Wirklichkeiten
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Kurd Lasswitz

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Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten? Gibt es denn mehr als diese eine, in der wir leben? Aber wenn nun gerade erst in unserem Leben diese Wirklichkeiten zu finden wären nicht wir in der Wirklichkeit, sondern Wirklichkeiten in uns?Wirklichkeiten das soll hier heißen: Bedingungen, die wirksam sind, Bestimmungen, auf denen es beruht, daß die umfassende Macht des denkenden, wollenden, fühlenden Menschengeistes so sein muß, wie sie ist, und doch anders will und dichtet. Es sind Gebiete der Realität, die unser Leben schaffen, tragen, ordnen und verwirren. Sie müssen wir aufsuchen, trennen, in ihrem Wirklichkeitswerte auseinanderhalten, um uns selbst wiederzufinden in ihrer Einheit, unser Leben in der Idee der Menschheit zu begreifen, in einer Kultur, die sich als Selbstzweck versteht.

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Información

Editorial
mehrbuch
Año
2021
ISBN
9783985227754

XXV.
Von der Mystik

Unser Leben ist nur denkbar im Verkehr und Zusammenwirken der einzelnen, und dennoch ist jedes einzelne Ich dem anderen ein unenthüllbares Geheimnis. Eine triviale Wahrheit und zugleich ein unerschöpflicher Quell von Rätseln! Wir leben unter Gesetzen, die unser Schicksal bestimmen, aber was wir erleben, erfährt doch keines Menschen Seele außer der eigenen. Unser Ich ist eine uneinnehmbare Burg, in deren tiefstem Gemache wir sicher sind vor jedem neugierigen Auge. Wir vernehmen wohl, was um die Mauern tobt, und wir müssen, wenn's not tut, von den Zinnen herab die Verhandlungen führen mit Freund und Feind. Aber im Innern bleiben wir die Herren; wir geben das Gesetz unserer Handlungen – das nennt man Charakter; und was uns hineingeworfen wird in unsere Burg, formen wir zu unserer eigenen Welt – das nennt man Phantasie. Diese innere Herrschaft in Wille und Gefühl ist das heilige Erbe des Menschen, und der Name Freiheit bezeichnet sie als das köstlichste der Güter.
Aber dieselbe Schranke, die das einzelne Ich vor jedem unberechtigten Eingriff in sein innerstes Leben und sein unverletzbares Geheimnis schützt, bannt es auch in den Kreis, der ihm gegeben ist. Wer hätte nicht schon einmal den Wunsch gehabt, einem andern ins Herz zu schauen, sein Denken und Fühlen ganz zu erfahren? So peinlich der Gedanke ist, es könnte jemand gelingen, das innerste Heiligtum unseres Lebens gegen unsern Willen zu schauen oder zu beeinflussen, so erklärlich ist doch der Wunsch, unsere Erkenntnis in dieser Hinsicht zu erweitern. Daher hat man von jeher nach Mitteln gesucht, das Innere des Nebenmenschen zu enthüllen, obwohl man sich sagen darf, daß in dem Augenblick, in welchem meine Vorstellung oder mein Gefühl in das Bewußtsein eines anderen tritt, sie ihre Innerlichkeit verliert und durch die fremde Wahrnehmung einen anderen Charakter annehmen muß. Es fragt sich, wie kann man überhaupt die Zustande eines anderen Ich, die Vorgänge im Bewußtsein eines zweiten Menschen in Erfahrung bringen? Hierauf gibt es nur eine Antwort.
Was ich nicht selbst erlebe, also das Ich meines Nebenmenschen, ist für mich ein Äußeres. Dieser Gegensatz von Innerem und Äußerem hat aber keinen anderen Sinn, als die Trennung durch den Raum, indem wir uns als Körper gegenüber von anderen Körpern wahrnehmen. Wer Raum ist das Mittel, Dinge als getrennte und verschiedene zu erfahren. Daß die Menschen Körper von räumlicher Verschiedenheit haben, und daß es verschiedene, getrennte, individuelle Ich gibt, ist der Ausdruck ein und derselben Tatsache. Das eine ist so gewiß wie das andere. Eine Vermittelung zwischen Mensch und Mensch kann daher nur im Raume, d.h. nur von Körper zu Körper stattfinden. Vermittelung im Raume aber ist bloß denkbar als Übertragung von Energie von einer Stelle zur andern. Es ist daher ein Grundsatz aller Erkenntnis, daß der Verkehr zwischen bewußten Wesen allein durch Energieaustausch im Raume stattfindet, und wir müssen einen, solchen selbst dort voraussetzen, wo wir die Art, wie er zustande kommt, noch nicht zu entdecken vermöchten. Wenn man von einer Fernwirkung der Geister spricht, so kann dies nur den Sinn haben, daß die Natur des übertragenden materiellen Mittels noch nicht erkannt ist. Wer etwas anderes behauptet und von einer immateriellen »Telepathie« glaubt sprechen zu dürfen, der bedenkt nicht, daß er damit die Möglichkeit der Erfahrung verschiedener Wesen überhaupt aufhebt. Denn die Bedingung dafür ist eben der Raum.
