1EinfĂŒhrung
Wie peinlich! â Schopenhauer als Retter aus der Not
Karin E.4, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin einer Kommunikationsberatung, kam schon seit einigen Monaten zu mir ins Coaching. Sie war eine fachlich versierte, erfahrene Frau mit Charme, die ihr Handwerk verstand und ein gutes Auftreten hatte. Ihr Anliegen kreiste rund um die Frage, wie sie sich in der mĂ€nnerdominierten Topmanagementwelt ihrer Kundenunternehmen noch besser behaupten konnte. Allzu oft erfuhr sie trotz aller WertschĂ€tzung fĂŒr ihre ProfessionalitĂ€t eine wenn auch subtile Herablassung durch ihre mĂ€nnlichen Klienten. Dann lief sie Gefahr, in die Rolle des kleinen MĂ€dchens zu verfallen und nur noch in geringem MaĂe ĂŒber ihre professionellen Ressourcen zu verfĂŒgen. In der Coachingsitzung, ĂŒber die ich hier berichten möchte, geschah etwas sehr Unangenehmes. Ich hatte einen lĂ€ngeren Konzentrationsabriss. Etwa 20 Minuten, nachdem wir begonnen hatten, konnte ich mich nur noch daran erinnern, dass sie mir diesmal von zwei Ereignissen erzĂ€hlen wollte, die kurz hintereinander stattgefunden hatten â eines war super gelaufen und das andere ziemlich schlecht. Davon abgesehen, hatte ich keine Erinnerung mehr, auĂer an den Small Talk zu Beginn der Sitzung. Sie war diesmal sehr aufgekratzt und redete praktisch ohne Punkt und Komma. Und ich hatte seit geraumer Zeit nichts, aber auch gar nichts mitbekommen. Ich hatte keine Ahnung, wie das geschah. Es war weder Langeweile, noch war es Desinteresse meinerseits. Ich war einfach irgendwie weggetreten. Welch eine peinliche Situation!
Mein Bewusstsein wurde von einem wahren Gedankengewitter heimgesucht. Wie sollte ich mich denn nun mit ihrem Anliegen auseinandersetzen? Wie konnte ich inhaltlich wieder den Faden aufnehmen? Sollte ich versuchen, ihr meine Unaufmerksamkeit zu verheimlichen, oder sollte ich sie gestehen und darum bitten, noch einmal von vorne anzufangen? Oder sollte ich meinen Lapsus verarbeiten, indem ich die Frage aufwarf, ob ihr so etwas öfter passiere? Mir war schnell klar, dass ich ihr offen erklĂ€ren musste, was passiert war. Jedoch â etwas war merkwĂŒrdig. Mein Verstand sagte mir zwar, dass ich mich mit meinem Verhalten in eine unmögliche Situation manövriert hatte, aber innerlich fĂŒhlte ich mich ganz ruhig und hatte auch nicht das GefĂŒhl, mich falsch verhalten zu haben. Es lag also eine auffĂ€llige Diskrepanz zwischen innerer und Ă€uĂerer Wahrnehmung der Situation vor. Meine verstandesmĂ€Ăige Einsicht sagte mir, dass mir etwas Unprofessionelles passiert war, und gleichzeitig signalisierte meine GefĂŒhlslage, dass alles okay sei. Etwas in dieser Situation Ungewöhnliches kam hinzu, das meine seelisch-emotionale Ausgeglichenheit unterstĂŒtzte. Denn trotz aller situativen Desorientierung war ich mir gewiss, einen hilfreichen Rat fĂŒr meine Klientin zu haben. Diese Gewissheit speiste sich aus zwei Beobachtungen, die ich aus der Phase meiner Unaufmerksamkeit in Erinnerung hatte. Karin E.s Oberkörper sackte gelegentlich fast unmerklich ein wenig ein, um sich dann nach kurzer Zeit wieder kerzengerade aufzurichten. Immer wenn der Oberkörper einsackte, blinzelte sie hĂ€ufiger mit den Augen, wĂ€hrend sich ihre Augenblinzelfrequenz mit dem Aufrichten des Oberkörpers wieder normalisierte. ZunĂ€chst war mir nicht klar, warum, aber ich »wusste«, dass in diesem beobachteten PhĂ€nomen eine wichtige Botschaft steckte. AuĂerdem war klar, dass ich die subtilen Unterschiede ihrer Körperkoordination nicht bemerkt hĂ€tte, wenn ich, wie es sich gehört, konzentriert ihrer ErzĂ€hlung zugehört hĂ€tte. So entschloss ich mich, Karin E. zu bitten, von ihrem Stuhl aufzustehen, und auch ich stand auf. Daraufhin imitierte ich etwas ĂŒbertrieben mit meinem Oberkörper und meinen Augen, was ich zuvor bei ihr beobachtet hatte. Sie schaute mich mit groĂen Augen an und schien sich zu fragen, was das Ganze solle. Bevor mich nun der Mut verlieĂ, forderte ich sie auf, ihrerseits meine Augen- und Oberkörperbewegungen zu imitieren und mir zu erzĂ€hlen, was sie dabei empfinde.
