Kapitel 1
Rahmenbedingungen der Windenergienutzung an Land – eine technische und energiewirtschaftliche Einordnung
Till Jenssen / Andreas Rettenmeier
I. Grundlagen der Windenergienutzung
Kinetische und elektrische Energie
Windenergieanlagen machen sich die kinetische Energie des Windes, die durch die solare Einstrahlung und daraus resultierende Temperatur- und Druckunterschiede hervorgerufen wird, zu Nutze und konvertieren sie in mechanische und elektrische Energie. Die Bereitstellung von Strom aus Windenergie hängt damit in einem hohen Maße von den jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten ab und gehört entsprechend des jeweiligen Angebotes an Wind zu den volatilen erneuerbaren Energiequellen. In Deutschland werden Windenergieanlagen mit Ausnahme weniger Sonderanwendungen im stromnetzgekoppelten Betrieb eingesetzt. Grundsätzlich können sie an Land (onshore) und im Meer (offshore) eingesetzt werden, dieses Kapitel konzentriert sich auf die Windenergie an Land.
Windenergie als Teil der Konsistenzstrategie
Die handlungsleitende Idee hinter der Windenergienutzung ist es, zur Befriedigung des bestehenden Energiebedarfes nachhaltige(re) Ressourcen zu nutzen (Konsistenzstrategie) und tatsächlich sticht Windenergie im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien durch geringe Stromgestehungskosten und sehr gute Möglichkeiten zur Treibhausgasminderung hervor. Beides ist in ähnlicher Weise ansonsten nur bei der Wasserkraft vorzufinden, die jedoch über deutlich geringere Ausbaupotenziale als die Windenergie verfügt.
II. Zielsetzungen zur Windenergie
Energiepolitische Ziele des Bundes
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
Vor diesem Hintergrund spielt der Ausbau der Windenergie bei den Zielsetzungen von Bund und Ländern eine bedeutende Rolle. Mit der aktuellen Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)1 wird das Ziel verfolgt, den Anteil der regenerativen Stromerzeugung bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent anzuheben. Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene vom März 2018 strebt darüber hinausgehend einen Anteil von etwa 65 Prozent bis 2030 an.2 Bislang ist im EEG ein jährliches Ausschreibungsvolumen für die Windenergie in Höhe von 2.800 Megawatt (2017 bis 2019) bzw. 2.900 Megawatt (ab 2020) festgeschrieben. Letzteres wird in Anbetracht der Altersstruktur und des Herausfallens bestehender Windenergieanlagen aus der Förderung ab 2021 absehbar nicht ausreichen, um die genannten Zielsetzungen zu erreichen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geht davon aus, dass bis 2035 durchschnittlich 1.900 Megawatt an Windleistung jährlich vom Netz gehen werden.3 Die Ambition der Aufgabenstellung wird ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass allein die 3.000 Megawatt-Marke seit Einführung des EEG bisher nur in fünf Kalenderjahren (2002 und 2014 bis 2017) erreicht wurde. Im langfristigen Mittelwert der Jahre 2000 bis 2017 lag der Zubau unter 2.600 Megawatt.4
III. Anlagentechnik und deren Entwicklung
Von der historischen zur modernen Windenergienutzung
Die Windenergie wird in Form des Antriebs von Mühlen oder beim Segeln bereits seit Jahrtausenden genutzt, die prototypenbasierte Nutzung elektrischer Windenergieanlagen begann jedoch erst zum Ende des 19. Jahrhunderts in Dänemark. Bis zur industriellen Anwendung bedurfte es vielzähliger technischer Entwicklungen und (Grundlagen-)Forschungen, um die sich bietenden Möglichkeiten technisch zuverlässig und kostengünstig nutzen zu können.5 In Deutschland hat die Windenergie seit Einführung des EEG im Jahr 2000 eine energiewirtschaftliche Bedeutung erlangt (Windenergie an Land und im Meer) und trägt mittlerweile in einem Umfang von mehr als 18 % zur Bruttostromerzeugung bei. Damit stellt sie im Bereich der Stromerzeugung den größten Beitrag unter den erneuerbaren Energien.
1. Standardisierung der Anlagentechnik
Standardisierung im Zuge der industriellen Nutzung
In den ersten Jahren der industriellen Windstromerzeugung hat sich eine Fokussierung auf das Auftriebsprinzip6 (anstatt des Widerstandsprinzips) sowie eine Standardbauform für Windenergieanlagen herausgebildet.
