Die Heilung durch den Geist. Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud
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Die Heilung durch den Geist. Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud

Biographien dreier Persönlichkeiten, die sich mit den Themen Gesundheit und Krankheit in Bezug auf Geist und Religion auseinandergesetzt haben: Franz Anton Mesmer, Mary Baker-Eddy und Sigmund Freud

Stefan Zweig

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  1. 390 pages
  2. German
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Die Heilung durch den Geist. Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud

Biographien dreier Persönlichkeiten, die sich mit den Themen Gesundheit und Krankheit in Bezug auf Geist und Religion auseinandergesetzt haben: Franz Anton Mesmer, Mary Baker-Eddy und Sigmund Freud

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Die Heilung durch den Geist ist eine 1931 erschienene Trilogie von Stefan Zweig. Sie umfasst die Biographien dreier Persönlichkeiten, die sich mit den Themen Gesundheit und Krankheit in Bezug auf Geist und Religion auseinandergesetzt haben: Franz Anton Mesmer, Mary Baker-Eddy und Freud.Aus der Einleitung: Dieses Buch will keineswegs eine systematische Geschichte sĂ€mtlicher seelischen Heilmethoden sein. Mir ist es nur gegeben, Ideen in Gestalten darzustellen. Wie ein Gedanke in einem Menschen Wachstum gewinnt und dann ĂŒber diesen Menschen hinaus in die Welt, dieses geistig-seelische Geschehnis scheint mir immer eine Idee sinnlicher zu veranschaulichen als jedes historisch-kritische Referieren. Darum habe ich mich begnĂŒgt, nur drei Menschen zu wĂ€hlen, die, jeder auf anderem und sogar gegensĂ€tzlichem Wege, das gleiche Prinzip der Heilung durch den Geist an Hunderttausenden verwirklichten: Mesmer durch suggestive VerstĂ€rkung des Gesundheitswillens, Mary Baker-Eddy durch die chloroformierende Ekstatik der Glaubenskraft, Freud durch Selbsterkennung und damit Selbstbeseitigung der unbewußt lastenden Seelenkonflikte. Persönlich habe ich keine dieser Heilmethoden weder als Arzt erproben können, noch ist sie an mir als Patienten erprobt worden; an keine bindet mich Fanatismus der Überzeugung oder private Dankbarkeit. So hoffe ich, indem ich ausschließlich aus psychologischer Gestaltungsfreude diese Gestalten darstelle, unabhĂ€ngig geblieben und im Bilde Mesmers nicht Mesmerist, in jenem Baker-Eddys nicht Christian-Scientist, in jenem Freuds nicht restloser Psychoanalytiker geworden zu sein. Ich bin mir voll bewußt, daß jede dieser Lehren nur wirksam werden konnte durch Übersteigerung ihres Prinzips, daß jede eine ĂŒberspitzte Form in anderer Überspitzung darstellt, doch getreu Hans Sachsen"sag ich nicht, daß dies ein Fehler sei". Wie zum Wesen der Welle, daß sie ĂŒber sich selbst hinaus will, gehört es zur Entwicklungskraft jedes Gedankens, daß er seine Ă€ußerste Form sucht.

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Informations

Éditeur
e-artnow
Année
2013
ISBN
9788087664605
Édition
4
Sous-sujet
Classics


Mary Baker-Eddy

Inhaltsverzeichnis


Oh the marvel of my life! What would be thought of it, if it was known in a millionth of its detail? But this cannot be now. It will take centuries for this.
Mary Baker-Eddy
in einem Brief an Mrs. Stetson. 1893

