TEIL 1
WARUM FAMILIENUNTERNEHMEN EINE INHABERSTRATEGIE BRAUCHEN
Familienunternehmen sind etwas Besonderes. Sie sind wahrscheinlich die älteste Organisationsform menschlichen Wirtschaftens. Schon die Bauern und Handwerker der Frühzeit arbeiteten mit und für ihre Familien. Und viele Unternehmer in den kapitalistischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts tun dies auch heute noch. Unternehmerisch tätige Familien wie die Fugger, Medici oder Rothschilds, die Rockefellers oder Fords, die Krupps, Porsches oder Tatas haben Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Zwar sind Familienunternehmen inzwischen nicht mehr die einzige Form organisierten Wirtschaftens, doch noch immer bilden sie das ökonomische Rückgrat unserer Gesellschaft. Keine andere Form trägt so viel zum Sozialprodukt bei, beschäftigt so viele Menschen und zahlt so viele Steuern wie die Familienunternehmen. Und keine andere Form ist so tief in der Gesellschaft verankert. Der für Deutschlands Familienunternehmen typische Dreiklang aus ökonomischer Erfolgsorientierung, sozialer Verantwortung und regionaler Verwurzelung verleiht dem Familienkapitalismus ein menschliches Antlitz und macht ihn sympathisch.
Dazu sind Familienunternehmen anpassungsfähig. Altertum oder Mittelalter, Renaissance oder industrielle Revolution, das Gesicht der Familienunternehmen hat sich häufig gewandelt. Die Sorge, der Typus Familienunternehmen könne vom Aussterben bedroht sein, wurde zwar oft geäußert, bewahrheitet hat sie sich bis heute nicht. Auf den Handwerker folgte die Manufaktur und auf diese der industrielle Fabrikant. Ändert sich der Charakter unseres Wirtschaftens, verändert sich auch der vorherrschende Typus unserer Familienunternehmen. Und ändert sich der Charakter der Familie, verändern sich auch unsere Unternehmerfamilien. So war es bis heute und so wird es wahrscheinlich auch morgen sein. Das Ergebnis ist eine faszinierend bunte Landschaft aus Landwirten, Handwerkern, Dienstleistern, Händlern, Industriellen und wahrscheinlich bald auch digitalen Familienunternehmen – und aus unterschiedlichen Unternehmerfamilien: kleinen wie großen, alten wie jungen, traditionellen und bunten, geschlossenen und offenen Systemen.
Gewiss, nicht alle Familienunternehmen überleben. Das Buddenbrook-Syndrom, die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Unternehmerfamilie, ist ein weltweit bekanntes Phänomen. Aber Aufstieg und Fall sind keine Besonderheit von Familienunternehmen. Alle von Menschen geschaffenen Systeme sind endlich wie der Mensch selbst. Unternehmen entstehen, wachsen, reifen und vergehen ebenso wie Religionen, Staaten oder politische Parteien. Das gilt für Familienunternehmen nicht anders als für Publikumsgesellschaften oder Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand. Die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen in Familienbesitz wird auf drei Generationen veranschlagt und ist damit sogar eher länger als die von Publikumsgesellschaften. Zudem kann sie verlängert werden. Die ältesten Familienunternehmen sind mehrere Hundert Jahre alt und die Zahl derjenigen, die sich seit sieben, acht oder noch mehr Generationen im Familienbesitz befinden, ist keineswegs gering.
Aber nicht alle Familienunternehmen werden gleich alt. Und auch nicht gleich groß. Die meisten sind klein und mittelständisch. Manche schaffen nicht mehr, andere wollen es nicht. Vielen genügt ein Unternehmenszuschnitt, der die Familie ernährt. Doch nicht alle denken so. Die bereits erwähnten Fugger, Medici & Co. haben große Imperien errichtet. Zwar hat das Aufkommen großer Kapitalsammelstellen seit der industriellen Revolution die Unternehmenslandschaft im Bereich der Großunternehmen verändert. Aber noch immer befinden sich 30 bis 50 Prozent der größten Unternehmen in den kapitalistischen Volkswirtschaften des Westens unter familiärer Kontrolle. In aufstrebenden Volkswirtschaften liegt der Prozentsatz häufig noch höher. Familienunternehmen gibt es in jeder Größe – von ganz klein bis ganz groß. Allerdings weist Deutschland bei der Unternehmensgröße seiner Familienunternehmen eine Besonderheit auf. Während Familienunternehmen in anderen Ländern oft an der Spitze und am unteren Ende der Größenpyramide zu finden sind, gibt es in Deutschland einen starken, überwiegend industriellen Mittelstand, um den uns viele beneiden.
