Psychische Störungen in Kindheit und Jugend
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Psychische Störungen in Kindheit und Jugend

Symptome - Psychodynamik - Fallbeispiele - psychoanalytische Therapie

Evelyn Heinemann, Hans Hopf

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  1. 392 pages
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Psychische Störungen in Kindheit und Jugend

Symptome - Psychodynamik - Fallbeispiele - psychoanalytische Therapie

Evelyn Heinemann, Hans Hopf

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Psychological disturbances are common in childhood and adolescence, but only very few of those affected receive the necessary educational and therapeutic support. This book provides an overview of the symptoms and underlying psychodynamics of the various disturbances. It offers an introduction to psychoanalytic theory and the treatment of children and young people, supplemented with attachment theory and extreme traumatization and a separate chapter on sexuality, sexualization (perversion) and sexual abuse, particularly in individuals with intellectual disabilities. It discusses disturbance patterns in the neuroses, narcissistic disturbances, psychosomatic disturbances, borderline disturbances and psychoses, and speech disturbances. Each psychological disturbance is presented with a detailed example case. The discussion of each example case explores both its psychodynamics and the educational and therapeutic implications.

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Informations

Année
2021
ISBN
9783170390003
Édition
6
Sous-sujet
Psychotherapy
I Psychoanalytische Theorie

1 Psychische Entwicklung und Struktur

1.1 Strukturmodell

WĂ€hrend Freud in seinen ersten Vorstellungen vom seelischen Apparat, dem sogenannten topischen Modell, lediglich zwischen unbewusst, vorbewusst und bewusst unterschied, sprach er in seinem spĂ€teren Modell, dem sogenannten Strukturmodell, schließlich von den Instanzen Es, Ich und Über-Ich (Freud 1923b). Das Es ist dabei die psychische ReprĂ€sentanz der Triebe, die als Drang oder WĂŒnsche psychisch in Erscheinung treten. Im Es herrscht das Lustprinzip, das Ziel der Triebe ist die BedĂŒrfnisbefriedigung. Im Es gibt es keine Zeitvorstellung, keine Wertungen, keine Moral und WidersprĂŒche bestehen nebeneinander. Es herrscht der PrimĂ€rprozess mit assoziativen VerknĂŒpfungen. Im Verlauf der Anpassungen an die Ă€ußere RealitĂ€t entwickelt sich das Ich. Wir gehen heute davon aus, dass bestimmte Ich-Kerne bereits bei der Geburt vorhanden sind, eine primĂ€re Autonomie des Ich besteht (Hartmann u. a. 1946). Die Instanz des Ich entsteht nicht nur aus dem Es, wie bei Freud. Das Ich reguliert die Anpassung an die Umwelt, im Ich herrscht das RealitĂ€tsprinzip und der SekundĂ€rprozess, es vermittelt zwischen Es, Über-Ich und RealitĂ€t. FĂŒr diese Arbeit stehen dem Ich die Abwehrmechanismen zur VerfĂŒgung (
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Kap. 2.). Das Ich organisiert Lernen, Erfahrung und GedĂ€chtnis. Das Über-Ich stellt eine Unterstruktur des Ich dar, die stĂ€ndig verbietend, auffordernd, drohend und belohnend auf das Ich einwirkt. Das Über-Ich entsteht aus der Auflösung des Ödipuskomplexes um das 6. Lebensjahr, VorlĂ€ufer gibt es allerdings schon aus der prĂ€genitalen Zeit (vgl. Klein 1928; Grunberger 1974). Als Teil des Über-Ich bildet sich das Ich-Ideal, in dem die Wunschvorstellungen vor sich hergetragen werden.