Das Leben und die Lehre


Inhaltsverzeichnis


Der geheimnisvollste Augenblick eines Menschen ist die Bewußtwerdung seines Persönlichkeitsgedankens, der geheimnisvollste im Raume der Menschheit die Geburt ihrer Religionen. Wie eine einzige Idee, ausgehend von einem einzelnen, rauschhaft ĂŒberströmt in Hunderte, Tausende und Hunderttausende, wie ein solcher zufĂ€lliger Funke gleich einem Steppenbrand plötzlich die Erde in den Himmel lodern lĂ€ĂŸt, derlei Momente offenbaren sich immer als die wahrhaft mystischen, die herrlichsten der Geistesgeschichte. Aber meist ist der Quellpunkt solcher religiöser Strömungen spĂ€terhin nicht mehr aufzugraben. Vergessen hat ihn verschĂŒttet, und so wie der einzelne Mensch spĂ€terhin selten mehr die Sekunde seiner innersten Entscheidungen, so weiß die Menschheit selten den Ausgangsaugenblick ihrer Glaubensleidenschaften.
GlĂŒcksfall darum fĂŒr all jene, die Psychologie der Massen und des Individuums lieben, daß wir endlich einmal aus nĂ€chster NĂ€he Entstehung, Wachstum und Ausbreitung einer mĂ€chtigen Glaubensbewegung Zug um Zug beobachten können. Denn die Christian Science entstand erst knapp am Rande unseres Jahrhunderts, in der SphĂ€re elektrischen Lichts und asphaltierter Straßen, innerhalb einer taghellen Epoche, die kein Privatleben und kein Geheimnis mehr duldet, die unbarmherzig genau mit ihrem journalistischen Meldeapparat die geringste Bewegung verzeichnet. Bei dieser religiösen Heilmethode können wir zum erstenmal die Wachstumskurve an der Hand von VertrĂ€gen, Prozessen, ScheckbĂŒchern, Bankkonten, Hypotheken und Photographieen von Tag zu Tag verfolgen, zum erstenmal das Wunder oder Wunderbare einer seelischen Massensuggestion ins psychologische Laboratorium nehmen. Und daß im Falle der Mary Baker-Eddy ungeheuerste Weitwirkung, ja Weltwirkung von einer philosophisch kindlichen und erschreckend einfachen Idee ausgeht, daß hier wirklich ein Sandkorn Intellekt eine Lawine ins Rollen bringt, gerade dies MißverhĂ€ltnis macht das Wunder ihrer Weltverbreitung nur noch wunderbarer. Wenn andere große Glaubensbewegungen in unseren Tagen, wenn Tolstois urchristlicher Anarchismus, wenn Gandhis Nonresistance auf Millionen von Menschen bindend und steigernd gewirkt haben, so können wir dies Überströmen in abertausend Seelen immerhin verstehen, und was mit hellem Sinn verstĂ€ndlich ist, wirkt doch im letzten Sinn niemals wunderbar. Bei diesen großen Geistesmenschen kam Kraft aus Kraft, aus starkem Antrieb starke Wirkung. Tolstoi, dieses herrliche Gehirn, dieses bildnerische Genie gab eigentlich nur sein lebendiges Wort, seine Gestaltungskraft an die formlos im russischen Volke umschweifende Idee der Auflehnung gegen die StaatsautoritĂ€t, Gandhi formulierte im letzten nichts anderes als die uralte PassivitĂ€t seiner Rasse und ihrer Religion in eine neue AktivitĂ€t um; beide bauten sie auf Grund uralter Überzeugungen, beide trug die Strömung der Zeit. Von beiden könnte man sagen, nicht sie drĂŒckten einen Gedanken aus, sondern der Gedanke, das blutgeborne Genie ihrer Nation sich in ihnen, und so bedeutet es kein Wunder, vielmehr das absolute Gegenteil von Wunder, das ist: streng logische und gesetzmĂ€ĂŸige Wirkung, daß ihre Lehre, einmal ausgesprochen, Millionen ergriff. Mary Baker-Eddy aber, wer ist sie? Irgendeine Frau, irgendeine, weder schön noch hinreißend, nicht ganz wahr, nicht ganz klug, dabei nur halb-oder viertelgebildet, ein isoliertes anonymes Individuum ohne jede ererbte Stellung, ohne Geld, ohne Freunde, ohne Beziehungen. Sie stĂŒtzt sich auf keine Gruppe, auf keine Sekte, sie hat nichts in der Hand als eine Feder und nichts in ihrem höchst mittelmĂ€ĂŸigen Gehirn als einen Gedanken, einen einzigen Gedanken. Alles ist vom ersten Augenblick an gegen sie: die Wissenschaft, die Religion, die