Diese Intervention schlug ein wie ein Blitz. Mit eingesunkenem Oberkörper fĂŒhlte sie sich genau wie in dem kĂŒrzlich erlebten Misserfolgserlebnis. Mit aufgerichtetem Oberkörper fĂŒhlte sie sich generell besser, und sie meinte, dass diese Haltung gut zu dem kĂŒrzlichen Erfolgserlebnis passe. SelbstverstĂ€ndlich ist diese Erkenntnis als solche vollkommen unspektakulĂ€r. Jeder einigermaĂen erfahrene Coach kennt die ZusammenhĂ€nge zwischen Körperkoordination und GefĂŒhlen. Darum ging es aber auch nicht. Der entscheidende Punkt war, dass mir die subtilen Unterschiede in ihrer Oberkörperhaltung und ihrem Blinzeln wahrscheinlich entgangen wĂ€ren, wenn ich den Worten ihrer lebhaften ErzĂ€hlung aufmerksam gefolgt wĂ€re. Nur das Abschweifen meiner Aufmerksamkeit, die vermeintliche Unaufmerksamkeit also, ermöglichte diese wichtigen Beobachtungen, die Karin E.s Oberkörper und Augen erzĂ€hlten.
Heute verstehe ich, dass mein damaliger Konzentrationsabriss kein beraterisches Fehlverhalten darstellte. Ich war in einen anderen Arbeitsmodus »gerutscht«, den man durchaus als Trance beschreiben könnte. Meine Aufmerksamkeit hatte sich von der Fokussierung auf das gesprochene Wort meiner Kundin gelöst, was dazu fĂŒhrte, dass ich ihr vordergrĂŒndig nicht mehr zuhörte. Aber eigentlich, nĂ€mlich hintergrĂŒndig, hatte ich doch in einem ganz tiefen Sinne gelauscht. In dieser Trance habe ich mich nicht von Karin E. abgewendet, sondern bin in eine dialogisch-kontemplative Versenkung »gefallen«. Diese Versenkung hat sich letztlich als besonders intensive Form der Zuwendung erwiesen. Die Art der Zuwendung hat es mir ermöglicht, viel mehr zu verstehen, als die bloĂen Wörter ihrer ErzĂ€hlung zum Ausdruck bringen konnten. Das eigentlich Relevante konnte ich also auf ganz andere Weise als durch aufmerksames Zuhören und Nachdenken erfassen. All das geschah allerdings nicht absichtlich, sondern im besten Sinne des Wortes absichtslos. Ich wollte nichts, ich verfolgte kein Ziel, ich wendete keine Methode an. Es geschah! Die Lösung kam mir intuitiv in den Sinn. Ihre TragfĂ€higkeit war weniger rational, sondern eher emotional begrĂŒndet.
SpĂ€ter musste ich an diese Coachingsession immer mit gemischten GefĂŒhlen denken. SchlieĂlich hatte sich das Ganze auch ein wenig wie ein Zufallstreffer angefĂŒhlt, der mir glĂŒcklicherweise aus der Patsche geholfen hatte. Gleichzeitig dachte ich, dass der Lösungsweg ziemlich effizient war. Ohne langes Nachdenken, Analysieren und Erörtern zeigte sich eine Lösung, die mir intuitiv als schlĂŒssig erschien. Mein Hin- und Hergerissensein hörte schlagartig auf, als ich nach langer Zeit eines Tages mal wieder Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung in die Hand nahm und auf folgende Textstelle stieĂ:
»Wenn man, durch die Kraft des Geistes gehoben, die gewöhnliche Betrachtungsart der Dinge fahren lĂ€sst [âŠ], nicht mehr das Wo, das Wann, das Warum und das Wozu an den Dingen betrachtet; sondern einzig und allein dasW a s ;auch nicht das abstrakte Denken, die Begriffe der Vernunft, das Bewusstsein einnehmen lĂ€sst [âŠ], die ganze Macht seines Geistes der Anschauung hingibt, sich ganz in diese versenkt und das ganze Bewusstsein ausfĂŒllen lĂ€sst durch die ruhige Kontemplation des gerade gegenwĂ€rtigen natĂŒrlichen Gegenstandes, sei es eine Landschaft, ein Baum, ein Fels, ein GebĂ€ude [âŠ], sich gĂ€nzlich in diesen Gegenstandv e r l i e r t ,d. h. eben sein Individuum, seinen Willen, vergisst und nur noch als reines Subjekt, als klarer Spiegel des Objekts bestehend bleibt [âŠ], man also nicht mehr den Anschauenden von der Anschauung trennen kann, sondern beide eines geworden sind [âŠ], wenn also solchermaĂen das Objekt aus aller Relation zu etwas auĂer ihm, das Subjekt aus aller Relation zum Willen getreten ist: Dann ist, was also erkannt wird, nicht mehr das einzelne Ding als solches; sondern es ist dieI d e e ,die ewige Form [âŠ]« (Schopenhauer 1977, S. 231 f.; Hervorh. im Orig.).
