D Intervention und Teilhabe
Ziele formulieren und MaĂnahmen beschreiben mit dem ABC-Modell
Stefanie K. Sachse & Tobias Bernasconi
Im Folgenden wird ein Vorschlag fĂŒr systematische UK-Interventionsplanungen vorgelegt. Dieser ist als Beitrag zur Fachdiskussion und als Orientierungshilfe fĂŒr eine zunehmend professionalisierte UK-Praxis zu verstehen.
Interventionsplanung ist ein zentrales Thema in der UK. Insbesondere bei der Versorgung mit Kommunikationshilfen wird oft davon ausgegangen, dass sich von einer kommunikativen BeeintrĂ€chtigung mehr oder weniger eindeutig Interventionen ableiten lassen. Kommunikative Kontexte sind jedoch so unterschiedlich, so abhĂ€ngig von Umweltfaktoren (z. B. GesprĂ€chspartner oder GesprĂ€chssituation) und von psychosozialen Faktoren (z. B. Motivation), dass auf der Grundlage der Beschreibung einer kommunikativen BeeintrĂ€chtigung allein kaum umfassende UK-Interventionen geplant werden können. Aus Sicht der Autoren muss hier unterschieden werden zwischen a) einem grundsĂ€tzlichen Bedarf an UK â der sich tatsĂ€chlich oft von einer kommunikativen BeeintrĂ€chtigung ableiten lĂ€sst â und b) der konkreten UK-Interventionsplanung, die auf den Einsatz von UK in der individuellen Lebenswelt zielt. Dabei sind zwei Fragen zu beantworten:
⹠Welche Kompetenzen und Kommunikationsformen verbessern bei welchen AktivitÀten die soziale Teilhabe?
âą Wie kann langfristig die kommunikative UnabhĂ€ngigkeit einer u.k. Person unterstĂŒtzt werden?
Im folgenden Beitrag wird zunĂ€chst beschrieben, was kommunikative UnabhĂ€ngigkeit meint und wie UK-Interventionen definiert werden. AnschlieĂend wird auf zwei Modelle (Kommunikative Kompetenz und ICF) eingegangen und abschlieĂend ein Entwurf fĂŒr systematische Interventionsplanungen vorgestellt (ABC-Modell).
1 Begriffliches: Kommunikative UnabhÀngigkeit und UK-Interventionen
Kommunikative UnabhÀngigkeit
Der Begriff kommunikative UnabhĂ€ngigkeit wird im FĂ€higkeitskontinuum (vgl. Dowden 2004) genutzt. Das FĂ€higkeitskontinuum wurde zur Beschreibung der expressiven FĂ€higkeiten unterstĂŒtzt Kommunizierender entwickelt. Im Original werden die Stufen abhĂ€ngige, moderierte und freie Kommunikation unterschieden (
Abb. 1; vgl. auch Blackstone/Hunt Berg 2006; PRD 2015).
AbhĂ€ngig bezieht sich sowohl auf die AbhĂ€ngigkeit von den GesprĂ€chspartnern und vorbereiteten Situationen mit den Kommunikationshilfen (z. B. von passenden Aussagen auf dem BIGmack, der zur VerfĂŒgung gestellt und auf dessen Verwendung angemessen reagiert wird). Diese AbhĂ€ngigkeit nimmt im Entwicklungsverlauf immer weiter ab: mehr Wörter/Symbole oder GebĂ€rden können ausgedrĂŒckt werden, der Kreis der GesprĂ€chspartner, die diese Kommunikationsformen verstehen und den gemeinsamen Austausch moderieren können, erweitert sich. Langfristig wird mit UK-Interventionen auf die freie Kommunikation der unterstĂŒtzt kommunizierenden Person hingearbeitet oder wie Burkhart/Porter (2015, o.S.) beschreiben: »being able to say whatever I want to say, to whoever I want to say it to, whenever I want to say it«.
Abb. 1: Entwicklung kommunikativer UnabhÀngigkeit im FÀhigkeitskontinuum (in Anlehnung an Dowden 2004)
UK-Interventionen
UK-Interventionen bezeichnen das geplante und systematische UnterstĂŒtzen einer nicht lautsprachlich kommunizierenden Person bei der Erweiterung ihrer kommunikativen UnabhĂ€ngigkeit und Partizipation. Dies geschieht vorwiegend durch MaĂnahmen wie das VerĂ€ndern und Anpassen von Kontextfaktoren (z. B. durch UnterstĂŒtzungsleistungen der GesprĂ€chspartner, den Einsatz von Kommunikationshilfen in unterschiedlich stark vorbereiteten Situationen; vgl. auch Romski/Sevcik 2018).
