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Einführung: Aufgaben und Auswirkungen der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft dient mit dem überwiegenden Teil ihrer Erzeugnisse der Ernährung der Menschen und erfüllt für sie ein elementares ökologisches Bedürfnis, das auf andere Weise nicht mehr befriedigt werden kann. Dafür beansprucht sie weite Bereiche der terrestrischen Erdoberfläche, in Deutschland über die Hälfte (53 %) des Landes (Abb. 1.1). Durch landwirtschaftliche Tätigkeit ist, trotz oder sogar wegen der von ihr verursachten ökologisch nachteiligen Eingriffe in die Natur, aber auch die abwechslungsreiche ländliche Kulturlandschaft mit einer großen Vielfalt von Ökosystemen, Biotopen und Arten entstanden, wie sie die Natur von sich aus in dieser Form nicht hervorgebracht hätte. Die Erhaltung dieser Vielfalt, die von der modernen Gesellschaft vor allem unter dem Namen „Biodiversität“ sowohl als eigener, kultureller Wert als auch in gewissem Umfang als lebensnotwendig erkannt wurde, ist seit Ende des 20. Jahrhunderts ein Hauptanliegen des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Abbildung 1.1 Kleinstrukturierte Agrarlandschaft bei Frankershausen im östlichen Meißnervorland (Nordhessen) (Quelle: © Ulrich Hampicke).
Durch die Einflüsse und Ansprüche eben dieser modernen, städtisch-industriell geprägten Gesellschaft ist aber im 20. Jahrhundert die Landbewirtschaftung mit Pflanzenbau und Viehhaltung – wohl ungewollt und kaum bewusst – so umgestaltet worden, dass sie zum Hauptverursacher für den großflächigen Rückgang der landschaftlichen und biologischen Vielfalt und damit zum maßgeblichen Gegenspieler zu den Zielen und Interessen des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden musste. Die Landwirtschaft ist damit in eine zutiefst widersprüchliche Rolle in der menschlichen Gesellschaft geraten. Einerseits ist sie für deren Nahrungsversorgung und seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch noch für die Erzeugung von energieliefernder Biomasse unentbehrlich, kann diese Aufgaben aber andererseits nicht mehr oder nur noch sehr beschränkt mit den Methoden und Verfahren gewährleisten, die einst die ländliche Kulturlandschaft mit ihrer großen (nicht nur biotischen) Vielfalt entstehen ließen.
Aus diesem Gegensatz erwächst die Frage, welche Rolle die Landbewirtschaftung, die auf die in ihrem Namen enthaltenen ökonomischen Antriebe und Ziele angewiesen bleibt, in einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung, mit Einschluss von Naturschutz und Landschaftspflege, in Zukunft spielen kann und wird. Eine Antwort auf diese Frage erfordert die Kenntnis der Entwicklung der Landwirtschaft, wie sie nachstehend aus ökologischer Sicht und unter Hervorhebung der Eigenarten, die für den heutigen Naturschutz wichtig sind, gegeben werden soll. Daraus wird klar, wie die „Natur“, auch angesichts ihres steten Wandels, zum schutzwürdigen und -bedürftigen Gegenstand werden konnte (Siemann und Freytag 2003), selbst wenn keineswegs alle Gesellschaftsbereiche ihn in der Praxis als solchen betrachten. Vorausgeschickt sei ein Überblick über die grundsätzliche Bedeutung der Landwirtschaft für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft.
