
- 147 Seiten
- German
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eBook - ePub
Über dieses Buch
Bernhard Horwatitsch beschreibt Menschen mit Demenz, die er im Rahmen einer ambulanten Pflege betreut. Mit von der Partie: Eine inkontinente Seniorin, die beim Besuch des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung überraschende Fähigkeiten zeigt; ein Ehepaar, das den Tod des geistig behinderten Sohnes zu verwinden hat; eine Dame, der der Heilige Geist in einem Käfer begegnet.Entstanden sind sprachlich wunderschöne Miniaturen, die ernste und heitere, überraschende und Mut machende Sichtweisen auf das Leben mit Demenz eröffnen.
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Information
Die Rolle der Medien
Man irret nicht deswegen, weil der Verstand die Begriffe reglos verknüpfet, sondern, weil man dasjenige Merkmal, was man in einem Dinge nicht wahrnimmt, auch von ihm verneinet, und urteilt, daß dasjenige nicht sei, wessen man sich in einem Dinge nicht bewußt ist.
IMMANUEL KANT, UNTERSUCHUNG ÜBER DIE DEUTLICHKEIT DER GRUNDSÄTZE DER NATÜRLICHEN THEOLOGIE UND DER MORAL, DRITTE BETRACHTUNG, § 1, A 87
Die Zaundorfs waren alte Freunde von Frau Schaller, vom Schwimmverein. Und über Ostern gab es ein mehrtägiges Seniorenturnier. Da hätten sie Frau Schaller gerne mitgenommen. So viel hatte ich verstanden, als Herr Zaundorf meinte, er sei schwerhörig und gebe mir jetzt seine Frau. Dann gab es ein kurzes Rauschen in der Leitung und eine Stimme meldete sich.
„Frau Zaundorf?“
„Hallo?“
„Hallo, hier ist Herr Konrad.“
„Wer?“
„Herr Konrad“, ich buchstabierte ihr meinen Namen, „Ich habe gerade mit ihrem Mann gesprochen. Wegen Frau Schaller.“
Am Ende einigten wir uns drei mühsam darauf, dass wir alles besser vor Ort mit Frau Schaller persönlich besprechen sollten. Das Telefongespräch dauerte recht lange, da ich immer wieder wiederholen musste, worum es mir ging. Herr Zaundorf war ja schwerhörig – und Frau Zaundorf verstand mich „menschlich“ irgendwie nicht.
Ich wollte einfach nicht, dass eine demente Frau mit mächtigen Einschränkungen in ihrer Orientierung mit irgendjemandem, den ich nicht kannte, für mehrere Tage irgendwohin fährt. Auch wenn ich gemischte Gefühle dabei hatte. Einerseits war ja die Freiheit ein hohes Gut. Und juristisch hatte ich ohnehin keine Handhabe. Andererseits war ich als Bezugspfleger von Frau Schaller für sie mitverantwortlich. Um mit Immanuel Kant zu sprechen: Wie weit reicht die Freiheit des Menschen? Bis zur Freiheit des anderen.
Frau Schaller hatte keinen gesetzlichen Vertreter, es gab nur eine Vollmacht. Die hatte der Neffe von Frau Schaller. Rein rechtlich hätten also weder er noch ich den Zaundorfs irgendwas vorschreiben können. Wenn Frau Schaller mitfährt, fährt sie eben mit und Punkt. Das war klar. Dass ich dabei kein gutes Gefühl hatte, war aber ebenfalls klar. Da ich den Namen Zaundorf nie zuvor gehört hatte, musste ich nachfragen. Ich fühlte mich verantwortlich für Frau Schaller, ob das nun im BGB stand oder nicht.
