Gattungen“ (Luckmann 1986) – den auf den Zweck der Institution ausgerichteten „kommunikativen ‚Haushalt‘“ (Luckmann 1986, 206) bzw. die „kommunikative Praktik“ (vgl. zur Verwendung dieses Begriffs Janich/Birkner 2015) dieser Institution ausweisen. Dazu zählen, u. a., „normative Texte wie Schulgesetze oder Prüfungsordnungen, didaktische Texte wie Lehrbücher und Arbeitsblätter ebenso wie Prüfungstexte und Zeugnisse“ (Becker-Mrotzek 2000, 690), des Weiteren schulische Gesprächssorten zum Zweck der institutionellen formalen Organisation (wie z. B. die Klassenkonferenz oder Jahrgangsstufenkonferenz), der institutionellen inhaltlichen Information, Meinungsbildung und Entscheidungsfindung (wie z. B. das Elterngespräch oder die Fachlehrerkonferenz) und des institutionellen Lehrens und Lernens (wie z. B. das gelenkte Unterrichtsgespräch oder die Schreibkonferenz).
Für den Zusammenhang des vorliegenden Artikels sind aus dieser Menge der institutionsspezifischen Text- und Gesprächssorten (zum Gebrauch des Terminus Sorte in diesem Zusammenhang vgl. Kilian 2002, Kap. II.2.2) diejenigen ausgewählt, die dem letztgenannten, dem gesellschaftlich gesetzten wesentlichen Zweck der Institution Schule dienen sollen. Als solcher sind die Vermittlung vorhandenen und, zumindest mittelbar, die Erzeugung neuen Wissens anzusehen. Demzufolge sind mit Wissensvermittlung und Wissenserzeugung aus sprachpragmatischer Perspektive die Hauptillokutionen, genauer eigentlich: hauptsächlichen perlokutionären Effekte, innerhalb des Handlungsrahmens der Institution Schule benannt. Text- und Gesprächssorten, die innerhalb der Schule dazu dienen sollen, diese perlokutionären Effekte auszulösen, bilden dementsprechend die didaktisch relevante Teilmenge aller schulisch-institutionellen Text- und Gesprächssorten.
Menschliches Wissen ist nicht nur, aber im Wesentlichen sprachlich gebundenes Wissen. Die Institution Schule war aus diesem Grund von Anfang an und ist nach wie vor auf die prototypischen sprachlich-kommunikativen Großformen Text und Gespräch angewiesen, um den gesellschaftlichen Zweck der Wissensvermittlung und Wissenserzeugung zu erfüllen:
Die Schule verfolgt den Zweck, das versprachlichte und fraktionierte gesellschaftliche Gesamtwissen in eben dieser Form an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Das hat zur Folge, dass Schule eine weitgehend versprachlichte, kommunikationsintensive Institution ist. Obwohl schulische Kommunikation in weiten Teilen, insbesondere im Unterrichtsdiskurs, mündlich realisiert wird, haben Texte, auch an zentralen Stellen, wesentlichen Anteil an der Realisierung der Zwecksetzung. (Becker-Mrotzek 2000, 692)
Das Verhältnis von Text und Gespräch als kommunikative Instrumente des Lehrens und Lernens ist im Laufe der Geschichte der Institution Schule indes großen Wandlungen ausgesetzt gewesen, in deren Rahmen der geschriebene und gesprochene Text über weite Strecken Vorrang genoss gegenüber dem Gespräch. Dies gilt auch für aus Text und Gespräch kombinierte Lehr-Lern-Verfahren, wie zum Beispiel Kombinationen aus schriftlicher Textvorlage und Gespräch über den Text. Die Vorrangstellung des (geschriebenen) Textes gegenüber dem (gesprochenen) Gespräch ist auf die Fixierung des zu Lehrenden und zu Lernenden in der Schrift zurückzuführen, die den Zusammenhalt des sprachlich erfassten Wissens im Text gewährleistet; diesem Zusammenhalt steht eine gewisse Zergliederung, mithin Fragmentierung des zu Lehrenden und zu Lernenden im Gespräch gegenüber. Die Fixierung im geschriebenen Text dient dazu, den Bestand des Stoffes im Zuge der Vermittlung zu sichern, und ist gleichsam stofforientiert. Die Zergliederung hingegen dient der Verbesserung der Lernbarkeit des Stoffes und ist gleichsam lernerorientiert. Werner Loch kommt aufgrund einer Untersuchung von strukturellen, situativen und anthropologischen Aspekten von Gespräch und (monologischer) Lehre zu dem Befund, dass sie phänomenologisch unvereinbar seien –, dass aber gerade diese Unvereinbarkeit „die Bedingung ist für das Funktionieren ihrer – anthropologisch wie pädagogisch – so überaus produktiven Wechselwirkung“ (Loch 1962, 661; vgl. auch Ehlich 1981, 337).
