Das Gesetz der großen Zahlen
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Das Gesetz der großen Zahlen

Alexander Adrian Wallis

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  1. 176 pages
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Das Gesetz der großen Zahlen

Alexander Adrian Wallis

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Anna Gerowski und Frank Sahlen ĂŒberlegen, eine Wohnung zu kaufen. Aufgrund der extrem hohen Preise fĂŒr Wohneigentum wollen sie sichergehen, dass die Wohnung keinen unerwarteten Wertverlust erleidet. Sie beauftragen eine Firma namens WWS, eine Risikobewertung fĂŒr ihre Investition durchzufĂŒhren. WWS ist darauf spezialisiert, Zukunftsvorhersagen basierend auf Computersimulationen zu erarbeiten. Die Firma simuliert millionenfach Welten, um durch kleine ParameterĂ€nderungen die wahrscheinlichste Entwicklung fĂŒr die nĂ€chsten Jahrzehnte abzuleiten. Als Frank erfĂ€hrt, dass in den von WWS geschaffenen Welten Menschen mit Bewusstsein simuliert werden, nimmt die Geschichte einen unerwarteten Verlauf.

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Informations

Éditeur
Books on Demand
Année
2019
ISBN
9783749472635
Édition
1
Sous-sujet
Science Fiction
I
Anna Gerowski
Der Einfallswinkel des Sonnenlichtes auf der Dachterrasse entsprach nicht jenem der darunter liegenden Stadt. Als wĂŒrde die Welt des PĂ€rchens von zwei ebenbĂŒrtigen Lichtquellen, die leicht versetzt am Himmel stehen, erhellt. Ein Effekt, der in Immobilienmagazinen oft zum Einsatz kam. Anna blĂ€tterte einige Seiten weiter. Noch einmal das PĂ€rchen in Nahaufnahme. Die beiden unterhielten sich auf einem Balkon. Darunter lag das DĂ€chermosaik Wiens. Die Schlieren im Rotweinglas der Dame zogen so klare Konturen, dass sie an Torbögen erinnerten. Die Effekte waren dezent eingefĂŒgt worden und bezeugten die vielen Arbeitsstunden, die von den Grafikern in die Erstellung des Magazins gesteckt worden waren. Anna blickte auf die Uhr am Bildschirm. Um elf Uhr musste sie am Schwedenplatz sein. Sie schlug das Immobilienmagazin zu, faltete es und schob es in ihre Tasche.
»Computer, bestell ein Auto. Das ĂŒbliche Modell. Elegant. Schwarz. Mit verspiegelten Fenstern. Hohes Preissegment. In zehn Minuten.«
Anna schlĂŒpfte in ihre Schuhe und platzierte ihre Sonnenbrille im Haar.
»Kann ich Ihnen ein Taxi bestellen, Frau Direktorin?«, fragte der SekretĂ€r, als Anna aus ihrem BĂŒro trat und den Vorraum durchschritt.
»Danke Alan, nicht nötig. Sagen Sie bitte alle Termine fĂŒr heute ab. Ich bin telefonisch erst morgen wieder zu erreichen.«
Das Auto wartete vor der TĂŒr des FirmengebĂ€udes und öffnete die rechte TĂŒre, als Anna aus dem Schatten der Eingangshalle trat.
»Zur Rotenturmstraße Ecke Schwedenplatz ĂŒber die Triester Straße und den GĂŒrtel. Durch die Bezirke dreiundzwanzig, fĂŒnfundzwanzig, einunddreißig, zehn und drei.«
»Die schnellste Route wurde berechnet«, bestÀtigte die weiche MÀnnerstimme des Autos.
Auf der Windschutzscheibe erschien eine transparente Karte der Stadt, die von einer grĂŒnen Linie durchzogen war, deren Verlauf das FirmengebĂ€ude mit dem angegebenen Ziel verband. Anna betrachtete die Karte und zog die errechnete Strecke mit ihrem Finger vom GĂŒrtel, einer der Hauptverkehrsachsen der Stadt, in ein Wohngebiet. Dem Einbahnsystem folgend, fĂŒgte sich die Linie mĂ€andernd dem Gewirr kleiner Straßen. Anna betrachtete den weitlĂ€ufigen Umweg und sank zufrieden in den Sitz. Sie wies das Auto an, die Scheiben weiter zu verdunkeln.