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Landwirtschaft im Zusammenhang der Menschheits- und Gesellschaftsentwicklung
2.1 Eine neue Art der Nahrungsversorgung
Landwirtschaft ist im Maßstab der Menschheitsgeschichte eine relativ junge Unternehmung, die ca. 600, in Mitteleuropa höchstens 325 Generationen (zu je 30 Jahren) beschäftigt hat (Pretty 2002). Vorher haben mehr als 100 000 Menschengenerationen ihre tägliche Nahrung – als wichtigste ökologische Lebensgrundlage – genau wie alle anderen heterotrophen Lebewesen durch Sammeln und Jagen erwerben müssen, also in, mit und von der (wilden) Natur gelebt. Diese Art individueller Selbstversorgung könnte mit zunehmender Bevölkerungsdichte – ein Zeichen, dass sie recht erfolgreich war! – jedoch an ökologische Grenzen gestoßen sein: Vervollkommnete Jagdund Sammeltechniken verminderten, wenn auch nicht überall, die Bestände der von den Menschen begehrten Tiere und Pflanzen und schmälerten die Nahrungsbasis; die dadurch ausgelöste Suche nach neuen Wegen zur Nahrungsbeschaffung führte zu der Erkenntnis, Nahrungsmittel aus kontrollierter Haltung ausgewählter domestizierter Tiere und durch Anbau ausgewählter Pflanzen in Reinbeständen zu gewinnen (wobei diese Lebewesen zugleich oft auch als Werkzeuge, Baumaterial, Kraftquelle und Transportmittel dienten; vgl. Sieferle (2003), S. 46. Die einst in der Natur räumlich oft weit verstreuten Nahrungsgüter wurden an den menschlichen Wohnplätzen konzentriert, die damit zugleich dauerhafter als bisher angelegt und eingerichtet werden mussten und die Menschen zu stärkerer Sesshaftigkeit veranlassten. Motivationen und Auslöser für den Übergang zu dieser neuartigen Lebens- und Wirtschaftsweise werden bis heute sehr unterschiedlich gedeutet. Er begann jedenfalls in größeren Flussniederungen und locker bewaldeten oder waldarmen Flach- und Hügelländern der warm gemäßigten bis subtropischen Klimazonen, u. a. in Mesopotamien (heute: Irak), Ägypten, Indien und China. Von dort breitete sich die neue Art der Landnutzung innerhalb weniger Jahrtausende in alle dafür geeigneten oder anpassbaren Gebiete aus, allerdings mit unterschiedlichen, stärker individuellen oder gemeinschaftlichen Organisationsformen, und erreichte im 7. Jahrtausend v. Chr. auch Mitteleuropa, wo sie sehr wahrscheinlich auch durch ein relativ sommerwarmes und -trockeneres Stadium der nacheiszeitlichen Klimaentwicklung (Atlantikum; vgl. Wanner et al. 2008) begünstigt wurde (Tab. 2.1). Die weiteren Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Landwirtschaft Mitteleuropas.
Tabelle 2.1 Klimawandel, Kulturstufen und Entwicklung der Landwirtschaft in Mitteleuropa.
2.2 Eine neuer Umgang mit der Natur – und ein „neuer Mensch“
Durch die neue Art der Nahrungsversorgung wurden erstmalig belebte natürliche Systeme (Ökosysteme) des festen Landes in die Dienste der Menschen genommen. Dieser Vorgang gilt als ein fundamentaler (Fort-)Schritt der kulturellen Evolution, mit dem die biologische Evolution von nun an überlagert und teilweise auch gesteuert wurde; man spricht daher von einer „Kultivierung“ der bis dahin wilden Natur. Sie umfasst ein Bündel gezielter Eingriffe in Boden, Wasserhaushalt, Pflanzendecke und Tierwelt mit Umlenkung biogeochemischer Stoffflüsse und hat das Ziel, jene Systeme in einen für die Menschen nützlicheren und wünschenswerteren Zustand zu bringen und in diesem auch zu erhalten. Zugleich wird die von Natur aus geringe Energiedichte der Sonnenstrahlung, die grundsätzlich nicht verändert werden kann, örtlich gebündelt und biotechnisch stärker konzentriert (Sieferle 2003, S. 47; Haber 2007 b). Das grundsätzlich Neue daran ist die Abkehr von der – für Jäger und Sammler typischen – bloßen Entnahme von nutzbaren „Biomasse“-Anteilen aus einer unbeeinflussten natürlichen Erzeugung. Durch die Kultivierung wurde diese nunmehr, in räumlich zunehmendem Umfang und durch Artenkonzentration, auf gesteigerte Produktion der erwünschten Biomasse und deren verbesserte Aneignung umgestaltet. Neben das „Sichentwickelnlassen“ der Natur setzte der Mensch nunmehr das „Entwickelnwollen“ (zwei Bedeutungen im Begriff „Entwicklung“, die oft nicht unterschieden werden!). Die Kultivierung betraf aber nur bestimmte Bereiche oder Funktionen der Ökosysteme, ließ der Natur also noch Spielraum und wollte oder konnte Grundprozesse wie den Antrieb der Sonnenenergie, die Photosynthese und das Wettergeschehen ohnehin nicht beeinflussen.
