1.1Bundes- und landesrechtliche Grundlagen
Die Grundlagen der Gemeindeverfassung finden sich neben den §§ 1â3 der Gemeindeordnung (GO) vor allem in Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 78 LV.
Nach Art. 28 Abs. 2 GG muss den Gemeinden âdas Recht gewĂ€hrleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.â Gem. Art. 78 Abs. 1 LV sind Gemeinden âGebietskörperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltungâ.
Nach dem VGH NRW enthalten beide Normen im Grundsatz âdieselbe Garantieâ des kommunalen Selbstverwaltungsrechts (VGH NRW, OVGE 9, 74, 75). Mit der ausdrĂŒcklichen ErwĂ€hnung der Wahl der gemeindlichen Organe gehe Art. 78 Abs. 1 LV jedoch noch ĂŒber die GewĂ€hrleistung des Art. 28 Abs. 2 GG hinaus. Die Regelung besage, dass die Organe â direkt oder indirekt â von der Gemeinde gewĂ€hlt werden. Mit der verfassungsrechtlichen VerbĂŒrgung der Eigenwahl grenze sich die LV bewusst von der frĂŒher möglichen Organbestellung von anderer Seite (Staat, Kreis etc.) ab (VGH NRW, a. a. O., S. 76).
Die Verfassungsrichter zitieren die Vorschriften der Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LV regelmĂ€Ăig gemeinsam (Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Art. 78, Rn. 13).
Rechtsprechung und Literatur haben die verfassungsrechtliche GewÀhrleistung der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LV ausgeformt (Schoch, JURA 2001, 121, 123). Unterschieden werden der Schutzgehalt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts (1.2), die Schranken der Selbstverwaltungsgarantie (1.3) und die Grenzen gesetzlicher Eingriffsbefugnisse (1.4) (zum Ganzen: Schoch, JURA 2001, 121 f.).
1.2Der Schutzgehalt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts
Der Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie umfasst grds. alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (BVerwGE 127, 155, 157, sog. Grundsatz der AllzustĂ€ndigkeit oder UniversalitĂ€t). Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind âdiejenigen BedĂŒrfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug habenâ (BVerfGE 79, 127, 151). Bei der Ermittlung, welche Angelegenheiten unter diese Definition fallen, ist u. a. auf die geschichtliche Entwicklung und die verschiedenen historischen Erscheinungsformen der kommunalen Selbstverwaltung abzustellen (BVerfGE 11, 266, 274). Den Kommunen steht aber auch das Recht zu, neue örtliche Aufgaben fĂŒr sich in Anspruch zu nehmen (sog. Recht der SpontanitĂ€t, Löwer/Tettinger, Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Art. 78, Rn. 29). Ein weiteres Kriterium, wann eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegt, ist die GröĂe der jeweiligen Gemeinde (BVerfGE 79, 127, 153).
Von Verfassungs wegen ist den Kommunen garantiert, ihre eigenen Angelegenheiten in eigener Verantwortung wahrzunehmen (BVerwGE 127, 155, 157, sog. Autonomie). Ob, wann und wie eine Gemeinde eine Selbstverwaltungsaufgabe ĂŒbernimmt, ist ihre freie Entscheidung (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, 13. Auflage, Art. 28, Rn. 16).
Typische FĂ€lle gemeindlicher Aufgabenwahrnehmung sind die sog. Gemeindehoheiten. Im Wesentlichen werden folgende Hoheiten unterschieden:
Die Gebietshoheit ist das Recht der Gemeinde, gegenĂŒber jedermann, der sich auf ihrem Gebiet aufhĂ€lt, âHerrschaftsgewaltâ (BVerfGE 52, 95, 118) auszuĂŒben, also rechtserhebliche Handlungen vorzunehmen.
Die Organisationshoheit berechtigt die Kommunen, fĂŒr die Wahrnehmung ihrer Aufgaben AblĂ€ufe und EntscheidungszustĂ€ndigkeiten festzulegen (VGH NRW, NWVBl. 2002, 101, 103). Dabei kommt dem staatlichen Gesetzgeber eine weitgehende Befugnis zu, die Organisationsstrukturen nach seinen Vorstellungen zu regeln (BVerwG, NWVBl. 2007, 53). So verstöĂt bspw. die in § 5 Abs. 2 normierte Pflicht, hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen, nicht gegen die Landesverfassung (VGH NRW, NWVBl. 2002, 101).