WĂ€hrend der Fahrt zum GĂŒrtel sah Anna kaum Menschen. Die Straße glich einer Allee, die anstatt von BĂ€umen mit exzentrischer Architektur namhafter Weltkonzerne gesĂ€umt war. Erst als das Auto in die kleinen Gassen der Wohnsiedlung bog, verĂ€nderte sich das Stadtbild merklich. Abgestandene Wohnhausanlagen befanden sich an beiden Seiten der engen Gassen. Jeder Blick in deren Fenster gab die Einförmigkeit des Lebens schonungslos preis. An den Straßenecken sah Anna kleine Gruppen von MĂ€nnern, die dem Training ihres Körpers augenscheinlich viel Bedeutung beimaßen. Ein Kahlköpfiger, der zwei prall gefĂŒllte EinkaufssĂ€cke in HĂ€nden hielt, blieb am Gehsteig stehen und sah dem Auto mit demonstrativ angespannter Miene nach. Anna glaubte, er wĂŒrde ihr direkt in die Augen blicken. In den Sackgassen spielten einige Kinder unter der Aufsicht von Eltern, die im Schatten der wenigen BĂ€ume vor der brĂŒtenden Hitze Zuflucht suchten.
Anna war nicht weit von hier aufgewachsen. Sie konnte sich an ihre Kindheit in dem Straßengeflecht gut erinnern. Sie kannte die Straßen und die Hausfassaden, die tagsĂŒber die Hitze des Sommers aufsogen, um die RestwĂ€rme, gleich einem Reaktor, bis weit in die Nacht hinein abzustrahlen. Die Kinder schliefen gut, doch die Eltern schlurften, klebrig vor Nachtschweiß, in die KĂŒche, um zu viel kaltes Wasser zu trinken. Wasser, das kurz nach dem Einschlafen wieder ausgeschieden werden musste. Erneutes Aufstehen. Anna kannte die Stimmungsschwankungen, die in den nicht klimatisierten RĂ€umen wie WaldbrĂ€nde aufflammen konnten und dann ganze NĂ€chte verzehrten. Sie kannte aber auch die glĂŒckliche Resignation, die sich in den letzten AuslĂ€ufern des Sommers manchmal breitmachte.
In den letzten Jahrzehnten war Anna kaum in diesen Gassen gewesen. Ihre Eltern lebten inzwischen in einem Heim am Stadtrand und hatten Anna sowohl die Wohnung in einem Nobelbezirk als auch das Wochenenddomizil, das nur fĂŒnfzig Kilometer entfernt in einem kleinen Vorort lag, ĂŒberlassen. Die meisten ihrer damaligen Freunde waren wie Anna wĂ€hrend der Schulzeit von hier weggezogen. Der Stadtteil war seit damals zunehmend verkommen. Mit den Einkommensschwachen kamen die ersten leerstehenden LĂ€den und den ersten beschmierten HauswĂ€nden folgten zerschlagene Fensterscheiben. Mit all dem verdĂŒsterten sich die Mienen, es hielten Machos, Aggression, EinfĂ€ltigkeit und Gestank Einzug in die Gassen. Das schrieben zumindest die Zeitungen. Der Stadtteil war einer der Vorzeigebezirke des gesellschaftlichen Abstiegs. Anna bekam von dem nun nichts mehr mit. Sie saß in einer Kapsel, die sie sicher durch die BrutstĂ€tten der nĂ€chsten Randale chauffierte. Mit dem GefĂŒhl, alles ĂŒber diese Straßen und deren Niedergang zu wissen, verlor Anna das Interesse daran, die EinfĂ€ltigkeit, die offenen MĂŒnder und das Gaffen weiter zu beobachten. Ein knappes Â»ĂŒber den GĂŒrtel« genĂŒgte, um das Auto wieder auf die ursprĂŒnglich berechnete Strecke zurĂŒckkehren zu lassen. Die Anzahl der dilettantischen Graffiti nahm ab und wurde wenige hundert Meter weiter vom Messing opulenter TĂŒrschilder abgelöst. Gentrifizierung macht alles vorhersagbar und zieht klare Grenzen. Man weiß, wohin man nicht gehen muss. Das Sonderbare daran war nur, dachte Anna, dass sich nicht vorhersagen ließ, wo sich der nĂ€chste Niedergang ereignen wĂŒrde. Armut war wie Tinte auf einem Löschpapier, die sich ausbreitete und ineinanderfloss. Sie war in der glĂŒcklichen Lage, ein Inseldasein in diesem Tintenmeer zu fĂŒhren. Die Herausforderung der nĂ€chsten Jahre bestand darin, diesen Status zu verteidigen.