Hartmann (1939) fĂŒhrte den Begriff des Selbst ein, aus dem die Theorie der Selbststruktur, einer vierten Instanz, entwickelt wurde. Aus der Kritik am Dreiinstanzenmodell, das Neurosen lediglich aus einem Konflikt zwischen den drei Instanzen erklĂ€ren konnte, und damit sogenannte narzisstische Störungen, die mehr Störungen im Selbsterleben betrafen, wie beispielsweise die Depression, nicht ausreichend verstanden werden konnten, wurde die Theorie des Selbst entwickelt. Das Selbst entsteht aus der Verinnerlichung von Interaktionserfahrungen, die sich als Selbst- und ObjektreprĂ€sentanzen im Selbst niederschlagen. Psychische Struktur entwickelt sich aus der Verinnerlichung von Beziehungserfahrungen. Reale und fantasierte Erfahrungen mit der Umgebung werden in innere Charakteristika und Regulationen verwandelt. Mentzos (1984, S. 43) fasst zusammen:
‱ Es geht nicht um die objektiven realen Beziehungen als solche, sondern um die Erfahrungen, die das Subjekt mit ihnen gemacht hat, also auch um Fantasien ĂŒber die Beziehungen.
‱ Gemeint sind nicht nur kognitive Abbilder der Umwelt und im GedĂ€chtnis, sondern durch sie bedingte VerĂ€nderungen in der Struktur des Selbst.
‱ Es geht nicht nur um eine Verinnerlichung von Charakteristika des Objektes, sondern um die Internalisierung von Interaktionen. Internalisiert werden ganze Objekte oder Teilaspekte. Der Mensch fĂŒhrt ein Leben lang einen inneren Dialog mit den verinnerlichten Objekten.
Wir sprechen von den Selbst- und ObjektreprĂ€sentanzen als innerpsychischem Niederschlag von Erfahrungen. Verinnerlichung findet entlang der Entwicklungslinie von Inkorporation – Introjektion – Identifikation statt, von archaischeren zu differenzierteren Formen der Verinnerlichung. WĂ€hrend bei der Inkorporation in Anlehnung an den oralen Modus ein Objekt mit Haut und Haaren verinnerlicht wird, »wir essen und trinken den Leib Christi« und identifizieren uns so auf eine archaische Weise mit ihm, wird das Objekt bei der Introjektion zwar noch als ganzes Objekt verinnerlicht, aber nicht mehr auf dem Wege konkreter Einverleibung. Bei der reiferen Identifikation wĂ€hlt das Subjekt unbewusst aus, identifiziert sich mit bestimmten Aspekten, ist aktiver am Prozess der Verinnerlichung beteiligt. Die Inkorporation findet vor einer Differenzierung zwischen Selbst und Objekt statt. Bei der Introjektion hat eine Differenzierung stattgefunden, die Objektbeziehungen sind aber noch sehr ambivalent. Die Identifizierung dagegen setzt eine reife Objektbeziehung voraus.
Erfahrungen werden allerdings nicht nur verinnerlicht, die Psyche steht von Anfang an in einem wechselseitigen Austausch mit der Umwelt. Erfahrungen werden auch externalisiert. Entsprechend ist der frĂŒheste Vorgang des Sich-Entledigens die Exkorporation (in Anlehnung an das Erbrechen), in der weiteren Entwicklung stehen dann Projektion und Selbstobjektivierung in der schöpferischen TĂ€tigkeit (ebd., S. 48).