Schulen, die UniversitĂ€ten und mehr noch, die natĂŒrliche Vernunft, der »common sense«, und kein Land erscheint zunĂ€chst fĂŒr eine derart abstrakte Lehre ungĂŒnstigere SiedlungsflĂ€che als ihre Heimat, als Amerika, die sachlichste, nervenkĂ€lteste und unmystischeste aller Nationen. All diesen WiderstĂ€nden hat sie nichts entgegenzusetzen als ihren zĂ€hen, hartnĂ€ckigen, beinahe stupid hartnĂ€ckigen Glauben an eben diesen Glauben, und einzig mit ihrer monomanischen Besessenheit macht sie das Unwahrscheinliche wahr. Ihr Erfolg ist absolut antilogisch. Aber gerade Widersinn gegen die Wirklichkeit ist ja immer das sichtlichste Symptom des Wunderbaren.
Sie hat nichts als einen einzigen und noch dazu sehr fragwĂŒrdigen Gedanken, diese eisenstirnige Amerikanerin, aber sie denkt nichts als diesen einen Gedanken, sie hat keinen anderen als diesen einen Standpunkt. Aber auf ihm beharrt sie, die Beine fest gegen die Erde gestemmt, unbeweglich, unerschĂŒtterlich, gegen jeden Einspruch taub, und hebt mit ihrem winzigen Hebel eine Welt aus den Angeln. In zwanzig Jahren schafft sie aus einem metaphysischen Wirrwarr eine neue Heilkunde, eine von Millionen AnhĂ€ngern geglaubte und ausgeĂŒbte Wissenschaft mit UniversitĂ€ten, Zeitungen, Lehrern und LehrbĂŒchern, schafft sie Kirchen mit marmornem Riesendom, einem Synedrion von Predigern und Priestern, und sich selbst ein Privatvermögen von drei Millionen Dollar. Aber darĂŒber hinaus gibt sie noch der ganzen zeitgenössischen Psychologie gerade durch ihre Übertreibungen einen Ruck nach vorwĂ€rts und sichert sich ein gesondertes Blatt in der Geschichte der Seelenkunde. An Wucht der Wirkung, an Schnelligkeit des Erfolges, an Zahl ihrer AnhĂ€nger hat diese eine, halbgebildete, halbgeistige, nur halbgesunde und auch charaktermĂ€ĂŸig zweideutige alte Frau alle FĂŒhrer und Forscher unserer Zeit ĂŒbertroffen: niemals ist in unserer LebensnĂ€he von einem einzelnen Menschen mittleren Ranges so viel geistige und religiöse Unruhe ausgegangen wie von der erstaunlichen Existenz dieser amerikanischen Farmerstochter, »the most daring and masculine and masterful woman, that has appeared on earth in centuries«, wie sie im Zorne ihr Landsmann Mark Twain nennt.
Dieses phantastische Leben Mary Baker-Eddys ist zweimal dargestellt worden, in beiden FĂ€llen vollkommen gegensĂ€tzlich. Es gibt eine offizielle Biographie, eine kirchlich approbierte, von der geistlichen Leitung der Christian Science kanonisierte; mit einem eigenhĂ€ndigen Handschreiben hat der »pastor emeritus«, hat also sie selbst, Mary Baker-Eddy, dies ihr eigenes Lebensbildnis der glĂ€ubigen, der allzu glĂ€ubigen Gemeinde empfohlen; so mĂŒĂŸte, meinte man, diese Biographie der Miß Sibyl Wilbur, eine durchaus redliche sein; in Wirklichkeit ist sie der Erztypus einer byzantinischen SchönfĂ€rberei. In dieser Biographie, die zur Erbauung und BestĂ€rkung der bereits Überzeugten von Sibyl Wilbur »in der Art des Markus-Evangeliums« – ich zitiere wörtlich – geschrieben ist, erscheint die Entdeckerin der Christian Science mit einem Heiligenschein und in rosenrotem Licht (darum fĂŒhre ich sie im Laufe dieser Studie immer nur kurz als die rosenrote Biographie an). ErfĂŒllt von göttlicher Gnade, mit ĂŒberirdischer Weisheit begabt, Sendbote des Himmels auf Erden, Ausbund der Vollendung, tritt Mary Baker-Eddy makellos unserem unwĂŒrdigen Blick entgegen. Alles, was sie tut, ist wohlgetan, alle Tugenden des Gebetbuchs werden auf sie gehĂ€uft, ihr Charakter erglĂ€nzt in den sieben Regenbogenfarben gĂŒtig, fraulich, christlich, mĂŒtterlich, menschenfreundlich, bescheiden und milde; alle ihre Widersacher dagegen offenbaren sich als stumpfe, niedrige, neidische, lĂ€sterliche, verblendete Menschen. Kurzum, kein Engel ist so rein. TrĂ€nenfeucht das gerĂŒhrte Auge, blickt die