Mit dem RĂŒcken zur Wand
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Israel im Sommer 1948: Ein Augenzeugenbericht

Arthur Koestler

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  1. 174 pages
  2. German
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Israel im Sommer 1948: Ein Augenzeugenbericht

Arthur Koestler

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Am 14. Mai 1948 endete das Britische Mandat ĂŒber PalĂ€stina, und David Ben Gurion unterzeichnete noch am selben Tag die israelische UnabhĂ€ngigkeitserklĂ€rung. Unmittelbar darauf erklĂ€rten die Nachbarstaaten Israel den Krieg. Die Zukunft des jungen Staates schien mehr als ungewiss.

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Informations

Éditeur
Elsinor Verlag
Année
2021
ISBN
9783939483601
Mit dem RĂŒcken zur Wand

I.

DIE UMKEHRUNG VON POMPEJI

Haifa, Freitag, 4. Juni 1948
Nach einem holprigen Flug von Zypern aus, der M.5 Übelkeit verursachte und die beiden Irgun6-Terroristen an Bord kleinlaut wirken ließ, erscheint eine gelbe Linie, wie mit einem Stift gezeichnet, zwischen Wasser und Horizont: die KĂŒste Israels. Sie dehnt sich rasch aus und verwandelt sich in die goldenen DĂŒnen der Bucht von Akko, die PinienhĂ€nge des Karmel und, darĂŒber gesprenkelt wie ein Hautausschlag, die Vororte von Haifa; die Ölraffinerien und dahinter zwei riesige Treibstofftanks, wie monströse Amphoren aus Zement.
Die großen Tanks sind trocken, weil der Zufluss des Öls aus Mesopotamien nach Beirut und Amman umgeleitet wurde. Die goldenen DĂŒnen sind vermint. Zwischen den Pinien des Karmel spielen arabische und jĂŒdische ScharfschĂŒtzen Verstecken. In die verwitterten Mauern der Kreuzfahrerfestung Akko hat man ein Loch gesprengt, durch das die Freunde unserer Terroristen geflohen sind.
Doch nichts von alledem ist auf dem lÀchelnden Antlitz der Bucht zu erkennen. Die von der Sonne beschienene Landschaft, diese levantinische Zwillingsschwester des Golfs von Neapel, schlÀgt sofort den Dominantakkord aller Reisen in den Krieg an: Es ist so vollkommen friedlich.
Dieser intensive und widernatĂŒrliche Friede, der die SchauplĂ€tze Körper zerfetzender und Trommelfelle zerreißender Gewalt ĂŒberlagert, ist eine archetypische Kriegserfahrung. Gras schmeckt niemals sĂŒĂŸer als in einem SchĂŒtzengraben, wenn man das Gesicht wĂ€hrend eines Bombenangriffs in die Erde presst. Welcher Soldat hat nicht schon einmal jener Raupe zugesehen, die einen Rindenspalt des Baumes hinaufklettert, hinter dem er Deckung genommen hat, und er hat trotz des Ratterns seines Maschinengewehrs ihren Aufstieg verfolgt? Dieses Aufeinandertreffen tragischer und trivialer Schichten des Lebens hat mich immer fasziniert – im Spanischen BĂŒrgerkrieg, beim Zusammenbruch Frankreichs, beim «Blitz», den Bombenangriffen auf London.
Die Dakota mit ihrer Fracht aus Terroristen, Zeitungsleuten und Kriegsfreiwilligen bereitet sich auf die Landung vor. Dies ist der Augenblick, vor dem wir uns alle insgeheim seit Le Bourget gefĂŒrchtet haben: Man hörte von einer arabischen Blockade Israels zu Wasser und in der Luft. Ein landendes Flugzeug ist fĂŒr eine feindliche Luftwaffe wie eine Taube fĂŒr einen Habicht, und der jĂŒdische Staat verfĂŒgt bisher noch nicht ĂŒber eine Flugabwehr. Aber es sind keine syrischen oder Ă€gyptischen Flugzeuge in Sichtweite. Mit dem erlösenden Rumpeln beim Aufsetzen auf die Landebahn ist das Schlimmste ĂŒberstanden. Nun kann man sich in Ruhe in der Routine eines weiteren Krieges einrichten: abermals Verdunklung, wieder heulende Sirenen, MĂ€dchen in verschwitzten Uniformen und planmĂ€ĂŸige Operationen.