Alle gängigen, im industriellen Maßstab genutzten Windenergieanlagen verfügen demnach über die in Abb. 1 (Seite 26) skizzierten Dreiblattrotoren, eine horizontale Rotorachse, Luvläufer (ansonsten käme es durch den Windschatten des Turmes zu periodischen, mechanischen Belastungen und zu Leistungseinbußen) sowie ein Azimutsystem zur Ausrichtung des Maschinenhauses (aktive Windnachführung).7 Die Gründe für diese Standardbauform liegen in der höheren Effizienz und der geringen Materialbelastung, aber auch in der Generierung von Skaleneffekten durch eine standardisierte Produktion. Gleichzeitig wurde die gesamte Anlagentechnik (Materialeinsatz, Getriebetechnik, Regelungstechnik und Aerodynamik) weiterentwickelt. Im Rahmen dieses Prozesses hat eine erhebliche Steigerung des Stromertrags Einzug gehalten.
2. Aufskalierung der Windenergie
Aufskalierung der Windenergie
Wahrnehmbarkeit der Windenergie
Markteinführung der 4 MW-Anlagen
Sichtbar werden die dynamischen Entwicklungen im Bereich der Windenergie vor allem, wenn man sich die Größen der heutigen Anlagen vor Augen führt. Hier hat eine rasante Aufskalierung bei Generatorleistung, Nabenhöhe und Rotordurchmesser stattgefunden (siehe beigefügte Tabelle), die einerseits zu erheblichen Steigerungen bei Stromerträgen und Beiträgen zur Treibhausgasminderung geführt hat, andererseits aber auch die Wahrnehmbarkeit in der Landschaft vergrößert hat. Für ein konstantes energiepolitisches Ziel muss nun aber eine geringere Anzahl an Windkraftanlagen installiert werden, als dies in der Vergangenheit erforderlich gewesen wäre. Während die heutige Generation an Windenergieanlagen in Deutschland über Leistungen über 3,0 Megawatt, durchschnittliche Nabenhöhen von ca. 140 Metern sowie durchschnittliche Rotordurchmesser von über 120 Metern verfügt, sind kleine und mittlere Windenergieanlagen der Kilowatt-Klasse nicht mehr marktrelevant. Gleichzeitig hat auch eine stärkere Differenzierung zwischen Starkwind- und Binnenlandanlagen stattgefunden. Aktuell steht die 4 Megawattklasse am Beginn einer breiten Markteinführung.8
Abb. 1: Konstruktive Merkmale standardisierter Großwindanlagen
Binnenlandanlagen werden typischerweise mit eher großen Rotoren und eher kleinen Generatoren (großes Rotor-Generator-Verhältnis) ausgestattet.9 Eine Kennzahl in diesem Zusammenhang stellt die Flächenleistung [W/m²] dar, bei der die erzeugte elektrische Leistung ins Verhältnis zur überstrichenen Rotorkreisfläche gesetzt wird. Bei Windenergieanlagen an Schwachwindstandorten erzielt man durch die Senkung der Flächenleistung eine Erhöhung der Volllaststunden sowie eine verstetigtere Stromeinspeisung.
Technischer Parameter | Einheit | 1998 | 2008 | 2018 |
Installierte Leistung | kW | 750 | 1.750 | 3.000 |
Rotordurchmesser | m | 48 | 79 | 120 |
Nabenhöhe | m | 63 | 93 | 145 |
Windgeschwindigkeit in 100 m ü. G. | m/s | 6,0 | 6,0 | 6,0 |
Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe | m/s | 5,3 | 5,9 | 6,4 |
Volllaststunden | h/a | 1.200 | 1.900 | 2.400 |
Jährlicher Bruttostromertrag | MWh | 900 | 3.325 | 7.200 |
Jährliche Treibhausgasminderung | t | 600 | 2.250 | 4.900 |
Vergleich der Anlagentechnik verschiedener Generationen an Windenergieanlagen10
IV. Potenziale und Standorte zur Windenergienutzung
1. Flächenpotenzial der Windenergie
Technisches Potenzial der Windenergie
Das Umweltbundesamt (UBA) hat auf Grundlage einer umfangreichen Studie11 attestiert, dass für die Windenergienutzung deutschlandweit ein Flächenpotenzial von fast 50.000 Quadratkilometern besteht und auf diesen Flächen eine Windleistung von nahezu 1.200 Gigawatt möglich ist. Das technische Potenzial liegt damit um den Faktor 24 über dem derzeitigen Anlagenbestand von 51 Gigawatt. Ferner übertrifft das ermittelte technische Potenzial auch die für die Erreichung des im Koalitionsvertrag genannten 65 Prozent-Zieles in 2030 notwendigen Windenergie...