fromme SchĂŒlerin zu dem durchaus auf heilig frisierten Bildnis auf, dem jeder irdische (und darum charakteristische) Zug auf das sorgfĂ€ltigste wegretuschiert ist. In diesen gĂŒldenen Spiegel haut nun die andere Biographin, Miß Milmine, resolut mit dem dĂŒrren Knotenstock der Dokumente hinein, sie arbeitet ebenso konsequent in Schwarz wie jene in Rosa. Bei ihr enthĂŒllt sich die große Entdeckerin als gemeine Plagiatorin, die ihre ganze Theorie einem ahnungslosen VorgĂ€nger aus dem Schreibpult gestohlen, als pathologische LĂŒgnerin, bösartige Hysterikerin, berechnende GeschĂ€ftsmacherin, als eine abgefeimte MegĂ€re. Mit bewundernswertem Reporterfleiß ist alles an Zeugnissen herangeschleppt, was das Heuchlerische, Verlogene, Durchtriebene und grob GeschĂ€ftsmĂ€ĂŸige ihrer Person, was das Sinnlose und LĂ€cherliche ihrer Lehre derb unterstreicht. SelbstverstĂ€ndlich wird diese Biographie von der Gemeinde der Christian Science ebenso grimmig verfolgt wie die rosenrote leidenschaftlich angepriesen. Und durch eine merkwĂŒrdige geheime Transaktion sind fast sĂ€mtliche Exemplare aus dem Handel verschwunden (und auch eine soeben erschienene dritte Biographie, die Frank A. Dakins, wurde sofort bei den meisten BuchhĂ€ndlern aus den Schaufenstern geholt).
So stehen sich Evangelium und Pamphlet, also rosenrot und pechschwarz, entschlossen gegenĂŒber. Aber sonderbar: fĂŒr den unparteiischen Beobachter dieses psychologischen Falles vertauschen die beiden BĂŒcher merkwĂŒrdig ihre Wirkung. Gerade die Biographie der Miß Milmine, die um jeden Preis Mary Baker-Eddy lĂ€cherlich erscheinen lassen will, macht sie psychologisch interessant; und gerade die rosenrote Biographie mit ihrer platten, maßlosen Vergötterung macht diese durchaus interessante Frau unheilbar lĂ€cherlich. Denn der Reiz ihrer komplizierten Seele liegt eben und einzig in dem Gemengtsein dieser gegensĂ€tzlichen Veranlagung, in der unnachahmlichen Verstricktheit von geistiger NaivitĂ€t mit praktischem Geldblick, in der einmaligen Paarung von Hysterie und Berechnung. So wie Kohle und Salpeter, durchaus ungleichartige Elemente, wenn in richtigem VerhĂ€ltnis gemengt, Pulver ergeben und eine ungeheure Explosivkraft entwickeln, so entsteht hier durch diese einmalige Mischung mystischer und kommerzieller, hysterischer und psychologischer Begabung eine ungeheure Geballtheit, und vielleicht hat trotz Ford und Lincoln, trotz Washington und Edison Amerika keinen geistigen Typus hervorgebracht, der die Doppelgeleisigkeit des amerikanischen Idealismus und der amerikanischen WelttĂŒchtigkeit so sinnfĂ€llig zum Ausdruck bringt wie Mary Baker-Eddy. Freilich, ich gebe es zu, in einer karikaturistischen Verzerrung, in einer geistigen Donquichotterie. Aber so wie Don Quichotte in seiner traumhaften Überspanntheit, in seiner narrenhaften Unbelehrtheit trotz allem und allem den spanischen Hidalgo-Idealismus plastischer der Welt versinnlicht hat als alle ernstgemeinten Ritterromane seiner Zeit, so lehrt uns diese gleichfalls fĂŒr das Absurde heldenhaft-nĂ€rrisch kĂ€mpfende Frau besser die amerikanische Romantik verstehen als aller offizieller Katheder-Idealismus eines William James. Jeder Don Quichotte des Absoluten, das wissen wir lĂ€ngst, hat einen Narren, einen Sparren im Leibe, und immer trottet hinterher auf seinem braven Esel der ewige Sancho Pansa, die banale VernĂŒnftigkeit. Aber wie jener de la Mancha im sonnverbrannten kastilischen Land den Zauberhelm Mambrin und die Insel Barataria, so entdeckt diese hartknochige, diese unbelehrbare Frau aus Massachusetts zwischen Wolkenkratzern und Fabriken, mitten in der harten Zahlenwelt der Börsenkurse, Banken, Truste und Kalkulationen wieder einmal das Königreich Utopia. Und wer immer die Welt einen neuen Wahn lehrt, der hat die Menschheit bereichert.