Das Mittel, wodurch wir räumliche Bewegungen oder, allgemeiner ausgedrückt, Energieänderungen wahrnehmen, nennen wir unsere Sinne. Daß wir nur durch die Sinne mit anderen verkehren können, ist einerseits der Schutz für die Selbständigkeit und Abgeschlossenheit unseres Ich, andererseits aber die hemmende Schranke, über unser eigenes Ich hinauszugehen. Wir sind Körper, so möchten wir lieber sagen, als wir haben einen Körper. Denn letzteres erweckt die Vorstellung, als wenn das Einzel-Ich noch irgendwie außer seinem Körper bestände, als wenn der Geist und der Körper trennbare Substanzen wären. Nein! Wir sprechen vom Geiste des Menschen, insofern wir uns als bewußte Wesen empfinden und fühlen, vom Körper, insofern andere unsere Existenz wahrnehmen. Beides bedeutet aber nicht zwei verschiedene Dinge, sondern ein und dasselbe; das eine Mal nur für mich selbst, wie ich mich erlebe; das andere Mal für die anderen, wie sie mich als Gegenstand ihrer Sinne erkennen (s. S. 92 ff.).
Indem wir uns selbst als Teil der Welt betrachten, nehmen wir uns als Körper wahr; indem wir aber zugleich in uns die Fülle der Welt erleben, empfinden wir unseren Körper als eine Schranke, die uns von der Welt trennt, obwohl sie die Bedingung dazu ist, daß wir zur Welt als ein Teil gehören. Im Gefühle dieses Gegensatzes sind wir geneigt zu glauben, daß, könnten wir nur diese Schranke des Körpers brechen, unser Ich dann erst in voller Freiheit sich entfalten würde. Ein verhängnisvoller Irrtum! Denn – mit unserem Körper würden wir nicht eine Schranke, sondern die Bedingung unseres Seins wegnehmen. Aber die Täuschung bleibt und mit ihr der Wunsch, mehr zu sein, als dem Menschen möglich ist. Wir möchten die Beschränkung aufheben, daß wir als Körper an eine bestimmte Stelle des Raumes und der Zeit gebunden sind. Wer hätte nicht schon gewünscht, das Leben einer längst vergangenen Zeit oder eines entfernten Volkes oder einer späten Zukunft aus eigener Anschauung kennen zu lernen? Wer hätte nicht schon gewünscht, während er an Ort und Beschäftigung gebunden ist, gleichzeitig an einer anderen Stelle des Raumes am Leben teilzunehmen? Ja, wenn man sich verdoppeln könnte! Der Reiz des Wunsches nach Unabhängigkeit vom Raum und die Sehnsucht nach Erweiterung unseres beschränkten Daseins haben seit jeher zu der Vorstellung geführt, daß eine Verdoppelung des Lebens und des Leibes für den einzelnen möglich sei.
Dazu kommt ein verführerischer Schluß für das naive Bewußtsein, der eine derartige Trennung des Menschen in zwei Personen wahrscheinlich macht. Der verstorbene Freund, die in der Ferne weilende Geliebte erscheinen uns im Traume; sie handeln wie lebende Personen, und doch wissen wir, daß ihr Leib zerfallen ist oder ferne im Schlummer ruht. Der kindliche Glaube nimmt das Spiel der Phantasie für Wirklichkeit; die Traumerscheinung ist ihm der vom Körper abgelöste Geist, der aber seltsamer Weise wieder als Körper erscheint. Hat vielleicht der Geist noch einen zweiten, ätherischen Körper zur Verfügung, der unabhängig vom Räume in die Ferne dringen kann?
