Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe
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Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe

Streitschrift fĂŒr eine liberale Soziale Arbeit

Heiko Kleve

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Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe

Streitschrift fĂŒr eine liberale Soziale Arbeit

Heiko Kleve

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Liberale Ideen sind durch die FlurschĂ€den, die der vermeintliche Neoliberalismus in der Gesellschaft hinterlassen hat, in Misskredit geraten. Dabei ist gerade die Soziale Arbeit im Kern ein liberales Projekt: Es geht darum, Menschen professionell darin zu unterstĂŒtzen, dass sie Probleme in ihrer LebensfĂŒhrung so selbstbestimmt wie möglich lösen können. Das gelingt vor allem dann, wenn nicht nur die Theorien, Haltungen und Methoden der Sozialen Arbeiten liberalen Werten genĂŒgen. Auch die Finanzierung und die rechtlichen Grundlagen mĂŒssen auf dieses Ziel hin ausgerichtet sein.Heiko Kleve nimmt diese Aspekte mit in den Blick und macht daran die Soziale Arbeit als Teil des modernen Liberalismus sichtbar. Als Streitschrift wirken seine AusfĂŒhrungen deshalb, weil sie die gĂ€ngigen Abwehrreflexe gegen die so genannte Ökonomisierung des Sozialen nicht bedienen – im Gegenteil: Der Wirtschaftsliberalismus wird hier als Anregung genutzt, um die Ziele der Sozialen Arbeit deutlich in den Blick zu rĂŒcken: Freiheitszuwachs, VerantwortungsĂŒbernahme und Selbsthilfeförderung.Das Buch macht in diesem Zusammenhang auch deutlich, warum systemische Prinzipien wie Selbstorganisation, Ressourcen-, Lösungs- und Zukunftsorientierung so ertragreich fĂŒr die Soziale Arbeit sind.

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Informations

Année
2020
ISBN
9783849782160
Édition
1

1Zwischen Marxismus und Neoliberalismus – FĂŒr einen komplexen Liberalismus

1.1Ausgangspunkte

Es gibt zwei sozialphilosophische Anschauungen zum Charakter der modernen Gesellschaft, die als Ă€ußerst gegensĂ€tzlich gelten, die aber dennoch in einem Punkt einig sind, nĂ€mlich darin, dass die Ökonomie die bestimmende gesellschaftliche Kraft sei. Diese Anschauungen sollen hier vereinfachend als »Marxismus« und »Neoliberalismus« bezeichnet werden – vereinfachend ist dies deshalb, weil es weder den Marxismus noch den Neoliberalismus gibt. Beide Begriffe zirkulieren fĂŒr eine Vielzahl von Gesellschaftsbeschreibungen, die entweder als Kritik der herrschenden ökonomischen VerhĂ€ltnisse daherkommen (»Marxismus«) oder die eine weitere Ausweitung der ökonomischen Strukturlogiken des Kapitalismus einfordern (»Neoliberalismus«). Beide Perspektiven vereint jedoch die These, dass es in der Gesellschaft vor allem um wirtschaftliche VerhĂ€ltnisse geht, dass vorrangig die Ökonomie das Leben der Menschen bestimme.
Diese These mag schnell einleuchten, wenn wir bedenken, was wir sozial wĂ€ren, hĂ€tten wir kein Geld zur VerfĂŒgung. Geld ist nun einmal das zentrale Medium der Wirtschaft. Über Geld sind wir inkludiert in den wirtschaftlichen Kreislauf des Sozialen – ohne Geld bleiben wir exkludiert. Der Marxismus und der Neoliberalismus wĂŒrden wohl noch weiter gehen und sagen, dass wir ohne Geld nicht nur von der Wirtschaft exkludiert blieben, sondern von der Gesellschaft schlechthin. Genau diese Anschauung wird hier infrage gestellt: dass die Gesellschaft auf Wirtschaft reduziert werden kann. Dass dies mitnichten der Fall ist, wird insbesondere auf der Basis der soziologischen Systemtheorie gezeigt, die in Anlehnung an Armin Nassehi (2015) als Sozialphilosophie eines »komplexen Liberalismus« vorgefĂŒhrt wird (siehe zur Herkunft dieses Begriffs Herzog 2013).