Vierzig verlorene Jahre


Inhaltsverzeichnis


Ein kleines einstöckiges, ungetĂŒnchtes Holzhaus in Bow, nahe von Concord: die Bakers haben es mit eigenen HĂ€nden gebaut, mittlere Farmersleute, nicht arm, nicht reich, angelsĂ€chsischen Ursprungs und ĂŒber hundert Jahre schon ansĂ€ssig in New Hampshire. Der Vater, Mark Baker, ein wuchtiger Bauer, sehr streng, sehr fromm, sehr starrsinnig, den SchĂ€del hart wie die Faust; »you could not more move him than you could move old Kearsarge« sagen die Nachbarn von ihm, das heißt, man kann ihn so wenig wankend machen wie den alten Berg Kearsarge, der dort im Lande steht. Diesen steinernen Starrsinn, diese unrĂŒttelbare Willensheftigkeit hat auch sein siebentes Kind, Mary Baker (geboren 16. Juli 1821), von ihm geerbt, nicht aber dazu die muskelharte Gesundheit, das gute Gleichgewicht. Ein fahriges, schwĂ€chliches, blĂ€ĂŸliches, nervöses MĂ€dchen, wĂ€chst sie heran, empfindlich und sogar ĂŒberempfindlich. Schreit einer laut, sofort zuckt sie zusammen, jedes scharfe Wort regt sie unmĂ€ĂŸig auf: nicht einmal die normale Distriktsschule vermag sie durchzuhalten, denn sie kann das Scharren und LĂ€rmen der Nachbarskinder nicht vertragen. So lĂ€ĂŸt man den ZĂ€rtling schonungsvoll zu Hause, erlaubt Mary zu lernen, was sie gerade will, und das ist, man mag sich’s denken, nicht ĂŒbermĂ€ĂŸig viel auf einer abseitigen amerikanischen Farm, meilenweit von Dorf und Stadt. Durch Schönheit fĂ€llt die kleine Mary nicht besonders auf, obwohl die Pupillen, rund und groß, manchmal in seltsam unruhigem Stahlgrau flimmern und ein straffer fester Mund ihr schmales Gesicht energisch zusammenhĂ€lt. Aber Auffallen, gerade das will sie ja, gerade darum ist es diesem sonderbaren, diesem eigenwillig nervösen Kind vor allem zu tun. Überall und immer will sie auffallen, anders erscheinen als die andern: sehr frĂŒh zeichnet sich dieser vorherrschende Zug in ihrem Charakterbilde ab. Von Anfang an will sie als etwas »Höheres«, etwas Besonderes gewertet werden, und zu diesem Zweck weiß das kleine FarmermĂ€del zunĂ€chst nichts Besseres, als die Preziöse zu spielen. Sie gibt sich ein »superior air«, erfindet sich einen eigenwilligen Gang, gebraucht im GesprĂ€ch allerlei absurde Fremdwörter, die sie heimlich aus dem Lexikon herausfischt und munter im falschen Wasser schwimmen lĂ€ĂŸt; in Kleidung, Haltung und Benehmen hĂ€lt sie auf Abstand von der allzu »gewöhnlichen« Umgebung. Aber amerikanische Farmer haben nicht viel Sinn und Zeit, derlei KĂŒnstlichkeiten bei einem Kinde zu bemerken: niemand bewundert und bestaunt die kleine Mary – was also natĂŒrlicher, als daß dieser rĂŒckgestaute Geltungswille (man wird sehen: einer der stĂ€rksten des Jahrhunderts) zu gröberen Mitteln greift, um sich sichtbar zu machen? Jeder Machttrieb, der nicht nach außen kann, stĂ¶ĂŸt nach innen und verbiegt und zerreißt zunĂ€chst die eigenen Nerven. Nun hatten schon vor den PubertĂ€tsjahren die kleine Mary hĂ€ufig Konvulsionen, KrĂ€mpfe und ungewöhnliche Erregbarkeiten befallen. Und da sie bald merkt, daß man ihr bei solchen AnfĂ€llen im Hause besondere ZĂ€rtlichkeit und Aufmerksamkeit zuwendet, schalten die Nerven – bewußt oder unbewußt, diese Grenze ist biegsam – immer hĂ€ufiger