Es gibt nun noch eine Reihe anderer Erscheinungen, die sich nicht so leicht durch die bloße Traumphantasie erklären lassen und für die Absonderung eines »geistigen« Leibes vom irdischen zu sprechen scheinen. Es sind dies zunächst alle diejenigen Fälle, wo Personen während des Traumes oder im somnambulen Zustande und bei kataleptischen Anfällen wirkliche Reisen und Wahrnehmungen in der Ferne erlebt zu haben glaubten und Angaben darüber machten, die sich späterhin bestätigten. Ferner aber die häufigen Beobachtungen, daß Menschen plötzlich an einem entfernten Orte von anderen gesehen wurden, während sie nachweislich mit ihrem sinnlichen Körper nicht dort waren. Hier überwiegen freilich die Fälle, in denen nur ein einzelner den »Doppelgänger« oder »Geist« sieht und die übrigen, die sich in der Nähe befinden, durchaus nichts wahrnehmen können. Der Zweifler wird also hier mit Recht nur eine Halluzination, eine subjektive Sinnestäuschung annehmen. Aber es bleiben immer noch eine ganze Reihe von Fällen übrig, in denen die Erscheinung des Doppelgängers gleichzeitig von mehreren glaubwürdigen Zeugen angeblich gesehen worden ist. Namentlich ist es lebhafte Sehnsucht, die den Doppelgänger an den Ort treiben soll, wohin der wirkliche Leib nicht gelangen konnte, und besonders die Nähe des Todes disponiert zu derartigen Wanderungen. Wir wollen den Leser mit der Flut dieser Geschichten nicht aufhalten; es kommt auch nicht darauf an, daß wir sie glauben, sondern nur auf die Tatsache, daß sie von vielen Menschen geglaubt und für unleugbar gehalten werden. Alle diese mystischen Erscheinungen würden sich sehr hübsch erklären lassen, wenn man annehmen dürfte, daß der Mensch in seinem leiblichen noch einen ätherischen Körper besäße, der den Gesetzen der schweren Materie nicht unterworfen ist und daher unter Umständen sich abtrennen und unabhängig vom Leibe auftreten kann. Ganz besonders verlockend für manche Gemütsrichtungen ist dabei die bequeme Lösung der Unsterblichkeitsfrage, da ja die Seele des Menschen nur an jenen Ätherleib gebunden zu sein braucht, um vom Tode des irdischen Zellenleibes unberührt zu bleiben. Deshalb ergreift der Spiritismus diese Theorie mit Vorliebe; es hat nun gar keine Schwierigkeit zu verstehen, wieso die Geister Verstorbener erscheinen und zitiert werden können, warum Gespenster bei vergrabenen Schätzen und in anderen unheimlichen Gegenden umgehen und von begnadigten Medien geschaut werden, wie überhaupt aller Geisterspuk und alles Zauberwesen, das bei Aberglauben aller Zeiten je ausgeheckt, für solche Gläubige durchaus der Wahrheit und Wirklichkeit entsprechen.
Der Glaube an einen Äther- oder Astralleib ist freilich schon sehr alt, und man kann ihn vom Altertum her durch alle Mystologien verfolgen. Von Zeit zu Zeit tritt er über in einer Form auf, die den Anspruch erhebt, wissenschaftlich begründet genannt zu werden und zu ernsthaft gemeinten Erklärungen und Forschungen beizutragen. Es verlohnt sich daher, diese Phantastik einmal anzusehen und den Mißbrauch willkürlicher Hypothesenbildung aufzudecken.