Unterschiedliche Größe hat oft auch mit unterschiedlichem Erfolg zu tun. Denn nicht alle Familienunternehmen sind gleich erfolgreich. Einige stecken sich höhere Ziele als andere und nicht alle erreichen die selbstgesteckten Ziele. Manche Familienunternehmen sind extrem profitabel, andere weniger. Aber es ist ganz sicher falsch, Familienunternehmen generell als »zweitklassig« oder »mittelmäßig« zu diffamieren. Das legendäre Verdikt des amerikanischen Managementdenkers Alfred Chandler, Familienunternehmen seien nur eine »unvollkommene Vorstufe auf dem Weg zur managergeführten Publikumsgesellschaft«, ist längst widerlegt. Der Erfolg eines Unternehmens hängt nicht von seiner Gruppenzugehörigkeit ab, sondern von einer Vielzahl externer und interner Faktoren. Familienunternehmen sind nicht per se weniger erfolgreich als Publikumsgesellschaften. Es gibt erfolgreiche und weniger erfolgreiche Familienunternehmen ebenso, wie es erfolgreiche und weniger erfolgreiche Publikumsgesellschaften gibt. Zu guter Letzt sei die Frage erlaubt: Was ist eigentlich Erfolg? Ist er nur eine Steigerung des Shareholder- oder auch des Stakeholder-Values? Kurzfristige Gewinnmaximierung und Wertsteigerung oder langfristige Überlebenssicherung und Generationenkontinuität? Und spielen überhaupt nur ökonomische Aspekte oder auch andere, zum Beispiel emotionale Gesichtspunkte, eine Rolle?
Die Landschaft der Familienunternehmen ist bunt und vielfältig. Es gibt sie groß und klein, alt und jung, mit vielen und mit wenigen Inhabern, offen und geschlossen, in schwierigen und in einfachen Märkten, international und regional, erfolgreich und weniger erfolgreich, einig und zerstritten und in vielen anderen Facetten. Aber eines verbindet sie alle: die auf Generationen angelegte dominante Inhaberschaft einer Familie über ein Unternehmen.
Was ist ein Familienunternehmen?
Familienunternehmen unterscheiden sich von anderen Organisationsformen unternehmerischen Wirtschaftens per definitionem nicht durch Faktoren wie Größe, Alter, Erfolg oder die Frage, wer das Unternehmen führt. Entscheidend ist die Struktur der Inhaberschaft. Und die ist in einem Familienunternehmen durch drei Faktoren bestimmt.
- 1. Es handelt sich um eine dominante Inhaberschaft. Es gibt eine Person oder Gruppe, die aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Stimmenmehrheit oder gesellschaftsrechtlicher Konstruktion in der Lage ist, die wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens in ihrem Sinne zu bestimmen.
- 2. Der dominante Inhaber ist kein Investor, sondern eine Familie. Zum gemeinsamen Interesse am Erfolg des Unternehmens tritt die verwandtschaftliche Verbundenheit der Investoren als zusätzliches bestimmendes Element.
- 3. Die dominante Inhaberschaft der Familie ist auf Dauer angelegt. Sie soll für mindestens eine Generation bestehen bleiben.
Was ist ein Familienunternehmen?
Mit seinen drei begriffsprägenden Merkmalen dominante Inhaberschaft, familiäre Inhaberschaft und generationsübergreifende Inhaberschaft unterscheidet sich das Familienunternehmen von allen anderen Unternehmenstypen. Ihm geradezu entgegensetzt ist die Publikumsgesellschaft mit ihrer fragmentierten Inhaberstruktur aus kurzfristig orientierten Investoren. Aber auch zu den anderen unternehmerischen Organisationsformen bestehen gravierende Unterschiede. So haben Unternehmen im Besitz von Finanzinvestoren oder im Besitz der öffentlichen Hand zwar auch einen dominanten Inhaber, dessen Typus und zeitliche Investitionsperspektiven sind jedoch völlig unterschiedlich.