1.2Marxismus

Marx hat den Anbruch der modernen Gesellschaft besonders prĂ€zise wahrgenommen und beschrieben, und zwar als ein PhĂ€nomen, das zirkulĂ€re Speziallogiken des Sozialen ausdifferenziert und auf Dauer stellt. DiesbezĂŒglich beschreibt er insbesondere die Wirtschaft als kapitalistische Ökonomie, die sich von den menschlichen Akteuren abhebt und nach einem internen systemischen Expansionsgetriebe lĂ€uft: der Vermehrung von Profit, der stĂ€ndigen Akkumulation von Kapital durch Arbeit. Marx hat den radikalen dynamischen Charakter der kapitalistischen Gesellschaft herausgearbeitet und besonders klar gesehen, dass der Kapitalismus die Gesellschaft in einer nie da gewesenen Weise verĂ€ndert, alle festen Strukturen auflöst und den permanenten Wandel etabliert (etwa Marx u. Engels 1848).
FĂŒr den Marxismus ist die Ökonomie als materielle Basis der Gesellschaft deren Triebkraft, deren Motor. Marx hat die gesellschaftliche Evolution als einen permanenten Kampf beschrieben, in dem gegensĂ€tzliche und unversöhnliche (antagonistische) KrĂ€fte um diese materielle Basis ringen. Im Kapitalismus wird dieser unversöhnliche Konflikt als derjenige zwischen Arbeit(ern) und Kapital(isten) beschrieben, zwischen den Ausgebeuteten und den EigentĂŒmern an Produktionsmitteln. Jene mĂŒssen ihre Arbeitskraft zu einem Preis verkaufen, der gerade so hoch ist, dass sie ihre materielle, ihre physisch-biologische Reproduktion sichern können, der aber hinter dem »realen« Wert der Ware zurĂŒckbleibt, der durch ihre Arbeit allererst geschaffen wird. Diesen Mehrwert, mithin die Differenz zwischen dem Preis, den KapitaleigentĂŒmer fĂŒr den Kauf der Arbeitskraft zahlen, und demjenigen Wert, den die Arbeit tatsĂ€chlich schafft, streiche der Kapitalist als Profit ein.
Hier liegt nach marxistischer Perspektive die große Ungerechtigkeit der kapitalistischen Ökonomie und ihrer Soziallogik des permanenten Profitstrebens. FĂŒr den radikalen Marxismus kann dieser Antagonismus, diese unversöhnliche GegensĂ€tzlichkeit, nur durch eine revolutionĂ€re Überwindung des kapitalistischen Systems aufgelöst werden, durch welche die Arbeiter selbst zu EigentĂŒmern des Kapitals, der Unternehmen, mithin der Produktionsmittel werden. In der marxistischen Geschichtsphilosophie, dem historischen Materialismus, wird diese revolutionĂ€re Überwindung des kapitalistischen Systems als eine soziale GesetzmĂ€ĂŸigkeit beschrieben, die sich mit dem Blick auf die gesamte Menschheitsgeschichte erschließen