Das geplante und systematische UnterstĂŒtzen zielt konkret ab auf:
1. gelingende Alltagskommunikation,
2. UnterstĂŒtzung zur Erweiterung der kommunikativen Kompetenz (s. u.) und
3. die Entfaltung der schriftsprachlichen FĂ€higkeiten der unterstĂŒtzt kommunizierenden Person (vgl. Light/McNaughton 2015; Beukelman/Mirenda 2013).
Angestrebt wird die Erweiterung der Partizipation einer Person. Wie sich die Partizipation einer unterstĂŒtzt kommunizierenden Person gestaltet, ist dabei nicht nur von den FĂ€higkeiten der Person abhĂ€ngig, sondern auch von den Kontextfaktoren wie den GesprĂ€chspartnern, den Kommunikationsformen, dem adĂ€quaten Vokabular usw.
Anhand dieser Beschreibung wird auch klar, was keine UK-Interventionen sind: So werden das Nutzen von Symbolen im Stundenplan oder der sporadische Einsatz eines BIGmack nicht als UK-Intervention verstanden.
Im UK-Kontinuum werden die Ziele und zu berĂŒcksichtigende Aspekte von UK-Interventionen veranschaulicht: Die Ziele von UK-Interventionen sind gelingende Alltagskommunikation
und zunehmende kommunikative UnabhÀngigkeit. Die Umsetzung der Interventionen erfolgt im Rahmen von AktivitÀten, bei denen UK sinnvoll eingesetzt werden kann. Dabei spielen Anerkennung, adÀquates Vokabular und adÀquate Kommunikationsformen, Modelling und vielfÀltige bedeutsame Interaktionen eine wichtige Rolle (
Abb. 2).
Abb. 2: UK-Kontinuum mit Zielen und zu berĂŒcksichtigenden Aspekten von UK-Interventionen
2 Hilfreiche Modelle: Kommunikative Kompetenz und ICF
Kommunikative Kompetenz
Welche konkreten FĂ€higkeiten machen kommunikative Kompetenz einer unterstĂŒtzt kommunizierenden Person aus? Light (1989, 139 ff.) legt dazu ein Modell vor, mit dem UK-spezifische FĂ€higkeiten fĂŒr unterschiedliche Kommunikationsformen beschrieben werden können (
Abb. 3). Das Besondere an diesem Modell ist, dass es sich nicht um ein absolutes, sondern um ein relationales, dynamisches Konstrukt handelt (ebd.). D. h., dass die Kompetenz unter bestimmten Rahmenbedingungen (z. B. vertraute Situation und GesprĂ€chspartner, die die körpereigenen Signale sehr gut verstehen) beschrieben wird. Dieses Modell berĂŒcksichtigt also die AbhĂ€ngigkeit einer unterstĂŒtzt kommunizierenden Person von verschiedenen Rahmenbedingungen. Es ist deshalb gut geeignet, FĂ€higkeiten und Interventionsbedarf einer Person bei konkreten AktivitĂ€ten mit bestimmten Personen und der genutzten Kommunikationsform zu beschreiben.
Zur kommunikativen Kompetenz unterstĂŒtzt kommunizierender Personen gehören:
⹠Linguistische FÀhigkeiten: Wortschatz und grammatikalisch-syntaktische FÀhigkeiten zur Kombination von Wörtern/GebÀrden, um konkrete GesprÀchsbeitrÀge realisieren zu können.
âą Operationale FĂ€higkeiten: Um BeitrĂ€ge in der jeweiligen Kommunikationsform zusammenstellen zu können, muss die unterstĂŒtzt kommunizierende Person z. B.
Abb. 3: Das Modell kommunikativer Kompetenz in der UK (vgl. Light 1989)
Wörter auf der Kommunikationshilfe finden können. Dabei ist nicht das »Finden« von Wörtern in Ăbungssituationen gemeint, sondern das Finden der Wörter in Alltagssituationen.
⹠Soziale Kompetenzen: Um sich adÀquat am GesprÀch beteiligen und dabei an die GesprÀchspartner anpassen zu können.
