StartFragment Daniel Defoe
Robinson Crusoe
Ăbersetzer: Karl AltmĂŒller
Illustrator: Carl Offterdinger, Walter Zweigle
e-artnow, 2013
ISBN 978-80-268-0045-3
EndFragment Inhalt
Robinsons Jugendjahre und erste Reisen
Sklaverei und Flucht
Aufenthalt in Brasilien, Reise und Schiffbruch
Arbeiten auf dem Schiffe und an seiner Wohnung
Das Erbeben
Die Krankheit
Erste Entdeckungsreise zu Lande
Die Ernte
Der Schiffsbau
Entdeckungsreise zu Wasser
Die Ziegenherde
Vestigia me terrant
Die Grotte
Das spanische Schiff
Die Kannibalen
Freitag
Erkundigungen
Die Geretteten
Die Freibeuter
Robinsons Abreise
Reisen
Neue Seereise
Robinsons Jugendjahre und erste Reisen
Inhalt
Ich bin geboren zu York im Jahre 1632, als Kind angesehener Leute, die ursprĂŒnglich nicht aus jener Gegend stammten. Mein Vater, ein AuslĂ€nder, aus Bremen gebĂŒrtig, hatte sich zuerst in Hull niedergelassen, war dort als Kaufmann zu hĂŒbschem Vermögen gekommen und dann, nachdem er sein GeschĂ€ft aufgegeben hatte, nach York gezogen. Hier heirathete er meine Mutter, eine geborene Robinson. Nach der geachteten Familie, welcher sie angehörte, wurde ich Robinson Kreuznaer genannt. In England aber ist es Mode, die Worte zu verunstalten, und so heiĂen wir jetzt Crusoe, nennen und schreiben uns sogar selbst so, und diesen Namen habe auch ich von jeher unter meinen Bekannten gefĂŒhrt.
Ich hatte zwei Ă€ltere BrĂŒder. Der eine von ihnen, welcher als Oberstlieutenant bei einem englischen, frĂŒher von dem berĂŒhmten Oberst Lockhart befehligten Infanterieregiment in Flandern diente, fiel in der Schlacht bei DĂŒnkirchen. Was aus dem jĂŒngeren geworden ist, habe ich ebensowenig in Erfahrung bringen können, als meine Eltern je KenntniĂ von meinen eignen Schicksalen erhalten haben.
Schon in meiner frĂŒhen Jugend steckte mir der Kopf voll von PlĂ€nen zu einem umherschweifenden Leben. Mein bereits bejahrter Vater hatte mich so viel lernen lassen, als durch die Erziehung im Hause und den Besuch einer Freischule auf dem Lande möglich ist. Ich war fĂŒr das Studium der Rechtsgelehrsamkeit bestimmt. Kein anderer Gedanke aber in Bezug auf meinen kĂŒnftigen Beruf wollte mir behagen als der, Seemann zu werden. Dieses Vorhaben brachte mich in schroffen Gegensatz zu den WĂŒnschen und Befehlen meines Vaters und dem Zureden meiner Mutter, wie auch sonstiger mir freundlich gesinnter Menschen. Es schien, als habe das Schicksal in meine Natur einen unwiderstehlichen Drang gelegt, der mich gerades Wegs in kĂŒnftiges Elend treiben sollte.