solche hysterische »fits« ein. Sie hat oder sie heuchelt (nochmals: wer kann je die echten Erscheinungen der Hysterie von den gespielten genau unterscheiden?) AngstanfĂ€lle und grelle Halluzinationen; urplötzlich stĂ¶ĂŸt sie gellende Schreie aus und stĂŒrzt wie leblos hin. Schon vermuten die Eltern Epilepsie bei dem sonderbaren Kinde, aber der herbeigerufene Arzt schĂŒttelt zweifelnd den Kopf. Er nimmt die Sache nicht ĂŒbermĂ€ĂŸig ernst; »Hysteria mingled with bad temper« lautet seine ein wenig spöttische Diagnose. Und da diese AnfĂ€lle sich hĂ€ufig wiederholen, ohne je gefĂ€hrlich zu werden, und höchst verdĂ€chtigerweise gerade dann einsetzen, wenn Mary ihren Willen behaupten oder fremde Forderung abwehren will, wird sogar der klinisch ungelehrte Vater allmĂ€hlich mißtrauisch. Als sie nach einer erregten Szene wieder einmal starr und steif zu Boden fĂ€llt, lĂ€ĂŸt er sie ruhig liegen, ohne sich weiter zu kĂŒmmern, und geht an seine Arbeit; abends heimgekehrt, sieht er sie, ohne daß ihr jemand emporgeholfen hĂ€tte, ruhig in ihrem Zimmer sitzen und ein Buch lesen.
Jedenfalls, eines erreicht sie mit diesen Nervenspielen (oder besser: dem Spielenlassen ihrer Nerven) und gerade das, was sie zuinnerst gewollt: sie erzwingt sich eine Sonderstellung im Haus. Sie muß nicht wie die Schwestern scheuern, kochen, nĂ€hen, melken, nicht wie die BrĂŒder hinaus auf das Feld, sondern sie kann sich schon frĂŒhzeitig von der »gewöhnlichen«, der tĂ€glichen, der banalen Frauenarbeit drĂŒcken. Und was dem fĂŒnfzehnjĂ€hrigen MĂ€dchen bereits bei den Eltern gelingt, das setzt diese Frau ĂŒberall und gegen alle durch. Nie, auch in den Jahren bitterster Entbehrung und entsetzlichster Notdurft, wird Mary Baker jemals gewöhnliche, haushĂ€lterisch-weibliche Arbeit verrichten. Vom ersten Anfang an weiß sich zielbewußt ihr innerster, geheimster Wille eine »besondere« und höhere LebensfĂŒhrung durchzusetzen. Von allen Krankheiten ist zweifellos die Hysterie die intelligenteste, die dem innersten Persönlichkeitstrieb verbundenste, in Zustoß und Abwehr versteht sie immer die geheimste Wunschlinie eines Menschen zu offenbaren: darum wird keine Macht der Erde jemals erzwingen, was Mary Baker, diese Willensmeisterin, im Innersten nicht will. WĂ€hrend die Schwestern sich in Stall und Acker abrackern, liest diese kleine amerikanische Bovary BĂŒcher und lĂ€ĂŸt sich pflegen und bemitleiden. Sie hĂ€lt still, solange man ihrem Willen nicht in die Quere kommt; versucht man sie aber zu etwas zu nötigen, was ihr nicht genehm ist, so schaltet sie sofort ihre »fits«, ihre »tantrums« ein und lĂ€ĂŸt die Nerven spielen. Schon unter dem elterlichen Dach ist diese herrschsĂŒchtige, diese solipsistische Natur, die sich keiner Umwelt anpassen oder einpassen will, kein angenehmer Hausgenosse. Und ganz gesetzhaft wird dieser tyrannische Selbstwille unaufhörlich und ĂŒberall Spannungen, Konflikte und Krisen erzeugen, denn Mary Baker duldet kein Nebensich, sondern nur Unterwerfung unter ihr ungeheuer gespanntes Ich, dem ein Weltall als Raum kaum genĂŒgt.