âą Strategische FĂ€higkeiten: Situationsangepasst die beste bzw. effektivste Kommunikationsform zu wĂ€hlen, bedeutet z. B. mit vertrauten Personen vorrangig körpereigene Kommunikationsformen zu nutzen und bei Bedarf Wörter oder Namen mit Hilfe der Kommunikationshilfe zu nennen; bestimmten GesprĂ€chspartnern das OK zu geben, dass sie Aussagen vervollstĂ€ndigen dĂŒrfen; Möglichkeiten der jeweiligen Kommunikationsform kreativ zu nutzen und Fragen wie »Willst du auch was?« mit dem umgangssprachlich verwendeten Fragepronomen »was« zu bilden (oft auf der Startseite und somit schneller zu erreichen) statt mit dem eigentlich korrekten »etwas« (mehrere Klicks).
ICF
Light/McNaughton (2015) schlagen vor, die ICF (vgl. Bernasconi in diesem Band) als Planungshilfe zu nutzen. GrĂŒnde dafĂŒr sind die Orientierung an Teilhabe und die Beachtung aller Teilhabe-fördernden oder -hemmenden Umweltbedingungen. Ausgangspunkt und Ziel einer ICF-orientierten Interventionsplanung sind damit Teilhabemöglichkeiten einer Person im Kontext individuell relevanter AktivitĂ€ten unter Beachtung der verschiedenen Komponenten der ICF (vgl. ebd.). Dazu gehören (in Anlehnung an Ryan et al. (2015, 8):
âą Körperfunktionen (z. B. lautsprachliche oder alternative ĂuĂerungsformen)
⹠AktivitÀten (konkrete GesprÀchskontexte und -beteiligung)
âą Partizipation (HĂ€ufigkeit und QualitĂ€t der Teilhabe, Erfahrungen der unterstĂŒtzt kommunizierenden Person)
âą Kontextfaktoren (Umweltbedingungen und personenbezogene Aspekte).
3 Empfehlungen zur UK-Interventionsplanung
3.1 GrundsÀtzliches
Ziel der Interventionen sind gelingende Alltagskommunikation und zunehmende kommunikative UnabhÀngigkeit. Dabei spielt der Gebrauch der Kommunikationsformen in der Interaktion mit anderen eine zentrale Rolle (vgl. Klang et al. 2016, 46). Der Blick wird demzufolge nicht nur auf die Person ohne Lautsprache gerichtet, sondern auch auf das komplexe Zusammenspiel zwischen UK-Nutzer, Umweltbedingungen und Bezugspersonen. Gleichzeitig werden weniger die EinschrÀnkungen einer Person als vielmehr die angestrebte Teilhabe und Partizipation thematisiert (vgl. Beukelman/Mirenda 2013; Light/McNaughton 2015; Lage/Knobel Furrer 2017; s. auch UK-Kontinuum,
Abb. 2). Damit entsteht eine deutlich erweiterte Perspektive in der Interventionsplanung, aus der folgende grundsÀtzliche Handlungsempfehlungen resultieren (vgl. Light/McNaughton 2015, 89):
1. Vorhandene FĂ€higkeiten der betreffenden Person werden erweitert, um Kommunikation zu maximieren. Dies erfordert auch eine differenzierte Diagnostik der kommunikativen FĂ€higkeiten in unterschiedlichen Situationen, nicht lediglich eine Sprachstandserhebung.
2. Interventionen streben die Partizipation der Person in verschiedenen Alltagskontexten (Kita, Schule, WfMB, Freizeit, Familie) an; es geht vor allem um gelingende Alltagskommunikation.
3. Die Interventionen mĂŒssen einen Mehrwert fĂŒr die Person und ihr Lebensumfeld haben. Interventionsziele orientieren sich daher an der LebensrealitĂ€t der unterstĂŒtzt kommunizierenden Person (vgl. auch Klang et al. 2016).
4. Bei den Kontextfaktoren werden Umweltfaktoren (Einstellungen des Umfelds, Modelling-FĂ€higkeiten der Bezugspersonen) und personenbezogene Faktoren der unterstĂŒtzt kommunizierenden Person berĂŒcksichtigt (vgl. auch Moorcroft et al. 2018).
Hier wird erneut deutlich, dass der Fokus bei der Interventionsplanung nicht nur auf die unterstĂŒtzt kommunizierende Person, sondern auf das komplette Umfeld und die Lebenssituation gerichtet wird.
3.2 Vorgehen nach dem ABC-Modell
Entsprechend der vorangegangenen Punkte ist die Teilhabe einer Person an fĂŒr sie relevanten AktivitĂ€ten Ausgangspunkt und Ziel von UK-Interventi...