Um zehn Uhr zweiundfĂŒnfzig bog das Auto in die Rotenturmstraße ein. Nachdem Anna ausgestiegen war, entfernte sich das Fahrzeug gerĂ€uschlos. Anna drehte ihren Kopf mit geschlossenen Augen Richtung Sonne und genoss die WĂ€rme, die bis tief in ihre Augenhöhlen spĂŒrbar war. Die Glasfassaden der umliegenden GebĂ€ude spiegelten das Sonnenlicht und warfen es in die zahllosen Winkel zwischen den HĂ€usern, um die Schatten aus den letzten Ecken zu treiben. Eine unerwartete Ruhe lag zwischen den GebĂ€uden. Bis kurz vor elf waren alle Menschen in ihren BĂŒros eingetroffen und der Hunger war noch nicht groß genug, um die Straße wieder mit Leben zu fĂŒllen. Ein Moment der Stille in der Innenstadt war eine ausgesprochene Seltenheit, der auch Anna kurz innehalten ließ. Doch nicht zu lange. Sie besann sich des Immobilienmagazins, das sie wĂ€hrend der Fahrt weiter durchgeblĂ€ttert hatte, in ihrer Hand. Deswegen war sie hier. Die Sonne wĂŒrde sie ein anderes Mal in sich dringen lassen können.
Anna ĂŒberquerte die Straße und betrat die internationale Konzernzentrale von »WWS«. Der erste Eindruck war enttĂ€uschend. Im Gegensatz zu der Firma, fĂŒr die Anna arbeitete, war WWS offensichtlich nicht bemĂŒht, die Eingangshalle als einen Erlebnisraum des Unternehmens möglichst einladend zu gestalten. Im Wartebereich fielen Anna gleich mehrere Änderungen ein, die dem Raum etwas von seiner SchĂ€bigkeit hĂ€tten nehmen können: ein Wasserspender neben der Ledercouch, ein GemĂ€lde an der Wand hinter dem Empfang und eine Vase auf dem ausgefransten Teppich. Eine desinteressierte Empfangsdame starrte auf einen Monitor und bewegte rhythmisch das Rad ihrer Maus. Die Geschwindigkeit, mit der sie scrollte, war mit dem Lesen eines Textes inkompatibel, sodass sich Anna der Verdacht aufdrĂ€ngte, dass die Person gelangweilt durch Bildergalerien stöberte. Anna knallte ihre AbsĂ€tze noch bestimmter auf den Boden, doch die Dame wollte nicht von ihrem Monitor aufblicken. Erst als Anna direkt vor ihr zu stehen kam, löste sie ihre Augen von dem Bildschirm und sagte in sĂŒffisantem Ton: »Was darf ich fĂŒr Sie tun, Frau Dr. Gerowski?«
»Ich habe einen Termin mit Dr. Daniel Craemer.«
»NatĂŒrlich, Frau Dr. Gerowski. Ihr Mann – ich nehme an, Frank Sahlen ist Ihr Mann – ist bereits eingetroffen und erwartet Sie im ersten Stock. Sie gelangen mit dem Lift oder ĂŒber die Stiegen zu ihm. Ganz wie Sie wollen. Fragen Sie oben einfach irgendwen nach Daniel Craemer. Darf ich Sie bitten, hier zu unterschreiben?«
Anna sah die Dame verdutzt an und setzte ihre Unterschrift mechanisch in ein Feld, welches mit einem Kreuz markiert war, ohne das Gedruckte auch nur ansatzweise gelesen zu haben. Im Lift Ă€rgerte sie sich, die unfreundliche Person nicht gemaßregelt zu haben.