Mein Vater, der ein verstĂ€ndiger und ernster Mann war, durchschaute meine PlĂ€ne und suchte mich durch eindringliche Gegenvorstellungen von denselben abzubringen. Eines Morgens lieĂ er mich in sein Zimmer, das er wegen der Gicht hĂŒten muĂte, kommen und sprach sich ĂŒber jene Angelegenheit mit groĂer WĂ€rme gegen mich aus. »Was fĂŒr andere GrĂŒnde«, sagte er, »als die bloĂe Vorliebe fĂŒr ein unstetes Leben, können dich bewegen, Vaterhaus und Heimat verlassen zu wollen, wo du dein gutes Unterkommen hast und bei FleiĂ und Ausdauer in ruhigem und behaglichem Leben dein GlĂŒck machen kannst. Nur Leute in verzweifelter Lage, oder solche, die nach groĂen Dingen streben, gehen auĂer Landes auf Abenteuer aus, um sich durch Unternehmungen empor zu bringen und berĂŒhmt zu machen, die auĂerhalb der gewöhnlichen Bahn liegen. Solche Unternehmungen aber sind fĂŒr dich entweder zu hoch oder zu gering. Du gehörst in den Mittelstand, in die SphĂ€re, welche man die höhere Region des gemeinen Lebens nennen könnte. Die aber ist, wie mich lange Erfahrung gelehrt hat, die beste in der Welt; in ihr gelangt man am sichersten zu irdischem GlĂŒck. Sie ist weder dem Elend und der MĂŒhsal der nur von HĂ€ndearbeit lebenden Menschenklasse ausgesetzt, noch wird sie von dem Hochmuth, der Ueppigkeit, dem Ehrgeiz und dem Neid, die in den höheren SphĂ€ren der Menschenwelt zu Hause sind, heimgesucht.«
»Am besten«, fĂŒgte er hinzu, »kannst du die GlĂŒckseligkeit des Mittelstandes daraus erkennen, daĂ er von Allen, die ihm nicht angehören, beneidet wird. Selbst Könige haben oft ĂŒber die MiĂlichkeiten, die ihre hohe Geburt mit sich bringt, geklagt und gewĂŒnscht, in die Mitte der Extreme zwischen Hohe und Niedrige gestellt zu sein. Auch der Weise bezeugt, daĂ jener Stand der des wahren GlĂŒckes ist, indem er betet: »Armuth und Reichthum gib mir nicht«.
»Habe nur darauf Acht«, fuhr mein Vater fort, »so wirst du finden, daĂ das Elend der Menschheit zumeist an die höheren und niederen Schichten der Gesellschaft vertheilt ist. Die, welche in der mittleren leben, werden am seltensten vom MiĂgeschick getroffen, sie sind minder den WechselfĂ€llen des GlĂŒcks ausgesetzt, sie leiden bei weitem weniger an MiĂvergnĂŒgen und Unbehagen des Leibes und der Seele wie jene, die durch ausschweifend ĂŒppiges Leben auf der einen, durch harte Arbeit, Mangel am Notwendigen oder schlechten und unzulĂ€nglichen Lebensunterhalt auf der anderen Seite, in Folge ihrer natĂŒrlichen Lebensstellung geplagt sind. Der Mittelstand ist dazu angethan, alle Arten von Tugenden und Freuden gedeihen zu lassen. Friede und GenĂŒgsamkeit sind im Gefolge eines mĂ€Ăigen Vermögens. GemĂŒthsruhe, Geselligkeit, Gesundheit, MĂ€Ăigkeit, alle wirklich angenehmen VergnĂŒgungen und wĂŒnschenswerten Erheiterungen sind die segensreichen GefĂ€hrten einer mittleren Lebensstellung. Auf der MittelstraĂe kommt man still und gemĂ€chlich durch die Welt und sanft wieder heraus, ungeplagt von allzu schwerer Hand-oder Kopfarbeit, frei vom Sklavendienst ums tĂ€gliche Brod, unbeirrt durch verwickelte VerhĂ€ltnisse, die der Seele die Ruhe, dem Leib die Rast entziehen, ohne Aufregung durch Neid, oder die im Herzen heimlich glĂŒhende Ehrbegierde nach groĂen Dingen. Dieser Weg fĂŒhrt vielmehr in gelassener Behaglichkeit durch das Dasein, gibt nur dessen SĂŒĂigkeiten, nicht aber auch seine Bitternisse zu kosten, er lĂ€Ăt die auf ihm wandeln mit jedem Tage mehr erfahren, wie gut es ihnen geworden ist.«