Die Spiegelungen der Sonne auf den Wellen des Meeres, der senkrechte dĂŒnne Schatten der Palmen auf dem Sand wirken wie der stumme Kommentar der Mineralien und Pflanzen zu diesem Novum der Evolution, dem menschlichen Verstand.
Der Flughafen. WĂ€hrend wir uns einer nach dem anderen durch die schmale TĂŒr der Dakota zwĂ€ngen und die schwankende Gangway hinunterstolpern, klicken eine Menge Leicas, und Filmkameras surren. Der Staat Israel ist genau achtzehn Tage alt, darum sind alle Ereignisse hier historische Ereignisse, und alle Leute, die aus dem Ausland eintreffen, sind VIPs. Hocherfreut marschieren wir zum Zoll.
Anders als Bahnhöfe, die sofort darĂŒber Auskunft geben, in welcher Art von Stadt man angekommen ist, weisen FlughafengebĂ€ude ĂŒberall auf der Welt dieselbe eintönige, unauffĂ€llige Architektur und AtmosphĂ€re auf. Waterloo ist London, St.-Lazare ist Paris, aber Croydon und Le Bourget gehören zu demselben Niemandsland der Luftfahrt.
Eine Ausnahme von dieser Regel macht der Flughafen von Haifa. Er stellt die erste und bisher einzige Verbindung des neugeborenen Staates zur Außenwelt dar. Die Hinweisschilder mit den hebrĂ€ischen Wörtern fĂŒr ZOLL, PASSKONTROLLE, POLIZEI, DAMEN und HERREN sind frisch gemalt und noch feucht. Der gerade erst ernannte Beamte der Einwanderungsbehörde besitzt noch keine Uniform, ebenso wenig wie der Zollinspektor oder die Polizei oder die Armee. SĂ€mtliche Staatsbediensteten, in ziviler wie in militĂ€rischer Funktion, tragen die gleiche Kleidung: Khakihemd und kurze Khakihose. Diese UniformitĂ€t ohne Uniform signalisiert sofort eine monotone Effizienz. Eine Armee ohne Orden und Ehrenzeichen nimmt dem Töten seinen Glanz: Auf Frauen ĂŒben die Soldaten Israels keinen Zauber aus. Nirgendwo in Haifa sahen wir junge Offiziere, die attraktive Frauen zum Essen ausfĂŒhrten. Man kann einen Offizier nicht einmal von einem einfachen Soldaten unterscheiden. Von Anfang an hat man den Eindruck, dass es sich um einen farblosen, geschĂ€ftsmĂ€ĂŸigen Krieg handelt, ganz im Einklang mit der tristen FunktionalitĂ€t israelischer Architektur.
Die frisch gebackenen Beamten am Flughafen sind allesamt leutselig, unsicher und ein wenig hilflos. Hier zeigt sich eine BĂŒrokratie im Larvenstadium der Unschuld, noch bevor sie Zeit hatte, sich selber einen Kokon aus roten AktenschnĂŒren zu spinnen. Schon bald werden sie lernen, mit ausdruckslosen Gesichtern das kleine Heft mit den Namen derer durchzublĂ€ttern, die die Geheimpolizei auf eine schwarze Liste gesetzt hat, sie werden mit eisiger Höflichkeit ErklĂ€rungen verweigern und zwischen den schmutzigen Hemden der Reisenden nach versteckten Schekeln suchen, jeder einzelne ein kleiner Herrgott. Aber noch befindet sich alles im Zustand eines unberĂŒhrten Wirrwarrs, wie am ersten Tage der Schöpfung, bevor Himmel und Erde geschieden wurden, und Beamte der Einwanderungsbehörde schweben wie auf Wolken durch das Chaos und spendieren den Passagieren Zigaretten und Brandy. Derjenige, der sich mit unseren PĂ€ssen befasst, gibt sich erkennbar MĂŒhe, sein Amt ernsthaft zu versehen, aber ohne großen Erfolg. Ich stelle mir vor, dass er jeden Morgen vor dem FrĂŒhstĂŒck eine CouĂ©-Formel7 vor sich hin murmelt:
«Du bist nun Beamter einer wirklichen Regierung, die mit jedem Tag und auf jegliche Art und Weise immer souverÀner wird.»
Er schaut sich unsere Visa an, sie sind ihm eine Augenweide, denn sie sind ein weiteres Symbol dafĂŒr, dass Israel StaatswĂŒrde erlangt hat. M.s Visum und das meine gehören zu den ersten zehn, die von der Vertretung der Übergangsregierung in Paris ausgestellt wurden. Sie sind in HebrĂ€isch und Französisch geschrieben, mit roter Tinte gestempelt, nehmen eine ganze Seite in unseren PĂ€ssen ein und tragen die Nummern 5 und 7. Wir haben sie noch am selben Abend in einem MilitĂ€rhospital in Haifa einer Gruppe verwundeter MĂ€nner der Haganah gezeigt. Sie schauten sie an wie Kinder ein neues Spielzeug. SpĂ€ter haben wir den gleichen entzĂŒckten Ausdruck auf den Gesichtern von Menschen gesehen, die die ersten israelischen Banknoten erblickten oder Flugzeuge mit dem Davidstern auf den TragflĂ€chen, die neue Flagge oder den ersten auslĂ€ndischen Botschafter, der der Regierung sein Beglaubigungsschreiben ĂŒberreichte. Sie können es immer noch nicht fassen, dass es sich um echte Flugzeuge handelt, echte Flaggen und echte Botschafter.
Wir hörten die Geschichte von einem amerikanischen Zionisten, der amerikanischen Juden von den wunderbaren Errungenschaften der Pioniere in PalĂ€stina vorschwĂ€rmte – wie sie die SĂŒmpfe trockenlegten und die WĂŒste zum BlĂŒhen brachten –, ohne selbst jemals in PalĂ€stina gewesen zu sein. Dreißig Jahre war er ein glĂŒhender Propagandist, als man ihn ĂŒberredete, endlich einmal selbst ins Land zu reisen. Als er das erste jĂŒdische Dorf vor Augen hatte, schien er verwirrt und schwieg einige Minuten lang. Dann fragte er kleinlaut: «Wollt ihr mir weismachen, dass all das, wovon ich in meinen Reden immer berichtet habe, tatsĂ€chlich wahr ist?»
Die BĂŒrger Israels reiben sich die Augen. Es geschieht nicht oft, dass ein Traum Wirklichkeit wird.
Haifa, Samstag, 5. Juni 1948
Wir entschlossen uns, vor der Weiterreise nach Tel Aviv zunĂ€chst einige Tage in Haifa zu verbringen, um ein paar alte Freunde zu treffen. So fuhren wir mit einem Taxi vom Flughafen aus hinauf zum «Sanatorium» auf dem Karmel. In Friedenszeiten war dies eine Art Kurhaus fĂŒr die eingebildeten Leiden der Reichen aus Tel Aviv. Es wurde ausgesprochen effizient vom alten Dr. Bodenheimer aus Berlin geleitet, der es verstand, eine exzellente koschere KĂŒche mit einem teutonischen Eifer fĂŒr Sauberkeit zu verbinden. Sodass man vor seinem inneren Auge quasi verfolgen konnte, wie die KĂŒchenchefin eine einsame Streptokokke, die durch die Luft segelte, mit einer Serviette aus dem Speisesaal jagte. Die Zimmer haben große Balkone, von denen man einen herrlichen Blick auf die Bucht hat, und die Luft ist erfĂŒllt vom Duft der berĂŒhmten Pinien des Karmel. An sehr heißen und sehr feuchten Tagen, von denen es auf dem Karmel viele gibt, hat man das GefĂŒhl, ein Badezimmer zu betreten, in dem gerade jemand sein Bad in Pinienextrakt beendet hat – Batseba vielleicht, und Urija hĂ€lt ihr das Handtuch 
