Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte / Thirteen Ways of Looking at a Short Talk
eBook - ePub

Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte / Thirteen Ways of Looking at a Short Talk

Anne Carson, Anja Utler

Partager le livre
  1. 52 pages
  2. German
  3. ePUB (adapté aux mobiles)
  4. Disponible sur iOS et Android
eBook - ePub

Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte / Thirteen Ways of Looking at a Short Talk

Anne Carson, Anja Utler

DĂ©tails du livre
Aperçu du livre
Table des matiĂšres
Citations

À propos de ce livre

Eine der wichtigsten Stimmen der Gegenwart aus Kanada: am 7. Juni 2020 in Berlin.Am 7.Juni 2020 wird die Berliner Rede zur Poesie von der 1950 in Toronto geborenen kanadischen Dichterin, Essayistin, Übersetzerin und Klassischen Philologin Anne Carson gehalten. Carson lehrte von 1980 bis 1987 an der McGill University, der University of Michigan und der Princeton University. Sie wird in Kanada und den USA als eine der wichtigsten Stimmen der Gegenwart gefeiert. In ihren BĂŒchern vermischt sie die Formen von Poesie, Essay, Prosa, Kritik, Übersetzungen, dramatischem Dialog, Fiktion und Non-Fiction. Anne Carson wird sich in ihrer Rede intensiv mit den verschiedenen Formen von Poesie, Prosa und bildender Kunst auseinandersetzen.

Foire aux questions

Comment puis-je résilier mon abonnement ?
Il vous suffit de vous rendre dans la section compte dans paramĂštres et de cliquer sur « RĂ©silier l’abonnement ». C’est aussi simple que cela ! Une fois que vous aurez rĂ©siliĂ© votre abonnement, il restera actif pour le reste de la pĂ©riode pour laquelle vous avez payĂ©. DĂ©couvrez-en plus ici.
Puis-je / comment puis-je télécharger des livres ?
Pour le moment, tous nos livres en format ePub adaptĂ©s aux mobiles peuvent ĂȘtre tĂ©lĂ©chargĂ©s via l’application. La plupart de nos PDF sont Ă©galement disponibles en tĂ©lĂ©chargement et les autres seront tĂ©lĂ©chargeables trĂšs prochainement. DĂ©couvrez-en plus ici.
Quelle est la différence entre les formules tarifaires ?
Les deux abonnements vous donnent un accĂšs complet Ă  la bibliothĂšque et Ă  toutes les fonctionnalitĂ©s de Perlego. Les seules diffĂ©rences sont les tarifs ainsi que la pĂ©riode d’abonnement : avec l’abonnement annuel, vous Ă©conomiserez environ 30 % par rapport Ă  12 mois d’abonnement mensuel.
Qu’est-ce que Perlego ?
Nous sommes un service d’abonnement Ă  des ouvrages universitaires en ligne, oĂč vous pouvez accĂ©der Ă  toute une bibliothĂšque pour un prix infĂ©rieur Ă  celui d’un seul livre par mois. Avec plus d’un million de livres sur plus de 1 000 sujets, nous avons ce qu’il vous faut ! DĂ©couvrez-en plus ici.
Prenez-vous en charge la synthÚse vocale ?
Recherchez le symbole Écouter sur votre prochain livre pour voir si vous pouvez l’écouter. L’outil Écouter lit le texte Ă  haute voix pour vous, en surlignant le passage qui est en cours de lecture. Vous pouvez le mettre sur pause, l’accĂ©lĂ©rer ou le ralentir. DĂ©couvrez-en plus ici.
Est-ce que Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte / Thirteen Ways of Looking at a Short Talk est un PDF/ePUB en ligne ?
Oui, vous pouvez accĂ©der Ă  Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte / Thirteen Ways of Looking at a Short Talk par Anne Carson, Anja Utler en format PDF et/ou ePUB ainsi qu’à d’autres livres populaires dans Letteratura et Saggi letterari. Nous disposons de plus d’un million d’ouvrages Ă  dĂ©couvrir dans notre catalogue.

