
- 105 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
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eBook - ePub
Die Formen des Vergessens
Über dieses Buch
Vergessen und Erinnern bedingen einander. Augé unterscheidet im Verlauf der Geschichte und im Leben des Individuums drei Formen des Vergessens. Davon ausgehend zeigt er, welche Möglichkeiten der Gegenwärtigkeit im Vergessen liegen, und weist Wege zu einem glücklichen Leben im Hier und Jetzt.
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Information
DIE DREI FIGUREN DES VERGESSENS
Die Erinnerung an die Vergangenheit, die Erwartung der Zukunft und die Aufmerksamkeit für die Gegenwart bestimmen die Mehrheit der großen afrikanischen Riten, die sich somit vor allem als Dispositive zum Denken und Bewältigen der Zeit präsentieren. Wenn wir, was ich für möglich halte, versuchen, zwischen diesen Riten zu unterscheiden, je nachdem, ob sie hauptsächlich auf die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft abzielen, wird es uns nicht erstaunen, wenn wir bei ihnen trotz allem Zonen der Überlagerung (und folglich der Ambivalenz und Uneindeutigkeit) ausfindig machen: Keine Dimension der Zeit lässt sich in völliger Abstraktion der anderen denken, und der Ritus ist beispielhaft für die Spannung zwischen Erinnerung und Erwartung, die die Gegenwart charakterisiert, insofern er den Übergang von einem Vorher zu einem Nachher organisiert, für den er zugleich Mittler und Orientierungspunkt ist.
In bestimmten Riten, die ich aus diesem Grund als sinnbildlich bezeichnen möchte, lassen sich drei »Figuren« oder Formen des Vergessens erkennen.
Die erste ist die der Rückkehr (bzw. Wiederkehr). Ihr erstes Anliegen ist es, eine verlorene Vergangenheit wiederzufinden, indem die Gegenwart – und die unmittelbare Vergangenheit, mit der sie leicht durcheinandergerät – vergessen und so eine Kontinuität zur älteren Vergangenheit wiederhergestellt wird – ein »etwas ist geschehen« wird zugunsten eines ferneren »etwas geschah« getilgt.
Die Besessenheit ist die sinnbildliche Instituierung der Wiederkehr: In Afrika ebenso wie in Amerika muss derjenige, der entsprechend variabler ritueller Formen von einem Geist, einem Vorfahren oder einem Gott besessen war, diese Episode vergessen, sobald sie zu Ende ist. In seinem Bewusstsein wird dann die Gegenwart eines Anderen in ihm oder eines anderen Selbst ausgelöscht, doch die Anderen, die ihn umringt haben, waren Zeugen davon und manchmal auch Empfänger der Nachricht, die die besitzergreifende Macht durch den Mund des Besessenen übermittelte. Der Besessene seinerseits »kommt wieder zu sich«, »kommt wieder zur Besinnung« – alles Ausdrücke unserer Alltagssprache, die buchstäblich auf die Beschreibung der »Rückkehr« des Besessenen anwendbar sind.
Die zweite ist die des Schwebezustands. Ihr erstes Anliegen ist es, die Gegenwart wiederzufinden, indem sie provisorisch von der Vergangenheit und der Zukunft abgeschnitten wird und, genauer ausgedrückt, indem die Zukunft vergessen wird, sofern sich diese mit der Wiederkehr der Vergangenheit identifiziert. Die Riten, die diese Aufhebung der Zeit sinnbildlich in Szene setzen, fallen in entsprechende Übergangsperioden: zwischen zwei Herrschern, manchmal zwischen zwei Jahreszeiten. Die sexuelle oder soziale Inversion, die bei diesen Gelegenheiten oft gespielt wird (im theatralen Sinn des Wortes), manifestiert ihren Ausnahme- und in gewisser Hinsicht auch ihren Interimscharakter. Wer das Spiel der Inversion spielt (die Frau, die den Mann imitiert, der Sklave, der sich zum König ausruft), hebt spielerisch in sich die Präsenz von sich selbst auf, und es ist nicht ausgeschlossen, dass man sich dabei in seinem eigenen Spiel verfängt: Man ist nicht mehr, was man war, und man vergisst, was man wieder werden wird (man selbst) oder einst sein wird (ein Toter, im Fall des Sklaven, der dazu bestimmt ist, dem verstorbenen König in sein Schicksal zu folgen). Der Schwebezustand entspricht einer Ästhetisierung des gegenwärtigen Augenblicks, ausdrückbar nur im Futur II: »Zumindest das werde ich erlebt haben.«
