Teil 1
Zur Orientierung
1.1_Einleitung
Die Klimafrage ist eine der zentralen Herausforderungen für die Menschheit. Mit dem Vertrag von Paris wurde ein wichtiger Schritt getan, um sie zu lösen: Die Staaten der Welt haben das Problem gemeinsam benannt und eine Zielsetzung formuliert – sie wollen den Anstieg der globalen mittleren Temperatur auf unter 2 Grad im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit halten, möglichst sogar auf unter 1,5 Grad.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, hat im Dezember 2017 die Klimaneutralität seines Hauses ab dem Jahr 2020 erklärt. Bei der Eröffnung der Weltklimakonferenz am folgenden Tag ging er einen Schritt weiter. Er wolle sich dafür einsetzen, dass sich die Bundesregierung, die Landesregierungen und auf Dauer der ganze öffentliche Sektor sowie nahestehende Bereiche klimaneutral stellen. In einer Mitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 01.11.2008 wird der Gesamtumfang der CO2-Emissionen von Bund, Ländern, Kommunen und öffentlichen Unternehmen – der zwischenzeitlich spürbar abgesenkt wurde – auf etwa 43 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr geschätzt. Mehr als die Hälfte davon entsteht durch den Energieverbrauch der öffentlichen Gebäude.
Mit Blick auf die zukünftige deutsche Politik wäre es ein großartiges Signal, wenn sie für Deutschland das Ziel formulierte, dass Akteure mit Sitz in Deutschland ab dem Jahr 2025 eine Milliarde Tonnen CO2 jährlich in internationalen Kooperationsprojekten kompensieren und in einer großen gesellschaftlichen Anstrengung zügig auf dieses Ziel hinarbeiten würden. Das wären mehr kompensierte Tonnen als die Gesamtemissionen Deutschlands. Deutschland hätte sich auf diese Weise als erster Industriestaat der Welt als Ganzes mehr als klimaneutral gestellt, also klimapositiv, und würde gleichzeitig in massiver Weise die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele, der »Sustainable Development Goals« (SDGs) fördern, nämlich durch sogenannte Co-Benefits internationaler Kompensationsprojekte: Geht man von Kompensationspreisen zwischen 10 und 20 Euro pro Tonne CO2 aus, wären das trotz erheblicher Transaktionskosten zusätzlich deutlich mehr als 20 Milliarden Euro als deutscher Beitrag zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit, die heute bei 22,3 Milliarden Euro liegt.
Dieser Vorschlag muss den Staatshaushalt nicht wesentlich belasten. Man kann sich sehr gut eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Unternehmen und den Bürgern in diesem Bereich vorstellen. Worauf es ankommt, ist, in einer konzertierten Aktion zusammenzuwirken, und zwar unter Nutzung der richtigen Art von öffentlicher Kommunikation. Gegen Hindernisse, die aus Unverständnis oder möglicherweise auch verdeckten Eigeninteressen resultieren, zum Beispiel durch negative und abwertende Formulierungen für internationale Kompensationsprojekte im Klimabereich, wie »Ablasshandel«, »Freikauf« und »Greenwashing«, muss argumentiert werden. Hier sollte die neue deutsche Regierung einen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten im Klimabereich setzen.
Menschen, die sich freiwillig klimaneutral stellen, sollte gedankt werden. Was die Regierung tun könnte, wäre, für entsprechende Standards in Projekten zu sorgen. Wer also Teil dieses nationalen Programms sein will, kann nur solche Kompensationsprojekte nutzen, die entsprechende Standards erfüllen. Hierzu sind inhaltliche Vorgaben noch zu erarbeiten, das ist ein wichtiges Thema. Die Bundesregierung könnte auf dieser Basis ein Registrierungsumfeld für Maßnahmen zu diesem Thema schaffen und alle bei Privatpersonen, Organisationen und Unternehmen erfolgten Kompensationsmaßnahmen der zugelassenen Art dokumentieren und registrieren. In jedem Fall sollten entsprechende Ausgaben von Unternehmen als Betriebsausgaben anerkannt werden. Die Regierung könnte gegebenenfalls die Bereitschaft signalisieren, die auf diese Weise durch andere Akteure nicht kompensierten (Rest-)Volumina bis zu einer Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr aus Steuermitteln zu kompensieren.
