Rückzug oder Kreuzzug?
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Rückzug oder Kreuzzug?

Die Krise des Christentums und die Gefahr des Fundamentalismus

Michael Blume

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Rückzug oder Kreuzzug?

Die Krise des Christentums und die Gefahr des Fundamentalismus

Michael Blume

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Religionen werden maßgeblich durch ihre Medien geprägt – z. B. Judentum, Christentum und Islam von ihren jeweiligen Alphabeten und dem darauf basierenden Denken. Digitalisierung bedeutet daher auch, dass Kirchen und Religionen immer weniger als unabhängige Akteure erscheinen, sondern als Varianten von »Religion« insgesamt wahrgenommen werden.Gegen den Trend zur globalen Vereinheitlichung stemmen sich religiöse Fundamentalisten, die seriöse Wissenschaften, freiheitliche Gesellschaften und andere Religionen bekämpfen. Auf der anderen Seite droht stiller Rückzug, also Selbst-Säkularisierung der Kirchen.Michael Blume zeigt Zusammenhänge auf, die nur auf den ersten Blick überraschen: Durch ihren Umgang mit der Digitalisierung und der Klimakrise entscheidet sich heute, welche Eigenständigkeit die christlichen Kirchen – und die Religionen überhaupt – sich zwischen Säkularismus und Fundamentalismus künftig bewahren können.

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Información

Editorial
Patmos Verlag
Año
2021
ISBN
9783843613330

1. Das Kreuz mit der Wahrheit

»Alle diese neuen Bücher und vor allem die Diskussionen
führen ins Verderben, untergraben alle Tugend und Moral,
verführen zu Lässigkeit, Lizenz, Bequemlichkeit
und Indifferenz gegenüber aller Religion und der natürlichen
Bindung an Eltern, Souveräne und Obrigkeiten.«
Kaiserin Maria Theresia von Österreich (1717–1780)22
»Es gibt keine Rückkehr in einen harmonischen Naturzustand.
Wenn wir uns zurückwenden,
dann müssen wir den ganzen Weg gehen –
wir müssen wieder zu Raubtieren werden.«
Karl Popper (1902–1994)23
Wir lernten viel zu lange, die Menschheit in streng abgegrenzte Religionen einzuteilen. Den Höhepunkt erlebte diese sich erst langsam auflösende Vorstellung nicht zufällig nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und damit durch die Sehnsucht nach neuen, identitätspolitischen Abgrenzungen. Die liberale, kapitalistische, westliche Demokratie hatte scheinbar alternativlos gesiegt und Millionen Suchender fragten sich: War Identität denn auch ohne Abgrenzung zu haben? Konnte es ein gemeinsames »wir« ohne ein abgrenzendes »die«, konnte es Freunde ohne Feinde geben? Gegen wen und was waren noch die enormen Aufwendungen für Verteidigung, aber auch das erhebende Selbstverständnis des Verteidigers zu rechtfertigen? War es Zeit für eine rückhaltlose Friedensdividende? Oder brauchte das Abendland sein Morgenland, ein schwindendes Christentum seine Bekräftigung durch einen bedrohlichen Islam?