Sie musste täglich Medikamente nehmen, würde sie aber vergessen, wenn man sie nicht daran erinnerte. Wir hatten ihr auch irgendwann das Auto „weggenommen“, weil sie es oft nicht mehr fand. Sie hatte es irgendwo geparkt und wusste nicht mehr wo. Gott sei Dank konnten wir diese Entscheidung dem Neffen in die Schuhe schieben. Das hat ihm nicht gerade Liebe eingebracht. Noch heute sagt Frau Schaller, wenn die Rede auf ihn kommt: „Der hat mir das Auto weggenommen.“ Aber es war halt notwendig. Auf den Straßen geht’s eh schon so zu.
Dann hatte sie mit dem Fahrrad einen folgenschweren Unfall gehabt, bei dem sie sich den Oberschenkel brach. „Ich warte drauf, dass man mir mein Fahrrad auch noch wegnimmt“, war dann lange ihr zynischer Kommentar dazu. Ihren Unfall hatte sie schnell vergessen. „Krankenhaus? Wann war ich im Krankenhaus? Daran kann ich mich nicht erinnern.“ Aber daran, dass ihr Neffe das Auto verkauft hatte, daran schon. Und sie fuhr weiter mit dem Fahrrad und wir schwitzten Blut und Wasser.
Jetzt saß ich bei Frau Schaller im Wohnzimmer. Von draußen schien die Sonne durch die großen Fenster ihrer Eigentumswohnung mitten in Grünwald. Die Wohnung war sauber, helle Möbel und auf den Glastisch hatte sie eine Schale mit Obst hingestellt. Obst, das sie nicht hätte, würden wir nicht für sie einkaufen.
Frau Schaller war wütend, weil man sich mal wieder zu sehr in ihr Leben einmischte. „Ich mach noch alles selber. Ich brauche keine Hilfe.“
Auf der Couch neben ihr saß Herr Zaundorf. Er erinnerte mich an meinen Onkel. Das machte ihn mir leider nicht sympathischer. Er verströmte den Geruch von altem Mehl, was manche ältere Menschen einfach an sich haben. Vermutlich war es irgendwas Hormonelles, das die Fauna und Flora auf der Haut veränderte und diesen Geruch verursachte. Er verstehe das auch nicht, vor einem halben Jahr sei alles noch in Ordnung gewesen, Frau Schaller sei doch ganz gut beisammen, sagte er nun.
Quod erat demonstrandum – ich fragte Frau Schaller nach dem aktuellen Datum, Jahr, Monat.
Sie konnte mir keine Antwort geben. „Weiß ich jetzt nicht“, sagte sie kurz angebunden. Sie wolle jetzt auch erfahren, warum wir hier sitzen würden. Sie käme sich ja entmündigt vor. „Ich mach noch alles selber.“
Herr Zaundorf nickte heftig.
„Und wo kaufen Sie ein?“, fragte ich scheinheilig.
„Solange ich mein Fahrrad habe, geht das wunderbar“, antwortete Frau Schaller ungerührt. Genau genommen bewunderte ich Frau Schaller dafür. Ihre Maskerade war eine Meisterleistung der menschlichen Psyche, um Kränkungen von sich fernzuhalten. Das Problem dabei ist, dass die Indizien manchmal erdrückend sind und man quasi um den Preis der Schizophrenie die Fakten leugnet.
Schließlich holte ich meine stärkste Waffe heraus: Die schriftliche Bestätigung ihrer Fahruntauglichkeit. Ich musste das tun, weil Herr Zaundorf auch wiederholt den Neffen angegriffen hatte und meinte, dieser würde sich auch zu sehr einmischen, und weil Herr Zaundorf sehr misstrauisch alles beobachtete und registrierte, was ich tat und sagte.
Herr Zaundorf reagierte darauf mit einem längeren Vortrag. Man höre ja so einiges in den Medien, er selbst werde nun auch 79, es müsse einem ja Angst und Bange werden, wie mit alten Menschen umgegangen würde, Frau Schaller schlüge ihn immer noch beim Schwimmen, er verstehe das Ganze nicht. „Was soll das hier eigentlich alles?“ Die Bescheinigung der Fahruntauglichkeit ignorierte er.