Hierauf drang mein Vater ernstlich und instĂ€ndigst in mich, ich solle mich nicht gewaltsam in eine elende Lage stĂŒrzen, vor welcher die Natur, indem sie mich in meine jetzige Lebensstellung gebracht, mich sichtbarlich habe behĂŒten wollen. Ich sei ja nicht gezwungen, meinen Unterhalt zu suchen. Er habe es gut mit mir vor und werde sich bemĂŒhen, mich in bequemer Weise in die Lebensbahn zu bringen, die er mir soeben gerĂŒhmt habe. Wenn es mir nicht wohl ergehe in der Welt, so sei das lediglich meine Schuld. Er habe keine Verantwortung dafĂŒr, nachdem er mich vor Unternehmungen gewarnt habe, die, wie er bestimmt wisse, zu meinem Verderben gereichen mĂŒĂten. Er wolle alles Mögliche fĂŒr mich thun, wenn ich daheim bleibe und seiner Anweisung gemÀà meine Existenz begrĂŒnde. Dagegen werde er sich dadurch nicht zum Mitschuldigen an meinem MiĂgeschick machen, daĂ er mein Vorhaben, in die Fremde zu gehen, irgendwie unterstĂŒtze. SchlieĂlich hielt er mir das Beispiel meines Ă€lteren Bruders vor. Den habe er auch durch ernstliches Zureden abhalten wollen, in den niederlĂ€ndischen Krieg zu gehen. Dennoch sei derselbe seinen GelĂŒsten gefolgt und habe darum einen frĂŒhen Tod gefunden. »Ich werde zwar«, so endete mein Vater, »nicht aufhören, fĂŒr dich zu beten, aber das sage ich dir im Voraus: wenn du deine thörichten PlĂ€ne verfolgst, wird Gott seinen Segen nicht dazu geben, und du wirst vielleicht einmal MuĂe genug haben, darĂŒber nachzudenken, daĂ du meinen Rath in den Wind geschlagen hast. Dann aber möchte wohl Niemand da sein, der dir zur Umkehr behĂŒlflich sein kann.«
Bei diesen letzten Worten, die, was mein Vater wohl selbst kaum ahnte, wahrhaft prophetisch waren, strömten ihm, besonders als er meinen gefallenen Bruder erwĂ€hnte, die ThrĂ€nen reichlich ĂŒber das Gesicht. Als er von der Zeit der zu spĂ€ten Reue sprach, gerieth er in eine solche Bewegung, daĂ er nicht weiter reden konnte.
Ich war durch seine Worte in innerster Seele ergriffen, und wie hĂ€tte das anders sein können! Mein EntschluĂ stand fest, den Gedanken an die Fremde aufzugeben und mich, den WĂŒnschen meines Vaters gemĂ€Ă, zu Hause niederzulassen. Aber ach, schon nach wenigen Tagen waren diese guten VorsĂ€tze verflogen, und um dem peinlichen Zureden meines Vaters zu entgehen, beschloĂ ich einige Wochen spĂ€ter, mich heimlich davon zu machen. IndeĂ fĂŒhrte ich diese Absicht nicht in der Hitze des ersten Entschlusses aus, sondern nahm eines Tages meine Mutter, als sie ungewöhnlich guter Laune schien, bei Seite und erklĂ€rte ihr, mein Verlangen die Welt zu sehen gehe mir Tag und Nacht so sehr im Kopfe herum, daĂ ich Nichts zu Hause anfangen könnte, wobei ich Ausdauer genug zur DurchfĂŒhrung haben wĂŒrde. »Mein Vater«, sagte ich, »thĂ€te besser, mich mit seiner Einwilligung gehen zu lassen als ohne sie. Ich bin im neunzehnten Jahre und zu alt, um noch die Kaufmannschaft zu erlernen oder mich auf eine Advokatur vorzubereiten. Wollte ichâs doch versuchen, so wĂŒrde ich sicherlich nicht die gehörige Zeit aushalten, sondern meinem Principal entlaufen und dann doch zur See gehen.« Ich bat die Mutter bei dem Vater zu befĂŒrworten, daĂ er mich eine Seereise zum Versuch machen lasse. KĂ€me ich dann wieder und die Sache hĂ€tte mir nicht gefallen, so wollte ich nimmer fort und versprĂ€che fĂŒr diesen Fall, durch doppelten FleiĂ das VersĂ€umte wieder einzuholen.