Eine unbehagliche, eine gefĂ€hrliche Hausgenossin also ist und bleibt sie, die scheinsanfte, die scheinstille Mary Baker. Darum betrachten die bravbĂŒrgerlichen Eltern den Weihnachtstag 1843 als Doppelfeiertag, da Washington Glover, kurz »Wash« genannt, ein netter junger Kaufmann, ihnen die ZweiundzwanzigjĂ€hrige aus dem Hause in die Kirche holt. Nach der Trauung fahren die jungen Gatten in die SĂŒdstaaten, wo Glover sein GeschĂ€ft hat, und wĂ€hrend dieses kurzen Zwischenspiels einer leidenschaftlichen jungen Ehe mit dem strammen, heitern Wash hört man nichts von Halluzinationen und Hysterieen. Marys Briefe sprechen ausschließlich von restlosem GlĂŒck und atmen Gesundheit; wie unzĂ€hligen ihrer Schicksalsgenossinnen hat das sinnlich gerade Zusammensein mit einem krĂ€ftigen jungen Mann ihr die flirrenden Nerven völlig zusammengenietet. Aber die gute, gesunde Zeit dauert fĂŒr sie nicht lange, knapp anderthalb Jahre, denn schon im Jahre 1844 rafft das gelbe Fieber Wash Glover in South Carolina innerhalb von neun Tagen hinweg. Mary Baker-Glover bleibt in einer furchtbaren Lage zurĂŒck. Das bißchen Geld, das sie in ihre Ehe mitgebracht, ist verloren, hochschwanger und verzweifelt steht sie in Wilmington vor dem Sarge ihres Gatten und weiß nicht, wohin. GlĂŒcklicherweise kratzen Freimaurerkameraden ihres Mannes ein paar Dutzend Dollar zusammen, so daß man die Witwe wenigstens bis nach New York zurĂŒckspedieren kann. Dort holt sie der Bruder ab, und kurz darauf bringt sie im Hause der Eltern einen nachgeborenen Sohn zur Welt.
Das Leben hat es nie gut mit Mary Baker gemeint. Dreiundzwanzig Jahre alt, wirft sie die Welle zum erstenmal zurĂŒck an die Stelle ihrer Ausfahrt; nach jedem Versuch zur SelbstĂ€ndigkeit wird sie bei ihrer Familie stranden: bis zu ihrem fĂŒnfzigsten Jahre ißt Mary Baker nie anderes als geschenktes oder erbetteltes Brot, bis zum fĂŒnfzigsten Jahre schlĂ€ft sie immer in fremdem Bett, sitzt sie an fremdem Tisch. Gerade sie, so stark im Willen, ohne eigentlich zu wissen, was sie will, so rasend stolz ohne die geringste Berechtigung oder Leistung, gerade sie muß immer wieder mit dem geheimen GefĂŒhl ihrer Außerordentlichkeit gleichgĂŒltigen und nach ihrer Überzeugung unterwertigen Menschen zur Last fallen. Erst nimmt der Vater die junge Witwe auf, dann siedelt sie zu ihrer Schwester Abigail ĂŒber; dort bleibt sie ganze neun Jahre, ein immer peinlicherer und lĂ€stigerer Gast. Denn seit Wash Glover tot ist, reißen der jungen Witwe wieder die Nerven durch, und obwohl ungebetene KostgĂ€ngerin, tyrannisiert sie durch ihre Erregbarkeit den ganzen Haushalt. Niemand wagt ihr zu widersprechen, um nicht ihre »fits« herauszufordern; die TĂŒren mĂŒssen mit Sorgfalt geschlossen werden, alle im Haus auf den Fußspitzen gehen, um die »Kranke« zu schonen. Manchmal irrt sie starren Blicks wie eine Nachtwandlerin durch die Zimmer, manchmal bleibt sie tagelang im Bett im Zustand vollkommener Unbeweglichkeit, behauptet, nicht gehen, nicht stehen zu können, jede Bewegung tue ihr weh. Ihr eigenes Kind schafft sie eiligst aus dem Hause, diese harte Seele will sich nicht um irgendein Fremdes bekĂŒmmern, sei es auch ihr eigen Fleisch und Blut: ihr unruhiges Ich kennt keine andere BeschĂ€ftigung als die mit sich selbst. Die ganze Familie muß ihr mit Aufmerksamkeit fronen, jeder ihrem...

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