1 Einführung
„Wir stehen am Vorabend einer weiteren mobilen Revolution. In Zukunft werden autonome Fahrzeuge aktiv am Straßenverkehr teilnehmen“ (Minx/Dietrich 2015b: V), heißt es in Experten- und Fachkreisen. Und tatsächlich lassen die bisherigen technischen Entwicklungsschritte zukunftsorientierter Unternehmen innerhalb und außerhalb der Automobilbranche darauf schließen, dass dieses heute teils noch futuristisch anmutende Szenario in absehbarer Zeit Realität wird, und das Automobil de facto zu etwas ‚Selbstbeweglichem‘ (vgl. Maurer 2015: 2), ja zu einer intelligenten – und zu Entscheidungen befähigten – Entität avanciert. Die bereits seit Jahrzehnten von der Automobilindustrie angestrebte Vision des ‚selbstfahrenden Automobils‘ scheint nun greifbar nah – und ist dennoch eine ambivalente Thematik mit noch kaum absehbarer politischer, rechtlicher und ethischer Tragweite, kurzum: Was für die einen eine leuchtende Zukunftsvision unfallfreien Fahrens bedeutet, stellt sich für die anderen als ein autonomieraubendes Bedrohungsszenario dar. Diese hochaktuelle und brisante Thematik des Autonomen Fahrens (auch Automatisiertes Fahren genannt), rückt mit der vorliegenden Studie erstmals in den Fokus der sprachwissenschaftlichen bzw. diskurslinguistischen Forschung.
Die Relevanz dieses gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutsamen Diskursthemas besteht v. a. darin, dass Unternehmen für die Wegbereitung ihrer automobilen Zukunftstechnologien vor der Herausforderung stehen, neues Wissen zu kommunizieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Technologische Innovationen wie das Autonome Fahren stellen den Status Quo in Frage und bergen aufgrund ihres meist hohen Grades an Fachlichkeit und Komplexität ein erhöhtes Konflikt- und Unsicherheitspotenzial (vgl. Zerfaß 2005: 36). Im Kontext der Ungewissheit müssen Vertrauen in das Neue aufgebaut und die Rezipienten von der Zuverlässigkeit selbststeuernder Automobile überzeugt werden. Ob eine Innovation letztlich auf gesellschaftlichen Rückhalt stößt und sich auf dem Markt etablieren kann, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Deshalb ist auch davon auszugehen, dass die Art und Weise der sprachlichen Konstituierung und die damit unauflösbar verbundene linguistische Perspektivierung von Innovationen einen Einfluss auf die Akzeptanzwahrscheinlichkeit neuer Technologien haben dürfte – oder diese sogar determinieren kann.
„[A]ngeheizt durch Erfolgsmeldungen von Automobilherstellern“ (Maurer 2015: 1) als den potenziellen Innovatoren wird das Autonome Fahren in den kommenden Jahren vermutlich das beherrschende, weil unseren Alltag durchdringende, Innovationsthema im medial-gesellschaftlichen Diskurs sein. Dies bedeutet auch, dass wir das, was wir über das Autonome Fahren wissen, v. a. über die Medien rezipieren. Diese wiederum beziehen ihre Informationen maßgeblich von den innovierenden Unternehmen, mithin also über deren Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations). Ebenso ist die PR-Kommunikation eines Unternehmens auf die Vermittlung der Medien angewiesen, um eine potenzielle Innovation in der Öffentlichkeit bekannt zu machen (vgl. Zerfaß 2005: 35).
Dementsprechend versuchen Automobilfirmen für die Wegbereitung ihrer Zukunftstechnologien im Eigeninteresse die Art und Weise zu beeinflussen, wie über ihre Produkte und Technologien in der medialen Öffentlichkeit berichtet wird (vgl. Röttger/Preusse/Schmitt 2014: 5). Dies soll in meiner Studie am Beispiel der PR-Kommunikation der beiden Automobilfirmen Audi und Volvo genauer erforscht werden.
Geht man wie hier von der Annahme aus, dass der Sprache eine die gesellschaftliche Realität konstituierende und perspektivierende Funktion zukommt, so muss der PR-Kommunikation ein besonders großes wirklichkeitskonstituierendes Potenzial zugesprochen werden, denn: PR-Kommunikation will bestimmte Wahrnehmungsmuster prägen und bietet hierzu Deutungsmuster an (vgl. Röttger/Preusse/Schmitt 2014: 24). Schließlich gilt es, die Rezipienten von der Funktion und dem Mehrwert des ‚selbstfahrenden Automobils‘ zu überzeugen.
Deshalb richtet meine Untersuchung ihren Blick ausdrücklich nicht auf den allzu oft im Fokus stehenden medienübergreifenden gesellschaftlichen Diskurs, sondern perspektiviert das Phänomen ‚Diskurs‘ auf eine weitgehend neue Art und Weise, indem hier die Domäne Public Relations/Unternehmenskommunikation im Zentrum der Betrachtung steht. Damit folgt meine Untersuchung einem in der Diskurslinguistik emergenten Trend, den in jüngster Zeit v. a. die Arbeiten Burel (2015b) und Glausch (2017) bestätigen.