Diese Worte des kauzigen Philosophen aus dem frĂŒhen 19. Jahrhundert trafen mich wie der Stockschlag eines Zen-Meisters. Plötzlich erkannte ich Versenkung oder Kontemplation als methodische Option im Coaching und die zitierte Textstelle als wenngleich nicht profan durchoperationalisierte Instruktion zur Erreichung dieses Zustandes. Der von Schopenhauer verwendete Begriff der »Idee« lieĂ mich auĂerdem ahnen, dass neben das Denken und FĂŒhlen eine dritte Quelle der Erkenntnis in Erscheinung treten könnte. Dieser kontemplative Weg verschafft uns Zugang zu etwas Grundlegendem, zu einer Art Idee. Ich fragte mich, ob es neben kognitiver und emotionaler Erkenntnis so etwas wie eine in diesem Sinne »ideelle Erkenntnis« gibt. Mir ist natĂŒrlich klar, dass Schopenhauer wenig ferner lag, als Handreichungen fĂŒr Berater zu verfassen. Der entscheidende Punkt ist fĂŒr mich auch nicht, ob meine Lesart die korrekte Interpretation dieses Abschnitts aus der Welt als Wille und Vorstellung ist. Da halte ich es mit Paul ValĂ©ry, der sinngemÀà gesagt hat, dass, wenn ein Text erst mal veröffentlicht sei, man nicht mehr kontrollieren könne, wie er verstanden werde. Das bedeutet praktisch: Jeder kann nur »seinen« Schopenhauer lesen, und wie man ihn oder jeden beliebigen anderen Text liest, hĂ€ngt von der jeweils eigenen Lebenssituation mit all ihren Facetten ab. Meine LektĂŒre des Schopenhauer-Textes hat mich jedenfalls das Geschehen im Coaching mit Karin E. besser verstehen lassen. Dieses hilfreiche VerstĂ€ndnis hat sich wiederum intuitiv eingestellt. Die vermeintliche Unaufmerksamkeit wĂ€hrend des Coachings hat sich als kontemplative Versenkung erwiesen, die im Grunde eine tiefe dialogische Beziehungsgestaltung ohne Worte war. Aus der hat sich dann eine neue, wenn man so will: ideelle Erkenntnismöglichkeit ergeben.
Irgendwann ist mir aufgegangen, dass diese Coachingerfahrung bei mir auf einen inneren Boden gefallen ist, der durch die langjĂ€hrige BeschĂ€ftigung mit drei groĂen Themenfeldern bereitet war. Dabei handelt es sich um einen Ă€uĂerst merkwĂŒrdigen Themenmix, nĂ€mlich den Zen-Buddhismus, die soziologische Systemtheorie inklusive der konstruktivistischen Erkenntnistheorie sowie den Dialog. Im nĂ€chsten Abschnitt möchte ich diese Vorgeschichte im Zeitraffer nacherzĂ€hlen.