Meine stärkste Waffe hatte sich als Rohrkrepierer entpuppt.
Das mit dem erhöhten Blutdruck von Frau Schaller könne er verstehen, weil er selbst darunter leide. Aber auch da: geballtes Halbwissen. „Sie messen doch regelmäßig bei Frau Schaller“, fragte er mich, „was ist denn der Druck im Schnitt?“
Ich versuchte ihm zu erklären, dass der Schnitt weniger eine Rolle spiele, vielmehr seien die akuten Blutdruckspitzen wichtig. Mehrfach von ihm unterbrochen, musste ich Herrn Zaundorf regelrecht über den Mund fahren, und dies auch sehr laut, seine Schwerhörigkeit berücksichtigend.
Derweil wurde Frau Schaller immer unruhiger. Es schien ihr sichtlich Mühe zu bereiten, dem Gespräch überhaupt zu folgen. Und – ehrlich gesagt – wusste ich teilweise selber gar nicht mehr, worum es eigentlich ging. Herrn Zaundorf beweisen, dass Frau Schaller dement ist? Wozu? Der Anlass unseres Gesprächs war komplett untergegangen.
Herr Zaundorf bemerkte Frau Schallers Unruhe nicht.
Da ich sehr laut reden musste und auch immer wieder wiederholen musste, was ich sagte, weil Herr Zaundorf mich akustisch nicht verstand und weil Frau Schaller schnell wieder vergessen hatte, was ich zuvor gesagt hatte, herrschte allgemein eine so große Unruhe, dass Frau Schallers Nervosität einfach unterging. Ich kannte Frau Schaller schon lange genug. Ich kannte sie eben als Demente. Das ist einfach ein Unterschied. Herr Zaundorf kannte eine andere Frau Schaller – wenn man so will. Und das begriff ich wiederum nicht.
Schließlich sagte Herr Zaundorf zu mir: „Sie bringen mich da in eine unangenehme Lage.“
Jetzt appellierte ich: an seine langjährige Freundschaft zu Frau Schaller, an seine Verantwortung, an die neue Situation durch die Erkrankung. Ich war wirklich der Verzweiflung nahe. Ich hatte noch seinen Satz über die Medien in den Ohren und der hatte mir ein schlechtes Gewissen gemacht. Ich hatte auch eines, ganz real, einfach, weil ich auch nicht so richtig verstand, was ich da tat. Die Situation war verfahren und einfach ärgerlich. Mühsam und schwierig. Ein moralisches Patt.
Ich beteuerte, dass ich ihn keineswegs kompromittieren wolle mit dem Gespräch, sondern dass es mir um sein Verständnis ginge und ich sehr dafür sei, dass Frau Schaller, „selbstverständlich“, weiter Kontakt zu ihm und zu ihren Schwimmfreunden habe.
Als ich die Wohnung von Frau Schaller verließ, die beiden zurückließ, war ich deutlich erschöpft, glaubte zwar, dass ich mein Bestes gegeben hatte, aber wohl fühlte ich mich nicht.
Mehrfach hatte mich dieses Gespräch dazu gezwungen, Frau Schaller ihre Schwächen, ihre Erkrankung vor Augen zu führen, und das war mir letztlich kontraproduktiv erschienen. Wenn jemand etwas nicht wissen will, dann nutzt es auch nichts, ihm die Fakten auf den Tisch zu knallen. Das verhärtet nur die Fronten. Wie oft haben wir es an uns selbst erlebt? Und was ist schon die Wahrheit? Die Fakten? Seit Immanuel Kant und seiner speziellen Metaphysik hat sich unser Verhältnis zu dem, was „wirklich“ ist, sehr verändert.