Meine Mutter gerieth ĂŒber diese Mittheilung in groĂe BestĂŒrzung. Es wĂŒrde vergebens sein, erwiederte sie, mit meinem Vater darĂŒber zu sprechen, der wisse zu gut, was zu meinem Besten diene, um mir seine Einwilligung zu so gefĂ€hrlichen Unternehmungen zu geben. »Ich wundere mich«, setzte sie hinzu, »daĂ du nach der Unterredung mit deinem Vater und nach seinen liebreichen Ermahnungen noch an so Etwas denken kannst. Wenn du dich absolut ins Verderben stĂŒrzen willst, so ist dir eben nicht zu helfen. Darauf aber darfst du dich verlassen, daĂ ich meine Einwilligung dir nie gebe und an deinem UnglĂŒck nicht irgend welchen Theil haben will. Auch werde ich niemals in Etwas einwilligen, was nicht die Zustimmung deines Vaters hat.«
Wie ich spĂ€ter erfuhr, war diese Unterredung von meiner Mutter, trotz ihrer Versicherung, dem Vater davon Nichts mittheilen zu wollen, ihm doch von Anfang bis zu Ende erzĂ€hlt worden. Er war davon sehr betroffen gewesen und hatte seufzend geĂ€uĂert: »Der Junge könnte nun zu Hause sein GlĂŒck machen, geht er aber in die Fremde, wird er der unglĂŒcklichste Mensch von der Welt werden; meine Zustimmung bekommt er nicht.«
Es wĂ€hrte beinahe noch ein volles Jahr, bis ich dennoch meinen Vorsatz ausfĂŒhrte. In dieser ganzen Zeit aber blieb ich taub gegen alle VorschlĂ€ge, ein GeschĂ€ft anzufangen, und machte meinen Eltern oftmals VorwĂŒrfe darĂŒber, daĂ sie sich dem, worauf meine ganze Neigung ging, so entschieden widersetzten.
Eines Tages befand ich mich zu Hull, wohin ich jedoch zufĂ€llig und ohne etwa Fluchtgedanken zu hegen, mich begeben hatte. Ich traf dort einen meiner Kameraden, der im Begriff stand, mit seines Vaters Schiff zur See nach London zu gehen. Er drang in mich, ihn zu begleiten, indem er nur die gewöhnliche Lockspeise der Seeleute, nĂ€mlich freie Fahrt, anbot. So geschah es, daĂ ich, ohne Vater oder Mutter um Rath zu fragen, ja ohne ihnen auch nur ein Wort zu sagen, unbegleitet von ihrem und Gottes Segen und ohne RĂŒcksicht auf die UmstĂ€nde und Folgen meiner Handlung, in böser Stunde (das weiĂ Gott!) am ersten September 1651 an Bord des nach London bestimmten Schiffes ging.
Niemals, glaube ich, haben die MiĂgeschicke eines jungen Abenteurers rascher ihren Anfang genommen und lĂ€nger angehalten als die meinigen. Unser Schiff war kaum aus dem HumberfluĂ, als der Wind sich erhob und die See anfing fĂŒrchterlich hoch zu gehen. Ich war frĂŒher nie auf dem Meere gewesen und wurde daher leiblich unaussprechlich elend und im GemĂŒth von furchtbarem Schrecken erfĂŒllt. Jetzt begann ich ernstlich darĂŒber nachzudenken, was ich unternommen, und wie die gerechte Strafe des Himmels meiner böswilligen Entfernung vom Vaterhaus und meiner Pflichtvergessenheit alsbald auf dem FuĂe gefolgt sei. Alle guten RathschlĂ€ge meiner Eltern, die ThrĂ€nen des Vaters und der Mutter Bitten traten mir wieder vor die Seele, und mein damals noch nicht wie spĂ€ter abgehĂ€rtetes Gewissen machte mir bittere VorwĂŒrfe ĂŒber meine Pflichtwidrigkeit gegen Gott und die Eltern.
