Selbstvermarktung und Selbstdarstellung: Der schöne Schein im Business
// Von Simone Janson
Wie viel Selbstvermarktung ist heute notwendig, um erfolgreich zu sein â das Fragen sich viele Menschen, denen allzu penetrante Werbung unangebracht erscheint. Doch wie findet man das richtige MaĂ?
Mehr Schein als Sein?
Keine Frage: In unserer Gesellschaft regiert die Perfektion. Man braucht nur den Fernseher einzuschalten oder Zeitschriften aufzuschlagen, schon springen uns scheinbar perfekt aussehende, gesunde und vor allem stets unsagbar gut gelaunte, glĂŒckliche Menschen entgegen. Es gibt Unmengen von Ratgeberliteratur, die Ihnen zeigen will, wie Sie genauso werden, wie Sie vollkommen zufrieden und glĂŒcklich leben können, den perfekten Traumjob finden oder völlig nebenwirkungsfrei Karriere machen und dabei auch noch mit links reich werden können.
Doch das Problem, mehr zu scheinen als zu sein, betrifft nicht nur unsere persönlichen Befindlichkeiten. In unserem Berufsalltag ist Perfektion allgegenwĂ€rtig. Arbeitnehmer sollen perfekt in das Unternehmen passen und ihre Arbeit möglichst fehlerlos erledigen. Es zĂ€hlen vor allem StĂ€rke und Kompetenz, die durch vorgebliche Fehlerlosigkeit und den perfekten Auftritt suggeriert werden. Jeder spielt seine Rolle so gut wie möglich. Der schöne Schein zĂ€hlt oft mehr als die tatsĂ€chlichen Inhalte. Dass wahre Kompetenz darin besteht, auch Fehler und Nicht-Wissen zuzugeben zu können, um daraus zu lernen, wird dabei gern ĂŒbersehen.
Perfektion erreichen?
NatĂŒrlich wollen wir den perfekten âVorbildernâ nacheifern, denn die zur Schau getragene Perfektion schĂŒchtert uns auch ein. Daher legen wir die Messlatte fĂŒr uns selbst immer höher, strengen uns an und geben unser Letztes. Um vermeintliche Perfektion zu erreichen, nehmen wir hĂ€ufig groĂe Nachteile in Kauf â selbst wenn wir eigentlich wissen mĂŒssten, dass die Ideale in der RealitĂ€t kaum zu erreichen sind.
Dass gerade im Job extrem hohe Erwartungen an uns gestellt werden und dass wir stets angestrengt bemĂŒht sind, diese auch zu erfĂŒllen, hĂ€ngt vor allem mit dem hohen Stellenwert zusammen, den Arbeit in unserer Gesellschaft hat. Wer einmal darĂŒber nachdenkt, dem wird auffallen, dass es in Deutschland Witze ĂŒber alle möglichen Dinge gibt â jedoch nicht ĂŒber Arbeitslose. Denn ĂŒber den Jobverlust Witze zu machen, wĂ€re geradezu pietĂ€tlos. Nach Umfragen empfinden viele Menschen den Verlust des Arbeitsplatzes als fast so groĂen Schicksalsschlag wie den Tod eines nahen Verwandten.
Job, das Mittel der Selbstdarstellung
Viele Menschen definieren ihre persönliche IdentitĂ€t und ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit ĂŒber den Job und fĂŒhlen sich daher geradezu verpflichtet, erfolgreich zu sein. Kein Wunder, dass wir stets versuchen, ihn perfekt zu machen!
Die Bedeutung der Arbeit in unserer Gesellschaft lĂ€sst sich nicht nur damit erklĂ€ren, dass sie finanziell notwendig ist. Heutzutage bietet die Arbeit mehr als ânurâ das monatliche Auskommen: Sie ist die Eintrittskarte in die Gesellschaft. Der ordentliche Beruf und das damit verbundene Einkommen heben das SelbstwertgefĂŒhl und schaffen Anerkennung, der regulĂ€re Broterwerb steht fĂŒr Ansehen und BestĂ€ndigkeit, die lĂŒckenlose Laufbahn markiert den Erfolg. Der Arbeitsplatz gilt als Ort der Selbstverwirklichung. Wer nicht in dieses Denkmuster passt, fĂ€llt aus dem Rahmen. âUnd was machst du?â â diese Frage ist gewissermaĂen symptomatisch. Bei neuen GeschĂ€ftskontakten gilt das, aber auch ins Privatleben dringt der Job unweigerlich immer weiter ein. Keine neue Bekanntschaft, keine Party ohne diese obligatorische Frage. Am Job wird man gemessen und gewogen. Ein anerkennendes Nicken, wenn der Job interessant ist oder viel Geld einbringt, abschĂ€tzige Blicke gibt es hingegen fĂŒr schlecht bezahlte, langweilige TĂ€tigkeiten.