Informations

Année
2020
ISBN
9783835344792

1. Einige Worte dazu worĂŒber ich am meisten nachdenke

IrrtĂŒmer.
Und die GefĂŒhle dazu.
An der Grenze zum Irrtum liegt die Angst.
Inmitten eines Irrtums herrschen Torheit und Niederlage.
Den eigenen Irrtum zu erkennen verursacht Scham und SchuldgefĂŒhle.
Wirklich?
Schauen wir uns das genauer an.
Eine Menge Leute, darunter Aristoteles, halten den Irrtum
fĂŒr einen interessanten und wertvollen geistigen Vorgang.
In seiner Rhetorik erörtert Aristoteles die Metapher
und sagt, es gibt drei Arten von Wörtern.
Fremdartige, gewöhnliche und metaphorische.
»Fremdartige Wörter verwirren uns einfach;
gewöhnliche vermitteln etwas, das wir schon wissen;
die Metapher aber liefert uns etwas Neues und Frisches«
(Rhetorik, 1410b10–13).
Was ist das Frische an einer Metapher?
Aristoteles sagt, die Metapher erlaubt dem Denken sich selbst dabei zu erleben
wie es einen Fehler macht.
Er stellt sich vor wie das Denken sich ĂŒber die glatte OberflĂ€che
gewöhnlicher Sprache bewegt
und diese OberflÀche
wird auf einmal brĂŒchig oder kompliziert.
Unerwartbarkeit taucht auf.
Alles wirkt zunĂ€chst sonderbar, widersprĂŒchlich oder falsch.
Dann ergibt es Sinn.
Und in diesem Moment, so Aristoteles,
wendet sich das Denken an sich selbst und sagt:
»Wie wahr! Und doch hatte ich mich geirrt darin!«
Aus dem wahren Irren der Metapher lÀsst sich etwas lernen.
Nicht nur, dass die Dinge anders sind als sie scheinen,
weshalb wir uns in ihnen irren,
sondern auch, dass diese IrrtĂŒmer wertvoll sind.
Nicht abbringen lassen davon, sagt Aristoteles,
hier gibt es viel zu sehen und zu fĂŒhlen.
Metaphern lehren das Denken
die eigenen Fehler zu genießen
und etwas zu lernen
aus dem Nebeneinander dessen, was der Fall ist, und was nicht.
Ein chinesisches Sprichwort sagt,
Ein einzelner Pinselstrich schreibt keine zwei Zeichen.
Und doch
macht ein guter Fehler genau das.
Hier ein Beispiel.
Es ist ein Fragment aus der altgriechischen Lyrik,
das einen arithmetischen Fehler enthÀlt.
Der Dichter scheint nicht zu wissen,
dass 2 + 2 = 4.
Alkman Fragment 20:
[?] machte drei Jahreszeiten, Sommer
und Winter und Herbst als die dritte
und als viertes den FrĂŒhling wenn es
die BlĂŒten gibt nur genug zu essen gibt
es nicht.
Nun lebte Alkman im 7. Jahrhundert v. Chr. in Sparta.
Sparta war ein armes Land
und es ist unwahrscheinlich, dass Alkman
dort ein wohlhabendes oder wohlgenĂ€hrtes Leben fĂŒhrte.
Diese Tatsache bildet den Hintergrund fĂŒr seine Äußerung,
die in den Hunger fĂŒhrt.
Hunger, wenn er dir widerfÀhrt,
fĂŒhlt sich immer an wie ein Fehler.
Alkman erlaubt uns diesen Fehler gemeinsam mit ihm
zu erfahren
durch den zielfĂŒhrenden Einsatz einer falschen Rechnung.
FĂŒr einen armen Dichter in Sparta, der nichts
mehr in seinem Schrank hat
am Ende des Winters –
fĂŒr den kommt der FĂŒhling so
als hĂ€tte die Naturwirtschaft es sich plötzlich anders ĂŒberlegt,
als viertes in einer Reihe von dreien,
was seine Arithmetik aus dem Gleichgewicht treibt
und seinen Vers ins Enjambement.
Alkmans Gedicht bricht ab, mitten in einem jambischen Metron,
ohne zu erklÀren,
woher der FrĂŒhling kam
oder warum Zahlen uns nicht dabei helfen,
die Wirklichkeit besser unter Kontrolle zu kriegen.
Es gibt drei Dinge, die mir an Alkmans Gedicht gefallen.
Erstens, dass es klein ist,
leicht
und mehr als perfektioniert ökonomisch.
Zweitens, dass es Farben andeutet etwa ein fahles GrĂŒn
ohne sie zu nennen.
Drittens, dass es ihm gelingt ein paar zentrale
metaphysische Fragen ins Spiel zu bringen
