1. Didaktik
Jörg Roche
Das Lehren von fremden Sprachen ist neben dem Lernen von Sprachen das groĂe Anliegen dieser Reihe. Dieser Band beschĂ€ftigt sich daher gezielt mit den wichtigsten Aspekten des Sprachunterrichts: dem VerstĂ€ndnis und der Optimierung der Lehrmethodik, der Handlungsdidaktik und der interkulturellen Sprachdidaktik, den angestrebten Kompetenzen, dem Zusammenspiel von Lernerfaktoren, der Vermittlung von Fertigkeiten und Strategien und ihrer Bedeutung im Kontext der Handlungsorientierung, der Fehlerkorrektur in dynamischen Modellen des Sprachenerwerbs, der Mehrwertgewinnung durch digitale Medien, dem Schriftspracherwerb und der Alphabetisierung sowie der Sprachenpolitik.
In der Unterrichtspraxis und in Fortbildungen wird das komplexe Feld â und die Kunst â des Unterrichtens gerne auf praktische Methoden reduziert. Das ist angesichts der groĂen Herausforderungen des Unterrichtsmanagements und der HeterogenitĂ€t vieler Lernergruppen und ihrer individuellen Lerndisposition allzu verstĂ€ndlich. Daher wird dieser Band in idealer Weise vom Band »Unterrichtsmanagement« in dieser Reihe ergĂ€nzt. Zu einem guten und entlastenden Unterricht gehört aber auch die Kenntnis von Theorien, die eine systematische Planung und DurchfĂŒhrung des Unterrichts ermöglichen. Theorie und Praxis sind also keine GegensĂ€tze. Die einzelnen Kapitel dieses Bandes sind daher, wie die der anderen BĂ€nde auch, auf die Praxis ausgerichtet und fĂŒr die Praxis relevant, meist mit konkreten Unterrichtsmodellen, -hinweisen und -materialien versehen. Sie enthalten aber auch in komprimierter Form wichtige Grundlagen relevanter Theorien, die in den anderen BĂ€nden des Kompendiums detaillierter ausgefĂŒhrt sind. Auch wenn es hierbei in erster Linie um die Perspektive des Lehrens geht, so ist das Ziel guten Unterrichts ja immer das Lernen. Es geht also nicht so sehr um Steuerung, Instruktion und Input von auĂen, sondern im Mittelpunkt steht die Optimierung des Lernens durch effizienten Unterricht. Auch hier dient also die Kognition der Lerner als Leitmotiv.
Eine historische Verortung der Methoden des Fremdsprachenunterrichts eröffnet den Band. Ziel ist dabei aufzuzeigen, wieviel historische Substanz heute noch in Unterricht und Lehrmaterial in eklektischer Mischung zu finden ist. Damit soll eine Reflexion tradierter Methoden und ihre PrĂŒfung auf Einsatzmöglichkeiten fĂŒr heute eingeleitet werden. Im Anschluss daran werden wichtige Lerntheorien und -modelle dargestellt, deren Bestreben es ist, das Lernen durch das Individuum und die Förderung seiner Lernerautonomie zu optimieren. Hierbei geht es um AnsĂ€tze, die sich als sehr effizient erwiesen haben, die aber eine gewisse Herausforderung fĂŒr konventionelles Denken und Handeln im Unterricht darstellen. Das erste Kapitel behandelt ferner die Parameter einer interkulturellen Sprachdidaktik als Grundlage der vielfĂ€ltigen Begegnungen mit Fremdem und mit Fremdheit im Fremdsprachenunterricht. Damit sind die weiteren Aspekte des Bandes gut situierbar.
1.1 Historischer Ăberblick
Wie lernen wir (fremde) Sprachen und wie und wann lernen wir sie am besten? Lernen wir Fremdsprachen so, wie wir unsere Erstsprachen lernen? Welche Rollen spielen dabei die Strukturen der zuvor erworbenen Sprachen, die Sprache der Umgebung, angeborene FĂ€higkeiten, Sprachverarbeitungssysteme und Imitationsverhalten? Auf welche Weise beeinflussen sich die erworbenen und im Erwerb befindlichen Sprachen gegenseitig? Die Antworten auf diese Fragen â das ist ein typisches Merkmal von Wissenschaften â sind zwar umstritten, aber an Versuchen, verschiedene Modelle auszuprobieren, fehlt es nicht. Ein Blick auf die am weitesten verbreiteten Methoden wird dies zeigen. In dieser Lerneinheit werden Sie einen Ăberblick ĂŒber die wichtigsten AnsĂ€tze des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen erhalten. Dabei wird gleichzeitig die geschichtliche Entwicklung der Fremdsprachendidaktik nachgezeichnet und der neueste Stand der lernpsychologischen und didaktischen Erkenntnisse skizziert. Ebenso werden gĂ€ngige Unterrichts- und Lernverfahren und ihre Grundlagen prĂ€sentiert.