Inzwischen steigerte sich der Sturm, und das Meer schwoll stark, wenn auch bei weitem nicht so hoch, wie ich es spĂ€ter oft erlebt und schon einige Tage nachher gesehen habe. Doch reichte es hin, mich, als einen Neuling zur See und da ich völlig unerfahren in solchen Dingen war, zu entsetzen. Von jeder Woge meinte ich, sie wĂŒrde uns verschlingen, und so oft das Schiff sich in einem Wellenthal befand war mir, als kĂ€men wir nimmer wieder auf die Höhe. In dieser Seelenangst that ich GelĂŒbde in Menge und faĂte die besten EntschlĂŒsse. Wenn es Gott gefalle, mir das Leben auf dieser Reise zu erhalten, wenn ich jemals wieder den FuĂ auf festes Land setzen dĂŒrfe, so wollte ich alsbald heim zu meinem Vater gehen und nie im Leben wieder ein Schiff betreten. Dann wollte ich den vĂ€terlichen Rath befolgen und mich nicht wieder in ein Ă€hnliches Elend begeben. Jetzt erkannte ich klar die Richtigkeit der Bemerkungen ĂŒber die goldene MittelstraĂe des Lebens. Wie ruhig und behaglich hatte mein Vater sein Leben lang sich befunden, der sich nie den StĂŒrmen des Meeres und den KĂŒmmernissen zu Lande ausgesetzt hatte. Kurz, ich beschloĂ fest, mich aufzumachen gleich dem verlorenen Sohne und reuig zu meinem Vater zurĂŒckzukehren.
Diese weisen und verstĂ€ndigen Gedanken hielten jedoch nur Stand, so lange der Sturm wĂ€hrte und noch ein Weniges darĂŒber. Am nĂ€chsten Tage legte sich der Wind, die See ging ruhiger, und ich ward die Sache ein wenig gewohnt. Doch blieb ich den ganzen Tag still und ernst und litt noch immer etwas an der Seekrankheit. Am Nachmittag aber klĂ€rte sich das Wetter auf, der Wind legte sich völlig, und es folgte ein köstlicher Abend. Die Sonne ging leuchtend unter und am nĂ€chsten Morgen ebenso schön auf. Wir hatten wenig oder gar keinen Wind, die See war glatt, die Sonne strahlte darauf, und ich hatte einen Anblick so herrlich wie nie zuvor.
Nach einem gesunden Schlaf, frei von der Seekrankheit, in bester Laune betrachtete ich voll Bewunderung das Meer, das gestern so wild und fĂŒrchterlich gewesen und nun so friedlich und anmuthig war. Und gerade jetzt, damit meine guten VorsĂ€tze ja nicht Stand halten sollten, trat mein Kamerad, der mich verfĂŒhrt hatte, zu mir. »Nun, mein Junge«, sagte er, mich mit der Hand auf die Schulter klopfend, »wie istâs bekommen? Ich wette, du hast Angst ausgestanden, bei der Hand voll Wind, die wir gestern hatten, wie?« â »Eine Hand voll Wind nennst du das?« erwiederte ich; »es war ein grĂ€Ălicher Sturm.« â »Ein Sturm? Narr, der du bist; hĂ€ltst du das fĂŒr einen Sturm? Gib uns ein gutes Schiff und offene See, so fragen wir den Teufel was nach einer solchen elenden Brise. Aber du bist nur ein SĂŒĂwassersegler; komm, laĂ uns eine Bowle Punsch machen, und du wirst bald nicht mehr an die Affaire denken. Schau, was ein prĂ€chtiges Wetter wir haben!«
Um es kurz zu machen, wir thaten nach Seemannsbrauch. Der Punsch wurde gebraut und ich gehörig angetrunken. Der Leichtsinn dieses einen Abends ersĂ€ufte alle meine Reue, all meine Gedanken ĂŒber das Vergangene, alle meine VorsĂ€tze fĂŒr die Zukunft. Wie die See, als der Sturm sich gelegt, wieder ihre glatte Miene und friedliche Stille angenommen hatte, so war auch der Aufruhr in meiner Seele vorĂŒber. Meine BefĂŒrchtungen, von den Wogen verschlungen zu werden, hatte ich vergessen, meine alten WĂŒnsche kehrten zurĂŒck, und die GelĂŒbde und VerheiĂungen, die ich in meinem Jammer gethan, waren mir aus dem Sinn. Hin und wieder stellten sich indessen meine Bedenken wiederum ein, und ernsthafte Besorgnisse kehrten von Zeit zu Zeit in meine Seele zurĂŒck. Jedoch ich schĂŒttelte sie ab und machte mich davon los gleich als von einer Krankheit, hielt mich ans Trinken und an die lustige Gesellschaft und wurde so Herr ĂŒber diese »AnfĂ€lle«, wie ich sie nannte. Nach fĂŒnf oder sechs Tagen war ich so vollkommen Sieger ĂŒber mein Gewissen, wie es ein junger Mensch, der entschlossen ist, sich nicht davon beunruhigen zu lassen, nur sein kann.