Die Personalhoheit besagt, dass die Gemeinden ihr Personal selbst auswĂ€hlen, anstellen, befördern und entlassen dĂŒrfen (BVerfGE 91, 228, 245). Die Planungshoheit bedeutet fĂŒr die Gemeinden die Befugnis, im Rahmen ihrer Bauleitplanung die kĂŒnftige Entwicklung des Gemeindegebiets grds. nach eigenen Vorstellungen zu steuern und zu gestalten (VGH NRW, NWVBl. 1997, 333, 336). Die Rechtssetzungshoheit besagt, dass die Gemeinde ihre eigenen Angelegenheiten durch Satzung (sog. Satzungsautonomie, § 7) und im Einzelfall durch Verwaltungsakt regeln darf. Die Finanzhoheit umfasst neben der Kompetenz zur eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft (BVerfGE 71, 25, 36) auch das Recht auf eine aufgabenadĂ€quate Finanzausstattung (BVerwGE 127, 155, 157). FĂŒr den VGH NRW ist die Finanzausstattungsgarantie verletzt, wenn einer sinnvollen BetĂ€tigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen und dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt wird (VGH NRW, DVBl. 2014, 918 f. und VGH NRW, NWVBl. 2008, 223, 225). Nach dem ThĂŒringer Verfassungsgerichtshof (NVwZ-RR 2005, 665, 668) ist das dann der Fall, wenn die Kommunen neben der ErfĂŒllung ihrer Pflichtaufgaben nicht mehr in der Lage sind, freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zu ĂŒbernehmen. Vor dem Hintergrund der angespannten Finanzlage der Kommunen aber auch vieler LĂ€nder und dem NĂ€herrĂŒcken der Schuldenbremse im Jahre 2020 kommt es in letzter Zeit vermehrt zu Verfassungsbeschwerden von Kommunen gegen das jeweilige Gemeindefinanzierungsgesetz. Eine zentrale Frage ist dabei, ob es unabhĂ€ngig von der Finanzkraft des Landes einen unantastbaren Kern der Finanzausstattungsgarantie bzw. eine absolute Untergrenze gibt, die in keinem Fall angetastet bzw. unterschritten werden darf. Neben dem VGH NRW (DVBl. 2014, 918 f.) lehnen auch der bayerische Staatsgerichtshof (VerfGHE BY 60, 184 f.) der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (DVBl. 2012, 432 f.) sowie die Verfassungsgerichte aus Sachsen-Anhalt (NVwZ-RR 2000, 1 f.), Sachsen (SĂ€chsVBl. 2001, 61 f.) und Baden-WĂŒrttemberg (DVBl. 1999, 1351 f.) die Konzeption eines unantastbaren Kernbereichs ab. DemgegenĂŒber lĂ€sst sich der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte aus ThĂŒringen (NVwZ-RR 2005, 665 f.), Niedersachsen (NVwZ-RR 2001, 553 f.), Brandenburg (NVwZ-RR 2000, 129 f.) und Hessen (NVwZ 2013, 1151 f.) entnehmen, dass diese Gerichte von einer absoluten Untergrenze ausgehen, die in keinem Fall unterschritten werden darf. Zu diesem heterogenen Bild der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte kommt die Ansicht des BVerwG hinzu. Mit Urteil vom 31.3.2013 (BVerwGE 145, 378 f., DVBl. 2013, 858 f.) hat es festgestellt, dass der Mindestfinanzbedarf der Kommunen einen abwĂ€gungsfesten Mindestposten im öffentlichen Finanzwesen des jeweiligen Landes darstelle, der auch nicht durch Hinweis auf die LeistungsfĂ€higkeit des Landes relativiert werden könne. Der Kernbereich der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie werde jedoch nicht schon dann verletzt, wenn die Finanzausstattung einer Gemeinde nur in einem Jahr oder nur fĂŒr einen vorĂŒbergehenden Zeitraum hinter dem verfassungsgebotenen Minimum zurĂŒckbleibe. Der Kernbereich der Garantie sei vielmehr erst dann verletzt, wenn die Gemeinde strukturell und auf Dauer auĂerstande sei, ihr Recht auf eine eigenverantwortliche ErfĂŒllung auch freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen.
Neben den Gemeindehoheiten zÀhlt die Rechtsprechung zu den gemeindlichen Angelegenheiten z. B. noch die Abwasserbeseitigung (BVerwG, NWVBl. 2007, 53), das Betreiben gemeindlicher Einrichtungen (BVerwG, NVwZ 2000, 675 f.) oder das Sparkassenwesen (Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, 2. Auflage, Art. 28, Rn. 151).