Die wissenschaftliche Erforschung von Text und Gespräch in der Schule hat im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts – unter dem wissenschaftsgeschichtlichen Einfluss u. a. der Entwicklung von Sozio- und Pragmalinguistik, der Entwicklung und institutionellen Verankerung von Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen, der Entwicklung einer empirischen Unterrichtswissenschaft innerhalb der Pädagogik – einen Aufschwung erfahren, der in den 1990er-Jahren wieder nachließ und zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut erstarkte. In der Pädagogik steht die Untersuchung von Text und Gespräch als Grundtypen von Unterrichtsmethoden in der gesellschaftlichen Institution Schule im Vordergrund, in der pädagogischen Psychologie darüber hinaus die Effektivität und Effizienz dieser Methoden in Bezug auf den wesentlichen Zweck der Institution Schule, die Wissensvermittlung und Wissenserzeugung; aus den einzelnen Fachdidaktiken liegen theoretische Modellierungen und vereinzelt auch empirische Untersuchungen zu konkreten Text- und Gesprächssorten als Instrumente des Lehrens und Lernens im Fachunterricht vor. In der (germanistischen) Linguistik sind (insbesondere in den 1970er- und 1980er-Jahren) ethnomethodologisch-gesprächsanalytische, sprechakttheoretisch-dialoggrammatische sowie funktional-pragmatische Ansätze zur Analyse von Lehr-Lern-Gesprächen entwickelt und an jeweils aktuelle sowie – aus kultur- und sozial-, ideen- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive – historische Korpora herangetragen worden (vgl. Ehlich/Rehbein 1983 und 1986; Hundsnurscher 1989; Becker-Mrotzek/Vogt 2001, Kap. 2; Kilian 2002, Kap. 2 und 3). Die linguistische Analyse von Lehr-Lern-Texten – seien sie nun Instrumente oder Gegenstände des Lehrens und Lernens – stand und steht demgegenüber zurück.

2Text und Gespräch als didaktische Instrumente des Lehrens und Lernens

Für Text und Gespräch als musterhafte Instrumente der schulischen Kommunikation zum Zweck der institutionell gesteuerten Wissensvermittlung und Wissenserzeugung sind im Zuge der Geschichte der schulischen Bildung unterschiedliche (Text- und Gesprächs-) Sorten sowie unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Kombination zu kommunikativ komplexeren Lehr-Lern-Verfahren theoretisch begründet und praktisch erprobt worden (vgl. Kilian 2002, Kap. 3). Die wechselvolle Geschichte dieser theoretischen pädagogisch-didaktischen Begründung begleitet die wechselvolle Geschichte der Institution Schule. Geht man von den im Laufe der Bildungsgeschichte geprägten Bezeichnungen für schulisch-institutionelle didaktische Text- und Gesprächssorten aus, erweist sich das bildungstheoretisch ausgebreitete Repertoire als sehr vielfältig. An einigen ausgewählten Beispielen sei dies veranschaulicht.
In seiner Untersuchung zu „mittelalterlichen Lehrgesprächen“ arbeitet Kästner auf der Grundlage der Freiburger Redekonstellationstypik aus literarisch geformten „Redeszene[n] der Unterweisung“ (Kästner 1978, 9) die drei formal eher monologischen Textsorten („Redetypen“, Dictio) Praeceptum (Gebot), Adhortatio (Ermahnung) und Instructio (Unterweisung) heraus; sodann die formal dialogische und eher symmetrische Gesprächssorte Dissensio mit der Gesprächssorten-Variante Altercatio (Auseinandersetzung) sowie die formal dialogische und eher asymmetrische Gesprächssorte Interrogatio mit den Gesprächssorten-Varianten Explicatio (Erläuterung), Consultatio (Beratung), Examen (Prüfung) und Aenigma (Rätsel). Diese historische Bezeichnungsvielfalt für den kommunikativen Haushalt der Lehre in der Institution Schule spiegelt die Kultur- und Sozial-, Ideen- und Mentalitätsgeschichte von Text und Gespräch als didaktisch-methodischen Instrumenten in der Schule wider; die sprachpragmatische Wirklichkeit der Unterrichtspraxis hat oft ganz anders ausgesehen (vgl. z. B. Kilian 2009). Gleichwohl gewährt sie einen Einblick in Traditionen des Lehrens und Lernens. Diese Zusammenstellung der Bezeichnungen legt nämlich die in Quellen überlieferte Praxis nahe, dass ein schriftlicher Text mündlich vorgetragen, mithin diktiert, und anschließend im Gespräch zergliedert, oft auch lediglich abgeprüft wurde; in Schulen wurde dieses Verfahren als Kombination aus Vorlesen und textbezogenem Abfragen institutionell etabliert (vgl. Kilian 2002, 160). Dieses schulische Verfahren entsprach im Grundsatz dem seit der Frühen Neuzeit auch in deutscher Sprache von Protestanten wie Katholiken genutzten kirchlichen Verfahren der Katechese, ebenso dem universitären „studium in lectione et disputatione consistit“ (zit. nach Kilian 2002, 174). In jedem Fall bildete ein Text die schriftliche Vorlage für ein anschließendes Gespräch, in dem der Inhalt des Textes – wortwörtlich oder sinngemäß – zum Zweck der Wissensvermittlung dialogisch wiederholt bzw. zum Zweck der Wissenserzeugung dialogisch erörtert wurde. Die Textsorten der schriftlichen Vorlagen, die Textvarianten des mündlichen Vortrags (soweit er sich nicht im Diktat erschöpfte) sowie die konkreteren Sorten des anschließenden Gesprächs bleiben in den meisten älteren Quellen allerdings unspezifiziert.