lasse. Demnach ist die menschliche Geschichte seit dem Ausgang der Urgesellschaft eine Geschichte von KlassenkĂ€mpfen und revolutionĂ€ren UmwĂ€lzungen von Gesellschaften und der Entstehung neuer sozialer Formationen, die als Sklavenhalterordnung, Feudalismus und Kapitalismus als eine Kette der Klassengesellschaften mit ihren einander gegenĂŒberstehenden Gruppen (Klassen) beschrieben werden. Am revolutionĂ€ren Ende dieser Geschichte stĂŒnden der Sozialismus und insbesondere der Kommunismus als klassenlose Gesellschaft, in der Menschen in freier Assoziation zusammen leben und arbeiten sowie sich die FrĂŒchte ihrer Produktion gerecht teilen.
Heute gilt die Idee der gesetzmĂ€ĂŸigen Entwicklung der Gesellschaft, die der historische Materialismus geprĂ€gt hat, gemeinhin als eine »große ErzĂ€hlung« im Sinne der postmodernen Philosophie von Jean-François Lyotard (1979), die ihre GlaubwĂŒrdigkeit verloren habe. Allerdings wird mithilfe des Marxismus die ungerechte Verteilung innerhalb der Gesellschaft beklagt (siehe aktuell Piketty 2014), die sich letztlich auf die oben beschriebene Akkumulation des Kapitals zurĂŒckfĂŒhren lasse. Eine Lösung des Problems sei die staatliche Lenkung der Wirtschaft, die sich durch entsprechend hohe Besteuerung der KapitaleigentĂŒmer und ihrer Profite, Regelungen zu Mindestlöhnen, Arbeitnehmerschutzgesetze welcher Art auch immer derart steuern lasse, dass es zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft kommen könne.
Der ausgebaute Wohlfahrtsstaat kann als sozialdemokratische Variante einer Gesellschaft gelten, die die Kritik des Marxismus aufgenommen hat, die jedoch letztlich die kapitalistische Ökonomie nicht mehr grundsĂ€tzlich infrage stellt. Denn dieser Wohlfahrtsstaat ruht auf der kapitalistischen Entwicklungsdynamik und ihrer Wohlstandsproduktion sowie dem Geld, das diese Ökonomie ĂŒber staatlich regulierte Steuerzahlungen und Transferleistungen denen zukommen lĂ€sst, die aus welchen GrĂŒnden immer von der Dynamik dieser Ökonomie nicht, nicht mehr oder noch nicht direkt profitieren können.
Was außerdem, ausgehend vom Marxismus, anhaltend wirkt und die politischen Gestaltungsversuche der gesellschaftlichen, etwa der wirtschaftlichen, Entwicklung prĂ€gt, ist die Idee, dass die materielle Basis der Gesellschaft, die Wirtschaft, zu domestizieren, zu bĂ€ndigen und planvoll zu regeln sei. Die Aufgabe fĂŒr diese planvolle Gestaltung wird dem politischen System, insbesondere dem Staat, zugeschrieben.