Wenn Deutschland sich insgesamt auf diese Weise klimapositiv stellt, müssen wir in der nationalen Politik nicht mehr sklavisch Pläne für rein rechnerisch abgeleitete Reduktionsziele verfolgen. In Bezug auf Kohle, Automobile oder die energetische Sanierung von Gebäuden könnten wir mit mehr Augenmaß und vor allem Zeit für Anpassungen und orientiert an Kosten-Nutzen-Überlegungen verfahren. Die im Moment durch eine Art »Klimaplanwirtschaft« erfolgende Geldvernichtung in diesem Bereich könnte massiv zurückgefahren werden. Stattdessen könnten wir mittelfristig die jeweiligen Prozesse systematischer angehen. Dabei spielt der weitere technische Fortschritt eine zentrale Rolle. Er sollte technologieoffen beobachtet und genutzt werden.
1.2_Thesenartige Zusammenfassung
Die internationale Klimapolitik braucht einen neuen Denkrahmen, einen neuen »Frame«, wenn das Zwei-Grad-Ziel noch eine Chance haben soll. Denn die Weltgemeinschaft droht im Klimabereich zu scheitern. Die Zeit läuft davon. Weil wir zu wenig tun und dieses Wenige oftmals auch noch falsch ist. Ein alternativer Denkrahmen wird in diesem Buch entwickelt. Er löst sich insbesondere von der heute dominierenden nationalen Orientierung der verfolgten Aktivitäten. Folgende Elemente sind wesentlich:
1.Die Politik hat in Paris geliefert, was sie liefern konnte, auch wenn dies bei weitem nicht zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels reichen wird. Viel mehr kann die Politik nicht leisten. Weiterer Druckaufbau auf die Politik ist eher kontraproduktiv.
2.Bilanziell müssen bis 2050 etwa 500 Milliarden weitere Tonnen CO2 eliminiert werden. Zugleich dürfen insbesondere die erforderlichen Wachstumsprozesse der Nichtindustrieländer und damit (zumindest teilweise) die Umsetzung der Agenda 2030 in diesen Ländern bilanziell keine weiteren erheblichen Klimabelastungen zur Folge haben. Dies ist die Schlüsselfrage für eine eventuelle Erreichung des Zwei-Grad-Ziels. Soll dies gelingen, muss unter anderem der Atmosphäre massiv CO2 durch biologische Sequestrierung, also zum Beispiel durch Aufforstungsmaßnahmen und Förderung der Humusbildung im Bereich der Landwirtschaft, entzogen werden. Es geht dabei um mindestens 250 Milliarden Tonnen CO2-Negativemissionen bis 2050. Negative Emissionen besitzen insofern eine zentrale Bedeutung.
3.Die bilanzielle Vermeidung von 500 Milliarden Tonnen CO2 bis 2050 erfordert geschätzt etwa 500 Milliarden Euro pro Jahr, was einem Vielfachen der heutigen Mittel für die internationale Entwicklungszusammenarbeit entspricht. Das kann die Politik nicht leisten. Schon die verabredeten 100 Milliarden US-Dollar für den Klimafinanzausgleich pro Jahr ab 2020 sind für die Politik in den Industrieländern fast eine Überforderung.
4.Neben der Politik brauchen wir deshalb einen zweiten starken Akteur in der Klimapolitik, und zwar den wohlhabenden Teil der Weltbevölkerung, etwa 1 bis 2 Prozent der Weltpopulation, die über alle Länder der Welt – reiche, weniger reiche und arme – verteilt sind und zum Teil sehr hohe CO2-Emissionen erzeugen: 50, 100, 500 und sogar 1000 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr. Die sogenannten »Top Emitters«.
5.Ohne die Emissionen der »Top Emitters« gäbe es das Klimaproblem nicht. Die »Top Emitters« profitieren ökonomisch am meisten davon, wenn eine Klimakatastrophe vermieden wird. Es geht für sie um die Absicherung ihres Lebensstils und ihrer vielen Eigentumstitel. Sie und ihre Partner – weltweit operierende Unternehmen und Organisationen, reiche Gemeinden und Städte, Lieferanten und Dienstleister – können, wenn sie wollen, sogar alleine die zweite Hälfte des Klimaproblems lösen, nämlich bis 2050 eine bilanzielle Einsparung von 500 Milliarden Tonnen CO2, und dazu die Aufbringung von 500 Milliarden Euro pro Jahr bewirken, primär als »verlorene« Beiträge für die Finanzierung der freiwilligen Stilllegung hochwertiger CO2-Zertifikate. Das heißt, dass den 500 Milliarden Euro in der Regel keine Eigentumstitel gegenüberstehen, sie keine Zinsen generieren und auch nicht zurückbezahlt werden.