1.2 Triebtheorie, Ich-Psychologie und Objekbeziehungstheorie

In der Psychoanalyse wird zwischen der Triebentwicklung, der Entwicklung der Objektbeziehungen und der narzisstischen Entwicklung des Selbst unterschieden. Diese Entwicklungen verlaufen parallel und beeinflussen sich wechselseitig. Die Vorstellung, dass sich die psychische Struktur aus einem komplizierten Interaktionsprozess zwischen Anlage und Umwelt entwickelt, macht die Psychoanalyse nicht nur zu einer Krankheits- und Behandlungslehre, sondern zu einer kritischen Kulturtheorie, die Biologie, Ethnologie und Soziologie integriert.
Die Triebtheorie der Psychoanalyse geht wesentlich auf Freud zurĂŒck. Freud stellte im Laufe seiner Publikationen mehrere Triebtheorien auf. ZunĂ€chst sprach Freud in »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (1905d) vom Dualismus der Libido (Sexualtriebe zur Arterhaltung) und der Ichtriebe (Selbsterhaltungstriebe). Freud fasste also ursprĂŒnglich Aggression als Teil des Sexualtriebes auf. Aggression diente als Mittel zur Durchsetzung von AnsprĂŒchen. In »Triebe und Triebschicksale« (1915c) trennte sich Freud von der Vorstellung, Aggression sei eine libidinöse Strebung, und sprach vom Gegensatz von Liebe und Hass. In »Jenseits des Lustprinzips« (1920g) geht er schließlich erneut von einem Triebdualismus aus, nĂ€mlich dem Lebenstrieb (Libido), der die Sexualtriebe und die Selbst- und Arterhaltungstriebe umfasse, sowie dem Todestrieb (Destrudo), der den Aggressionstrieb beinhalte und das Ziel habe, aufzulösen und zu zerstören. Im Todestrieb wird Aggression primĂ€r gegen das Selbst gerichtet und erst sekundĂ€r durch die Mischung mit dem Lebenstrieb nach außen gewendet. Nur wenige Psychoanalytiker, speziell die Schulen, die auf Melanie Klein oder Francoise Dolto zurĂŒckgehen, halten heute noch an der Todestriebhypothese fest, der Dualismus von Libido und Aggressionstrieb dagegen ist unumstritten.
In der Ich-Psychologie, die auf A. Freud (1936) und Hartmann (1939) zurĂŒckgeht, rĂŒckte die Störung des Ich und Über-Ich gegenĂŒber der Triebentwicklung in den Vordergrund. Hartmann (1955) fĂŒhrte den Begriff der Neutralisierung ein. Als solche bezeichnet er den Wechsel libidinöser wie aggressiver Energie in einen nicht triebhaften Modus. Auf diese Weise werden die Energien der Triebe dem Ich verfĂŒgbar gemacht, das Ich kann sie kontrollieren, nutzen und die Abfuhr aufschieben. Die primĂ€r aggressiven Tendenzen werden auf diese Weise in nĂŒtzliche, expansive und konstruktive verwandelt.
In der Objektbeziehungspsychologie wird die Triebtheorie weiter modifiziert. Nach Kernberg (1989) strukturieren sich Triebe aus spezifischen Affektdispositionen und den verinnerlichten Objektbeziehungen, d. h. den Selbst- und ObjektreprĂ€sentanzen. AngeboreneAffektdispositionenfĂ€rben als gute und böse Affekte die Objektbeziehungen. AnfĂ€nglich sind Affekte aufgrund der Ich-SchwĂ€che in »gut und böse« gespalten. Erst spĂ€ter wird Spaltung zu einem aktiven Abwehrvorgang. Aus diesen Affektdispositionen und den realen Erfahrungen von Interaktionen, d. h. der Bildung von Selbst- und ObjektreprĂ€sentanzen, strukturieren sich nach Kernberg Libido und Aggression: »Libido und Aggression reprĂ€sentieren die beiden umfassenden psychischen Triebe, welche die ĂŒbrigen Triebkomponenten und die anderen, zuerst in Einheiten von internalisierten Objektbeziehungen konsolidierten, Bausteine integrieren« (ebd., S. 106 f.).
Die Theorie der Spaltung der Affekte in »gut und böse« geht auf Melanie Klein (1972) zurĂŒck, die zwischen einer frĂŒhen paranoid-schizoiden Position und der spĂ€teren depressiven Position unterschied. Sie sieht die Ambivalenz der depressiven Position, die Integration guter und böser Aspekte, als wesentliche Voraussetzung der Ichreifung. Kognitive Reifung, Abnahme der Angst vor den eigenen Aggressionen sowie gute Erlebnisse mit der Mutter fördern die Auflösung der paranoid-schizoiden Position, in der Spaltung vorherrscht. In der depressiven Position sind Wiedergutmachung, Ambivalenz und Dankbarkeit möglich. Aggression wandelt sich in SchuldgefĂŒhl, wenn die FĂ€higkeit zur Integration guter und böser innerer Bilder erreicht, das Ertragen des Ambivalenzkonfliktes möglich ist. Beim Vorherrschen von Ambivalenz richtet sich Aggression auch gegen die guten Anteile des Objektes. Aus SchuldgefĂŒhl entsteht der Drang, den Schaden wiedergutzumachen, dabei mĂŒssen die LiebesgefĂŒhle, d. h. die libidinösen GefĂŒhle, nach Klein allerdings den destruktiven Regungen gegenĂŒber ĂŒberwiegen. Dankbarkeit verstĂ€rkt die Liebe zum Ă€ußeren Objekt. Dankbarkeit und Wiedergutmachung verstĂ€rken sich gegenseitig und steigern die FĂ€higkeit, anderen zu vertrauen, und die FĂ€higkeit, Liebe zu geben und zu empfangen. Die bessere Anpassung an die RealitĂ€t, die Beziehung zu den realen Eltern, ist dem Kind eine große Hilfe gegenĂŒber den fantasierten Imagines. WĂ€hrend in den frĂŒhen Entwicklungsstufen die aggressiven Fantasien gegen die Eltern und Geschwister Angst hervorrufen – vor allem Angst, jene Objekte könnten sich gegen das Kind selbst wenden –, bilden nun diese Aggressionen die Grundlage fĂŒr SchuldgefĂŒhle und den Wunsch nach Wiedergutmachung (Klein 1934, S. 103).
Betrachten wir nun die Entwicklung der Triebe, der Objektbeziehungen und ihrer Verinnerlichungen sowie die narzisstische Entwicklung des Selbst.