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Von zentraler Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist, dass sich in einem PR-Diskurs das Wissen und die Einstellungen der jeweiligen Unternehmen zu einem Thema – hier zur Innovationsthematik des Autonomen Fahrens – nicht nur spiegeln, sondern Wissen und Einstellungen der Öffentlichkeit zu diesem Thema aktiv geprägt werden (vgl. Gardt 2007: 30), und – dies sei betont – im Sinne eines Unternehmens auch entsprechend geprägt werden sollen. Das erklärte Ziel der PR-Kommunikation eines Unternehmens und die hier zugrunde gelegte Prämisse lautet: Die Unternehmen Audi und Volvo verfolgen das Ziel, die hier als verwendet angenommenen Musterhaftigkeiten in ihren presseorientierten Unternehmensdiskursen zur Innovationsthematik des Autonomen Fahrens im eigenen Interesse in den medienübergreifenden gesellschaftlichen Diskurs ‚hineinzuprojizieren‘.
Die zentralen Forschungsfragen, die meiner Diskursstudie zugrunde liegen, lauten deshalb wie folgt:
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Zeigen sich konkrete Darstellungsmuster in presseorientierten Unternehmensdiskursen zu automatisierten Fahrtechnologien bei den Automobilfirmen Audi und Volvo?
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Welche potenziellen Wirkungen entfalten möglicherweise festgestellte Musterhaftigkeiten für die mediale Rezeption?
Die Hypothese, ob solche Musterhaftigkeiten feststellbar sind, wird im Folgenden überprüft.
Die unterschiedlichen Formen von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind heute in Zeiten von Social Media, Blogs, Wikis oder Foren kaum mehr zu überblicken. In einer derart ausdifferenzierten Medienlandschaft stellt die Pressemitteilung jedoch nach wie vor das zentrale Instrument der Public Relations (hier verstanden als Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) dar. Die heute meist auch online bereitgestellte Pressemitteilung ist das wichtigste und am häufigsten verwendete Mittel der PR-Kommunikation eines Unternehmens (vgl. Christoph 2009: 19, 75; Mast 2013: 319; Schach 2015: 205). Zumeist werden diese heutzutage online in virtuellen Pressenewsrooms zur Verfügung gestellt – so auch bei Audi und Volvo.
Zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Forschungsfragen werden deshalb (Online-)Pressemitteilungen der beiden Automobilfirmen Audi und Volvo (Zeitraum 2012 bis 2014) herangezogen, die hier jeweils als das Zugriffsobjekt für die Analyse eines Ausschnittes aus dem presseorientierten Innovationsdiskurs von Audi bzw. Volvo zum Automatisierten Fahren dienen. Diese (Online-)Pressemitteilungen werden in ihrer medialen Repräsentationsform als Webseite einer mehrdimensionalen, multimodalen und medienadäquaten Analyse unterzogen.
Zu diesem Zweck dient die Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) von Spitzmüller/Warnke (2011b) – die gegenwärtig umfassendste diskurslinguistische Methodologie (vgl. Kilian/Niehr/Schiewe 2016: 54) – als Ausgangspunkt. Auf der Basis von DIMEAN wird ein eigenes funktional-deskriptives Analysemodell für PR-Innovationsdiskurse entwickelt. Mithilfe einer mehrstufigen Untersuchungsmethodik, die insgesamt zwölf Analysekategorien unterschiedlicher diskursiver Ebenen integriert, werden die jeweiligen PR-Innovationsdiskursausschnitte von Audi und Volvo untersucht. Diese zwölf Untersuchungskategorien sind: Nomina propria (1), Nomina appellativa (2), Schlüsselwörter (3), Hochwertwörter (4), Plastikwörter (5), Implikaturen und Präsuppositionen (6), Rhetorische Tropen und Figuren (7), Oppositionslinien (8), Text-Bild-Beziehungen (9), Ideology brokers (10), Topoi (11) und Intertextualität (12).
Für die Untersuchung auf Musterhaftigkeiten in den beiden Unternehmensdiskursausschnitten sind qualitative und quantitative Verfahren miteinander kombiniert worden.
Der innovative Wert des hier verfolgten methodenpluralen Ansatzes liegt dabei insbesondere in der Integration und diskursanalytischen Fruchtbarmachung von Pörksens (1989) Plastikwörtern, deren diskurs- und wirklichkeitskonstituierendes Potenzial und damit auch ihre Relevanz für die Diskurslinguistik sowohl in theoretisch-methodischer als auch praktisch-empirischer Hinsicht brachliegt und die nach meiner Einschätzung bisher verkannt worden ist. Mit meiner Untersuchung soll ein eventueller diskursiver Mehrwert der Plastikwörter überprüft und damit ein wichtiger und neuer Impuls für die weitere diskurslinguistische Methodendiskussion und -entwicklung gesetzt werden.
