Der Umschlag von allem in nichts
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Der Umschlag von allem in nichts

Theorie tragischer Erfahrung

Asmus Trautsch

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  1. 888 páginas
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Der Umschlag von allem in nichts

Theorie tragischer Erfahrung

Asmus Trautsch

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Dieses Buch macht die griechische Tragödie und ihre philosophische Reflexion seit der Antike für eine Theorie tragischer Erfahrung fruchtbar, die die leidenden Individuen in den Mittelpunkt rückt. Asmus Trautsch erschließt die existentielle Dimension der antiken Gattung für die Gegenwart und zeigt, dass die Tragödie als erstaunlich treffsicheres Modell für die mittlerweile global wirksamen Selbstgefährdungen des Menschen dienen kann.

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Información

Editorial
De Gruyter
Año
2020
ISBN
9783110550801
Edición
1
Categoría
Philosophy

1 Globale Karriere einer Ausnahme: die Entgrenzung des Tragödienbegriffs und das moderne Interesse an der antiken Form

„Unlust und Lust sind auch in Klagegedichten und Tragödien gemischt, nicht denen auf der Bühne nur, sondern auch in der gesamten Tragödie und Komödie des Lebens“.1
„Before we were introduced to Antigone's story, we felt alone. […] Then we realised these tragedies keep happening throughout history and it gave us the courage to speak out. Together we feel stronger and more confident.“2