Keine Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind etwa verteidigungspolitische Fragen â z. B. eine Kommune erklĂ€rt sich zur âatomwaffenfreien Zoneâ â, es sei denn, die Frage hat einen spezifischen örtlichen Bezug (BVerwGE 87, 228, 230 f.). Ebenso wenig dĂŒrfen Gemeinden Warnungen vor Sekten aussprechen oder Werbeverbote fĂŒr Alkohol und Tabak verhĂ€ngen (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Auflage, Art. 28, Rn. 15 m. w. N.). Die GewĂ€hrleistung eines bestimmten eigenen, selbstverantwortlich wahrgenommenen Aufgabenbereichs wird auch als âRechtsinstitutionsgarantieâ bezeichnet (Schoch, JURA 2001, 121, 124).
Daneben vermitteln Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LV noch weitere Garantien: Die institutionelle Rechtssubjektsgarantie sagt, dass es ĂŒberhaupt Gemeinden geben muss (Burgi, Kommunalrecht, 4. Auflage, § 6, Rn. 23). Die subjektive Rechtsstellungsgarantie gibt jeder Kommune das Recht, von den aus Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LV Verpflichteten â den TrĂ€gern deutscher öffentlicher Gewalt â die Beachtung der Rechtsinstitutionsgarantie und der institutionellen Rechtssubjektsgarantie zu verlangen (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Auflage, Art. 28, Rn. 11).
(Vermeintliche) Verletzungen ihres Selbstverwaltungsrechts kann die Gemeinde auf dem Verwaltungsrechtsweg und vor den Verfassungsgerichten rĂŒgen. Wendet sich eine Kommune unmittelbar gegen eine gesetzliche Regelung, kommt die Kommunalverfassungsbeschwerde in Betracht. Nach Art. 75 Nr. 4 LV, §§ 12 Nr. 8, 52 VGHG können Gemeinden vor dem VGH NRW Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, dass Landesrecht die Vorschriften der Landesverfassung ĂŒber das Recht der Selbstverwaltung verletze (Burgi, Kommunalrecht, 4. Auflage, § 9, Rn. 6). Meint eine Gemeinde, Bundesrecht verstoĂe gegen ihr Selbstverwaltungsrecht kann sie Kommunalverfassungsbeschwerde zum BVerfG erheben, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 91 BVerfGG. Die Kommunalverfassungsbeschwerden sind fristgebunden. Sie mĂŒssen jeweils ein Jahr nach Inkrafttreten des streitgegenstĂ€ndlichen Gesetzes erhoben werden, § 52 Abs. 2 VGHG, § 93 Abs. 3 BVerfGG.
Ob die Gemeinde auch das Recht zur Individualverfassungsbeschwerde zum BVerfG hat, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 90 f. BVerfGG, richtet sich danach, ob man sie als grundrechtsverpflichtete öffentlich-rechtliche Körperschaft fĂŒr grundrechtsberechtigt ansehen will. Die herrschende Meinung (vgl. Burgi, Kommunalrecht, 4. Auflage, § 9, Rn. 3 und 7) geht davon aus, dass die Kommune sich jedenfalls dann nicht auf Grundrechte berufen darf, soweit sie öffentliche Aufgaben erfĂŒllt. Auch fĂŒr ihr fiskalisches TĂ€tigwerden â etwa die Teilnahme am Wirtschaftsleben â wird kein Grundrechtsschutz gewĂ€hrt, da es an der sog. âgrundrechtstypischen GefĂ€hrdungslageâ fehle, die das VerhĂ€ltnis BĂŒrger-Staat kennzeichne. Die Verfahrensgrundrechte (Art. 19 Abs. 4, 101, 103 GG) gelten jedoch unstreitig auch fĂŒr Gemeinden. Insoweit ist auch eine Individualverfassungsbeschwerde möglich (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Auflage, Art. 19, Rn. 27).
1.3Die Schranken der Selbstverwaltungsgarantie
Das Recht auf Selbstverwaltung gilt nicht uneingeschrĂ€nkt, sondern ist nur im âRahmen der Gesetzeâ garantiert, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Die inhaltlich identische BeschrĂ€nkung liest der VGH NRW auch aus Art. 78 Abs. 2 LV. (Tettinger, in: Löwer/Tettinger, Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Art. 78, Rn. 36). Der Gesetzesvorbehalt bezieht sich sowohl auf das Schutzelement der Aufgabengarantie als auch auf das Schutzelement der Eigenverantwortlichkeit (Schoch, JURA 2001, 121, 125). Er umfasst ânicht nur die Art und Weise der Erledigung der örtlichen Angelegenheiten, sondern ebenso die gemeindliche ZustĂ€ndigkeit fĂŒr diese Angelegenheitenâ (BVerfGE 79, 127, 143). Gesetze i. S. d...