Politische Justiz, Herrschaft, Widerstand
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Politische Justiz, Herrschaft, Widerstand

Aufsätze und Manuskripte

Jürgen Zarusky

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  1. 326 páginas
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Politische Justiz, Herrschaft, Widerstand

Aufsätze und Manuskripte

Jürgen Zarusky

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Der Band vereinigt zwölf Beiträge des am 4. März 2019 ebenso früh wie unerwartet verstorbenen Historikers Jürgen Zarusky. Darunter befinden sich mehrere bislang unveröffentlichte Manuskripte. Die Texte spiegeln die zentralen wissenschaftlichen und politischen Themenfelder, mit denen sich der Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte auseinandergesetzt hat: politische Justiz, nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft sowie Widerstand und Verfolgung. Als maßgebliches methodisches Instrumentarium dient dabei der Diktaturvergleich. Quer dazu liegt mit der Erinnerungspolitik eine weitere Thematik, die für Jürgen Zarusky stets von großer Bedeutung war, betrachtete er den Beruf des Zeithistorikers doch auch als politische Profession. Andreas Wirsching leitet den Band mit einer Würdigung der wissenschaftlichen Persönlichkeit Jürgen Zaruskys ein.

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Información

Año
2021
ISBN
9783110728071
Edición
1
Categoría
History

Teil I: Politische Justiz und Diktaturen

Vergleichende Untersuchungen zur politischen Justiz in der Sowjetunion und im NS-Staat

Vorstudien

1 Vorüberlegungen und Fragestellung

Die geplante Studie soll einen Beitrag zur vergleichenden Diktaturforschung leisten und nimmt die beiden Großdiktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts in den Blick: die bolschewistisch-stalinistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland. Diese beiden Regime sind häufig unter dem Begriff des Totalitarismus zusammengefasst worden, und ebenso häufig wurden dessen Sinnhaftigkeit und Zulässigkeit bestritten. In dieser Debatte sind (geschichts)politische und geschichtswissenschaftliche Perspektiven nicht immer leicht zu trennen.1 Der wissenschaftliche Diktaturvergleich2 wurde (und wird) nicht nur durch die stets präsente Gefahr der Politisierung beeinträchtigt, sondern auch durch die sehr lange Zeit bestehende Unzugänglichkeit sowjetischer Archive für die Forschung. Daraus ergab sich ein beträchtliches und mit dem Fortschritt der NS-Forschung über die Jahrzehnte wachsendes Ungleichgewicht. Seit der sogenannten russischen Archivrevolution, mit der eine sich rasant entwickelnde Stalinismus- und Sowjetunion-Forschung auf breiter Quellenbasis einsetzte, ist dieser Hiatus aber deutlich kleiner geworden und in manchen Bereichen ganz verschwunden. Die Zeit ist damit reif, um auf die in den Diskussionen über die Totalitarismus-Theorien aufgeworfenen Fragen empirische Antworten zu geben, und sie verlangt auch deshalb geradezu danach, weil das Totalitarismus-Paradigma in Zeiten wachsender Spannungen in Europa erneut zum politischen Instrument und Streitobjekt wird.3 Eine Historisierung ist daher dringend erforderlich.
In jüngerer Zeit haben in der vergleichenden Diktaturforschung Gewaltraum-Konzepte Konjunktur; an erster Stelle zu nennen ist dabei Timothy Snyders internationaler Bestseller „Bloodlands“ von 2010. Einer der zentralen Mängel dieses Werks und ähnlich ausgerichteter Publikationen besteht darin, dass sie in hohem Maße von den Sinnzusammenhängen der Gewaltausübung abstrahieren und ideologische Weltbilder und daraus abgeleitete Feindbildkonstruktionen weitgehend aus dem Blick verlieren, oder – noch problematischer – diese rückwirkend aus dem synthetisierenden Konzept des Gewaltraums deduzieren, womit grundlegende Unterschiede verwischt werden.4 Auch wenn sie sich auf die Gewaltgeschichte beschränken und keinen umfassenden Systemvergleich5 anstreben, leiden sie doch zumeist darunter, dass der sehr weite konzeptionelle Rahmen empirisch und vergleichend-analytisch kaum angemessen auszufüllen ist.
In der geplanten Studie soll ein anderer Weg beschritten werden. Sie ist auf einen begrenzten Gegenstand fokussiert und folgt einem spezifischen Ansatz. Im Zentrum stehen justitielle Herrschaftspraktiken und deren legitimierende Funktionen. Die noch im Einzelnen zu begründende Wahl des Vergleichsgegenstands, nämlich der politischen Justiz, ist bedingt durch a) deren Zugehörigkeit zur Herrschaftssphäre, b) ihr relativ klares und begrenztes institutionelles Profil, c) ihre Stellung zwischen Legitimation, Regelhaftigkeit und Massengewalt sowie d) durch das ihr inhärente tertium comparationis, nämlich die Verfahrensgrundsätze des modernen Strafprozesses. Der sich daraus ergebende Forschungsansatz wird im Folgenden eingehender dargelegt.