Die kultivierten Ökosysteme sowie ihre Pflanzen und Tiere, die nun in menschlichen Diensten standen, wurden in ihrem Lebensablauf von diesen abhängig, erlegten ihrerseits den Menschen aber auch einen recht genau geregelten Arbeitsablauf auf – oft, vor allem bei Tieren, sogar im täglichen Rhythmus. Küster (2009) nennt die Landwirtschaft daher eine „tägliche Plackerei“. Denn die „dienenden“ Lebewesen bedürfen ständiger Aufsicht, Pflege und Betreuung sowie auch des Schutzes. Dieser richtete sich einmal gegen die „wilde“ Natur, aus der sie zwar stammten, in die sie aber nicht zurückkehren – d. h. nicht „verwildern“ – durften und die sie auch bedrohen oder gefährden konnte. Zum andern mussten Felder mit angebauten Pflanzen vor Tieren – auch vor den eigenen Nutztieren! – und vor anderen Menschen, die die Ernte stehlen oder zerstören könnten, geschützt werden. Das in diesem Zusammenhang verwendete Wort „Schutz“ hat also ein grundsätzlich anderes Ziel als im Begriff Naturschutz, auf den dieses Handbuch besonders eingeht.
Durch die Kultivierung, auch Land- oder Landeskultur genannt, entstanden die vom Menschen abhängigen „Nutzorganismen“ als eine ganz neue Kategorie von Lebewesen – wobei der Begriff „Nutzen“ weit über die Nahrungs- und Rohstoffproduktion hinausgeht und auch solche Lebewesen einschließt, die nur wegen ihres Schmuck- oder Zierwerts gehalten werden. Damit ist eine stetige, bewusste Auslese und Züchtung verbunden, die die Nutzorganismen tiefgreifend verändert sowie ihren Ursprungsformen entfremdet hat, die z. T. sogar ausgestorben sind. Es änderten sich aber auch die Menschen (Laland et al. 2010). So entstand z. B. bei den Europäern die vorher nicht vorhandene Fähigkeit zur Milchverdauung, die einen entscheidenden Selektionsvorteil bei der Entwicklung der sesshaften Ackerbauer und Viehzüchter im mittleren und nördlichen Europa gebracht hat (Burger et al. 2007) und sogar als die wirkungsvollste Veränderung im menschlichen Genom überhaupt bezeichnet wird. Daneben entwickelte sich aber auch, und zwar innerhalb relativ weniger Generationen, ein ganz neues menschliches Verhalten als eine aus biologischer Sicht ungewöhnliche Wandlung, eine „Psychoevolution“ (Lüning 1989). Sie war bedingt durch längeres Zusammenleben größerer Menschengruppen am gleichen Ort, erforderte neue Regeln mit strengerer Arbeitseinteilung, neues Recht und sogar eine neue Moral. Die „neuen“ Menschen (Leonard 1974) hatten sich einen Teil der Natur, nämlich die kultivierten Systeme mit den Nutzorganismen, im biblischen Sinn untertan gemacht, den sie aber wie erwähnt gegen die „übrige“ Natur, der er abgerungen war, stets verteidigen mussten. Eine solche Einstellung, nämlich Schutz vor der (wilden) Natur, hat seitdem wie erwähnt über 300 Menschengenerationen geprägt! Dem Schutz dieser Natur vor den und für die Menschen widmen sich erst vier bis fünf Generationen – und auch nur Teile von ihnen (s. Abschnitt 6.5).