Daniel Craemer
»Da bist du ja! Wunderbar. Darf ich vorstellen: Meine Frau Anna Gerowski. Anna, das ist Dr. Daniel Craemer.« Frank konnte seine Freude nicht unterdrĂŒcken und lief Anna, die den Gang vom Lift kommend durchschritt, mit offenen Armen entgegen.
»Frau Dr. Gerowski! Es ist mir eine Ehre. Mein Name ist Daniel Craemer. Ich leite den Laden hier in Wien. Ich bin sehr erfreut, Sie persönlich kennenzulernen, und möchte Ihnen im Namen von WWS danken, dass Sie unsere Dienste in Anspruch nehmen. Darf ich Sie beide bitten, mir zu folgen?«
Craemer öffnete eine schwere HolztĂŒr, deren TĂŒrknauf in Schulterhöhe angebracht war. Dahinter lag ein großzĂŒgiger, offener Raum. In der Mitte befand sich ein etwa vier Meter langer Holztisch, auf dem ein Monitor stand. GegenĂŒber dem zwei Meter hohen Fenster ruhte ein massives BĂŒcherregal, dessen Unordnung auf eine aktive Leserschaft schließen ließ. Der Parkettboden schien auf jeden Schritt mit einem knarrenden GerĂ€usch zu antworten. Anna war froh, nicht den ĂŒblichen Startup-Kram der Hightech-Firmen zu sehen. Sie nahmen Platz.
Daniel Craemer stellte sich erneut vor und vergewisserte sich, ein weiteres Mal, dass weder Anna noch Frank eine Tasse Tee wollten. Danach bat er die beiden, einen Vertrag zu unterschreiben. Alles, was nachfolgend gesagt wĂŒrde, mĂŒsse mit strengster Vertraulichkeit behandelt werden. Anna und Frank hatten vorab eine Zahlung von vier MonatsgehĂ€ltern ĂŒberwiesen und wĂŒrden als Leistung eine genaue Darstellung der von WWS angebotenen Dienste erhalten. Sollten sie sich dazu entscheiden, etwaige weitere Dienste in Anspruch zu nehmen, wĂŒrde diese Anzahlung von den entstehenden Gesamtkosten abgerechnet. Nach dem – fĂŒr ihn offensichtlich mĂŒhsamen – Aufsagen der FormalitĂ€ten hielt Daniel Craemer kurz inne. Er faltete die HĂ€nde und blickte aus dem Fenster.
»Sie haben eine gute Wahl getroffen, sich an WWS zu wenden«, begann er. »WWS arbeitet mit einem globalen Netzwerk an Kunden und assistiert diesen in diversen Entscheidungsprozessen. Wir sind aus der klassischen Unternehmensberatung heraus entstanden und haben diese durch den Einsatz neuester Technologien ĂŒberflĂŒgelt. Wir setzen auf firmeneigene Innovationen, um Konzerne und politische EntscheidungstrĂ€ger zu beraten. Neuerdings stellen wir unser Service auch einem ausgewĂ€hlten Kreis an Privatkunden zur VerfĂŒgung. Sie, Frau Dr. Gerowski, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin eines der bedeutendsten Generikaherstellers der Welt, und Sie, Herr Sahlen, einer der wichtigsten, aufstrebenden bildenden KĂŒnstler, als potenzielle Kunden begrĂŒĂŸen zu dĂŒrfen, erfreut mich ĂŒberaus.«
Mit einer flĂŒchtigen Handbewegung instruierte Craemer den Monitor, sich nĂ€her zu ihm zu bewegen. Er strich mit der Hand ĂŒber die kalte OberflĂ€che und es erschien ein Dokument mit einer Tabelle, in der Zeiten in der linken und Personennamen in der rechten Spalte angefĂŒhrt waren. »Ich habe mir erlaubt, eine Agenda zusammenzustellen. Im Laufe des Tages werden Sie eine Reihe von Personen kennenlernen, die Ihnen die Arbeitsweise und das Produktportfolio unserer Firma nĂ€herbringen werden. Betrachten Sie diese Agenda als ein Angebot. Verweilen Sie lĂ€nger oder kĂŒrzer, je nach Ihrem Belieben. Ich werde stets auf Abruf bereitstehen und Ihnen jedwede Frage zu unserem Unternehmen bestmöglich beantworten.«
Daniel Craemer stand auf und verließ den Raum, um den nĂ€chsten WWS-Mitarbeiter zu holen, der den potenziellen Kunden die Arbeit der Firma weiter auseinandersetzen sollte.