Es begann vor 30 Jahren
Die erste HĂ€lfte der 1990-Jahre war fĂŒr mich eine Zeit der Entdeckung des Zen-Buddhismus. Erste Jahre der Berufserfahrung nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre hatte ich hinter mir, und ich spĂŒrte das BedĂŒrfnis nach neuen geistigen Anregungen. Die Berufspraxis bot mir dafĂŒr anscheinend nicht genug Stoff. Warum gerade Zen? Im Grunde war es ein Zufall, der dadurch begĂŒnstigt wurde, dass ich ein gewisses Faible fĂŒr alles Japanische hatte. Woher diese Neigung wiederum kam, entzieht sich meiner bewussten Kenntnis. Jedenfalls stieĂ ich beim Stöbern in einer Kölner Buchhandlung auf zwei BĂŒcher von Alan Watts. Sie hieĂen bzw. heiĂen Der Lauf des Wassers (Watts 1983) und Vom Geist des Zen (Watts 1986). Von Taoismus oder Zen-Buddhismus hatte ich bis zu dem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung. Aber ich erinnere mich noch genau, dass die schlichte Suhrkamp-Aufmachung der beiden BĂŒcher mit ihren einfachen EinbĂ€nden, braun und blau, mich beinahe magisch angezogen hatte. Was fĂŒr ein merkwĂŒrdiger Anfang! Diese beiden Schriften von Alan Watts haben mir den ersten, entscheidenden Kick fĂŒr meine in der Folge immer tiefer gehende BeschĂ€ftigung mit dem Zen-Buddhismus gegeben. Ich war fasziniert von der ihm zugrunde liegenden taoistischen Philosophie, die in jeder Hinsicht diametral zu meinem Leben und meinen Werten, zu meinem Bildungsweg und meiner beruflichen SphĂ€re schien. Und dennoch, so spĂŒrte ich damals, hatte sie viel mit meinen GefĂŒhlen, meinem Erleben und meinen Erfahrungen zu tun. Dazu musste ich aber unter die OberflĂ€che des Alltagslebens schauen. Wenn ich mir die MuĂe gönnte, dies zu tun, erschloss sich mir nach und nach eine Welt jenseits von Logik, Konsistenz, KausalitĂ€ten, Zielen und Lösungen. Passagen wie »Was ist das, was immer zurĂŒckweicht, wenn man es verfolgt? Antwort: du selbst« (Watts 1983, S. 45) verwirrten und faszinierten mich zugleich. Immer noch sehr geprĂ€gt von der RationalitĂ€t der im Studium erlernten wissenschaftlichen Methode, war das fĂŒr mich natĂŒrlich auch eine Provokation all dessen, was meinem bisherigen Denken lieb und teuer war. Aber es war eine verfĂŒhrerische Provokation, und ich setzte mich ihr mit Freude aus. Also las ich weiter: mehr von Watts, Sheldon B. Kopp, Aitken und vielen anderen. Ich las Lao Tses Tao-Te-King und war fasziniert von seiner ErklĂ€rung, dass man ein GefÀà aus Ton formt, aber erst durch das Nichts in seinem Innern dieses GefÀà auch nutzen kann. Das Nichts war also das Eigentliche. Irgendwann fing ich an, mich in der Zen-Meditation zu ĂŒben. Hierbei half mir die exzellente Anleitung von Katsui Sekida (1993). Ich widmete mich dieser Praxis mit Disziplin und RegelmĂ€Ăigkeit, und es dauerte auch nicht sehr lange, bis sich Erfahrungen einstellten, die mir ein GefĂŒhl dafĂŒr gaben, was mit Körper, Geist und Seele im meditativen Zustand geschieht. Der gelernte Theologe und Religionsphilosoph Alan Watts war einer derjenigen, die viel dazu beigetragen haben, das Zen fĂŒr unseren westlichen Verstand zugĂ€nglich zu machen. Ein anderer war Karlfried Graf DĂŒrckheim, auf dessen Schriften und Wirken ich spĂ€ter aufmerksam wurde. Ein weiterer war Eugen Herrigel, der den Klassiker Zen in der Kunst des BogenschieĂens (Herrigel 1951) verfasst hat. Als BrĂŒckenbauer zwischen der östlichen Zen-Kultur und der westlich-christlichen Welt ist auf jeden Fall noch der Zen-Meister und Jesuiten-Pater Hugo Lassalle zu nennen. Nicht zuletzt muss ich einen ganz besonders inspirierenden Lesegenuss erwĂ€hnen. Es handelt sich um das genialische Buch Zen and the art of motorcycle maintenance von Robert M. Pirsig (1999). Dieses Buch entfaltet die Zen-Philosophie in der westlichsten aller westlichen Formen, nĂ€mlich in einer Roadstory, die ihr Ende am kalifornischen Pazifischen Ozean nimmt.