 Aber wir haben jetzt Anfang Juni, und da wir erst vor ein paar Tagen die Nebel von Nordwales hinter uns gelassen haben, erscheint uns der strahlende Sonnenschein wunderbar.
Nachdem Dr. Bodenheimer seinen Hut aufgesetzt und den Segen gesprochen und die Bedienung uns ermahnt hatte, wegen des Sabbats nicht zu rauchen, nahmen wir unsere erste Mahlzeit in Israel ein. Das Sanatorium ist inzwischen zur HĂ€lfte in ein Genesungsheim fĂŒr verwundete Soldaten umgewandelt worden; zur anderen HĂ€lfte sind die GĂ€ste reiche Paare aus Tel Aviv, die unter dem einen oder anderen Vorwand hier wohnen – in Wirklichkeit aber, weil sie sich vor den Luftangriffen fĂŒrchten.
Menschen von dieser unsympathischen Sorte gibt es in jedem Land. Warum aber halten wir dann ihre jĂŒdische Variante fĂŒr ausgesprochen anstĂ¶ĂŸig? Und warum geht der jiddische Singsang bei den Streitereien in der KĂŒche M. mehr auf die Nerven als das Geschrei italienischer Frauen, die sich auf dem Markt zanken, oder das Geplapper irgendeines auslĂ€ndischen FremdenfĂŒhrers? Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem Zeitungsberichte ĂŒber Schwarzmarkthandel sofort grĂ¶ĂŸer aufgemacht werden, wenn der Name des TĂ€ters Abramowitz oder Cohen lautet und nicht Schmidt. Die Gestalt des Juden, der sich vor dem ehrwĂŒrdigen Richter mit PerĂŒcke windet, findet einen tiefen archetypischen Widerhall im Leser, dessen UrsprĂŒnge ihm ebenso verborgen sind wie der Grund seiner gespannten Erregung, wenn es um das Ungeheuer von Loch Ness geht, um Funksignale vom Mars oder um den Bettler, der in seinem Testament eine Million hinterließ. Das alles sind moderne Varianten uralter Symbole aus Legenden und Mythen. Herr Abramowitz ist nĂ€mlich kein Individuum, das eine individuelle Straftat begangen hat; er ist volkstĂŒmliche Überlieferung, verdichtet zu einer Pressenotiz. Ließe sich sein Abbild im Auge des Lesers mit Röntgenstrahlen erfassen, kĂ€me ein neuzeitliches Bild zum Vorschein, das ein verblichenes PortrĂ€t Shylocks ĂŒberlagert; und darunter wĂŒrden noch schattenhaftere mythologische Umrisse zutage treten.
Und genau dies ist das Argument und vielleicht das einzige Argument, das fĂŒr einen jĂŒdischen Staat spricht. Die eigentĂŒmliche soziale Struktur und die Verhaltensmuster, die den Juden in der Diaspora in Jahrhunderten der Abgrenzung aufgezwungen wurden, dieser unheimliche Geruch nach Andersartigkeit, nach Vagabundiererei und BetrĂŒgereien, welcher Herrn Abramowitz umgibt, der von nirgendwo kommt und nirgendwo dazugehört, lĂ€sst ihn gleichzeitig ĂŒbermenschlich und untermenschlich erscheinen, ein Mann ohne Schatten, das Produkt verdichteter Überlieferung.
Wann immer man ihn bei lebendigem Leibe verbrennt, ihm ein Messer in den Bauch stĂ¶ĂŸt oder Gas in seine Lungen pumpt, taucht er wie ein Springteufel wieder auf und bietet mit einem noch abscheulicheren, unterwĂŒrfigen LĂ€cheln einen gebrauchten Anzug oder eine Immobilienaktie an. Dieses eintönige Schauspiel lĂ€uft inzwischen seit zwanzig Jahrhunderten, und nichts deutet darauf hin, dass es im 21. Jahrhundert endet.