Der Science-Fiction Autor Philip K. Dick gab in einem herrlichen Essay mit dem Titel Wie man eine Welt erbaut, die nicht nach zwei Tagen wieder auseinanderfällt, eine hübsche Antwort auf die Frage, was die Wirklichkeit ist. Eine Studentin der Philosophie hatte sich von ihm, dem berühmten Autor des Romans Do Androids Dream of Electric Sheep?, eine einfache und klare Antwort auf diese Frage gewünscht.
„Die Wirklichkeit ist das, was übrigbleibt, wenn man aufgehört hat, daran zu glauben.“
Ein – wie ich finde – unglaublicher Satz. Einerseits ist er Aufklärung im besten kantischen Sinn: Unser Erkenntnisapparat, das Gehirn, hat ein paar Probleme damit, die Wirklichkeit zu erkennen – wegen unserer Leichtgläubigkeit. Andererseits ist es ein geradezu mystischer Satz, denn er sagt auch, dass Wirklichkeit – oder zumindest schließt der Satz es nicht aus – verschwindet, wenn auch der Glaube weg ist. Glaube ist alles. Dick hatte viel Humor und genügend Verstand, seinen Lesern richtig gemeine Rätsel aufzutischen.
Der gemeinsame Ausflug kam nicht zustande. Und von Ehepaar Zaundorf habe ich seither nichts mehr gehört. Das ist besonders tragisch, weil ich ja gar nicht verhindern wollte, dass die Reise stattfindet. Ich wollte die Reise nur sicherer machen. Das hatte ich wohl falsch angepackt.
Frau Schaller? Sie ballte zum Abschied die Fäuste: „Jetzt weiß ich, warum sich Menschen das Leben nehmen.“ Sie ist dazu jedoch nicht in der Lage. Sie schließt Selbstmord auch für sich selbst aus. Und ist verzweifelt.
Allein der Gedanke, sich selbst zu töten, kann etwas Beruhigendes an sich haben. Im schlimmsten Fall beende ich alles. Ich entscheide – und kann so der fortschreitenden Erkrankung noch ein Fünkchen selbstbestimmtes Handeln entgegenhalten. Ein paar Kanonen im Handgepäck. Der Tod ist dann weniger erschreckend als der Verlauf der Demenz.
Die Sonne schien, milchig. Ich musste lange auf die Straßenbahn warten und konnte (musste) mir meine Gedanken machen. Gott, war ich unzufrieden. Mit mir, mit der Welt und letztlich auch mit der Rolle der Medien. Mit entsprechender Verachtung betrachtete ich die Zeitungsständer. Ich hatte ja Zeit, sie anzustarren, weil die Straßenbahn nicht kam. Steht das in der Zeitung? Wird sowas berichtet? Ich schüttelte den Kopf. Und bitte, wenn Sie mal jemanden sehen, der alleine irgendwo sitzt und den Kopf schüttelt: Urteilen Sie nicht vorschnell. Sie wissen nicht, was er gerade erlebt hat.
Wir alle warten. Auf was?2
Vor verschlossener Haustür stehen, läuten, einen Schritt zurücktreten und gucken, ob sich was tut. Es tut sich nix. Wieder läuten, warten, in die Stille lauschen. Eigentlich war das nichts Ungewöhnliches. Auch bei Herrn Bauer stand ich oft vor verschlossener Tür. Oder bei Frau Duman, einer fast 90-jährigen ehemaligen Unternehmerin, ziemlich schwerhörig. Frau Duman hätte übrigens bei ihrer Strategie bleiben sollen, nicht zu öffnen. Einmal wurde sie von einem Teppichhändler ausgeraubt. D...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Impressum
- INHALT
- Zum Autor
- VORWORT
- FRAU SCHWAN
- HERR BAUER
- FRAU GRUMMEL
- FRAU GUSTAV
- HERR HADLEK
- FRAU ASSMANN
- FRAU SCHALLER
- HERR MÜLLER
- FRAU KARL
- FRAU BAIER