Lernziele
In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie
die Theorien des Behaviourismus, Nativismus und Kognitivismus kennen und reflektieren können; die jeweiligen didaktisch-methodischen Konsequenzen der Lerntheorien erlĂ€utern können; den Lernmehrwert verschiedener Sprachlernangebote aus lerntheoretischer Sicht begrĂŒnden können. 1.1.1 Unterrichtsmethoden und Lerntheorien
Eines der Hauptmerkmale traditioneller Methoden des Fremdsprachenunterrichts, das auch heute noch hĂ€ufig die Unterrichtspraxis bestimmt, ist die Fixierung auf grammatische Strukturen der beteiligten Sprachen in Lehrzieldefinitionen, der grammatischen Progression, der Fehlerdiagnose und Fehlerkorrektur, der Gewichtung von Interferenz und der Ăbungstypologie. Die Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Unterrichts und des Lernerverhaltens sind darin fest verwurzelt. Dabei zeigt sich in der neueren Forschung, dass das VerstĂ€ndnis der Prozesse des Sprachenerwerbs, das heiĂt wie Lerner mit den sprachlichen Strukturen in ihren Strategien und Techniken umgehen, mindestens ebenso wichtig fĂŒr die Lehrmethodik ist. Mit der Kompetenzorientierung neuer didaktischer AnsĂ€tze wird versucht, diesen Paradigmenwechsel ĂŒber neue Lernzielbestimmungen in der Unterrichtsmethodik abzubilden.
Die Praxis des Unterrichts ist jedoch noch stark von strukturellen Inputtraditionen und -modellen bestimmt. Viel Aufmerksamkeit wird darauf verwendet sicherzustellen, dass der Input fĂŒr den Lerner möglichst optimal strukturiert ist, und Ăbungen zu konstruieren, mit denen der Lerner zur Beachtung wichtiger struktureller Merkmale gebracht werden kann. In den bekanntesten Unterrichtsmethoden spielt die Inputorientierung folglich eine zentrale Rolle. Weil diese Methoden auch heute noch eklektisch und wenig reflektiert eingesetzt werden, sollen im Folgenden die zugrundeliegenden Lerntheorien skizziert werden.
Instruktionistische Verfahren: Die Grammatik-Ăbersetzungsmethode
Es gibt zwar kaum verlĂ€ssliche Aussagen darĂŒber, wie Menschen in frĂŒheren Zeiten miteinander kommunizierten, wir wissen aber, dass seit jeher verschiedene Sprachsysteme nebeneinander existierten, also auch Kommunikation ĂŒber kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg und somit Fremdsprachenerwerb stattgefunden haben muss. Man kann dies zum Beispiel an verschiedenen Schriftzeichensystemen, wie den Hieroglyphen oder verschiedenen Petroglyphen (in Stein geschlagene oder geritzte Schriften) rekonstruieren und an verschiedenen anderen Aufzeichnungen aus den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden ablesen. Noch heute lĂ€sst sich der Austausch von Sprachen an Entlehnungen, Scheinentlehnungen, Analogiebildungen und Fremdwörtern in den lebenden Sprachen erkennen. SchlieĂlich gibt es aber auch die ein oder andere explizite Aussage zum Dilemma der Vielsprachigkeit. So wissen wir aus der Bibel (Genesis 11, 1 ff) vom Sprachengewirr in Babel und vom Hochmut der Menschen, der â wie auch heute noch oft â die funktionierende Kommunikation zu Fall gebracht hat. SpĂ€testens seit der EinfĂŒhrung von privaten und spĂ€ter auch öffentlichen Bildungssystemen versuchen Gesellschaften, das Schicksal Babels zu vermeiden, indem sie den mĂŒh- und wundersamen Weg des Sprachenlehrens und -lernens beschreiten. In den Anfangszeiten des Sprachunterrichts galten die Klassiker der Antike als Orientierung, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Es galt, den Vorbildern aus der ruhmreichen Geschichte Griechenlands und Roms nachzueifern und die Grundlagen der abendlĂ€ndischen Geisteskultur verstehen zu lernen. Ziel war es, die Originaltexte von Aristoteles, Homer, Caesar, Cicero oder Catull zu verstehen und zu ĂŒbersetzen. An den sprachlichen Strukturen der frĂŒhen Leitbilder sollten die eigenen sprachlichen Fertigkeiten und die FĂ€higkeiten des Geistes allgemein geschult werden. Am Beispiel der klassischen Sprachen sollten sich auch die Strukturen und Wurzeln der eigenen am besten verstehen und erklĂ€ren lassen, so eine heute noch weit verbreitete Annahme.
Die Grundstrukturen der lateinischen Grammatik wurden als der GeneralschlĂŒssel zu den Sprachen unseres Kulturkre...