6.Die freiwillige Klimaneutralität, besser noch Klimapositivität von »Top Emitters«, insbesondere durch globale Kompensationsprojekte, ist ein wesentlicher Schlüssel zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels. Dies kann zum Beispiel durch Projekte vom Typ »No Use« erfolgen, zu denen etwa das Stilllegen von Zertifikaten des europäischen Zertifikatssystems ebenso zählt wie das Zahlen von Entschädigungen für die Stilllegung von Kohlekraftwerken und die Nichtexplorierung neuer Ölfelder in bestimmten Regionen. Möglich ist auch die Finanzierung von Negativemissionen, insbesondere durch biologische Sequestrierung, also vor allem die Aufforstung und forcierte Humusbildung, sowie der Einsatz von Bio-Kohle auf potenziell jeweils bis zu einer Milliarde Hektar degradierter Böden.
7.Der beschriebene Ansatz eröffnet gewaltige Potenziale für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele der sogenannten Agenda 2030, und zwar über die großen Co-Benefits der beschriebenen Maßnahmen. Auch die Erreichung dieser »Sustainable Development Goals« erfordert erheblichen Mittelzufluss aus wohlhabenden Ländern in sich entwickelnde Länder. Auch dies kann die Politik nicht leisten. Das jahrzehntelange Lavieren bezüglich des 0,7-Prozent-Ziels für Mittel der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (»Official Development Assistance«, ODA) spricht eine deutliche Sprache. Der wohlhabende Privatsektor aber kann diese Mittel im Rahmen freiwilliger Klimaneutralitätsmaßnahmen (über Stilllegung entsprechender Zertifikate oder als Project-Owner) aufbringen. Das ist auch ein besonders kluger Weg, um mehr Suffizienz zu erreichen.
8.Die Politik sollte den wohlhabenden Teil der Weltbevölkerung und seine Partner motivieren, aktiv zu werden, und zugleich die Rahmenbedingungen für individuelle Klimaneutralitätsaktivitäten verbessern. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sollten dieser Gruppe ebenfalls viel mehr Aufmerksamkeit als bisher widmen, statt von der Politik Lösungen zu fordern, die sie ohnehin nicht liefern kann. Vor allem sollten manche NGOs ihre häufig praktizierte, völlig verfehlte Diffamierung internationaler Kompensation als »Freikauf«, »Ablasshandel« oder »Greenwashing« beenden.
9.Die deutsche Politik sollte sich, wie das aktuell auch zwischen den Koalitionspartnern Konsens zu sein scheint, mit überzogenen, teils planwirtschaftlich anmutenden Vorschlägen zur forcierten Stilllegung von Kohlekraftwerken, zur energetischen Rundumsanierung von Gebäuden und zum weitgehenden, das heißt flächendeckenden Umstieg auf Elektroautos zurückhalten und stattdessen technologieoffener und mit weniger Zeitdruck operieren. Parallel dazu sollte sie die Idee freiwilliger Klimaneutralität von Unternehmen, Organisationen und Individuen breit propagieren und koordinieren.
10.Als »Milliarden-Joker« sollte die deutsche Politik perspektivisch darauf hinwirken, dass deutsche Akteure ab 2025 jährlich mindestens einer Milliarde Tonnen CO2 global kompensieren, dadurch Deutschland als ersten Industriestaat der Welt mehr als klimaneutral, genauer: klimapositiv, stellen und zugleich aufgrund der zahlreichen Co-Benefits den Umfang deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Bezug auf die Umsetzung der SDGs vervielfachen. Der Hauptbeitrag der Politik liegt dabei in der offensiven öffentlichen Vertretung und Koordinierung dieses neuen Ansatzes in der Klima- und Entwicklungspolitik. Auf europäischer Ebene sollte die deutsche Politik versuchen, dazu beizutragen, dass europäische Akteure ab 2030 jährlich mindestens 5 Milliarden Tonnen CO2 global kompensieren, und damit das Milliarden-Joker-Programm auf Europa auszuweiten versuchen. Europa wäre dann der erste klimapositive Kontinent. Die vor kurzem gestartete »Trillion Tree Campaign« der von Kindern initiierten »Plant for the Planet«-Initiative in Zusammenarbeit mit weiteren, vor allem britischen Partnern (WCS, WWF, BirdLife International) weist in die richtige Richtung. Solche Zielsetzungen sind mit individuellem Engagement, konsequentem Einsatz und mit langem Atem umsetzbar. Sie können den Menschen Mut machen und bieten eine motivierende Alternative zu den permanenten Weltuntergangsbotschaften und fast schon planwirtschaftlichen Lösungsansätzen, die uns täglich erreichen.
1.3_Der US-Präsident, Rechtsfragen und deutsche Befindlichkeiten
Die Lösung des Klimaproblems ist sehr schwierig. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Klimathematik nicht primär als Umweltproblem verstanden werden darf. Vielmehr sind die das Klimaproblem verursachenden Emissionen aufs Engste mit dem Energiesektor, mit...