1.3 Die Triebentwicklung

Der Trieb wird bei Freud (1915c, S. 214 f.) definiert als »Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem, als psychischer ReprĂ€sentant, der aus dem Körperinneren stammenden, in die Seele gelangenden Reize, als ein Maß der Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zusammenhanges mit dem Körperlichen auferlegt ist«. Der Trieb wird im Es psychisch reprĂ€sentiert und erscheint dort als Drang. Er hat seine Quelle im Körperlichen und ein Triebziel, beispielsweise die orale Einverleibung, sowie ein Triebobjekt, die Mutterbrust oder das ödipale Objekt. Das Triebziel ist immer die Befriedigung und das Objekt dasjenige, an welchem oder durch welches der Trieb sein Ziel erreicht.
Der Trieb entwickelt sich in Phasen, d. h. er progrediert und kann zu einer frĂŒheren Form der Triebbefriedigung regredieren. Die Phasentheorie beruht auf verschiedenen erogenen Zonen, die nach bestimmten GesetzmĂ€ĂŸigkeiten mit Triebenergie besetzt werden und die Partialtriebe mit ihren Befriedigungsmöglichkeiten prĂ€gen. Die Partialtriebe der frĂŒhkindlichen Phasen werden schließlich in der PubertĂ€t in den reifen Genitaltrieb integriert. Entscheidend fĂŒr das Gelingen der Triebentwicklung ist ein fĂŒr das Kind verarbeitbares Maß an Triebbefriedigung und Triebversagung. Bei zu viel Versagung kann es zu Fixierungen und Regressionen kommen, bei zu viel Befriedigung ebenfalls (
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Tab. 1.1).
In der oralen Phase, im ersten Lebensjahr des Kindes, ist die sogenannte erogene Zone die Mundhöhle und die HautoberflĂ€che. In dieser Phase geht es um die Befriedigung oraler BedĂŒrfnisse, aber auch um Geborgenheit, Urvertrauen (Erikson 1968, S. 241 ff.), Hautkontakt, das Hören der Stimme der Mutter, das Riechen der Mutter, um WĂ€rme, Anklammerung und Sicherheit. Der enge Kontakt zur Außenwelt geschieht ĂŒber das Saugen an der Mutterbrust oder deren Surrogat. Mit der Muttermilch findet die erste Inkorporation und Exkorporation statt. Die ersten AktivitĂ€ten sind die oralen AktivitĂ€ten des Saugens und Schreiens. Der Aggressionstrieb, der immer auch die Funktion hat, Trennung und Individuation zu fördern, Ă€ußert sich im Beißen und fĂŒhrt nach dem Zahnen des Babys zur Beendigung der Stillphase. Der orale Trieb wird autoerotisch, er löst sich vom Partialobjekt Mutterbrust und wendet sich Befriedigungen wie dem Daumenlutschen oder Schnuller zu. Der SĂ€ugling erkundet seine Umwelt, indem er alles in den Mund steckt. Orale Aggression drĂŒckt sich im Beißen, Aussaugen, im Vampirismus und Kannibalismus, im Auffressen der Beute aus.
Tab. 1.1: Die psychische Entwicklung
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WĂ€hrend der analen Phase vom zweiten bis zum vierten Lebensjahr wird dem Kind durch den Reifeprozess der Körpermuskulatur die Sphinkterkontrolle möglich. Auch die motorische Fortbewegung, das Sich-Entfernen und WiederannĂ€hern an die Mutter werden zu den zentralen ErfahrungsqualitĂ€ten. Das Kind erlebt seinen Kot als Teil von sich, den es nach Lust und Laune behalten oder hergeben kann. Der Kot gilt als das erste Geschenk des Kindes, das es seiner Umwelt geben kann. Die erogene Zone ist in dieser Zeit der Enddarm und der After mit seiner sensiblen Schleimhaut. Zur analen Lust gehört das GefĂŒhl der Meisterung, der Autonomie, des Trotzes und der Stolz auf das eigene Produkt, eine wichtige Voraussetzung fĂŒr ein Vertrauen in die eigenen Leistungen. Eine anale Fixierung wird in der Psychoanalyse mit individuellem Besitzstreben und Geiz in Verbindung gebracht. Geld galt in den Mythen der Anden SĂŒdamerikas als Götterkot (Elhardt 1971, S. 74). In Europa ging der Entstehung des Kapitalismus der Beginn der Reinlichkeitserziehung voraus. Im Mittelalter konnte man noch seine Notdurft verrichten, wo man sich gerade aufhielt. Aus Angst vor inneren DĂ€monen wurden bereits SĂ€uglingen Klistiere und AbfĂŒhrmittel verabreicht. Ein individuelles Besitzstreben konnte sich so nicht ausbilden (Heinemann 1998b).