1.1 Kulturelle, mediale und pragmatische Entgrenzung eines griechischen Begriffs

Griechische Tragödien wurden seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. für zunächst einmalige Aufführungen bei öffentlichen Festspielen in Athen geschrieben und inszeniert. Seit der Blütezeit der klassischen Tragödie im 5. Jahrhundert v. Chr. ist der Begriff der Tragödie in mindestens drei Dimensionen vom spezifischen rituellen Aufführungskontext im Theater entgrenzt worden.
Zum einen liegt eine geographisch-kulturelle Entgrenzung vor: Griechische Tragödien werden mittlerweile auf Bühnen weltweit inszeniert, nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika, in Nord-, Mittel- und Südamerika, Asien und Ozeanien.3 Historisch hat zum einen der europäische Kolonialismus zur Verbreitung der als paneuropäisch und überlegen apostrophierten Kunstform in Mittel- und Südamerika, Afrika und Asien beigetragen.4 In postkolonialer Perspektive hat indessen längst – meist einhergehend mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien – eine eigenständige Aneignung und Transformation dieser Kunstform in den einst weitgehend von europäischen Mächten beherrschten Kontinenten begonnen, und sowohl Übersetzungen und literarische Adaptionen als auch theatrale Inszenierungen eröffnen eine jeweils eigene Perspektive auf die griechische Tragödie in den nicht-europäischen Regionen. Entsprechend wird auch in der neueren Inszenierungs- und Bearbeitungsgeschichte in Europa kein paneuropäisch-klassizistisches Erbe mehr beschworen, sondern die Fremdheit und Archaik der antiken Tragödie gegenüber der eigenen Gegenwart hervorgehoben. Nicht ein Ideal historischer Aufführungspraxis, wie sie etwa die Potsdamer Antigone-Aufführung von 1841 im Geist des Historismus trotz nur (und bis heute) lückenhafter Kenntnis der antiken Aufführungsbedingungen auszeichnete,5 oder die Optik des bürgerlichen Theaters der Neuzeit sind dabei maßgeblich, sondern Regisseurinnen und Regisseure setzen sich individuell mit dem Erbe der Tragödie auseinander. Dabei verhandeln die Aufführungen, Adaptionen und Reflexionen antiker Stücke aktuelle Themen, die im Selbstverständigungsprozess gegenwärtiger Gesellschaften eine zentrale Rolle spielen – insbesondere politische, soziale, ökonomische, kulturelle, geschlechtliche und symbolische Machtrelationen, Unterdrückung und Befreiungskämpfe, Krieg, Vertreibung, Flucht, Fremdheitserfahrungen und strukturelle Wert- und Identitätskonflikte zwischen sozialen Gruppen oder Institutionen und Einzelnen oder Familien und zwischen positivem Recht und individueller Selbstbestimmung.6 Wie die Rezeption, Aneignung und Transformation der griechischen Tragödie seit den 1960er Jahren vor Augen führt, haben die an die Festspiele in Athen und an Theaterbauten, Sprachform, Masken und Kostüme gebundenen Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides „nearly all boundaries, created by time, space, and cultural tradition“ 7, überschritten, als sei der bei den Griechen überall erscheinende und alle Grenzen außer Kraft setzende Gott Dionysos tatsächlich ihr weltweit aktiver Patron. Die griechische Tragödie, deren Inszenierungen in Kamerun wie China, den Philippinen wie Kanada, Mexiko wie Jordanien, Südafrika wie der Türkei aktuelle Probleme verhandeln und ihre Zuschauerinnen und Zuschauer bewegen, ist so zu einer universell wirksamen, auf die jeweilige historisch und sozial besondere Situation bezugsoffenen Kunstform geworden. Diese transkulturelle Produktivität der antiken Tragödie, deren Universalität gegen ihre ehemals kolonialistische Vereinnahmung und rassistische Ideologien der Überlegenheit der europäischen ‚Rasse‘ und Kultur erstritten worden ist, ermöglicht ihr, Resonanzen, Brüche und verfremdende Spiegelungen zwischen den antiken und gegenwärtigen Erfahrungen zu verhandeln. Die Kunstform der zerreißenden Konflikte ist somit zu einem „globalem Medium“8 transkulturell verbindender Reflexion geworden.
