Männlichkeit und soziale Ordnung bei Gottfried Keller
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Männlichkeit und soziale Ordnung bei Gottfried Keller

Studien zu Geschlecht und Realismus

  1. 421 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Männlichkeit und soziale Ordnung bei Gottfried Keller

Studien zu Geschlecht und Realismus

Über dieses Buch

In medialen wie auch wissenschaftlichen Diskursen werden tradierte Vorstellungen von Männlichkeit bzw. männlicher Herrschaft zunehmend kritisch hinterfragt. Die vorliegende Arbeit nähert sich dieser Diskussion auf literarische Weise, indem sie die Allianz von Macht und Männlichkeit am Beispiel des Erzählwerks Gottfried Kellers als Fundament einer sozialen Ordnungspolitik offenlegt, der Unterdrückte und Unterdrücker gleichermaßen unterworfen sind.

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Information

1Einleitung

1.1Vorbemerkungen: Männlichkeit zwischen Macht und Krise

„Männer haben keine Zukunft. Männlichkeit ist offenbar eine Idee von gestern.“1 Wer sich mit dieser zweifelsohne rhetorisch zugespitzten Eröffnung eines digitalen Feuilletonbeitrags des Jahres 2017 konfrontiert sieht, dürfte angesichts der gegenwärtigen Konjunktur von Debatten zu Geschlecht und geschlechtlichen Zuschreibungen nicht zwingend versucht sein, diese vermeintlich ‚zeitgeistige‘ Kontroverse auf gesellschaftliche Umbrüche eines vorvergangenen Jahrhunderts bzw. dessen kulturelle Deutungsmuster zurückzubeziehen. Und in der Tat steht das angeführte Zitat im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nicht etwa für eine feuilletonistische Provokation ohne Breitenwirkung, sondern im Gegenteil beispielhaft für eine gesellschaftlich-mediale Diskussion,2 die zunehmend den Konstruktionscharakter einer lange Zeit zur Naturwahrheit (v)erklärten und somit hermetisch abgeriegelten Idee von ‚Geschlecht‘ in den Blick nimmt.
Insbesondere infolge der in den 1960/70er Jahren in akademischen Milieus formulierten, inzwischen jedoch gleichermaßen in außeruniversitären Bereichen etablierten Position, Geschlecht nicht einfach mit Biologie gleichzusetzen, sondern als einen komplexen, kulturell geprägten Diskurs zu begreifen, werden mittlerweile selbst in massenmedialen Kontexten die sozialen Aspekte von ‚Geschlecht‘ diskutiert – was immer dann besonders kontroverse Züge anzunehmen scheint, wenn das männliche Geschlecht samt seiner geschlechtsexklusiven Privilegien ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Es zeichnet sich gar ab, dass mehr als zweihundert Jahre nach Entstehung erster Frauenrechtsbewegungen und einer jahrzehntelangen Tradition akademisch-feministischer Geschlechterforschung nunmehr das als privilegiert beschriebene Geschlecht selbst zum Gegenstand einer Debatte wird,3 die nicht mehr nur männliche Vorherrschaft problematisiert, sondern das Konzept ‚Männlichkeit‘ schlechthin in moralischen Rückzugsgefechten begriffen sieht. Die diesbezüglich ausgemachten Symptome reichen von einer männlichen Selbstinszenierung „als Opfer gesellschaftlicher Diskriminierung“4 bis hin zu Beschreibungen einer strukturellen Krisenhaftigkeit, die weit über jedes „Stahlarbeiterproblem“5 hinausreicht. Entsprechend wird in populären Publikationen vermehrt das Bild einer ‚toxischen Männlichkeit‘ entworfen,6 die unter dem Eindruck einer kritischen Reflexion von Geschlechter- und Machtbeziehungen den eigenen Vormachtsanspruch nicht anders aufrechtzuerhalten weiß als in der Rückbesinnung auf eine zum Fundament männlicher Herrschaft stilisierten permanenten Gewaltbereitschaft.
Angesichts dieser Abwehrreflexe eines im Zuge stetig komplexer werdender Lebens- und Erwerbsbedingungen um Orientierung ringenden Geschlechts, registrieren sozialwissenschaftliche Studien eine Tendenz zur ‚Remaskulinisierung‘ in Teilen männlicher Lebenswelten,7 die sich vorrangig über den Widerstand gegen eine als feministisch-intellektualistisch dominiert erfahrene Gegenwart definiert. Wo folglich bis dato geradezu habituell eingeforderte Privilegien unerwartet infrage gestellt werden, lautet die ‚maskulinistische‘ Parole zur Wiedererlangung von Orientierung und Deutungshoheit offenbar auf Archaisierung statt Modifizierung, so dass „Krieger-Männer als Antwort auf Verdiener-Frauen“8 in Erscheinung treten, um in Zeiten progressiver Debatten zu Geschlecht und geschlechtlichen Hierarchien die Restitution männlicher Vormachtsansprüche anzuleiten.
Dass die oben skizzierten, vorzugsweise als Symptome einer Krise ‚moderner Männlichkeit‘ gewerteten Phänomene an dieser Stelle nicht den Ausgangspunkt einer sozialwissenschaftlichen Forschungsarbeit markieren,9 sondern stattdessen der Einleitung einer dezidiert literaturwissenschaftlichen Untersuchung dienen – deren Fokus zudem auf dem z. T. vor über 150 Jahren entstandenen Werk des Schweizer Realisten Gottfried Keller liegt –, erklärt sich mit Blick auf die eingangs zitierte ‚Idee von gestern‘. Der darin formulierte Gedanke nämlich, Männlichkeit resp. Geschlecht als eine Idee von rekonstruierbarer Geschichtlichkeit zu begreifen, führt in Bezug auf den ‚modernen‘ Geschlechterdiskurs europäischer Prägung zurück in die Lebenswelten des 19. Jahrhunderts, das mit seinen tief greifenden politischen, sozialen und auch denkgeschichtlichen Umbrüchen als Geburtsstunde heutiger Vorstellungen zu Geschlecht und geschlechtsspezifischen Codierungen gilt.