Arbeit als Paradoxon
FĂŒr einige ist Arbeit nicht mehr nur eine Pflicht oder ein Mittel, um Geld zu verdienen und einen gesellschaftlichen Status zu erreichen. Nein, Arbeit soll zudem noch der Selbstverwirklichung dienen und SpaĂ machen. Dieses Credo vertreten viele Kleinunternehmer, die nach dieser Devise den Schritt in die SelbststĂ€ndigkeit gewagt haben. Paradox ist allerdings, dass sie dem finanziellen Druck, unter dem sie sich nun wiederfinden, mit verbissenem Perfektionismus begegnen und sich damit genau den SpaĂ an ihrer Arbeit ruinieren. Gleichzeitig nimmt die Situation auf dem Arbeitsmarkt anderen den Mut zu genau dieser Art der Selbstverwirklichung, weil sie perfektionistisch damit beschĂ€ftigt sind, ihren Arbeitsplatz zu sichern.
Dass diese Verbindung von IdentitĂ€tsbildung und Erwerbsarbeit, die heute völlig normal erscheint, keinesfalls naturgegeben, sondern eine ziemlich neue Erscheinung ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Die griechisch-römische Antike setzt die MuĂe mit Freiheit und gesellschaftlicher Teilhabe gleich, wĂ€hrend Arbeit allenfalls aus existenzieller Notwendigkeit verrichtet wurde. Ihr haftete daher das Stigma von Zwanghaftigkeit und Unfreiheit an und vor allem harte körperliche Arbeit war Aufgabe der Sklaven. Wen wundert es da, dass die Bedeutung des Wortes Arbeit in fast allen westeuropĂ€ischen Sprachen negativ ist und im Ursprung mit Pein, Qual, MĂŒhe oder Leid gleichgesetzt wird. In der jĂŒdischen und vor allem frĂŒhchristlichen Tradition wurde Arbeit differenzierter gesehen. Sie galt als gottgewollte Pflicht zur Selbstversorgung und der UnterstĂŒtzung anderer. Mehr aber auch nicht â Arbeit war kein Wert an sich, mit dem sich die Menschen identifizierten, vielmehr sollten sich die Menschen auf ihre religiösen Pflichten und das Gemeinwohl besinnen. Dazu war in Anlehnung an die Schöpfungsgeschichte ein Ruhetag vorgesehen und nicht umsonst stellte Benedikt von Nursia in seinem Grundsatz âOra et laboraâ das Gebet noch vor die Arbeit. Etwas anderes als Ruhetage einzuplanen, blieb den Menschen des Mittelalters wohl auch gar nicht ĂŒbrig, denn der Lebensrhythmus in der von Landwirtschaft geprĂ€gten vorindustriellen Zeit wurde ganz vom Klima bestimmt.
Paradigmenwechsel
Seit dem SpĂ€tmittelalter strömten immer mehr mittellose Menschen vom Land in die StĂ€dte, die durch den Handel extrem an Bedeutung gewonnen hatten. Die StĂ€dte mussten, wollten sie unter dem Zustrom nicht wirtschaftlich zusammenbrechen, die Massen zur Arbeit zwingen und brauchten eine neue Ideologie. Martin Luther machte aus der bislang wertneutralen Arbeit eine von Gott auferlegte heilige Pflicht, einen Beruf, und erklĂ€rte den MĂŒĂiggang zur SĂŒnde.
Aber auch Luther lehnte, ganz den mittelalterlichen Traditionen verhaftet, Arbeit zum eigenen Nutzen und zur persönlichen Bereicherung ab. Erst fĂŒr die Puritaner wurde es im 17. und 18. Jahrhundert zu einer heiligen Pflicht, ihrer Berufung zu folgen und zu leben, um zu arbeiten und materieller Erfolg durch harte Arbeit galt als Gnadenbeweis Gottes. Auch wenn es bei den asketischen Puritanern verpönt war, den Wohlstand öffentlich zur Schau zu stellen, konnten sie mit dieser Einstellung nun ohne schlechtes Gewissen reich werden. Damit war dem Kapitalismus der Weg bereitet.