Unterschiede in der Inhaberschaft zwischen Familienunternehmen und anderen Unternehmenstypen
Es ist wichtig, diese Unterschiede zu kennen und zu verstehen. Denn sie haben Konsequenzen. Als Folge der Unterschiede in der Inhaberschaft haben die Unternehmen unterschiedliche Aufträge zu erfüllen, sie verfolgen unterschiedliche Ziele und haben andere Werte. Familienunternehmen müssen die Bedürfnisse einer generationsübergreifend denkenden Familie befriedigen, Publikumsgesellschaften diejenigen kurz- oder mittelfristig orientierter Investoren. Und in Unternehmen im Besitz der öffentlichen Hand geht es darum, neben dem ökonomischen Interesse des Unternehmens die politischen Interessen des dominanten Inhabers im Auge zu behalten.
Weil unterschiedliche Aufträge, Ziele und Werte immer auch zu unterschiedlichen Strategien und Strukturen führen müssen, braucht jeder Unternehmenstypus ganz spezifische, auf seinen Auftrag und sein Ziel- und Wertesystem zugeschnittene Strategien und Strukturen. Eine am Leitbild der Publikumsgesellschaft orientierte Betriebswirtschaftslehre ist für die Familienunternehmen nur begrenzt von Nutzen. Sie brauchen ihre eigene BWL – eine, die ihrer besonderen Inhaberschaft Rechnung trägt.
Es ist wie im richtigen Leben – alles hat Vor- und Nachteile, jeder »Nutzen« seinen »Preis«. So auch die besondere Inhaberschaft im Familienunternehmen. Mit jedem ihrer drei begriffsbestimmenden Merkmale sind Chancen ebenso verbunden wie Risiken.
Dominante Inhaberschaft verkürzt die Distanz zwischen Inhabern und Management und macht klar, wer am Ende das Sagen hat. Entsprechend kann in Unternehmen mit einem dominanten Inhaber schneller entschieden werden und es ist eher gewährleistet, dass die Manager verantwortungsbewusst mit dem Geld der Inhaber umgehen. Aber wer hindert den dominanten Inhaber daran, seine Macht zu missbrauchen und Entscheidungen durchzusetzen, die dem Unternehmen schaden?
Auch der familiäre Charakter der dominanten Inhaberschaft ist ein zweischneidiges Schwert. Familien können einem Unternehmen viel geben: Know-how, Erfahrungen, Enthusiasmus sowie ein Bonus beim Aufbau von Vertrauenskapital wären beispielhaft zu nennen. Und Loyalität. Familien stehen auch in schlechten Zeiten zusammen. Das Unternehmen ist für sie mehr als nur ein rationales Investment. Es ist Teil ihrer Geschichte und ihrer Identität, und die Verknüpfung von Unternehmens- und Familienzugehörigkeit verstärkt die Bindungskräfte noch.
Aber im Unternehmen wirken immer auch negative Emotionen wie Neid, Eifersucht und Missgunst als Folge empfundener Benachteiligungen oder Bevorzugungen bei der Verteilung von Geld, Macht und Liebe. Und weil es im Familienunternehmen um überdurchschnittlich viel Geld, Macht und Anerkennung geht, ist die Gefahr von Konflikten in Unternehmerfamilien überdurchschnittlich groß und es besteht die begründete Gefahr, dass diese Konflikte nicht auf die familiäre Ebene beschränkt bleiben. Streit ist einer der größten Wertvernichter im Familienunternehmen und die Geschichten großer Familienfehden mit tragischem Ausgang sind Legion.
Hinzu kommt eine weitere Herausforderung. Der Wille, die bestimmende Inhaberposition über das Unternehmen dauerhaft aufrechtzuerhalten, reduziert dessen Wachstumspotenzial auf die Ressourcen, die von der Familie zur Finanzierung – insbesondere mit Eigenkapital – zur Verfügung gestellt werden können. Und das ist in aller Regel weit weniger als die Kapitalien, die über den Kapitalmarkt eingesammelt werden könnten. Da die Sorge, die unternehmerische Unabhängigkeit zu verlieren, darüber hinaus auch die Möglichkeiten zur Fremdkapitalfinanzierung begrenzt, ergibt sich im Familienunternehmen die Notwendigkeit, unternehmerischen Erfolg mit vergleichsweise geringeren finanziellen Mitteln suchen zu müssen.
Chancen und Herausforderungen verbinden sich schließlich auch mit dem letzten Begriffsmerkmal, dem generationsübergreifenden Charakter der Inhaberschaft. Langfristiges Denken gehört zum genetischen Code des Familienunternehmens. Hier denkt man nicht in Berichtsquartalen, sondern in Nachfolgegenerationen. »Unser Ziel ist es nicht, alle drei Jahre den Wert unseres Unternehmens zu verdoppeln, sondern alle 30 Jahre ein intaktes Unter...