Anna beugte sich zu Frank: »Das ist ja wie in einem BewerbungsgesprÀch. Eine Agenda. Treffen mit unterschiedlichen Leuten. Was soll das?«
»Ach was«, entgegnete Frank. »Mir ist das durchaus recht so. Du brauchst im Übrigen nicht zu flĂŒstern. Wenn sie uns belauschen, können sie dein FlĂŒstern ohnedies problemlos verstehen. Wir brauchen uns nicht zu verstellen.«
Frank lehnte sich entspannt in den Sessel und betrachtete den Bildschirm. »Georg Buckner. Den Namen kenne ich von irgendwo her. Hat der nicht einen Wissenschaftsblog?«
Georg Buckner
Junge Menschen einzustellen ist fĂŒr ein Unternehmen lukrativ. Die Berufseinsteiger sind in der Regel gut motiviert und stellen weniger AnsprĂŒche als die Altgedienten. Anna mochte die junge Garde in ihrem Unternehmen dennoch nicht. Sie war selbst knapp ĂŒber vierzig und empfand in der Regel Verachtung fĂŒr alle, die unter dreißig waren. Ihr Streben nach Sinn und Zufriedenheit kam ihr nicht authentisch vor. Sie wusste, dass sie im Kern von der Ökonomie dirigierte Menschen waren, an denen die Sinnfrage abperlte, sobald sie genug verdient hatten, um wie eine Made im Speck zu leben. Dann reduzierte sich das Leben in der Regel auf die triviale Einsicht, dass es seit Jahrtausenden um Ressourcenallokation ging. Die oberflĂ€chliche und zahnlose Kapitalismuskritik der jungen Generation empfand sie als lĂ€cherlich und naiv. Der Traum, eine globale Gemeinschaft des Teilens zu etablieren, die von Altruismus und friedvollem Dialog geprĂ€gt wĂ€re, war so unrealistisch, wie an jedem Platz der Welt zeitgleich Schönwetter zu fordern. Anna mochte jedoch die wenigen AbgebrĂŒhten und die Zyniker unter den Jungen. Georg Buckner war ein solcher. Er betrat den Raum, in dem Anna und Frank mit zusammengesteckten Köpfen saßen, und stellte sich als »ewiger Doktorand mit dem Gehalt eines Direktors« vor.
»Mir wurden bereits in der Grundschule außergewöhnliche mathematische FĂ€higkeiten attestiert. Das Überspringen zweier Klassen ließ mich zum Mobbing-Opfer, aber auch zu einem kĂŒhlen Pragmatiker werden«, sagte Buckner bevor er vor den beiden Platz nahm.
»GrundsÀtzlich ist in dieser Firma jeder ersetzbar, bis auf mich! Ich habe nichts mit Marketing oder dem Designkram zu tun. Ich entwickle Algorithmen und analysiere Welten. Bei mir laufen die FÀden zusammen. Ich leite die gesamte wissenschaftliche Abteilung bei WWS und das schon seit fast zehn Jahren. Ich mag Ihnen jung erscheinen. Ich bin aber ein alter Haudegen hier drin.«
»Sie sind Doktorand?«, fragte Anna unglÀubig.