Die dritte ist die des Beginns oder sagen wir des Neu-Beginns (wobei dieser letzte Begriff wohlgemerkt das ganze Gegenteil der Wiederholung bezeichnet: eine radikale Inauguration, bei der das Präfix Neu- nicht für »noch einmal« steht, sondern fortan die Möglichkeit mehrerer Anfänge für ein und dasselbe Leben impliziert). Ihr Anliegen ist es, die Zukunft wiederzufinden, indem die Vergangenheit vergessen wird, und die Bedingungen für eine neue Geburt zu erschaffen, die per definitionem offen ist für alle möglichen Zukünfte, ohne irgendeine von ihnen zu privilegieren. Die sinnbildliche rituelle Form für den Beginn oder Neu-Beginn wäre die Initiation, die unter jeweils variablen Umständen immer als eine Zeugung und Geburt dargestellt wird. Was also in dem Moment des Auftauchens eines neuen Zeitbewusstseins ausgelöscht oder vergessen wird, sind zugleich derjenige, der der Initiierte nicht mehr ist, und derjenige, der er noch nicht ist, der Selbe und der Andere in ihm. Die wiederzufindende Zukunft hat noch keine Form, oder genauer gesagt ist sie die inchoative Form der Gegenwart.
Letztlich wird das Vergessen immer in der Gegenwart konjugiert: in einer Form, die in die Gegenwart weiterwirkt, dem Präsensperfekt (»ich bin zurückgekehrt«), das bezeichnenderweise das Hilfsverb sein benutzt, ein Zustandsverb; im reinen Präsens, der bloßen Gegenwart des Augenblicks (»ich bin da«); im inchoativen Präsens, das sich auf die Zukunft hin öffnet (»ich gehe fort«). Ebenso gut könnten wir sagen, dass im Falle des Vergessens alle Zeiten Zeiten der Gegenwart sind, da die Vergangenheit in ihr verlorengeht oder wiedergefunden wird und die Zukunft sich in ihr nur andeutet. Diese Figuren, die ein klein wenig verwandt sind, die sich ähneln, die man manchmal miteinander verwechseln kann, weil sie alle drei Töchter des Vergessens sind, lassen sich auch in unseren Leben, sofern unsere Leben ihrer selbst bewusst sind, und in unseren Büchern, sofern unsere Bücher von unseren Leben erzählen, wiederfinden.
Jedoch noch zwei Details, bevor der Bereich unserer Überlegung erweitert wird.
Die »Figuren des Vergessens« und die »sinnbildlichen« Instituierungen, von denen sie illustriert werden, sind ambivalent: Sie gelten sowohl für eine Gemeinschaft als auch für Individuen. Besessenheit, Inversionsriten, Initiationen sind soziale Ereignisse, doch zugleich sind es individuelle Prüfungen. Die soziale Zeit und die individuelle Dauer werden von den gleichen Riten übernommen, »bearbeitet«, geformt. Doch deshalb müssen kollektive und individuelle Bedeutungen derselben nicht notwendigerweise übereinstimmen. Die Gemeinschaft bewahrt die Episoden der Besessenheit in Erinnerung; das besessene Individuum muss sie vergessen. Die Inversionsriten werden von denen, die ihre Hauptakteure sind, als »der Dauer enthoben« erlebt, doch für jene, die ihren Ablauf organisieren und kontrollieren, sind sie nur eine Sequenz in einem Drama, das deren mehrere besitzt. Die Initiation wird ein einziges Mal vom Initiierten als ein inauguraler, nie dagewesener und irreversibler Moment erlebt, doch später, wenn er und seine Gefährten Zeugen der Initiation anderer geworden sind, werden sie, genauso wie jene, die damals ihrer Initiation beiwohnten, empfänglicher für den Wiederholungscharakter des Ereignisses sein. Diese Ambivalenz hat allerdings Grenzen: Der Ritus wird zumeist in einer affektiven Atmosphäre abgehalten, in der sich zwischen den Teilnehmern und den Anwesenden eine Sympathie einstellt; zudem ist jedes rituelle Fest inaugural und hat ein gelungener Ritus immer einen inchoativen Wert: Er eröffnet die Zukunft oder eröffnet sie neu. Das Vergessen der Gegenwart, der Zukunft und der Vergangenheit, von dem soeben die Rede war, ist zunächst ein Vergessen seitens der Individuen, doch im rituellen Kontext ist es höchst ansteckend.