In der analen Phase herrschen nicht nur die Modi Festhalten und Loslassen, sondern auch AktivitĂ€t und PassivitĂ€t. Kneten und Schmieren sind bereits Sublimierungen analer Lust. KreativitĂ€t wurzelt letztendlich in der schöpferischen Umformung von Materialien. In den typischen analen Reaktions- und Charakterbildungen sind Abwehr wie Befriedigung analer Impulse unverkennbar. Ordentlichkeit, Sparsamkeit und Eigensinn nannte Freud (1917c) die anale Trias. Anale Aggression ist deutlich weniger absolut wie die orale Aggression. Sie Ă€ußert sich in Entwertung, beispielsweise durch die sogenannte FĂ€kalsprache (Hosenscheißer etc.), im Sich-Unterwerfen, in Sadismus und Masochismus.
Die anale Phase wird schließlich von der phallischen Phase abgelöst, in der auf der Objektbeziehungsebene der Ödipuskonflikt dominiert. Freud ging davon aus, dass in dieser prĂ€genitalen Phase nur ein Geschlechtsorgan wahrgenommen wird, der Phallus des kleinen Jungen. Entweder man hat ihn, oder nicht, kastriert oder nicht, ist hier die Frage. Aus dem Sichtbaren hat Freud den phallischen Monismus (1923e) abgeleitet. Freud meinte, dass das MĂ€dchen ĂŒber zwei Geschlechtsorgane verfĂŒge, ein mĂ€nnliches, kastriertes, die Klitoris und ein weibliches, die Vagina, die das MĂ€dchen erst in der PubertĂ€t entdecke. Die Modi dieser Zeit sind Eindringen und Umschließen. Dem phallischen Monismus wurde schon frĂŒhzeitig widersprochen (Jones 1928, 1933; Horney 1933), indem die Nicht-Existenz der Vagina als Abwehrprodukt im Sinne der Verleugnung aufgrund zu großer KastrationsĂ€ngste in der mĂ€nnlichen Entwicklung kritisiert wurde. Mitscherlich-Nielsen (1975) schlĂ€gt vor, von einer phallischen und klitoridal-vaginalen Phase zu sprechen (
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Kap. 3). Als phallischeAggressionwird das Konkurrieren, z. B. beim Urinieren, Stechen oder Kastration betrachtet.
Freud (1915 f, S. 242) bezeichnete die Beobachtung des elterlichen Geschlechtsverkehrs als Urszene; das Kind erlebt sich als ausgeschlossen aus der elterlichen Beziehung und erhĂ€lt so einen Schub in Richtung Aufgabe des Ödipuskomplexes. Die Fantasien, die um die Urszene kreisen, gehören zu den Urfantasien.
In der folgenden Latenzphase ruht die Triebentwicklung, Lernen und kognitive Reifung stehen im Vordergrund. Die Latenzperiode gilt als eine Zeit der Konsolidierung. Das Kind verlegt sein Interesse auf die BewÀltigung der RealitÀt.
In der PubertĂ€t kommt es zur erneuten Besetzung der Genitalien mit dem Erlangen der Geschlechtsreife. Die PubertĂ€t gilt als eine der grĂ¶ĂŸten Krisen in der gesamten Entwicklung. Durch hormonelle VerĂ€nderungen kommt es zu einem erheblichen Zuwachs an Triebdruck und VerĂ€nderungen des Körpers durch sekundĂ€re Geschlechtsmerkmale. Es kommt zu einer Reaktivierung frĂŒhkindlicher Phasen vor allem auch mit dem Ziel der Integration von SexualitĂ€t.

1.4 Die Entwicklung der Objektbeziehungen

Lange Zeit galt die frĂŒhkindliche Phasentheorie Margret Mahlers (1978) als KernstĂŒck psychoanalytischer Entwicklungstheorie. In Anlehnung an ...

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