Wir sind rings umgeben von so zahllosen Aufgaben, deren Lösung die Wissenschaft noch nicht gewachsen ist, daß jedem Menschen mit Phantasie lustige Hypothesen entgegenflattern, – es wäre ganz hübsch, wenn sich die Sache vielleicht so oder so verhielte! Aber der methodische Forscher muß wissen, was nach wissenschaftlichen Grundsätzen sich in die Kausalreihe des objektiven Geschehens einfügen läßt, und was ihm nur zur subjektiven Befriedigung seines Gemüts dienen darf, weil es lediglich als Dichtung Berechtigung besitzt. Es gibt indessen Leute, mit lebhaftem Geiste, die das Geheimnis, das jenseits der Grenzen der Erkenntnis liegt, besonders lockt und zur Entschleierung anreizt. Kommt nun dazu, daß diese Leute Zeit besitzen, sehr viel zu lesen und in ihrer Weise zu verarbeiten, daß ein Mangel an methodischer Schulung des Denkens die feineren Widersprüche ihnen verhüllt, die aus der unkritischen Auswahl ihrer Quellen folgen, daß schließlich ihre rege Phantasie ihnen gestattet, sich irgend eine beliebige Möglichkeit als Wirklichkeit auszumalen, so sind sie imstande, jeden phantastischen Einfall zu einem System aufzubauschen. Führen solche Leute noch dazu eine gewandte Feder, so sind sie nicht ohne Gefahr für die Entwickelung des Bildungszustandes. Denn populärer wird immer derjenige sein, der die Neugier befriedigt und dem Fragenden eine Antwort erteilt, als wer die Antwort verweigert, weil er weiß, daß es keine gibt, daß die Frage selbst unstatthaft ist.
Unter den vielfachen Versuchen, den Mystizismus durch eine Theorie zu stützen, zeichnen sich die Schriften von Carl du Prel durch Reichhaltigkeit an Hypothesen und den Schein einer wissenschaftlichen Form aus. In seiner »Philosophie der Mystik« (1885) beabsichtigte der Autor eine sogenannte Transcendentalpsychologie zu schaffen, die zugleich dem Materialismus den Boden abgraben sollte. Freilich – die materialistische Weltanschauung durch den Mystizismus ablösen zu wollen, heißt nicht viel anderes, als den Teufel durch Beelzebub austreiben. Handelte es sich nur darum, »Märchen aus dem Schlaraffenlande der Metaphysik« zu erzählen, so könnte man die Phantasien der Occultisten einfach als Geschmackssache bezeichnen und die Toleranz üben, die jede Gemütsstimmung beanspruchen darf, ob sie sich nun in dem Glauben an die Mechanik des sittlichen Willens oder an das Reich jenseitiger Geister Wohl fühlt. Anders aber liegt die Sache, wenn der Autor den Anspruch erhebt, als Vertreter ernster Wissenschaft angesehen zu werden, wenn er sich auf Kant und Darwin beruft und seine metaphysischen Erfindungen als Resultate theoretischer Forschung ausgibt. Alsdann entsteht die Forderung, die angebotene Ware auf ihre Echtheit zu Prüfen, ob nicht die gute Firma »Immanuel Kant«, unter der sie angepriesen wird, zu Unrecht auf ein untergeschobenes Produkt gesetzt ist; denn es liegt die Gefahr nahe, daß nicht nur das sachkundige Publikum und der Ruf der gemißbrauchten Firma Schaden erleiden, sondern auch die Realität des Handelsverkehrs, das heißt die Gründlich, keit deutscher Wissenschaft.
Das menschliche Individuum, das Subjekt, erfreut sich nach der Ansicht des Mystikers zweier Personen, einer sinnlichen und einer »transcendentalen«, die sich aber durch die Formen ihres Bewußtsein unterscheiden und daher gar nichts von einander wissen. Die sinnliche Person sind wir als irdischer Normalmensch im wachen Zustande, die transcendentale bildet mit den unbewußten Teilen der übrigen Individuen ein großes Geisterreich, aus dem sie nur auf Zeit und zum Teil in das sinnliche Bewußtsein hinabtaucht. So erklärt sich Seelenwanderung, Präexistenz, Leben, Tod und Unsterblichkeit. Das transzendentale Subjekt inkarniert sich hier und da bei der Geburt zum Zwecke der Selbsterziehung und beerbt beim Tode wieder seine sinnliche Person. Doch soll uns in das transcendentale Reich auch schon während unseres Lebens unter Umständen ein Einblick gestattet sein, nämlich im Traume, besonders im Somnambulismus. Dann rückt die Grenze unseres Bewußtseins weiter vor, und unsere Sinnlichkeit gewinnt neue Fakultäten, wir können Krankheiten kurieren, hellsehen u.s.w. Diese Eigenschaften, bei denen ein Stück von der »transcendentalen Person« zum Vorschein kommt, sind heutzutage leider noch selten, aber sie deuten auf eine Entwickelungsfähigkeit der Gattung hin. Der biologische Prozeß