1.3Neoliberalismus

Der Begriff »Neoliberalismus« ist in Kreisen der Sozialen Arbeit zu einem abwertenden Begriff degeneriert, mit dem all das bewertet wird, was dem sozialen Ausgleich, der sozialen Gerechtigkeit in der Gesellschaft zuwiderlaufe. So wird mit dieser Bewertung eine besondere »Regierung des Sozialen« (im Sinne von Michel Foucault) bezeichnet, die die Opfer von ökonomischen Strukturdynamiken (etwa arbeitslose Menschen) in die Verantwortung nimmt fĂŒr ihre Probleme, obwohl diese Probleme nicht individuell, sondern gesellschaftlich verursacht seien. In Deutschland stehen die sogenannten Hartz-Reformen der BeschĂ€ftigungsförderung, die durch die rot-grĂŒne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Anfang der 2000er-Jahre implementiert wurden, als Paradebeispiel fĂŒr eine neoliberale Sozialpolitik.
Der Kern der liberalen Idee, die im Zuge der AufklĂ€rung des 18. Jahrhunderts (etwa von Adam Smith) geprĂ€gt wurde, ist in der Tat der einzelne Mensch, der als Erwachsener fĂŒr sein Leben die volle Verantwortung trage und in der Lage sein solle, sein Leben so frei wie möglich zu gestalten. Die Freiheit des Einzelnen gerate erst dort an ihre Grenzen, wo sie die Freiheit der anderen einschrĂ€nke. Dieses moralische Postulat der individuellen Freiheit ist Kern des Liberalismus und wird als Voraussetzung gesehen fĂŒr die Etablierung einer reichtumschaffenden Wirtschaft innerhalb der Gesellschaft. Genauso wie sich der Einzelne in einer liberalen Sozialordnung so frei wie möglich entfalten könne, solle sich die Wirtschaft frei von staatlichen Reglementierungen dynamisch entwickeln können.
Denn in der Wirtschaft wirke, wie eine bekannte These von Adam Smith (1776) lautet, eine »unsichtbare Hand«, die als Garant fĂŒr wirtschaftliche Selbstorganisation gilt. Diese Selbstorganisation fuße u. a. auf zwei Prinzipien: zum einen darauf, dass die Individuen nach Nutzenmaximierung streben, und zum anderen darauf, dass die Unternehmen nach Gewinnmaximierung trachten. Durch diese jeweils eigensinnigen, um nicht zu sagen: egoistischen Interessen im Kapitalismus werde schließlich das geschaffen, was die Gesellschaft zum ErblĂŒhen bringe: Reichtum und Wohlstand fĂŒr alle. Im systemischen GefĂŒge des kapitalistischen Marktes schaffe der Eigennutz der Unternehmen und Individuen Gemeinnutz fĂŒr alle (siehe fĂŒr eine aktuelle Lesart dieses Prinzips im Kontext der internetbasierten Netzwerkgesellschaft Bolz 2009).
Demnach sei die Wirtschaft, wie auch der Marxismus festhĂ€lt, das zentrale und dominierende gesellschaftliche System mit einer eigendynamischen Bewegung. Im Gegensatz zum Marxismus wird jedoch die Möglichkeit dementiert, dass dieses System planvoll und zielgerichtet gesteuert werden könne. Diese Steuerung nach Ă€ußeren Vorgaben sei unmöglich, bzw., sollte sie versucht werden, pervertiere die innere Logik und destruiere die konstruktive und kreative Kraft der unsichtbaren Hand des Wirtschaftssystems (grundsĂ€tzlich dazu etwa von Hayek 1944). Wichtig sei demgegenĂŒber, dass Individuen und Unternehmen den evolutionĂ€ren Charakter des wirtschaftlichen Marktes erfahren, dass sie, mit anderen Worten, die Effekte ihrer Handlungen spĂŒren, also diesbezĂŒglich entweder positiv oder negativ sanktioniert werden. Und so treten die klassischen und neuen Liberalen dafĂŒr ein, dass der Zusammenhang von Handeln und den Effekten des Handelns nicht durch staatliche Regulierungen außer Kraft gesetzt wird. Wer risikoreich handelt, der muss auch die Folgen dieses Handelns verantworten. Dies generiere Lernen am Markt und stĂ€rke die Verantwortung der Akteure.