In der zweiten HĂ€lfte der 1990-Jahre stieĂ ich auf die Schriften von Paul Watzlawik, die mir eine grundlegend neue Sicht auf das Wesen der Kommunikation eröffneten, eine Sicht, die seinerzeit noch nicht zum Allgemeingut gehörte. Besonders hatten es mir Lösungen (Watzlawik et al. 1974) und Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Watzlawik 1976) angetan. Watzlawiks Spannungsbogen reichen vom taoistischen Begriff des »Wuwei«5 bis zu spieltheoretischen und militĂ€rstrategischen Fragen, und so ganz nebenbei erlĂ€utert er auf unterhaltsamste Weise das PhĂ€nomen des »Catch-22«6. Die BeschĂ€ftigung mit moderner Kommunikationstheorie veranlasste mich, eine Weiterbildung bei Fritz B. Simon am Heidelberger Institut fĂŒr Systemische Forschung zu besuchen. Sein Buch Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (Simon 1990) war in der Kombination aus Tiefsinn, Fundiertheit und Unterhaltung ein weiterer Motivator fĂŒr mich. Die kommunikationstheoretische Weltsicht Ă la Watzlawik hat das Genre der prozessorientierten Beratung maĂgeblich mit beeinflusst, und sie ist einer der prĂ€genden Faktoren fĂŒr die sogenannte systemische Beratung. Das waren in meiner persönlichen Entwicklung an sich schon hochinteressante und vielfĂ€ltige Welten, in denen es viel zu entdecken gab. Mein Doktorvater Rudi Wimmer gab mir jedoch den entscheidenden Impuls, mich mit einer noch viel weiterfĂŒhrenderen und letztlich radikalen Theoriewelt auseinanderzusetzen, nĂ€mlich mit der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann. Seine Theorie sozialer Systeme (Luhmann 1984) und die daraus entwickelte Organisationstheorie (Luhmann 2000) sind nicht gerade leichte Kost, aber wenn man sich einmal die MĂŒhe gemacht hat, tief in sie einzutauchen, kann es einem gelingen, wahre Perlen zurĂŒck an Land zu bringen. Luhmanns Theorie ermöglicht ErklĂ€rungen, wo Psychologie und klassisch-betriebswirtschaftliche Organisationslehre fĂŒr die SphĂ€re von Management und Organisation mit ihrem Latein am Ende zu sein scheinen. Dies gilt insbesondere fĂŒr die beharrenden KrĂ€fte einer Organisation im Wandel oder auch fĂŒr scheinbar irrationale Managerentscheidungen. Die mit der luhmannschen Systemtheorie eng zusammenhĂ€ngende konstruktivistische Erkenntnistheorie half mir, die soziologische Sicht auf Management und Organisation mit der modernen Kommunikationspsychologie zu einem in sich recht stimmigen und fĂŒr meine Beratungsarbeit erklĂ€rungsstarken Komplex zu verweben. Mit groĂem Genuss habe ich Schriften und VortrĂ€ge des österreichischen Physikers Heinz von Foerster gelesen, der von sich sagte, kein Konstruktivist zu sein, aber zweifellos maĂgeblich zur Verbreitung des konstruktivistischen Denkens beigetragen hat. Grundlegend und systematisch hat mich jedoch Ernst von Glasersfelds radikaler Konstruktivismus in puncto Erkenntnistheorie geprĂ€gt (von Glasersfeld 1996).
Anfang der 2000er-Jahre fĂŒgte sich dann die letzte Komponente zu den geistigen Strömungen, die in das vorliegende Buch mĂŒnden. Dabei handelt es sich um das in vielerlei Weise inspirierende Leseerlebnis von Martin Bubers Das dialogische Prinzip (Buber 1999). Dieses Werk, eigentlich eine Sammlung von Schriften, die zwischen den 20er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sind, hat mein Denken und Handeln, aber auch mein Empfinden, als Mensch in dieser Welt zu sein, tiefgreifend beeinflusst. FĂŒr mich ist Das dialogische Prinzip eine existenzphilosophische Schrift, die harmonisch und in einem inneren Zusammenhang mit den anderen Denkrichtungen schwingt, die fĂŒr Zen in der Kunst des Coachings eine wichtige Rolle spielen, also mit dem Zen sowie mit der Systemtheorie und dem Konstruktivismus. Aus diesem gemeinsamen Schwingen ergeben sich fĂŒr mich erhebliche Konsequenzen fĂŒr das Coaching und fĂŒr das Beraten ganz allgemein. Diesem gemeinsamen Schwingen und seinen Auswirkungen werde ich in diesem Buch nachgehen.
Bevor es richtig losgeht, möchte ich aber noch einige Bemerkungen zum Coaching und zu den tieferen ZusammenhÀngen zwischen de...