Aber ich sollte noch eine neue Probe bestehen. Die Vorsehung hatte, wie in solchen FĂ€llen gewöhnlich, es so geordnet, daĂ mir keine Entschuldigung bleiben konnte. Denn wenn ich das erste Mal mich nicht fĂŒr gerettet ansehen wollte, so war die nĂ€chste Gelegenheit so beschaffen, daĂ der gottloseste und verhĂ€rtetste Bösewicht sowohl die GröĂe der Gefahr, als die der göttlichen Barmherzigkeit dabei hĂ€tte anerkennen mĂŒssen.
Am sechsten Tage unserer Fahrt gelangten wir auf die Rhede von Yarmouth. Der Wind war uns entgegen und das Wetter ruhig gewesen, und so hatten wir nach dem Sturm nur eine geringe Strecke zurĂŒckgelegt. Dort sahen wir uns genöthigt, vor Anker zu gehen, und lagen, weil der Wind ungĂŒnstig, nĂ€mlich aus SĂŒdwest blies, sieben oder acht Tage daselbst, wĂ€hrend welcher Zeit viele andere Schiffe von New-Castle her aus eben dieser Rhede, welche den gemeinsamen Hafen fĂŒr die guten Wind die Themse hinauf erwartenden Schiffe abgab, vor Anker gingen.
Wir wĂ€ren jedoch nicht so lange hier geblieben, sondern mit der Flut allmĂ€hlich stromaufwĂ€rts gegangen, hĂ€tte der Wind nicht zu heftig geweht. Nach dem vierten oder fĂŒnften Tag blies er besonders scharf. Da aber die Rhede fĂŒr einen guten Hafen galt, der Ankergrund gut und unser Ankertau sehr stark war, machten unsre Leute sich Nichts daraus, sondern verbrachten ohne die geringste Furcht die Zeit nach Seemannsart mit Schlafen und Zechen. Den achten Tag aber ward des Morgens der Wind stĂ€rker, und wir hatten alle HĂ€nde voll zu thun, die Topmasten einzuziehn und Alles zu dichten und festzumachen, daĂ das Schiff so ruhig wie möglich vor Anker liegen könnte. Um Mittag ging die See sehr hoch. Es schlugen groĂe Wellen ĂŒber das Deck, und ein-oder zweimal meinten wir, der Anker sei losgewichen, worauf unser KapitĂ€n sogleich den Nothanker loszumachen befahl, so daĂ wir nun von zwei Ankern gehalten wurden.
Unterdessen erhob sich ein wahrhaft fĂŒrchterlicher Sturm, und jetzt sah ich zum ersten Mal Angst und BestĂŒrzung auch in den Mienen unsrer Seeleute. Ich hörte den KapitĂ€n, der mit aller Aufmerksamkeit auf die Erhaltung des Schiffes bedacht war, mehrmals, wĂ€hrend er neben mir zu seiner KajĂŒte hinein-und herausging, leise vor sich hinsagen: »Gott sei uns gnĂ€dig, wir sind Alle verloren« und dergleichen AeuĂerungen mehr.
WĂ€hrend der ersten Verwirrung lag ich ganz still in meiner Koje, die sich im Zwischendeck befand, und war in einer unbeschreiblichen Stimmung. Es war mir nicht möglich, die vorigen reuigen Gedanken, die ich so offenbar von mir gestoĂen hatte, wieder aufzunehmen. Ich hatte geglaubt die Todesgefahr ĂŒberstanden zu haben, und gemeint, es wĂŒrde jetzt nic...