Die zweite Anmerkung, die wir hierzu machen können, berührt den Begriff des Individuums und relativiert die vorherige Opposition von Gemeinschaft und Individuum. In der Tat beweisen uns alle Szenarien, dass sich die individuelle Identität zur gleichen Zeit wie die Beziehung zum Anderen und gerade durch diese Beziehung konstruiert. In dieser Hinsicht sind die »Figuren des Vergessens« exemplarisch: Die Besessenheit gibt dem Besessenen in den Augen der Anderen ein Mehr an Identität; die Inversionsriten sind ganz offensichtlich sexuelle oder soziopolitische Identitätsmarker, gerade in dem Maß, in dem sie einen (gespielten) Willen in Szene setzen, sich von solcher Markierung freizumachen; die Initiation gibt dem Initiierten einen sozialen Status und schafft eine Solidarität zwischen »Absolventen«. Das Verhältnis zur Zeit wird immer im Singular-Plural gedacht. Was bedeutet, dass man mindestens zu zweit sein muss, um zu vergessen, das heißt, um die Zeit in den Griff zu bekommen.

Meine stärkste Erfahrung von Rückkehr hatte ich in Afrika. Ich habe mehrere Jahre dort gelebt, dann bin ich nach Frankreich heimgekehrt. In der Folgezeit bin ich in regelmäßigen Abständen immer wieder nach Afrika zurückgekommen, für Aufenthalte von einigen Monaten. Die Ankunft auf dem Flughafen an der Küste, am Rand von Lagune und Regenwald, hat mir immer die gleichen Sinneseindrücke verschafft oder aufgezwungen: die glühend heiße Schwüle der Luft, die mir ins Gesicht schlug, und der beißende Geruch der roten Erde. Das einzige, was der Brutalität dieses Empfangs, der man auf keine Weise entgehen konnte, ebenbürtig war, war die Einfachheit, mit der ich mich an dieses Leben gewöhnte, indem ich mich augenblicklich im wahrsten Sinne des Wortes wieder hineinwühlte und schlagartig wieder auf die Herzlichkeit der Freunde, die Stimmen und die Musik des »lokalen« Französisch, die Geräusche und Farben, die Dringlichkeiten des Moments (»Wohin führen Sie mich zum Abendessen?«) und die Sorgen des Vortags traf, als wenn ich tatsächlich erst gestern fortgegangen wäre und mit der lächelnden Zerstreutheit der Gewohnheit zu mir nach Hause zurückkehrte. Home, sweet home … Der tiefe Zauber, den Afrika auf mich immer ausübt, liegt an dieser enormen und überbordenden Mächtigkeit des Empfangs, die die vergangenen Zeiten, das Alter, die dahingeschiedenen Freunde überlebt und dem treuen Reisenden den Ausweg einer aufrechterhaltenen Gegenwart offeriert.
Manche Reisende aus Berufung wirtschaften sehr vorsichtig mit ihrem geographischen Kapital. Sie versuchen, einige Birnen für den Durst beiseite zu legen: irgendwelche terrae incognitae, irgendwelche zu erkundende Orte, die sie im Auge behalten in der Erwartung, eines Tages ihren Fuß in sie zu setzen; sie sparen sich künftige Emotionen auf. Doch es sind oft dieselben, die anderen Orten die Freuden der Rückkehr vorbehalten und versuchen, dort einige Stücke einer Vergangenheit, die weiterzuführen und zu vollenden ist, einige Formen von Gegenwart, die man später umtauschen kann, einige unveränderte Dekors für irgendwelche Parallelleben intakt zu halten.
Sie wissen sehr wohl, dass diese verschiedenen Leben nicht wirklich parallel verlaufen, wissen auch, dass sie, während sie von einer bewahrten Jugend zu einer anderen, von einem Kontinent zum nächsten hinüberwechseln, nicht aufhören werden, älter zu werden, aber es genügt ihnen, ausreichend geschmeidig eingewoben, ausreichend locker angeleint zu sein, um die Illusion haben zu können, das Verrinnen der Zeit durch die Bewegung im Raum zu bannen.