Nun aber wird der Jude endlich sagen können: «Ihr wollt mich hier nicht haben? In Ordnung, dann geh’ ich eben  » Schon allein das Wissen darum, dass man so auftreten könnte, wird langsam, aber sicher einen heilenden Einfluss auf das Ă€lteste soziale Syndrom ausĂŒben, die jĂŒdische Neurose.
Nach dem Abendessen plauderten wir beim Licht der Sterne auf der Terrasse des Sanatoriums mit einigen der verwundeten Haganah-Soldaten. Einer von ihnen ist Kuhhirte im Kibbuz Sha’ar Hagolan im Jordantal, sĂŒdlich vom See Tiberias. Am 15. Mai, in der ersten Kriegsnacht, hatten sie dort einen syrischen Angriff vom anderen Ufer des Jordans erwartet. Darum legte er sich zusammen mit fĂŒnfzehn anderen auf einem HĂŒgel auf die Lauer, und sie warteten auf die syrischen Panzer. Die Araber hatten den Zufluss des Brunnens gesperrt, der Sha’ar Hagolan mit Wasser versorgt, und die importierten hollĂ€ndischen KĂŒhe, Stolz und Haupteinnahmequelle der Kommune, drohten zu verdursten. Gelegentlich hörten sie Artilleriefeuer von der anderen Jordanseite, und immer wenn die Waffen schwiegen, vernahmen sie das klagende BrĂŒllen der KĂŒhe. «Jedes Mal, wenn ich sie hörte», sagte der Kuhhirte versonnen, «konnte ich mich nicht entscheiden, welches gewissermaßen die wirkliche Wirklichkeit war: der Krieg und die Panzer oder die Klagelaute der durstigen KĂŒhe in der Nacht.»
Die KĂŒhe, die Raupe, die einen Baum hinaufklettert, der Geruch der Pinien in der Dunkelheit. Und auf einer anderen Ebene jene andere Wirklichkeit. Beide existieren und schließen sich doch gegenseitig aus, und in den seltenen Augenblicken, in denen diese beiden Arten des Erlebens zusammentreffen, gewinnt die Wahrnehmung an Tiefe, und das Bewusstsein erlangt eine ansonsten unerreichbare IntensitĂ€t.
Mittagessen mit Abram Weinshall. Er berichtet, aufseiten der Juden gebe es bereits ĂŒber 3000 Tote. Die eigentliche Gefahr eines lĂ€ngeren Krieges liegt nicht in der Niederlage an sich, sondern im allmĂ€hlichen Ausbluten der Jugend dieses Landes. 3000 Tote nach nur einem Kriegsmonat bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 750 000, das entspricht im VerhĂ€ltnis etwa 200 000 getöteten EnglĂ€ndern oder 600 000 Amerikanern.
Aber diese Zahl ist irrefĂŒhrend. Die meisten Verluste gab es, noch bevor der offizielle Krieg am 15. Mai begann. Seit Beginn des «richtigen» Krieges war die Zahl der Gefallenen sogar rĂŒcklĂ€ufig.
Abrams Sohn Saul, der in London Jura studiert hat, ist zur Israelischen Armee einberufen worden und kehrte gestern zurĂŒck.8 Seine Tochter Judy hĂ€lt sich in den Staaten auf. Ihr Verlobter, ein Freiwilliger aus der Schweiz, wurde in den ersten Kriegstagen getötet. Vor einigen Jahren, da war sie achtzehn, schrieb sie mir begeisterte patriotische Briefe, fĂŒr die sie unverzĂŒglich im GefĂ€ngnis gelandet wĂ€re, wenn die Dokumente der britischen Zensur in die HĂ€nde gefallen wĂ€ren. Abram selbst hatte man 1947 verhaftet, nur weil er zehn Jahre zuvor der Revisionisten-Partei angehört hatte. Er verbrachte vierzig Tage im Konzentrationslager von Latrun.
Inzwischen ist der Abzug der Briten nahezu abgeschlossen. Die zivile Verwaltung stellte am 15. Mai, also am Tag, als das Mandat endete, ihren Dienst ein. Die letzten TruppenverbÀnde von etwa 3000 bis 4000 Mann wurden in kleinen, mit Stacheldraht umzÀunten Enklaven in und um Haifa konzentriert.
Vo...

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