Somit wird von neoliberaler Seite beispielsweise auch die staatliche Bankenrettung oder die Griechenlandhilfe grundsĂ€tzlich kritisiert und als staatliche Pervertierung der Marktwirtschaft angeprangert. BegrĂŒĂŸt wird dementsprechend andererseits, wenn der Sozialstaat diejenigen stĂ€rker in die Verantwortung nimmt, die von staatlichen Transferleistungen leben; denn das Ziel mĂŒsse darin bestehen, diese Menschen wieder in die autonome Position eigener ProduktivitĂ€t zu fĂŒhren. Demnach teilen die Neoliberalen einen sozialpolitischen Leitsatz, den auch die etablierten Parteien vor sich hertragen: »Sozial ist das, was Arbeit schafft.«
Die benannte unsichtbare Hand des Marktes, die Eigennutz in Gemeinnutz transformiere, habe schließlich mit der Marktsituation grundsĂ€tzlich zu tun: Denn die Unternehmen sind dadurch aufgefordert, das zu produzieren und anzubieten, was durch die unzĂ€hligen Kaufakte der Kunden tatsĂ€chlich nachgefragt wird; genau dies drĂŒckt sich bei Erfolg in den unternehmerischen Gewinnen aus und bei Misserfolg eben nicht. FĂŒr die individuellen Kunden heißt das, dass sie die Angebote dort nachfragen, wo am ehesten die angestrebte Nutzenmaximierung mit dem Konsum von GĂŒtern und Dienstleistungen zu realisieren ist – beim gleichzeitigen Versuch, dies so preisgĂŒnstig wie möglich zu erreichen. Und der Preis wiederum wird im Liberalismus nicht (wie im Marxismus) objektiv zu bestimmen versucht (etwa ĂŒber die »vergegenstĂ€ndlichte Arbeit« in der Ware), sondern als subjektive und soziale Wertkonstruktion verstanden: Der Preis einer Ware ist so hoch, wie es der Zahlungsbereitschaft von Kunden entspricht. Diese Zahlungsbereitschaft hĂ€ngt von den individuellen PrĂ€ferenzen der BedĂŒrfnisbefriedigung ab.
Diese hier nur Ă€ußerst knapp angerissene Dynamik des wirtschaftlichen Marktes, der sich ĂŒber Angebot und Nachfrage, ĂŒber den Preismechanismus sowie ĂŒber das Nutzen- und Gewinnstreben von Unternehmen und individuellen Kunden strukturiert, gilt als ein Kernprinzip des klassischen wie neueren Liberalismus. Besonders elaboriert hat diese Dynamik des Marktes in einer komplexen Gesellschaft der Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek beschrieben, der auch als zentrale Figur des Neoliberalismus gilt. Er trat fĂŒr eine Gesellschaft ein, in der sich sowohl die Individuen als auch die Wirtschaft so frei wie möglich entfalten können – bei gleichzeitiger rechtlicher Rahmensetzung dieser Entfaltung durch den Staat. Seine Metapher war, den Staat als GĂ€rtner zu verstehen, der fĂŒr förderliche Rahmenbedingungen sorge, damit sich die individuellen und wirtschaftlichen KrĂ€fte ausbreiten können, der aber nicht versuchen sollte, in diese Prozesse determinierend, steuernd oder ĂŒberregulierend einzugreifen (von Hayek 1974). Denn dies wĂŒrde die wirtschaftliche Eigenlogik pervertieren, keine Lösungen, sondern zahlreiche neue, nicht intendierte Probleme produzieren.