2 Politische Justiz als Schnittpunkt von Repression und Legitimation

Obwohl politische Justiz gemeinhin vor allem als ein klassisches Merkmal von Diktaturen gilt und Roland Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs, oder Andrej Vyšinskij, der u. a. als Ankläger bei den großen Moskauer Schauprozessen fungierte, geradezu als emblematische Figuren des Totalitarismus gelten, werden ihre Institutionen und Praktiken bei der Analyse diktatorischer Regime und insbesondere in vergleichenden Ansätzen zumeist kaum in Betracht gezogen. Die Ursache dafür ist wahrscheinlich in der alles überschattenden Dominanz exekutiv ausgeübter Willkür und Massengewalt zu sehen. So lautet, um eines der wirkungsstärksten Beispiele anzuführen, das zentrale Postulat über die Struktur „totaler Herrschaft“ in Hannah Arendts klassischem Werk: „Die Polizei ist […] in jedem Sinne das höchste und vornehmste Organ des totalen Herrschaftsapparats; sie verfügt zudem in den Konzentrationslagern über ein in jeder Hinsicht vollkommen ausgestattetes Laboratorium, in welchem die Ansprüche totaler Herrschaft experimentell verifiziert werden sollen.“6 Arendt vertrat die Auffassung, diese neuartige Staatsform, die sie „im Dritten Reich und in dem bolschewistischen Regime“ manifestiert sah,7 habe die traditionellen Begriffe von Verbrechen und Schuld beseitigt und durch die der „Unerwünschten“ und „Lebensuntauglichen“ ersetzt.8 Nationalsozialismus und Stalinismus verstünden sich als Vollstrecker der Gesetzmäßigkeiten der Natur beziehungsweise der Geschichte und müssten daher die „Zäune der Gesetze dem Erdboden gleichmachen“.9 Die Polizei sei dabei berufen, „das innenpolitische Experiment der Transformation der Tatsächlichkeit in die Fiktion zu überwachen“,10 womit die Dialektik von Ideologie und Terror angesprochen wurde. Der Justiz räumte Arendt in ihrer Analyse hingegen allenfalls eine marginale Rolle ein.11
Aber auch in dem ein halbes Jahrhundert später erschienenen Sammelband „Beyond Totalitarianism“, der von Michael Geyer und Sheila Fitzpatrick herausgegeben wurde12 und eines der ehrgeizigsten diktaturvergleichenden Unternehmen der jüngeren Zeit darstellt, stößt man auf den gleichen Befund: Justizsystem und Gerichte fallen bei der Analyse nicht ins Gewicht. Die einschlägigen Beiträge13 reproduzierten trotz erklärter methodischer Distanz und einer natürlich unvergleichbar breiteren Quellen- und Materialbasis sogar in gewisser Hinsicht das Arendt'sche Wahrnehmungsmuster: Die Herrschaftsinstitutionen, die in den Fokus gerückt werden, sind Partei, Geheimpolizei, Militär; die Justiz bleibt außen vor – auch jenseits der Totalitarismus-Theorien findet sich der gleiche blinde Fleck.
Und doch haben die Regime Lenins und Stalins beziehungsweise Hitlers bei der Verfolgung ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner niemals vollständig auf den Einsatz der Justiz verzichtet, auch wenn sie über nahezu allmächtige politische Polizeiapparate verfügten, deren Zugriff oft massenhaft, immer rücksichtslos, nicht selten tödlich war. Wozu diente in einem solchen Umfeld potentiell uneingeschränkter staatlicher Gewalt der prozedurale Aufwand von politischen Prozessen, der sich keineswegs auf wenige spektakuläre Verfahren beschränkte, sondern eine gängige Herrschaftspraxis war? Wozu die vielen langwierigen Untersuchungen, Zeugenanhörungen und Beweiserhebungen, wozu Ankläger und Anklageschriften, Verteidiger, Richter, Beisitzer, wozu das umständliche Zeremoniell der Verhandlungen vor Gericht, wenn in anderen, zum Teil sogar ganz ähnlich gelagerten Fällen ein Befehl oder ein administrativer Akt genügten, um Menschen, die als politisch-ideologische Feinde eingestuft wurden, umstandslos der Freiheit zu berauben oder sie gar ums Leben zu bringen? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt der Studie, deren Gegenstand somit zugleich die spezifischen Funktionen sind, welche die politische Justiz in den betrachteten Regimen erfüllte.