des Universums, – der auf anderen Planeten vermutlich noch starker vorgeschritten ist als bei uns – besteht nämlich in einer immer weiteren Ausdehnung der Bewußtseinsschwelle, so daß die einzelnen Individuen immer größere Teile ihrer transcendentalen Personen sich aneignen. Es wäre gut, wenn man hiebei über den Widerspruch aufgeklärt würde, der für unser kurzes »Erdgesicht« jedenfalls in der Vereinigung der beiden entgegengesetzten Tatsachen besteht, daß die pathologische Erscheinung des Somnambulismus auf einer teilweisen Selbständigkeit der nervösen Zentren, der biologische Fortschritt des Bewußtseins dagegen auf der immer größeren Abhängigkeit der letzteren vom zerebralen Zentralorgan beruht. Freilich hält der Mystiker von Physiologie nicht viel. Daß er statt der Vivisektion den Somnambulismus als Forschungsmethode empfiehlt, charakterisiert diese Richtung des Denkens ebenso, wie es andererseits die Willkürlichkeit und Kritiklosigkeit der herbeigezogenen Gründe und Quellen überflüssig macht, sie ernst zu nehmen. »Denn, so sagt Kant, »metaphysische Hypothesen haben eine so ungemeine Biegsamkeit an sich, daß man sehr ungeschickt sein müßte, wenn man die gegenwärtige nicht einer jeden Erzählung bequemen könnte, sogar ehe man ihre Wahrhaftigkeit untersucht hat, welches in vielen Fällen unmöglich und in noch mehreren sehr unhöflich ist.« Wir wollen vielmehr die Haltlosigkeit des »metaphysischen Individualismus« dadurch zeigen, daß wir die unzulässige Art seiner Begründung aufzudecken suchen und insbesondere im Interesse eines besonnenen und kritischen Idealismus-Protest dagegen erheben, daß diese mystische Metaphysik sich auf Kant berufe.
Der Mystiker liebt folgenden Gedankengang. Kant hat bewiesen, daß wir Grund haben, ein »intelligibles« oder »transcendentales« Ich anzunehmen. Die Psychophysik lehrt, daß es eine Bewußtseinsschwelle gibt, welche die bis zum Bewußtsein kommenden Reize von denjenigen trennt, die zur Erregung einer bewußten Empfindung nicht stark, genug sind. Ferner besteht das Subjekt nicht bloß aus dem Zusammenhang der zur Zeit im Bewußtsein vorhandenen Vorstellungen, sondern auch noch aus einer unabsehbaren Reihe disponibler, zur Zeit noch unbewußter Zustände. Im Traume und namentlich im Somnambulismus treten Erscheinungen auf, die im wachen Zustande nicht bemerkt werden, weil die Stärke der äußeren Sinnesreize sie übertäubt, wie die Sonne das Licht der Sterne unwahrnehmbar macht. Endlich weist die biologische Entwicklungstheorie eine allmähliche Erweiterung des Bezirks der Sinnesempfindung auf. Diese einzelnen Tatsachen können nicht bestritten werden. Folglich brauchen wir sie bloß zu »addieren«, und die Philosophie der Mystik ist fertig! Kants »transcendentales« Ich ist durch die »Schwelle des Bewußtseins« vom sinnlichen Bewußtsein getrennt; diese Schwelle wird im Somnambulismus und in der biogenetischen Entwicklung verschoben, so daß sich das Bewußtsein auch auf die disponiblen, noch nicht bewußten Vorstellungen erstreckt. Diesen kommt ein eigenes Bewußtsein zu, und das ist das »transcendentale« Ich Kants, das demnach der Erfahrung zugänglich ist.
In dieser Schlußfolge jagt eine Verwechselung die andere. Der erkenntnistheoretische Begriff des Transcendentalen wird zusammengeworfen mit dem psychophysischen Begriff der Reizschwelle, und dieser mit dem psychologischen Begriff der nicht im Blickfelde des Bewußtseins befindlichen Vorstellungen. Das Reich von Geschehnissen, die den Erfahrungsinhalt des Ich ausmachen, aber nur zum kleinsten Teile in jedem Augenblicke der Einheit des Bewußtseins zur Verfügung stehen, ist etwas ganz anderes, als jener unerkennbare Grund der Einheit des Bewußtseins, den Kant das transcendentale Ich nannte. Jene potenziellen Bewußtseinszustände sind durchaus empirischer Natur; hier werden sie für transcendental erklärt, und dann wird behauptet, dieses transcendentale Gebiet sei der Erfahrung zugänglich. Das heißt also Addition! Zehn Mark und zwanzig Grad Wärme geben dreißig Liter. Um diese Zusammenwürfelung der Begriffe deutlich zu machen, diene folgende Schlußweise, die der mystosophischen genau nachgebildet ist; der Fehler tritt sofort hervor, weil die unzulässige Vertauschung geographischer und thermischer Begriffe ins Auge fällt, während die Vermischung von Erkenntniskritik und Psychologie sehr leicht übersehen wird.