Aus der heutigen Sicht der Ökologie, wie auch des Naturschutzes und der Landschaftspflege, ist der Übergang zur Landwirtschaft der wohl folgenschwerste irreversible, nie wieder ausgleichbare Eingriff in die Natur gewesen, auch wenn er zunächst nur lokal oder regional begrenzt war. Denn von nun an unterschieden die Menschen eine wilde von einer domestizierten Natur als ihrer neuen Lebensgrundlage, die zwar aus der wilden Natur stammte, aber ständig gegen sie verteidigt, also Schutz erhalten musste. Erst damit begannen die Menschen – und zwar wohl nicht nur aus freien Stücken – sich eine eigene Umwelt, ja ihre eigene Biosphäre (Anthroposphäre) zu schaffen, die auch alle in Symbiose mit den Menschen lebenden, anpassungsfähigen Lebewesen begünstigt (McNeill 2003, S. 209). Mit der Landwirtschaft schränkten die Menschen auch erstmals und massiv die biologische Vielfalt der Natur ein, und zwar gleich doppelt: Sie reduzierten ihre Nahrungsbasis auf eine sehr kleine Auswahl von Pflanzen und Tieren – und hielten diese, vor allem die für die quantitative Grundversorgung als optimal erkannten Ackerpflanzen (Getreide), in möglichst reinen Beständen (Haber 2007 b, S. 360). In heutiger, ethisch motivierter Anschauung wird mit dem jungsteinzeitlichen Übergang zur Landwirtschaft die menschliche „Naturverletzung“ eingeleitet, die seitdem ständig eskaliert ist (Henrich 2003). Nach einer anderen, aber vergleichbaren Denkart sprechen Fischer-Kowalski et al. (1997) von der „Kolonisierung der Natur“1), womit Vorstellungen von Unterwerfung und Ausbeutung verbunden sind. Aus solchen Auffassungen begründet sich der Naturschutz, der dennoch eine die menschliche Existenz tragende Naturnutzung voraussetzt. Diese begründete aber auch die kultivierte Natur als „Kulturlandschaft“, die ihrerseits zum Gegenstand des Naturschutzes wurde. Schon hier erscheinen naturschutzinterne Widersprüche, die sich in der Moderne verschärfen sollten (vgl. Bätzing 2003, S. 210; Abschnitt 10.2).
Während Sammeln und Jagen überall möglich war, wo es Pflanzen und/oder Tiere in genügender Zahl oder Masse gab, also die Natur insgesamt beanspruchten (und störten oder verletzten), war Landwirtschaft auf die dafür geeigneten Flächen beschränkt, Ackerbau sogar nur auf die geeigneten Böden (vgl. Haberl 1999). Dies brachte die Menschen in eine vorher nicht gekannte Abhängigkeit von bestimmten Naturgegebenheiten. Doch blieben damit auch große, regional freilich unterschiedliche Bereiche der Natur nunmehr von ständigen menschlichen Eingriffen relativ verschont und wurden in einigen Kulturen sogar örtlich mit Tabus belegt. Auch dies ist eine frühe Wurzel oder Voraussetzung des Naturschutzes. Andererseits schufen die Menschen mit dem Übergang zur Landwirtschaft auch eine neue, landwirtschaftliche Vielfalt: in vielen Sorten und Formen domestizierter Tiere und Pflanzen, in Haltungsweisen, Anbauformen und Kultivierungstechniken, Pflege- und Betreuungsmethoden bis hin zu baulichen Anlagen (vgl. Abschnitt 4.6.2). Große Teile dieser Vielfalt wurden später Objekte des modernen Naturschutzes, oft in Verkennung ihrer Herkunft. Hunderte von Bauerngenerationen haben diese landwirtschaftliche Vielfalt, die ja nicht sich selbst überlassen bleiben durfte, bewirtschaftet, gepflegt und erhalten; dies unterscheidet sie von der natürlichen (einschließlich der biologischen) Vielfalt (Oetmann-Mennen 1999, S. 128).
Damit hatte der unumkehrbare Prozess der kulturellen Evolution begonnen, dem die Landwirtschaft als ihr Hauptantrieb noch eine sich selbst verstärkende Tendenz oder Aufwärtsspirale einfügte. Höhere Versorgungssicherheit ermöglichte eine Zunahme der menschlichen Bevölkerung, erforderte aber auch die Abwehr menschlicher und nicht menschlicher Konkurrenten, Feinde und Schädiger – und damit mehr Arbeitskräfte, die aber wieder höhere Nahrungserzeugung, d. h. eine intensivere Kolonisierung und Produktion brauchten. Markl (1990) fasste diesen Vorgang in das Bild des kulturellen Stromes, in den sich die jungsteinzeitlichen Bauern begeben hatten und der sie unaufhaltsam immer weiter fortriss von ihren Ursprungsquellen, immer schneller in kulturelles Neuland trieb – denn jede Bemühung, sich in diesem Strom über Wasser zu halten, bedeutete ja weiteres Fortgetragenwerden! Der Mensch, der sich schon in der Sammler-Jäger-Zeit zu einem für andere Tiere „unberechenbaren Primaten“ entwickelt hatte, wurde nun erst recht zur Gefahr für zahlreiche andere Lebensformen auf der Erde (McNeill 2003, S. 209), für deren Erhaltung Ökologie und Naturschutz im Grunde viel zu spät gekommen sind (Uekötter 2003, S. 35; Haber 2007 a, S. 150, Haber 2007 b, S. 359).