Eine erste grundsätzliche Antwort auf die Frage nach dem wozu lautet: Zur Legitimation! Diesen Gedanken hat insbesondere Otto Kirchheimer in seinem zuerst 1961 in den USA erschienenen, grundlegenden Werk „Politische Justiz“ hervorgehoben. Das Gerichtsverfahren, so Kirchheimer, diene „primär der Legitimierung, damit aber auch der Einengung politischen Handelns. […] Daß sich die Machthaber auf die Festlegung eines Maßstabes einlassen, der, mag er noch so vag oder noch so ausgeklügelt sein, die Gelegenheiten zur Beseitigung wirklicher oder potentieller Feinde einengt, verspricht ihnen ebenso reichen Gewinn wie ihren Untertanen. Die gerichtliche Feststellung dessen, was als politisch legitim zu gelten habe, nimmt unzähligen potentiellen Opfern die Furcht vor Repressalien oder vor dem Liquidiertwerden und fördert bei den Untertanen eine verständnisvolle und freundliche Haltung gegenüber den Sicherheitsbedürfnissen der Machthaber.“14
In der politischen Justiz gehen demnach Repression und Legitimation Hand in Hand. Wenn aber Regime, für deren Herrschaftspraxis extralegale, rein administrativ durchgeführte Verfolgungsmaßnahmen charakteristisch sind, parallel dazu stets auch auf justitielle Mittel zurückgegriffen haben, ist dies ein klarer Hinweis auf das Vorhandensein spezifischer Legitimationsbedürfnisse. Das heißt allerdings keineswegs, dass die außergesetzliche, etwa durch Polizeiorgane unmittelbar umgesetzte Verfolgung als solche keiner Begründung bedürfte. Aleksandr Solženicyn hat darüber im „Archipel Gulag“ reflektiert: „Um Böses zu tun, muß der Mensch es zuallererst als Gutes begreifen oder als bewußte gesetzmäßige Tat. So ist, zum Glück, die Natur des Menschen beschaffen, daß er für seine Handlungen eine Rechtfertigung suchen muß. […] Die Ideologie! Sie ist es, die der bösen Tat die gesuchte Rechtfertigung und dem Bösewicht die nötige zähe Härte gibt. Jene gesellschaftliche Theorie, die ihm hilft, seine Taten vor sich und vor den anderen reinzuwaschen, nicht Vorwürfe zu hören, nicht Verwünschungen, sondern Huldigungen und Lob.“15 Die moderne Täterforschung16 hat indes den Stellenwert unmittelbar ideologischer Motivierung bei staatlichen Massenverbrechen relativiert. Als einziger, durchgängiger und entscheidender Beweggrund – das dürfte trotz unterschiedlicher Gewichtungen Konsens sein – kann sie nicht gelten, schon allein deshalb nicht, da es in der Regel um institutionell eingebundenes, oft arbeitsteiliges staatliches Handeln geht. Auch der ideologiegeleitete Herrschaftsdiskurs bedarf der Abstützung durch etablierte und anerkannte Verfahren.
Insbesondere dort, wo die Herrschaft einerseits stark in die Verhältnisse der Untertanen eingreift und andererseits die Ideologie allein als Rechtfertigungsgrund nicht ausreichend ist, kann daher die politische Justiz eine anderweitig schwer zu erzielende legitimierende Wirkung entfalten. Das Verfahren, also die rechtlich geordnete Entscheidungsfindung, nehme, so der Soziologe Niklas Luhmann, einen jeweils „einmaligen Platz in Raum und Zeit“ ein. Gerichtsverfahren seien dabei gegenüber politischen Wahlen und Verfahren der Gesetzgebung, die er in seiner Studie „Legitimation durch Verfahren“ ebenfalls untersuchte, „die ältere und elementarere Verhaltensordnung“.17 Legale und traditionale Legitimationsfaktoren verb...

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