1.4Systemtheorie als komplexer Liberalismus

Sowohl der Marxismus als auch der Neoliberalismus gehen davon aus, dass die Wirtschaft das dominierende gesellschaftliche System sei. Daraus werden dann zwar unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen, aber Einigkeit besteht in dem Primat der Wirtschaft. Hier setzt die Systemtheorie einen anderen Akzent. Sie anerkennt die große Leistung von Marx, der deutlich beschrieben hat, dass sich der Anbruch der modernen Gesellschaft durch die Etablierung einer Speziallogik des Sozialen kennzeichnen lĂ€sst, erweitert diese Beobachtung jedoch um weitere gesellschaftliche Systeme mit speziellen Logiken. Zugleich sieht die Systemtheorie, dass es sich dabei um Systeme handelt, die sowohl in autonomer, selbst organisierter, spezieller, sich gegenseitig abgrenzender Weise als auch aufeinander angewiesen, voneinander abhĂ€ngig agieren. Dies wird als ParallelitĂ€t von Autopoiesis und struktureller Koppelung beschrieben (siehe grundsĂ€tzlich dazu Luhmann 1997).
Das, was in der marxistischen Kritik als defizitĂ€r und als Entfremdung von menschlichen BedĂŒrfnissen erklĂ€rt und bewertet wird, dass sich gesellschaftliche Systeme etablieren, die vom Menschen geschaffen wurden, aber von ihm nicht mehr kontrollierbar sind, anerkennt die Systemtheorie als das spezifische Merkmal der modernen Gesellschaft. Im Neoliberalismus wird diesbezĂŒglich davon gesprochen, dass Menschen diese Systeme (insbesondere die MarktkrĂ€fte der Wirtschaft) durch ihr Handeln zwar schaffen, dass sie die Systeme aber nicht zielgerichtet entwerfen oder planen können – vielmehr entstehen sie unwillkĂŒrlich, wenn Menschen zusammenkommen, wenn sich, mit der Systemtheorie gesprochen, Soziales durch Kommunikation generiert. Und dies geschieht ungeplant: Sobald Menschen miteinander interagieren, bilden sich hinter ihrem RĂŒcken Muster, Strukturen, Ordnungen, mit anderen – systemtheoretischen – Worten: reduziert sich die KomplexitĂ€t aller denkbaren Möglichkeiten auf ein psychisch, physisch und sozial verarbeitungsfĂ€higes Maß. Und genau dies vollzieht sich ungeplant und spontan.
Die Systemtheorie geht davon aus, dass sich nicht nur die Wirtschaft in dieser Weise vollzieht. Sondern auch alle anderen Funktionen, die in einer Gesellschaft realisiert werden mĂŒssen, verwirklichen sich eigenstĂ€ndig, eigendynamisch, spontan, mithin unwillkĂŒrlich hinter dem RĂŒcken der Akteure: etwa der Umgang mit Macht (Politik), die Regeln des sozialen Zusammenlebens (Recht), die Verbreitung von Informationen (Massenmedien), die Erziehung und Bildung, die Produktion des neuen und anschlussfĂ€higen Wissens (Wissenschaft) oder das organisierte Helfen. So wird von einer funktional differenzierten Gesellschaft gesprochen, die sich angesichts der Ausbreitung der digitalen Medien, der vernetzten Computer zunehmend zu einer beschleunigten Netzwerkgesellschaft transformiert (Baecker 2007). Das bedeutet, dass die genannten Systeme in ihrer jeweiligen Eigendynamik hoch irritierbar geworden sind durch das, was in den jeweils anderen Systemen geschieht. Politik und Wirtschaft, Recht und Wissenschaft, Massenmedien und Bildung – alle diese Systeme ermöglichen und begrenzen sich zugleich. Sie können sich nicht nicht beeinflussen, ohne jedoch in der Lage zu sein, sich gegenseitig zu determinieren.
Weder die Wissenschaft noch die Politik, weder die Bildung/Erziehung noch die Massenmedien können die Wirtschaft steuern, planen oder regeln. Und dies gilt im VerhĂ€ltnis aller Systeme zueinander entsprechend. Sie agieren eigendynamisch, aber angewiesen auf die Ressourcen (etwa Geld, Macht, Recht, Wissen, Information, individuelle BildungsabschlĂŒsse/Kompetenzen etc.) der jeweils anderen. Daher dominiert nicht nur die Wirtschaft ĂŒber Geld die Gesellschaft. Wer kein Geld hat, ist arm dran, aber genauso diejenigen, denen es an RechtsansprĂŒchen fehlt; die keine Möglichkeiten haben, auf die politische Macht Einfluss zu nehmen; denen es an Wissen und BildungsabschlĂŒssen sowie an Kompetenzen fehlt; die nicht die notwendigen Informationen haben und/oder verarbeiten können, um sich in der unĂŒbersichtlichen Weltgesellschaft zu orientieren. Daher wird in der Systemtheorie davon ausgegangen, dass wir inzwischen in einer polyzentrischen Gesellschaft leben – jedes Funktionssystem kreist um sich selbst, ist sein eigenes Zentrum, beobachtet die Welt aus der jeweils eigenen Perspektive. Und auch dies kann nur als eine perspektivische Aussage daherkommen: als Beobachtung eines wissenschaftlichen Beobachters.
Die Systemtheorie kann mit Nassehi (2015) als Sozialphilosophie eines komplexen Liberalismus verstanden werden, weil sie dreierlei leistet: Erstens beschreibt sie die Freiheiten und AbhÀngigkeiten ...

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