(wie Wer hat die Welt gemacht)
ohne offenkundiges Urteil.
Ihnen ist aufgefallen, dass das Verb »machte« im ersten Vers
kein Subjekt hat: [?]
FĂŒr das Griechische ist es sehr ungewöhnlich,
dass ein Verb kein Subjekt hat, tatsÀchlich
ist das ein grammatikalischer Fehler.
Strenge Philologen wĂŒrden Ihnen sagen,
dass es sich schlicht um eine Überlieferungspanne handelt,
dass das Gedicht wie wir es haben
gewiss ein Fragment ist, abgebrochen
von einem lÀngeren Text
und dass es so gut wie sicher ist, dass Alkman
den fĂŒr die Schöpfung Verantwortlichen genannt hat
in den Versen, die dem vorangingen, was wir hier haben.
Das kann gut sein.
Aber wie Sie wissen, ist das Hauptziel der Philologie
alle Freude, die man an einem Text haben kann,
auf eine geschichtliche Panne zu reduzieren.
Und mir ist nie wohl bei der Behauptung, man wisse genau,
was ein Dichter sagen will.
Lassen wir also das Fragezeichen dort
am Anfang des Gedichts
und bewundern wir den Mut, mit dem Alkman
sich dem stellt, was es einklammert.
Und viertens gefÀllt mir
an Alkmans Gedicht
wie es den Eindruck erweckt,
dass ihm die Wahrheit wider Willen herausplatzt.
So mancher Dichter strebt nach
diesem Ton absichtsloser Klarheit,
aber nur wenigen gelingt er in dieser Einfachheit wie Alkman.
NatĂŒrlich ist die Einfachheit nur vorgetĂ€uscht.
Alkman ist ganz und gar nicht einfach,
er ist ein MeistertĂŒftler
an der Wirklichkeit –
oder, wie Aristoteles sagen wĂŒrde, ihr »Nachahmer«.
Nachahmung (auf Griechisch mimesis) ist
Aristoteles’ Sammelbegriff fĂŒr das wahre Irren der Poesie.
Mir gefÀllt an diesem Begriff
wie umstandslos er akzeptiert, dass das, womit
wir uns befassen, wenn wir Poesie betreiben, der Irrtum ist,
die mutwillige Produktion von IrrtĂŒmern,
der bewusste Bruch und die Verkomplizierung von Fehlern
bis zum Auftritt von
Unerwartbarkeit.
Damit umgeht ein Dichter wie Alkman
Angst, Sorge, Scham, Schuld und all
die anderen albernen GefĂŒhle, die mit dem Fehlermachen in Verbindung gebracht werden
und nimmt es auf
mit der Tatsache an der Sache.
FĂŒr Menschen ist Unvollkommenheit die Tatsache an der Sache.
Alkman bricht die Regeln der Arithmetik,
gefÀhrdet die Grammatik
und lÀsst die Metrik in seinem Vers auflaufen,
um uns mit dieser Tatsache in BerĂŒhrung zu bringen.
Diese Tatsache bleibt auch am Ende des Gedichts
und Alkman hat wahrscheinlich noch genauso viel Hunger.
Nur in unserem Erwartungsquotienten hat sich etwas geÀndert.
Indem er die Erwartungen in die Irre gehen ließ,
hat Alkman etwas perfektioniert.
TatsÀchlich hat er
etwas mehr als perfektioniert.
Mit einem einzelnen Pinselstrich.

2. Einige Worte zu Ovid

Ich kann ihn dort sehen, es ist eine Nacht wie heute, aber kĂŒhl, der Mond fegt durch die schwarzen Straßen. Er isst zu Abend, geht dann zurĂŒck in sein Zimmer. Das Radio auf dem Boden. Seine leuchtend grĂŒne Skala plĂ€rrt leicht. Er setzt sich an den Tisch; Menschen im Exil schreiben so viele Briefe. Jetzt weint Ovid. Jeden Abend um diese Zeit zieht er sich die Traurigkeit ĂŒber wie ein KleidungsstĂŒck und schreibt weiter. In seiner Freizeit bringt er sich die Regionalsprache bei (Getisch), um in ihr ein Versepos zu schreiben, das nie jemand lesen wird.

3. Einige Worte zu Joseph Conrad

1907 las Joseph Conrad in Londons Bibliothek. Nach der Lesung kam eine rothaarige Frau auf ihn zu. Er hatte sie schon vorher gesehen wie sie ihre Kreise zog und sich ganz hinten hinsetzte, sich aber nichts dabei gedacht. »Ich kenne Sie aus dem Kongo«, sagte sie ...

Table des matiĂšres