Die zweite moderne Entgrenzung des Tragödienbegriffs ist eine formal-mediale: Der gegenwärtigen „Explosion“9 der Aufführung griechischer Tragödien nicht nur in Europa geht ihre schon länger sich vollziehende Transgression über die Grenzen der theatralen Kunstform voraus. Die Stoffe und Formen der antiken Tragödie sind seit der Antike auch in anderen literarischen Genres sowie in neuen Kunstformen wie der Oper oder dem Film fort- und umgeschrieben worden. Das Attribut ‚tragisch‘ wurde nach der Antike nicht mehr auf die theatrale Tragödie begrenzt. Diese seit 1800 zunehmende formale und mediale Erweiterung des Tragödienbegriffs ist in der antiken Geschichte der Gattung selbst vorgeprägt. Denn sie verändert sich formal – etwa in der Rolle des Chors – bereits innerhalb der klassischen Zeit zwischen dem frühen Aischylos und dem späten Euripides und gewinnt in der römischen Tragödie eine neue Gestalt.10 Diese Transformationsgeschichte setzt sich nicht erst in der Neuzeit fort, etwa in der Auflösung des Chores in die Form bei William Shakespeare,11 sondern bereits im Mittelalter, das Tragödien, an eine römische Tradition seit Vergil und Ovid anschließend, vor allem in Form von tragischen Geschichten kannte.12 Die Tragödie des elisabethanischen Zeitalters, der französischen Klassik ebenso wie das bürgerliche Trauerspiel in Deutschland veränderten die antike Form weiter, sodass die neueren Gattungen, etwa wegen der nun marginalisierten oder getilgten Rolle des Chors, poetologisch von der griechischen Tragödie unterschieden wurden, von der und ihrer Poetik bei Aristoteles sich im Querelle des Anciens et des Modernes die Modernen bewusst abgrenzten.13 Erst im 19. Jahrhundert wandert die Tragödie als bestimmende Kraft auch in andere literarische Gattungen wie die Lyrik oder in wissenschaftliche Disziplinen, insbesondere die Philosophie ein, die sich, vor allem bei Nietzsche, selbst als tragisch versteht.14 Die Oper war bereits während ihrer Erfindung in der Renaissance von der Florentiner Camerata als Fortsetzung der antiken Tragödie begriffen worden und nahm seitdem immer wieder tragische Mythen der Antike auf;15 doch erst im 19. Jahrhundert gewannen in der bürgerlichen Oper die tragischen Stoffe eine das Verständnis der Gattung bis heute prägende Rolle.16 Zudem galt die griechische Tragödie Richard Wagner und Friedrich Nietzsche als Vorbild für die Konzeption des Musikdramas als neuem Gesamtkunstwerk.17 Darüber hinaus wurde ab 1800 selbst reine Instrumentalmusik von Komponisten als ‚tragisch‘ ausgewiesen.18 Im 20. Jahrhundert öffnete sich dann das neue Medium des Films, das Narration, theatrales Darstellen, Musik und Sprache verbindet, für tragische Stoffe im Allgemeinen und Adaptionen griechischer Tragödien im Besonderen. Bis heute ist das Kino ein höchst produktives Medium für die Tragödie geblieben – nicht zuletzt in Griechenland selbst.19
Die dritte Dimension der Entgrenzung betrifft den Wortgebrauch: Die Verwendung der Wörter, mit denen die Griechen ihre wichtigste dramatische Form bezeichneten, hat sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in den europäischen Sprachen nicht nur von der Form des Theaters, sondern überhaupt von Formen künstlerischer Darstellung gelöst. Als Substantiv („Tragödie“) sowie als Adjektiv bzw. Adverb („tragisch“ oder „tragödienartig“) sind die poetischen Wörter in den Wortschatz der Sprachen der Welt gewandert und werden mittlerweile wie selbstverständlich im öffentlichen Diskurs verwendet, wenn es um die Interpretation unerwarteter und seltener fataler Zusammenhänge geht, in denen Menschen – unabhängig von ihrem sozialen Status – ernsthaft zu Schaden kommen, ohne dass dieser sich ihnen allein als Strafe für ein schuldhaftes Vergehen zurechnen ließe. Zugleich sind auch in diesem unspezifischen Wortgebrauch, wie er in den Medien zu beobachten ist, ‚Tragödien‘ oft mit Verantwortung oder Schuld von Menschen verbunden, sei es derjenigen, die zu Schaden gekommen sind, oder derjenigen, die sie zu Schaden kommen ließen – doch auch völlig schuldloses Zu-Schaden-Kommen wird als ‚Tragödie‘ tituliert.20 In den Medien werden die Worte auch rhetorisch eingesetzt, um das meist unerwartete negative Geschehen auf die Opfer hin zu fokussieren und Anteilnahme zu erzeugen. Ob es um die bei einem Grubenunglück in China verschütteten Kumpel, die bei einem Flugzeugabsturz in Kolumbien umgekommenen Passagiere, um einen tödlichen Streit in einer dänischen Familie, den sehr hohen Anteil an Aborigines in australischen Gefängnissen, den tödlichen Angriff auf ein islamisches Kulturzentrum in Kanada oder die