Konrad Paul Liessmann
Lechts und rinks
Über Verwechslungsgefahren
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern.
werch ein illtum!
Ernst Jandl
Jandls Lichtung
Werch ein Illtum, in der Tat! Und ob man rechts und links verwechseln kann! Ernst Jandls berühmtes Gedicht aus dem Jahre 1966 machte mit viel Sprachwitz darauf aufmerksam, dass die politische Verortung ebenso einer Vertauschung unterliegen kann wie die Orientierung im Straßenverkehr, in der auch in Zeiten der digitalen Navigationssysteme auf die Anweisung »in 50 Metern links abbiegen« mit einem reflexartigen Lenkradeinschlag nach rechts reagiert werden kann. Jandls Gedicht trägt den mehrdeutigen Titel lichtung. »Lichtung« aber ist in der deutschen Philosophie ein großes Wort: Für den späten Martin Heidegger wurde es zu einem Zentralbegriff seines Denkens, der die Anwesenheit der Wahrheit des Seins ebenso markierte wie die Dunkelheit, die durch eine Lichtung gebrochen wird. Dass Heidegger das Kunstwerk, insofern es die Wahrheit des Seienden »ins Werk setzt«, mit der Lichtung assoziierte, gibt dem Gedicht des österreichischen Sprachkünstlers noch eine besondere Pointe: An manchen Stellen lichten sich die undurchdringlichen Wälder nur zum Schein, hier ist dann nichts entborgen und es gibt kein Weiterkommen. Bringt man die das Gedicht strukturierende Verwechslung von l und r auch auf den Titel in Anschlag, verwandelt sich die Lichtung schnell in eine »Richtung« – und auch dies meint die räumliche Orientierung ebenso wie die politische. So wie eine Lichtung mit einer Richtung, kann auch eine Richtung mit einer Lichtung verwechselt werden. Nicht jede Lichtung führt zu einer Erleuchtung, und nicht jede Richtung zu einem Ziel.
Welche Richtung aber ist die richtige? Und besteht die Gefahr der Verwechslung nicht darin, einer politischen Orientierungsangabe zu trauen, die in die Irre führt? Linke Politik, die den Großkonzernen dient; Terroristen, die Sozialarbeit leisten; rechte Intellektuelle, die die Freiheit verteidigen? Wohin soll man sich da noch wenden? Die Richtung, also der rechte Weg, den man einschlägt, die Entscheidung, nach links oder nach rechts zu gehen, erinnert an die nicht minder berühmte »Kleine Fabel« Franz Kafkas aus dem Jahre 1920: »›Ach‹, sagte die Maus, ›die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.‹ – ›Du mußt nur die Laufrichtung ändern‹, sagte die Katze und fraß sie.«
Kafkas Maus
Es wäre in der Tat verlockend zu sagen: Genau das ist unsere Situation heute. Leiden wir denn nicht im Gegensatz zur Legende von der Orientierungslosigkeit der Moderne an dem Gefühl der Ausweglosigkeit, die das Resultat zusammenfallender Gegensätze ist? Als die Welt noch offen und unbekannt war, als eine Gesellschaft sich herausbildete, deren Entwicklungsrichtung noch beeinflussbar schien, konnte man nach Orientierung suchen, nach Anhaltspunkten, die angaben, wo man sich befand und wie es weitergehen sollte. Rechts und links waren, im räumlichen und im politisch-metaphorischen Raum, solche verlässlichen Markierungen gewesen. Gerne wurde man in jenen Zeiten gefragt, wo man den nun stehe, und dies auch dann, wenn man direkt vor dem Fragesteller stand. Rechts und links kann zwar auch Kafkas Maus unterscheiden, aber rechts und ...