Der Ansatz der vorliegenden Arbeit besteht nun darin, am Beispiel ausgewählter Erzählungen Gottfried Kellers literarische Darstellungen dieser Zeit in Bezug auf Imaginationen und Konstruktionen von Geschlecht – insbesondere von ‚Männlichkeit‘ – zu untersuchen, wobei als Leitmotiv die These verhandelt wird, dass jene gegenwärtig diagnostizierte Krise von Männlichkeit ihre Ursachen nicht etwa in emanzipatorischen Tendenzen der ‚Moderne‘ hat, quasi ein geschlossenes System männlich-patriarchaler Vorherrschaft von außen unter Druck gesetzt wird, sondern dass im Gegenteil das Konzept ‚Männlichkeit‘ durch die eigenen Grundannahmen, folglich von innen her, von einer inhärenten Krisenanfälligkeit bestimmt ist. Dieser Frage wie im Folgenden auf Grundlage ‚realistischer‘ Literatur, somit unter literaturwissenschaftlicher Perspektive nachzugehen, liegt dann umso näher, wenn man die Fiktionalität von Literatur nicht verwechselt mit ihrer Fähigkeit, Zeugnis zu legen von den Diskursen ihrer Zeit. Denn gerade weil Literatur fiktional ist, muss (und kann) ihre Verweisfunktion nicht auf direkte, in einem deskriptiven Sinne ‚realistische‘ Weise erfolgen, sondern allein auf eine poetisch vermittelte, so dass etwa die Schauerliteratur der Romantik oder auch das Science-Fiction-Genre der Mitte des 20. Jahrhunderts sehr wohl Rückschlüsse auf ihre Zeit und deren Mentalität erlauben, ohne dass ihre Sujets dabei in irgendeiner Weise als ‚real‘ im Sinne einer Abbildung außersprachlicher Realität vorauszusetzen sind.
Durch seine Praxis einer zeichenhaften Bedeutungsvermittlung eröffnet sich dem literarischen Text somit in besonderem Maße die Möglichkeit, in uneigentlicher (z. B. metaphorischer) Weise Sinn zu transportieren, folglich auch Konstellationen oder Ideen durchzuspielen, die außerhalb literarischer Welten aufgrund sozialer Konventionen oder dominanter Deutungstraditionen schwerlich umsetzbar wären. Vor diesem Hintergrund soll untersucht werden, inwieweit und auf welche Weise moderne Konzepte von ‚Männlichkeit‘ bereits zu Zeiten ihrer Entstehung innerhalb der Textwelten Gottfried Kellers als widersprüchlich oder auch von Diskontinuitäten durchzogen dargestellt werden. Das Werk Gottfried Kellers empfiehlt sich hierbei auch deshalb auf besondere Weise, weil kaum ein anderes dieser Epoche die Bedeutung ökonomischer Prinzipien bzw. die Folgeerscheinungen kapitalistisch-industrieller Neuerungen für das Individuum wie das Gemeinwesen an ähnlich prominenter Stelle verhandelt.
Da das ‚moderne‘ Geschlechtermodell in seiner Systematik nicht ohne Bezug auf das 19. Jahrhundert und dessen soziale Umbrüche zu verstehen ist, zugleich insbesondere das Erzählwerk Kellers als eine durchaus kritische Auseinandersetzung mit bürgerlichen Lebenswelten gilt und hierbei dem Zusammenspiel von Geschlecht und Ökonomie eine zentrale Ordnungsfunktion einräumt, entsteht auf diese Weise eine gedankliche Klammer, die einen Feuilletonbeitrag der Gegenwart als Konsequenz oder auch Reaktion auf kulturelle Denkmuster insbesondere der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts transparent macht und entsprechend das ‚rückwärtsgewandte‘ Vorgehen der vorliegenden Arbeit erklärt.
Vor diesem Hintergrund sollen in erster Linie die literarischen Konstitutionsbedingungen des männlichen Subjekts untersucht werden, wobei zwingend auch die Darstellung des weiblichen Geschlechts in den Fokus rückt, da in einem bipolar codierten Geschlechtermodell eine isolierte Betrachtung männlicher oder auch weiblicher Figuren zentrale Aspekte geschlechtlicher Zuschreibungen unberücksichtigt ließe bzw. nicht auf adäquate Weise systematisieren könnte. In Bezug auf ein zu beschreibendes Normensystem ‚Mann‘ gilt es zudem, Modifikationen ebenso wie Kontinuitäten aufzuzeigen und Grenzüberschreitungen etwa sozialer oder auch sexueller Natur in einen übergeordneten Kontext zu stellen. Entsprechend werden zwischengeschlechtliche resp. gleichgeschlechtliche Interaktionen wie Paarbeziehungen, Initiationsprozesse oder auch homosoziale Figurenkonstellationen in Erwartung einer vergleichenden Polarisierung divergenter Männlichkeitsentwürfe untersucht, um anhand eines ungeschriebenen Anforderungskatalogs von ‚Geschlecht‘ moralische, soziale, politische oder auch sexuelle Implikationen geschlechtlich motivierten Figurenhandelns herauszuarbeiten. Körperpraxis und Körperbild der dargestellten Figuren werden hierbei in ihrer vorrangigen Funktion als textinterne Projektionsflächen von Idealisierung, Sexualisierung, Stigmatisierung oder auch Pathologisierung beschrieben, wobei insbesondere in Bezug auf das männliche Geschlecht das vergleichende, sprich hierarchisierende Moment von Körpern bzw. körperreflexiven Praktiken im Vordergrund stehen wird.
Die beschriebenen gesellschaftlichen, ökonomischen und auch politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts mit ihren weitreichenden Folgen für Sozial- und Familienstrukturen werden im Folgenden ebenso in einem kurzen Überblick beschrieben wie die literarische Epoche des poetischen Realismus und die theoretischen Grundlagen der Geschlechter- bzw. Männerforschung. Auf eine Reflexion des theoretischen Fundaments dieser Arbeit und ihrer Methoden folgen abschließend einige Bemerkungen zur Gliederung der vorliegenden Untersuchung und zur Bestimmung des Textkorpus.