Es gibt eine unzugängliche Polarregion der Erde. In der Wärmelehre unterscheidet man Temperaturen oberhalb und unterhalb des Gefrierpunktes des Wassers. Wenn die Temperatur unter den Nullpunkt sinkt, wird das Wasser fest. Im Winter gefrieren Flüsse. Die Planeten kühlen sich allmählich ab. Das sind unbestreitbare Tatsachen; vollziehen wir die »Addition!« Der Gefrierpunkt trennt die Polarregion von der gemäßigten Zone, der Nordpol ist gefrorenes Wasser, im Winter gefriert es, also erreichen wir dann den Nordpol! Wer diese Addition nicht zugeben will, ist ein böswilliger oder verständnisloser Zweifler!
Als Kant durch seine Kritik des Erkennens die Grenzen der Erfahrung auf das Gebiet der Sinnlichkeit und des Verstandes einschränkte, hoffte er der wüsten metaphysischen Spekulation ein für allemal den Boden entzogen zu haben. Und nun beruft sich die Mystologie auf diesen selben Kant! Um diese Unrechtmäßigkeit dieser Berufung auch demjenigen deutlich zu machen, der mit der Transcendentalphilosophie weniger vertraut ist, wird es notwendig, mit einigen Worten darzulegen, was Kant unter dem »transcendentalen Ich« verstand.
Die Möglichkeit unserer Erfahrung beruht nach Kant darauf, daß der in Raum und Zeit gegebene Empfindungsinhalt in bestimmten gesetzmäßigen Beziehungen zur Einheit des Bewußtseins steht. Durch diese Beziehungen – die Kategorien – ist die selbständige Welt der Objekte mit dem Vorstellenden Subjekte bedingt, nicht so, als ob erst die Objekte da wären, und nun das Subjekt hinzukäme, um sie in sich aufzunehmen, auch nicht so, als ob ein ursprüngliches Subjekt aus sich die Objekte erzeugte, sondern nur durch ihre Wechselbeziehung bestehen beide. Ein Ich gibt es nur, insoweit dieses Objekte zum Inhalt «eines Bewußtseins hat, und Objekte nur, insofern sie einem Ich als Inhalt zugehören. Deshalb ist es eine unrichtige und in den Dogmatismus zurückfallende Annahme, daß es eine von unserm Bewußtsein unabhängige Welt jenseits desselben gebe, die wir unsern Sinnen anzupassen hätten. Wenn auch das Weltbild von der Beschaffenheit des wahrnehmenden Subjektes abhängt, so darf man dies doch nicht so auffassen, als ob durch eine Weiterentwicklung unserer Organisation immer neue Teile des Transcendenten für uns erkennbar würden. Vielmehr entsteht die Erfahrungswelt erst zugleich mit den Formen des individuellen Bewußtseins, beide entwickeln sich aneinander, und es gibt nur so viel Arten des Seins, als es Tätigkeiten der auffassenden Subjekte gibt. Denn die Objekte sind gebunden an die Art und Weise, wie der Inhalt unseres Bewußtseins auf seine Einheit bezogen ist; es kann z.B. nichts geschehen, was nicht nach Ursache und Wirkung zusammenhinge, weil die ursächliche Verknüpfung zu jenen Bedingungen gehört, ohne welche Erkenntnis von Objekten nicht möglich ist. Demnach muß alles, was je in unsere Erfahrung treten soll, den Bedingungen dieser Erfahrung gemäß sein; alles andre ist unmöglich. Innerhalb' dieses Erfahrungsgebietes herrscht die Gesetzlichkeit des Verstandes; jenseits derselben hat die Phantasie freies Feld sich zu tummeln, die Wissenschaft hört dort auf. Daß es wissenschaftliche Erkenntnis von etwas gäbe, was nicht ...

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