2.3 Eine revolutionäre Veränderung in der Menschheit
So wurde, und zwar aus rein ökologischem Antrieb, die Landwirtschaft und mit ihr die kultivierte, also nicht mehr wilde Natur zur eigentlichen Lebensgrundlage der „neuen“ Menschen. Sie ist damit der älteste Wertschöpfungsprozess der Menschheitsgeschichte (Lehmann 2006). Zunächst diente sie nur der Selbstversorgung der Familien oder Kleingruppen. In der Folge der Generationen erwies sich eine wachsende Zahl von Bauern in der Landnutzung als so erfolgreich, und diese selbst als so ergiebig, dass die Nahrungsmittelerzeugung den Eigenbedarf beachtlich zu übersteigen begann. Diese Mehrproduktion konnte die Lebensbasis für eine immer größere Zahl von Menschen bieten, die damit von der Notwendigkeit und Mühsal eigenständiger Nahrungsgewinnung und Ernährungssicherung entlastet waren und sich anderen, stärker geistig-schöpferischen Tätigkeiten zuwendeten. Es war diese Bevölkerungsgruppe, in der sich Handwerk und Handel, Bildung, Kunst und Religion wie auch soziale Organisation und viele weitere Fähigkeiten entwickelten, mit denen sie den weiteren kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt an sich zog. Die bäuerliche Mehrproduktion erzeugte Güter mit Tauschwert, und mit ihnen entwickelte sich die menschliche Ökonomie mit dem Markt als Träger und Regulativ, lange bevor es Münzen oder Papiergeld gab. Die Erfindung der Landwirtschaft und die von ihr bewirkte, den eigenen Ernährungsbedarf übersteigende Mehrproduktion führten so zu einer grundlegenden, dauerhaften Aufteilung der Menschen in Landwirte (Erzeuger) und Nichtlandwirte (Verbraucher2)) und rechtfertigen daher die von Childe (1951) eingeführte Bezeichnung „Agrarische (oder Neolithische) Revolution“. Sie gilt allerdings weniger für den Übergang zur Landwirtschaft als für die dadurch bedingten Veränderungen im Leben der Menschheit. Manning (2004 beschrieb sie mit den (unübersetzbaren) Worten: „How agriculture has hijacked civilisation“! Im Grunde wird damit nur das vernünftige Prinzip der Arbeitsteilung, das bis dahin nur für die Familie oder die menschliche Kleingruppe gegolten hatte, zu einem Grundmerkmal der Gesellschaft gemacht.
Die Nichtlandwirte sonderten sich in Lebensweise, Lebensstil und auch in der Mentalität von den Landwirten ab. In einem Hauptursprungsgebiet der Landwirtschaft, im Vorderen Orient (Mesopotamien, heute Irak), ließen sie sich schon bald in eigenen, dicht bebauten und bevölkerten Siedlungen nieder und schufen die ersten Städte und sogar Staaten, hier vor allem bedingt durch die Erfordernis gemeinschaftlicher Organisation der Wasserversorgung („Hydraulische Zivilisation“ nach Wittfogel 1931 am Beispiel Chinas). Urbane Kultur erhob sich alsbald, mit einem Gefühl des Überlegenseins, über die Landkultur – Childe (1951) nennt dies die zweite, die „urbane“ Revolution – blieb aber ökologisch von ihr vollständig abhängig, ja wäre ohne Landwirtschaft nicht einmal entstanden. So bildete sich ein bleibender Gegensatz zwischen beiden Kulturen heraus (Markl 1990), der sich räumlich und vor allem auch funktional ausprägte. Das Wort „Land“ erhielt eine zusätzliche Bedeutung und bezeichnet nicht mehr nur die terrestrische Erdoberfläche, sondern auch das Gegenteil der Stadt als ein „künstliches“, gänzlich von den Menschen geschaffenes Gebilde, das wenige Jahrtausende später zu ihrem Hauptlebensraum werden sollte.