1.2Zur Epoche: Bürgerliche Lebenswelten im 19. Jahrhundert

Angesichts einer Vielzahl von Forschungsbeiträgen verschiedenster Fachrichtungen, die von umfangreichen Übersichtsstudien bis zu punktuellen Mikroanalysen Zeitgeschehen und Folgewirkung des 19. Jahrhunderts aus je fachspezifischer Perspektive in den Blick nehmen, ist es mehr als geboten, die folgenden Ausführungen dahingehend einzuschränken, dass diese keinen anderen Anspruch erheben, als einen schlaglichtartig komprimierten Einblick in Lebenswirklichkeit und Geisteshaltung dieser Zeit geben zu wollen. Zudem begründen Fachgebiet und Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit eine räumliche Fokussierung innerhalb dieses Jahrhunderts der weltpolitischen Dominanz Europas auf zeitgeschichtliche Entwicklungen insbesondere im deutschsprachigen Raum,10 die jedoch nichtsdestotrotz von exemplarischer Bedeutung für die historischen Vorgänge auch im übrigen Europa der Zeit sind.
Neben geografischen Aspekten stellt sich hinsichtlich der Periodisierung von Epochen zuvorderst das Problem, bei der „Bildung von historischen Sinneinheiten“11 bzw. der Bestimmung von Anfang und Ende geschichtlicher Perioden naturgemäß nicht auf „objektiv feststehende[], quasi geschichtsimmanente[] Sachverhalte[]“12 zurückgreifen zu können, sondern in der Regel auf eine Kontextualisierung historischer Ereignisse angewiesen zu sein. Dies führte in Bezug auf das 19. Jahrhundert zur Etablierung der Idee eines über einhundertzwanzig Jahre umspannenden ‚langen‘ Jahrhunderts. Anders nämlich als nach rein kalendarischen Maßstäben bemessen, wird der ‚epochale‘ Beginn des 19. Jahrhunderts zumeist auf die Geschehnisse rund um die Französische Revolution von 1789 datiert, während das Ende dieses überlangen Jahrhund...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Danksagung
  7. 1 Einleitung
  8. 2 Abweichende Männlichkeitsentwürfe zwischen Läuterung und Liquidation
  9. 3 Männervergleich und Männerselektion
  10. 4 Männliche Sozialisation zwischen protegierender und destruktiver Weiblichkeit
  11. 5 Männliche Schöpfungsphantasien: Zur Modellierung des weiblichen Geschlechts
  12. 6 Das Ende: Der Tod in den untersuchten Texten
  13. Schlussbemerkungen
  14. Literaturverzeichnis
  15. Personenregister