Rekrutierung und Abrichtung von Kindersoldaten im Kongo geht – die Begriffe ‚Tragödie‘ und ‚tragisch‘ werden wie semantisch evidente Vokabeln in der medialen Berichterstattung und dem lebensweltlichen Sprachgebrauch gebraucht, um ein Extrem an nicht oder nicht gänzlich verschuldetem Schrecken, Leid und Unglück zu bezeichnen – gerade wenn es um größere historische Zusammenhänge wie Kriege geht. Das gilt nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die Geschichts-, Politik- und Sozialwissenschaften.21 Zudem werden individuelle Lebens- oder Familiengeschichten oft nach dem Modell von Aufstieg und Fall als Tragödien bezeichnet, 22 was auch in zunehmender Trivialisierung auf Institutionen und Dinge übertragen wird.23
Dieser entgrenzte Wortgebrauch in den Medien und öffentlichen Diskursen, der „Tragik als Eigenschaft sozialer Phänomene, als Teil des individuellen und kollektiven Lebens“24 betrachtet, ist nicht nur für die im Zuge des modernen Kolonialismus weltweit verbreiteten indoeuropäischen Sprachen, zu deren Lexik die griechischen Worte bereits seit dem Mittelalter gehörten, sondern auch für Sprachen, die die Begriffe der ‚Tragödie‘ oder der ‚Tragik‘ nicht aufgrund kolonialer Besatzung in ihr Vokabular und ihre öffentlichen Diskurse integriert haben.25
Mittlerweile muss man aufgrund der globalen medialen Präsenz der Begriffe ‚Tragödie‘ und ‚Tragik‘ davon ausgehen, dass sich in den meisten Kulturen eine gewisse, wenn auch sehr rudimentäre Standardvorstellung von dem durchgesetzt hat, was Tragödien und tragische Ereignisse sind. Die unterstellte Universalität tragischer Katastrophen beruht dabei weniger auf einer genaueren Kenntnis der antiken oder neuzeitlichen Tragiker – wenngleich deren Popularisierung auch den lebensweltlichen Sprachgebrauch zu befördern scheint – als offenbar auf der Universalität des Schreckens und der menschlichen Leidensfähigkeit, die den allgemeinen Gebrauch der altgriechischen Begriffe, so divers die Ereignisse auch sind, zu rechtfertigen scheinen.
Dieser Sachverhalt ist keineswegs selbstverständlich, zumal die Griechen des 5. Jahrhunderts v. Chr., in dem sich die Tragödie zu ihrer bis heute maßgeblichen Gestalt in Athen entwickelte, diese Karriere der Begriffe gewiss nicht im Sinn gehabt hatten.26 Tragödien waren eine lokal aus dem Kult zu Ehren des Gotts Dionysos entstandene dramatisch-theatrale Form, die von tragischen Dichtern verfasst und von Bürgern gemeinsam an kultisch organisierten Festspielen in Athen und später auch an anderen Orten in Griechenland aufgeführt wurden. Wer heute davon spricht, dass etwas tragisch sei, denkt dagegen selten an das Theater und sicher kaum an Dionysos, an in Verse gebundene Rede, die Rolle des Chors oder ein Spiel mit Masken.
Hat das, was heute unter dem Stichwort ‚Tragödie‘ firmiert, überhaupt noch in einem signifikanten Sinne etwas mit der antiken Herkunft des Begriffs zu tun? Die in diesem Buch leitende Überzeugung geht davon aus, dass in allen Wandlungen und Entgrenzungen des Begriffs einige zentrale Elemente, die eine Familienähnlichkeit der Begriffe durch die Geschichte ihrer Wandlungen und kreativen Neubestimmungen begründen, der antiken Tragödie entstammen, in der sie zum ersten Mal und in einer bis heute maßgeblichen Weise wirksam geworden sind. Ein Indikator dafür ist, dass sich die Tragödie als literarische Genrekategorie global als lebensweltlicher Begriff durchsetzen konnte und in der Regel nicht durch semantisch verwandte Vokabeln ausgetauscht wird. Die Tragödie hat keine Synonyme.27

1.2 Das verlorene und neuerdings wiedergewonnene Interesse an der Tragödie

Vor einiger Zeit schien sich ein philosophisches oder kulturwissenschaftliches Interesse an der Tragödie noch erklären zu müssen. Offenbar wirkte die Tragödie so unmodern und unzeitgemäß, dass eine Beschäftigung außerhalb der für sie zuständigen Altphilologie extra zu rechtfertigen war oder selbstbewusst betont werden musste.28 Heute ist die Betonung des Unzeitgemäßen selbst zu einem koketten Topos geworden, der angesichts der neueren Fülle an Literatur anachronistisch wirkt.29
Auch in der Philosophie ist das Thema in den letzten Dekaden populärer geworden, wenngleich es keinen zusammenhängenden Diskurs d...

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