Die Mär vom »Kampf der Kulturen«

Samuel Huntington befriedigte dieses Bedürfnis kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, indem er 1993 in einem Artikel und 1996 in einem Buch-Bestseller den globalen »Clash of Civilisations«, einen »Kampf der Kulturen«, anbot.
Die Weltkarte färbte er dabei neu in acht abgegrenzte »Kulturkreise« ein: Da gebe es die »sinische« (chinesische) »Weltzivilisation« mit 1,34 Milliarden Menschen. Auf sie folge der islamische »Block« mit 928 und die hinduistische Entsprechung mit 916 Millionen Angehörigen. Die »westliche Weltzivilisation« vor allem evangelischer, jüdischer und zunehmend säkularer Prägung komme noch auf 806 Millionen Menschen, gefolgt vom katholischen Lateinamerika mit 508 Millionen. Als religiös gemischt präsentierte Huntington dagegen den afrikanischen »Kulturkreis« mit 392 Millionen, gefolgt von den Christlich-Orthodoxen mit 261 und schließlich dem kleinsten, dem japanischen »Block« mit 125 Millionen.24
Vor allem an den »blutigen Grenzen des Islam« würden sich, so sagte Huntington voraus, »Bruchlinienkriege« entzünden.25 Menschen würden ihre »Identität« zunehmend negativ über Feindbilder definieren: »Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.«26
Obwohl viele Menschen an diese simple Unterteilung der Welt glauben wollten und als Indiz dafür etwa die Balkankriege anführten, erfüllten sich die Huntingtonschen Vorhersagen nicht – im Gegenteil. Kurz nach dem vorhergesagten »Clash« zwischen den »Kulturkreisen« wurde mit Jitzchak Rabin (1922–1995) erstmals ein Ministerpräsident des Staates Israel ermordet. Der Mörder war jedoch kein Muslim oder Angehöriger eines nichtwestlichen »Kulturkreises«, sondern ein extremistischer Jude, der dem einstigen General und Friedensnobelpreisträger vorwarf, Israel an seine arabischen Feinde verraten zu haben. Die tödlichen Schüsse fielen nach einer Rede Rabins auf einer Friedensdemonstration.27
Vor Rabin war die indische Premierministerin Indira Gandhi (1917–1984) nach einem Konflikt im eigenen »Kulturkreis« von ihren Sikh-Leibwächtern ermordet worden. Drei Jahre vor ihr war der ägyptische Staatspräsident Anwar al-Saddat (1918–1981) von radikalen Muslimen erschossen worden. Vor ihm waren die christlichen Reformer Präsident John F. Kennedy (1917–1963) und Pastor Martin Luther King jr. (1929–1968) jeweils von Christen ermordet worden. Ihnen voran ging wiederum der ceylonesisch-buddhistische Premierminister S. W. R. D. Bandaranaike (1899–1959), der auf seiner Veranda von einem buddhistischen Mönch erschossen wurde. Der hinduistische Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi (1869–1948) wurde von einem extremistischen Hindu ermordet. Auch der antisemitische Mord am liberalen Außenminister Walter Rathenau (1867–1922) in der Weimarer Republik fand innerhalb des gleichen »Kulturkreises« nach Huntington statt. Die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand (1863–1914) durch einen ebenfalls christlichen Serben trug zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges bei.
All diese und zahlreiche weitere politische Morde fanden jeweils innerhalb der von Huntington konstruierten »Kulturkreise« statt. Oft waren die Attentäter sogar deshalb an ihre Opfer herangekommen, weil der Hass nicht aus den »eigenen« Reihen erwartet worden war. Und die Vorwürfe der Extremisten bezogen sich regelmäßig darauf, dass die Angegriffenen sich gerade nicht in einer Logik abgeschlossener »Kulturkreise« bewegt, sondern sich auf Dialog und Frieden mit Angehörigen anderer Religionen und Ethnien eingelassen hätten.
Huntingtons »Bruchlinien« erwiesen sich nicht als politisch vorfindbare, sondern als brüchige, oft durch Extremisten gewaltsam beschworene Konstruktionen. Entsprechend schlugen auch die abgeleiteten Prognosen über einen kommenden »Krieg der Kulturen« fehl. Als eine europäisch-amerikanische Koalition endlich in die Balkankriege eingriff, tat sie das gerade nicht entlang der von Huntington konstruierten »Kulturkreise«, sondern trat auf Seiten verfolgter Muslime gegen christlich-orthodoxe Serben an. In Ruanda fielen 1994 christliche Hutu und Tutsi übereinander und über friedensbereite Akteure in den je »eigenen« Reihen her. Ebenso wurden und werden Kurdinnen und Kurden auch von ihren »Glaubensgeschwistern« in der Türkei und im Iran gewaltsam unterdrückt.
Dem von muslimischen Extremisten begangenen Terroranschlag des 11. September 2001 in New York fielen auch zahlreiche Musliminnen und Muslime an der Seite ihrer christlichen, jüdischen, anders- und nichtglaubenden Kolleginnen und Kollegen zum Opfer. Tatsächlich hatten die afghanischen Taliban erst zwei Tage zuvor den prominenten sunnitischen Mudschaheddin Ahmad Schah Massoud (1953–2001) durch einen Anschlag ermordet. Der Terrorangriff von New York richtete sich zudem gezielt auch gegen das mit den USA verbündete Königshaus von Saudi-Arabien. Doch auch dieses arabisch-amerikanische, »Kulturkreis«-überspannende Öl-Bündnis wurde unter dem damaligen Präsidenten Bush wie auch unter allen seinen Nachfolgern beibehalten. Die US-amerikanischen Truppen stützten sich bei ihren Einmärschen in Afghanistan und im Irak jeweils auch auf muslimische Verbündete und überließen diesen unter anderem die Verurteilung und Hinrichtung des irakischen Diktators Saddam Hussein (1937–2006).
Die derzeit wirklich blutigen Kriege im Nahen und Mittleren Osten finden innermuslimisch vor allem entlang der sunnitisch-schiitischen »Bruchlinien« im Irak, in Syrien und im Jemen statt, wobei sich die Kriegführenden je auch auf verschiedene »christliche« Verbündete wie die USA und Russland stützen. Die regionalen innermuslimischen Golfkriege kosteten unzählige Leben. Und allein in Syrien starben innerhalb der letzten Jahre über eine halbe Million Menschen in einem entfesselten Bürgerkrieg – fünfmal mehr als in allen arabisch-israelischen Kriegszügen seit der Staatsgründung Israels 1948 zusammen. Auch im heutigen Irak machen schiitische Milizen blutige Jagd auf überwiegend muslimische Aktivisten von Protest- und Demokratiebewegungen.28
Zudem weiß heute jeder auch nur annähernd Kundige, dass sich Terror und Raketen der islamisch-antisemitischen Hamas außer gegen jüdische auch gegen muslimische Israelis und nicht zuletzt gegen die konkurrierende palästinensische Fatah richten. Beide nominell islamische Bewegungen verzögern wirklich freie und faire Wahlen seit nun 15 Jahren – sie wissen um die eigene Korruption und wachsende Wut auch in ihrer eigenen, dominant muslimischen Bevölkerung. Dagegen wurde 2021 nicht nur erstmals eine arabisch-muslimische Partei Teil einer israelischen Regierung, sondern es steigt auch die Zahl der arabisch-muslimischen Freiwilligen in der israelischen Armee.29
Zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte sich Huntington noch einmal in einer Verteidigung seiner Bruchlinien-These gegen die Zuwanderung katholischer Christinnen und Christen aus Lateinamerika in die protestantisch geprägten USA gewandt. Schon für Europa konnte er aber auch weiterhin die Zugehörigkeit etwa der katholisch geprägten Länder Italien, Spanien und Portugal zum »Westen« nicht bestreiten. Stattdessen verschob er seine frühere Betonung von »Kulturkreisen« leise auf die von »Kulturen« hervorgebrachten »Werte«.30
Dass katholisch, evangelisch und christlich-orthodox geprägte Staaten in der Europäischen Union zusammenblieben, wogegen ausgerechnet das anglikanische Großbritannien austrat, darf als vielleicht letzte Widerlegung der Huntingtonschen »Kulturkreis«-Theorie gelten. Sie wurde und wird durch die Entwicklungen und auch Konflikte, die wir damals und heute weltweit beobachten, schlichtweg widerlegt. Religionen und Weltanschauungen bilden keine geschlossenen »Blöcke«, sondern gerade auch intern miteinander ringende Strömungen.