Die Herausbildung der neuen, arbeitsteiligen Lebensweise der Menschen hatte eine starke Zunahme der Bevölkerung zur Folge. Sie stieg nach groben Schätzungen von weltweit etwa 10–20 Millionen im Jahr 7000 v. Chr. bereits gegen Ende der Jungsteinzeit (ca. 3000 v. Chr.) auf fast 100 Millionen Menschen (Hahlbrock 2007, S. 65). Damit wuchs der Druck auf die Nahrungserzeugung.
2.4 Land- und Stadtkultur – Ergänzung und Entfremdung
In der Stadt entwickelte sich eine ganz andere Einstellung zur Natur und zum Land, als die Landwirte sie aus dem ständigen Ringen um ihr „Kulturland“ erworben hatten. Vor allem daraus erklärt sich, dass viele Jahrhunderte später Stadtmenschen, die in das Land hinausblickten, ihm die Nachsilbe „-schaft“ als Ausdruck eigener Wertung anfügten und dort „Landschaftspflege“, später auch „Naturschutz“ unter weitgehender Verkennung landwirtschaftlicher Erfordernisse betrieben sehen wollten. Die Unterschiede reichen bis in Begrifflichkeiten: „Kultur“ ist in der Landwirtschaft der Anbau einer Feldfrucht, für die ein Stück Land „kultiviert“ und damit in einen „besseren“ Zustand gebracht wird. Für den späteren – zu spät kommenden! – Natur- und Umweltschutz und seine Bewertungen ist dies eine zwiespältige Unterscheidung (s. Abschnitte 5.3.3 und 6.5). In der Stadt drückt sich Kultur in Bildung, Kunstsinn oder auch Forschung aus. Der Landwirt hieß einst nur „Bauer“. Etymologisch bedeutet dieses Wort ein „festes Behältnis“ oder eine Hütte und drückte den Übergang vom nomadischen Jägerleben zum festen Wohnsitz aus (Schneider 1999), wurde aber dann auf die Tätigkeit übertragen: Der Bauer „bebaute“ das Land und verwandelte es in Kulturland, von dessen Erträgen er lebte, und dazu baute er sich natürlich auch Häuser mit Ställen und Scheunen als „Bauernhöfe“, die oft von Gärten umgeben waren; daher rühren die Worte Landbau und Gartenbau. In der Stadt hat „Bauen“ als oft kunstvolles Errichten von Wohn- und Geschäftshäusern, Kirchen und Palästen durch Baumeister eine ganz andere, höherrangige Bedeutung.
Die Bauern blieben den Städtern dennoch als Quelle ihrer Nahrung noch lange vertraut und gegenwärtig, denn sie enthoben sie ja der Notwendigkeit, selbst Nahrung zu erzeugen oder in der Natur zu sammeln und zu erjagen (was aber als ergänzende Versorgung oder motiviert durch Lust, Sport oder Prestige durchaus weiter betrieben wurde und wird). Das relativ bequeme Erwerben von Nahrungsmitteln bei den Bauern, direkt oder auf dem Markt, setzte aber zweierlei voraus: Die Bauern mussten immer genug Nahrungsmittel, über ihren Eigenbedarf (Subsistenz) hinaus, erzeugen, trugen also die Verantwortung für eine zuverlässige Versorgung – und die Erwerber mussten zu Gegenleistungen, Tausch oder Bezahlung fähig sein. Je mehr sie bieten konnten, umso größer war auch der Produktions- und Wettbewerbsanreiz für die Erzeuger. Zu Anfang war der Bauer nur der – für alle Lebewesen geltenden – ökologischen Notwendigkeit der Eigenversorgung gefolgt. Nachdem er die Existenz der Städter als Nichtlandwirte ermöglicht hatte und zu ihrer Versorgung seine Mehrproduktion mit Gewinn verkaufen konnte, wurde dies zu seiner eigentlichen Erwerbs- und Lebensgrundlage, also das Zusatzzum Haupteinkommen, dem die Selbstversorgung in der Regel untergeordnet wurde (Lehmann 2006). Die bäuerliche Tätigkeit wurde damit immer stärker ökonomisch motiviert und zu einem Gewerbe von marktbeliefernden Unternehmern, die, wie bei Unternehmern üblich, ihre Erträge und Erlöse stets zu steigern suchten, aber in Naturgegebenheiten auch immer wieder auf Grenzen stießen (vgl. Abschnitt 4.6). Landbau wurde so zur Landwirtschaft. In vielen anderen Sprachen heißt die Tätigkeit Agrikultur, was die ö...