Die als Lehr-Lern-Verfahren geradezu prototypische Kombination aus Textlektüre – Frage (zum Text) – Antwort (aus dem Text) greift Luther in seinen Katechismen auf; das katechetische Gespräch entfaltet im 17., 18. und 19. Jahrhundert davon ausgehend unterschiedliche Varianten, die u. a. als Abhören, Verhören, Überhören, zergliedernde Katechisation, unterweisende Katechisation bezeichnet wurden. Als Instrument der Institution Schule blieb der Text die möglichst unveränderte Vorlage, die im Wege des Gesprächs vermittelt, aus der indes nicht neues Wissen erzeugt oder gar das gegebene Wissen geändert werden sollte.
Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde diese Dominanz der Katechese gebrochen. In der pädagogischen Theorie des Philanthropismus wie auch zum Teil in der Unterrichtspraxis wurden Varianten des sokratischen Gesprächs erkundet und u. a. in den Bezeichnungen entwickelnde Katechisation, freyere Gespräche, zufällige Gespräche, Unterhaltung, Unterredung zu differenzieren versucht. Der Text konnte hier Vorlage und Impuls, aber auch Produkt des Gesprächs sein und war grundsätzlich veränderbar. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden gleichwohl für die Institution Schule wieder Kombinationen aus Textvorlage (z. B. Vortrag) und seitens der Lehrkraft an der Vorlage orientiertem und strukturell stark gelenktem Gespräch theoretisch empfohlen (z. B. von Pestalozzi in seinem grundlegenden Werk „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ [1801], vgl. zum Zusammenhang Kilian 2002, Kap. 3; Petrat 1979). Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte im Rahmen der Reformpädagogik erneut eine Öffnung von Text (ausgedrückt z. B. in der 1914 von Gansberg geprägten Bezeichnung freier Aufsatz (Buchtitel), zit. nach Fix 2006, 113) und Gespräch (vgl. das 1913 von Berthold Otto entfaltete Konzept eines „freien Unterrichtsgesprächs“; zit. nach Kilian 2002, 15).
Die Vielfalt der Bezeichnungen für schulische Text- und Gesprächssorten – und damit auch der kommunikative Haushalt der Schule – wurde nach 1933 dann wieder stark beschränkt. Es liegt auf der Hand, dass der „freie Aufsatz“ und das „freie Unterrichtsgespräch“ als pädagogisch-didaktische Zugriffe der nationalsozialistischen Ideologie zuwider waren. Nach 1945 wurde diese Beschränkung nicht sogleich systematisch aufgehoben (vgl. Ludwig 2006). Die aktuelle Bezeichnungsvielfalt lässt aber auf einen reich entfalteten und relativ zu fachspezifischen und fachdidaktischen, pädagogisch-psychologischen und unterrichtspraktischen Aspekten theoretisch fein differenzierten kommunikativen Haushalt zur Erfüllung des gesellschaftlichen Zwecks der Institution Schule schließen. So führt Meyer (2003, 280 f.), um eine nur kursorische, keineswegs systematische Zusammenstellung der Bezeichnungen mit Arbeiten aus der Pädagogik zu beginnen, in seinem Standardwerk zu „Unterrichts-Methoden“ (Buchtitel) als „freie“ Formen des Unterrichtsgesprächs die Unterhaltung, den Morgenkreis, das Schülergespräch (mit der „Fehlform“ Labern), die Diskussion, das Streitgespräch, das Pro-und-Contra-Gespräch und die Debatte an; als „gebundene“ Formen das gelenkte Unterrichtsgespräch, das fragend-entwickelnde Gespräch, das sokratische Gespräch und das Prüfungsgespräch. Als „Vortragsformen“ erscheinen bei Meyer (2003, 296–307) der Lehrervortrag, das Schülerreferat, das Geschichtenerzählen sowie, als Textsorte unter „Vermischtes“, das Arbeitsblatt. Bei Thiele (1981, 14 f.), der schulische „Gesprächsformen“ mit Meyer vergleichbar nach Graden der Lehrerlenkung unterscheidet, wird u. a. das gelenkte Unterrichtsgespräch noch weiter differenziert in die „Gesprächsarten“ sachklärendes, meinungsbildendes, interpretierendes und Metagespräch. Hasselhorn und Gold (2013, 265) nennen in ihrem Handbuch „Pädagogische Psychologie“ als abstrakte schulische Text- und Gesprächsorten der „darstellenden Methoden“ vornehmlich den Unterrichtsvortrag (und als Beispiele dafür Vorlesung und Referat), das fragend-entwicke...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung in den Band
  6. I Text und Gespräch – Grundlegendes
  7. II Wissen in Sprachproduktion und -rezeption
  8. III Wissen in Text und Gespräch – domänenspezifische Perspektiven
  9. IV Wissenskonflikte in Texten, Gesprächen und Diskursen
  10. Register