1.1 Eine neue These: Monistinnen gegen Dualisten

Im Folgenden möchte ich daher eine neue Perspektive vorschlagen, die die real beobachtbaren Kriege, Konflikte und Terrorkampagnen des 20. und unseres aktuellen Jahrhunderts sehr viel besser zu erklären vermag. Ich behaupte, dass die »Bruchlinien« nicht zwischen den, sondern »innerhalb« der Religionen, Weltanschauungen und Gesellschaften verlaufen. Wir erleben eine globale, interkulturelle und interreligiöse Konfrontation zwischen Monisten, die von einer Einheit der erfahrbaren Welt ausgehen, und Dualisten, die hinter der Globalisierung eine bösartige Weltverschwörung vermuten.
Den Monismus hat der große Erkenntnistheoretiker Karl Popper mit den Begriffen des »pragmatischen Rationalismus« und der »offenen Gesellschaft« beschrieben: Monistinnen und Monisten glauben an eine dynamisch geschichtete (»emergente«) Einheit der Welt, die wir also beobachten und erforschen sollten, wenn wir sie auch nie völlig begreifen können. Zum Monismus gehört ein Grundvertrauen in Bildung und in die Naturwissenschaften, über die und zu denen sich eine Vielzahl philosophischer und religiöser Mythen entfalten darf. Auf Grundlage dieser Unterscheidung von zunehmend gesichertem Wissen einerseits und offener Freiheit andererseits erleben Monistinnen den Dialog mit Andersglaubenden oft als Bereicherung. Dem auch durch digital verbreitete Lügen drohenden »Tod der Wahrheit« halten sie gern die Aussage des prominenten US-Demokraten Daniel Patrick Moynihan (1927–2003) entgegen: »Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten.«31
Zwischen der objektiv sich entwickelnden Realität einerseits und dem subjektiven Meinen andererseits hat sich laut Hannah Arendt (1906–1975) das begründete »Urteilen« zu entwickeln. Susan Neiman verwies darauf, dass Arendt nicht nur ein Leben lang an Kants »Kritik der Urteilskraft« (1790) gearbeitet und mit Berichten über den Jerusalemer Gerichtsprozess gegen Adolf Eichmann (1906–1962) heftige Kontroversen ausgelöst hat. Noch am Tag ihres plötzlichen Todes habe sich die erste Seite ihres geplanten Trilogie-Abschlusses »Judging« (deutsch: »Urteilen«) in die Schreibmaschine eingespannt gefunden.32 Den...

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