»Ja«, entgegnete Georg Buckner, »und ich werde diesen Status auch nicht Ă€ndern. Das bringt erhebliche Vorteile. Kinokarten und Konzertkarten sind bedeutend billiger. Und was kĂŒmmert mich eine Abschlussbescheinigung einer UniversitĂ€t, die mir in meinem Fach nichts beibringen kann.«
Die KaltschnÀuzigkeit erschien Anna interessant. Buckner blinzelte und lÀchelte zwischen den Bissigkeiten. Er musste zweifellos einen Nimbus der Unantastbarkeit in der Firma besitzen und trug dies offensiv zur Schau.
»Ich möchte Ihnen nun skizzieren, was wir hier machen. Sie sind, wie ich von Daniel Craemer erfahren habe, ĂŒber persönliche Empfehlung eines Bekannten, der vormalig mit WWS zusammengearbeitet hatte, zu uns gekommen. Sie sind an Vorhersagen und Modellierung interessiert und wollen Entscheidungshilfen von uns. Wie Daniel bestimmt erwĂ€hnt hat, kommt WWS aus der Unternehmensberatung. Wir haben unsere Dienste vor allem im Bereich der Politikberatung ausgebaut und wollen nun den Privatkunden-Markt erschließen. Wir bieten, wie Sie bestimmt wissen, Modelle an. Simulationen von Alternativszenarien, aus denen wir die wahrscheinlichsten Entwicklungen, die fĂŒr unsere Kunden relevant sind, mittels statistischer Verfahren ableiten. Wir sind wie Hellseher und Wahrsager. Nur verwenden wir keine Kristallkugeln, sondern Rechensysteme. Und im Unterschied zu denen, die ihre Kugeln befragen, treffen unsere Vorhersagen in der Regel zu! So genau wie der Wetterbericht fĂŒr die nĂ€chste Woche. Haben Sie dazu Fragen?«
Anna und Frank schĂŒttelten die Köpfe. Buckner stand auf und schloss die raumhohen FensterlĂ€den, sodass ein angenehmer Schatten den Raum erfĂŒllte. Mit großen Pupillen saßen Anna und Frank vor Buckner, der wieder vor ihnen Platz genommen hatte. »Wir können Millionen, Milliarden, ja selbst Trilliarden an Welten simulieren. Aus all den Weltlinien leiten wir Trends und Muster ab, die wir, gemĂ€ĂŸ ihrer Wahrscheinlichkeit, an unsere Kunden weitergeben. Wir können an einigen Parametern drehen und die nahe und mittlere Zukunft – ich spreche von Tagen bis Dekaden – mit erstaunlicher Genauigkeit vorhersagen. Am interessantesten sind jedoch die Welten, die der unsrigen am Ă€hnlichsten sind. Wir können VerĂ€nderungen einfĂŒhren und zusehen, wie sich diese kleinen Verwerfungen auswachsen. Doch um Ihnen all das begreiflich zu machen, möchte ich Ihnen einen Ausflug in einige Simulationen anbieten. Am besten Sie sehen selbst.«
Buckner lehnte sich zurĂŒck und wies den Computer an, das Demoprogramm zu starten. In der Mitte des Tisches erschienen drei flimmernde Hologrammkugeln. Die SphĂ€ren drifteten auseinander, wuchsen in ihrer GrĂ¶ĂŸe und umhĂŒllten alsbald die Köpfe der drei.
»Zuerst besuchen wir die Erde 1998901«, sagte Buckner, »unserem Wien, beim Start der Simulation, zum Verwechseln Ă€hnlich. Der Ausgangspunkt dieser Welt liegt zehn Jahre zurĂŒck. Wir haben die gleichen GebĂ€ude simuliert. Die gleiche Anzahl an Einwohnern – wir sprechen von Statisten, oder simulierten Menschen – und die gleiche ethnische Zusammensetzung. Nur haben wir die Anzahl der durchschnittlichen Regentage pro Monat von neun auf vier reduziert und die Durchs...

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