Was ihnen wichtig ist, ist das Glück oder vielmehr der Augenblick, und in dem Augenblick, in dem sie, verabschiedet vom Steward und den Stewardessen, aus dem Flugzeug heraustreten (gerade so, wie der Besessene unter dem gerührten und wachsamen Blick seiner Helfer aus seiner Besessenheit heraustritt), um sich in eine Vergangenheit gleiten zu lassen, die verlassen zu haben sie sich bereits nicht mehr erinnern können, fühlen sie sich unwiderstehlich glücklich.
Dennoch ist nichts schwieriger als eine glückende Rückkehr; dafür bedarf es einer großen Kraft zum Vergessen. Es nicht zu schaffen, seine jüngste Vergangenheit oder die jüngste Vergangenheit des Anderen zu vergessen, bedeutet, es sich zu verwehren, wieder an die frühere Vergangenheit anzudocken. Odysseus findet nur seinen Hund wieder; was den Rest angeht, bleiben die Freier selbst als Tote zu gegenwärtig, und man könnte darauf wetten, dass Penelope mehr Kraft zum Vergessen hat als ihr Gemahl, auch eine bessere Technik, da sie sich ja tage- und nächtelang darum bemüht hat, die Zeit von ihrem Lauf abzubringen, ihr Werk zu weben und wieder aufzutrennen. Odysseus hat zu viel erlebt und ist zu sehr von Groll erfüllt, als dass seine Rückkehr nicht vor allem eine geographische Rückkehr wäre, als dass es ihm nicht schwer fiele, in die wiedergefundene Kontinuität der Zeit hineinzuschlüpfen.
Den Roman des unmöglichen Vergessens und der unvollendeten Rückkehr, den Roman des Verlangens nach Rache schlechthin hat Alexandre Dumas geschrieben. Der Graf von Monte Christo illustriert auf schillernde und tragische Weise die Unfähigkeit der racheerfüllten Helden, wieder an den Faden der Zeit anzuknüpfen. Tatsächlich werden sie durch diese Unfähigkeit definiert; sie entspringt ihrem Verlangen nach Tat, das insofern grundlegend widersprüchlich ist, als es danach strebt, die alte Vergangenheit wiederzufinden, indem gegen jene vorgegangen wird, die sie entstellt, vom rechten Weg abgebracht, in die Irre geleitet haben, kurz, indem das Bild einer jüngeren Vergangenheit eifrig verfolgt und dabei verstärkt wird.
Ich habe kürzlich Der Graf von Monte Christo wiedergelesen und so selbst wieder angeknüpft an eine sehr ferne Vergangenheit, die ich zwar nicht mehr datieren könnte, doch an deren Existenz ich nicht zweifle (die Episoden der Erzählung zeugen dafür: ich erkenne sie wieder, kann sie »identifizieren«, wie es bei polizeilichen Ermittlungen heißt). Der Schlagschatten der Kindheit gibt so meiner »Relektüre« das sanft Behagliche der Gewohnheit, ohne ihr den Zauber des Unvorhergesehenen zu nehmen. Wiederlesen ist wieder erleben, ohne zu antizipieren, ist den Eindruck des Déjà-vu zu kultivieren, ohne darauf zu verzichten, die Dinge kommen zu sehen, als ob das Vergessen der Handlung, das sich erst im Rhythmus des Wiederlesens nach und nach auflöst, uns zugleich die Süße der Rückkehr und die Wonnen der Erwartung wiedergäbe.

Edmond Dantès hat nicht verziehen; man kann es verstehen, selbst wenn man annehmen möchte, dass sein unverschämtes Glück und sein unvorhergesehener Reichtum ihn hätten nachsichtiger stimmen können. Doch er ist ein von der Vergangenheit Besessener. Und genau darin liegt sein zweites Unglück: Auf der Suche nach dem Erinnern findet er nur das Vergessen. Zunächst das Vergessen der Anderen. Niemand erkennt ihn (außer Mercédès, doch das ist eine andere Geschichte); er selbst will im Übrigen gar nicht erkannt werden – nicht sofort. Er nähert sich maskiert. Im Hinblick auf die tiefliegende Vergangenheit ist seine Maske das Zeichen für ...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- INHALT
- PROLOG
- GEDÄCHTNIS UND VERGESSEN
- DAS LEBEN ALS ERZÄHLUNG
- DIE DREI FIGUREN DES VERGESSENS
- EINE VERPFLICHTUNG ZUM VERGESSEN
- Anmerkungen
- Impressum