Meine Studie gliedert sich in acht Hauptkapitel:
2 Da meine Untersuchung insbesondere Berührungspunkte mit der PR-Forschung, der Wirtschafts- bzw. Werbesprache und der Innovationskommunikation aufweist und damit in einem sprach-, kommunikations- und wirtschaftswissenschaftlich konturierten Forschungsfeld zu verorten ist, gilt es zunächst den Wissens- und Erkenntnisstand innerhalb dieser Bereiche zu rekapitulieren. Dabei werden im folgenden Kapitel 2 ausführlich die jeweils relevanten Forschungslücken und Desiderate aufgezeigt, denen meine Arbeit Rechnung tragen soll: Die erstmals nicht im Kontext der (Print-)Werbung stehende linguistische Untersuchung des Themas ‚Automobil‘ sowie die Erweiterung der Innovationskommunikation um eine linguistische Perspektive.
Im Anschluss daran wird der diskursive Rahmen, in den meine Diskursstudie zum Autonomen Fahren eingebettet ist, spezifiziert. So werden in Kapitel 3 mit Blick auf das hier im Fokus stehende PR-Instrument ‚(Online-)Pressemitteilung‘ die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Kommunikationsbereichen Public Relations, Werbung und Marketing diskutiert und die Bandbreite der PR-Arbeit eines Unternehmens aufgezeigt. Hierbei wird insbesondere auf die herausgehobene Rolle und Bedeutung der (Online-)Pressemitteilung im Spannungsfeld der Kommunikationsbereiche Wirtschaft/Public Relations und Journalismus eingegangen. Des Weiteren wird im Kontext automobiler Zukunftstechnologien der hier zentrale und gleichsam schillernde Terminus ‚Innovation‘ (vgl. Mast 2005: 48) diskutiert und die Herausforderungen skizziert, die bei der kommunikativen Vermittlung von Innovationen entstehen – hier sind dies die automatisierten Fahrtechnologien in den presseorientierten Unternehmensdiskursen von Audi und Volvo. Kapitel 3 schließt mit einem thematischen Querschnitt zum Autonomen Fahren, in dem verschiedene Übergangsszenarien zum autonom fahrenden Automobil aufgezeigt werden. Unter Rückgriff auf eine Spezifikation der unterschiedlichen Automatisierungsgrade des Autonomen Fahrens kann sich einer entsprechenden Einordnung der automatisierten Fahrtechnologien von Audi und Volvo angenähert werden.
Da sich innerhalb der Diskurslinguistik zahlreiche Strömungen und Akzentuierungen unterscheiden lassen, erfolgt in Kapitel 4 zunächst eine Verortung meiner Untersuchung innerhalb dieser linguistischen Disziplin. Ferner werden die drei zentralen theoretisch-methodologischen Termini ‚Text‘, ‚Diskurs‘ und ‚Multimodalität‘ definiert und die methodologischen Herausforderungen der Diskurslinguistik erläutert, denen die Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) von Spitzmüller/Warnke (2011b) begegnen will. Auf der Basis einer reflexiv-kritischen Diskussion von DIMEAN wird ein eigenes Analysemodell für die Untersuchung von PR-Innovationsdiskursen abgeleitet.
In einem nächsten Schritt wird in Kapitel 5 die Auswahl der beiden Automobilfirmen Audi und Volvo für den Forschungskontext begründet und das Analysematerial spezifiziert, der Prozess der Korpuskompilierung nachgezeichnet sowie ein Überblick über die Größe und die Zusammensetzung des Untersuchungskorpus gegeben, das sich aus den beiden Teilkorpora Audi und Volvo zusammensetzt.
Kapitel 6 bildet den empirischen Teil meiner Untersuchung. Darin werden das Audi- und Volvo-Korpus mithilfe der in Kapitel 3 entwickelten mehrstufigen Untersuchungsmethodik auf unterschiedlichen diskursiven Ebenen (Intratextuelle Ebene, Akteursebene, Transtextuelle Ebene) analysiert und es wird versucht zu zeigen, welche Darstellungsmuster sich in den jeweiligen Teilkorpora in Bezug auf die unternehmensspezifischen automatisierten Fahrsysteme zeigen. Die Ergebnisse der beiden Analysen werden jeweils kurz zusammengefasst.
Kapitel 7 führt die Essenz der Ergebnisse der Audi- und Volvo-Analysen zusammen. Darüber hinaus werden die im Zuge der beiden Analysen identifizierten Musterhaftigkeiten einander vergleichend gegenübergestellt und die Gesamtergebnisse kontextualisiert – so können schließlich auf der Basis der theoretisch-methodischen und der praktisch-empirischen Schlussfolgerungen meiner Untersuchung in Kapitel 8 Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungsarbeiten gegeben werden.