Sage mir, was Du arbeitest und ich sage dir, wer Du bist
Wirklich neu bewertet wurde Arbeit mit der bĂŒrgerlichen Revolution: Statt sich, wie bislang der Adel, durch seine Geburt zu legitimieren, gab Leistungsbereitschaft jedem die Chance, durch Arbeit und Leistung sein Leben zu verbessern. Vor allem das aufstrebende BĂŒrgertum machte sich daran, dies so perfektionistisch wie möglich umzusetzen und dabei stets den Anschein von GeschĂ€ftigkeit und Effizienz zu wahren.
Möglich wurden diese VerĂ€nderungen aber erst durch die grundlegenden wirtschaftlichen UmwĂ€lzungen jener Zeit: die Industrialisierung. Der rasante Bevölkerungsanstieg fĂŒhrte zu einer verstĂ€rkten Nachfrage an GĂŒtern, die bedient werden wollte. Neben dem technischen Fortschritt wurde dazu die optimale Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft durch Zentralisierung der Arbeit in Fabriken und die systematische Aufteilung routinemĂ€Ăiger ArbeitsablĂ€ufe, die Arbeitsteilung, notwendig. Die dafĂŒr erforderliche strenge Organisation und die AbhĂ€ngigkeit von starren Arbeitszeiten wurden erst ermöglicht durch die Erfindung der Uhr und des elektrischen Lichtes, was erlaubte, auch ohne Tageslicht zu arbeiten. Ăberhaupt diente Arbeit immer auch als Druckmittel gegenĂŒber denjenigen, die sie zur Existenzsicherung brauchten und war damit das Disziplinierungsinstrument der Privilegierten gegenĂŒber den Arbeitern. Das war genauso im Kommunismus, wo das Proletariat in âProduktionsschlachtenâ geschickt wurde und âHelden der Arbeitâ verehren musste. Der Kapitalismus heute hingegen lockt mit Konsum und verspricht dem Menschen die materielle ErfĂŒllung seiner BedĂŒrfnisse, fĂŒr die er allerdings arbeiten muss.
Die perfekte Manipulation
Leistungsbereitschaft dient also sowohl als Druckmittel, um Existenz und Ansehen zu sichern, also auch zur Manipulation, weil suggeriert wird, dass mehr Leistung ĂŒber die ErfĂŒllung der eigenen BedĂŒrfnisse auch mehr GlĂŒck bedeutet.
Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter also zur Leistung antreiben. Unternehmen erwarten auch Perfektion. Doch warum eigentlich? Die Antwort ist simpel: Was Perfektion verspricht, wirkt attraktiver und verkauft sich besser â und zwar in allen Bereichen. Wer âfehlerfreiâ ist, wirkt kompetenter, als jemand der zugibt, etwas nicht zu wissen. Und wer verspricht, ein Problem schnell und ohne groĂe Nebenwirkungen zu lösen, bekommt Beifall. Das ist in Unternehmen nicht anders als in der Politik. Simple Wahrheiten und Klischees passen eben besser in bereits vorhandene Denkmuster und was eingĂ€ngiger ist, wird vom Gehirn schneller verarbeitet; das wissen auch die Unternehmen, die ihren Kunden etwas verkaufen wollen und machen sich diesen Mechanismus zunutze.
Der perfekte Mitarbeiter
Wie sehr es in Firmen darum geht, vor allem den Anschein von Unfehlbarkeit und ProduktivitĂ€t zu wahren, entlarvt Bestsellerautorin Corinne Maier in âDie Entdeckung der Faulheitâ: Die Sprache in Unternehmen strotzt hĂ€ufig nur so vor hohlen Floskeln, nebulösen AbkĂŒrzungen und nichtssagenden Fremdwörtern, die ihr eine pseudowissenschaftliche Aura verleihen. Einfache Dinge werden möglichst kompliziert ausgedrĂŒckt, um auch banalste Dinge bedeutend erscheinen zu lasen. Der aufgesetzte Business-Jargon dient vor allem dazu, um jeden Preis zu beeindrucken, wĂ€hrend hinter der Fassade hĂ€ufig ein innovationsfeindliches Klima herrscht, in dem hĂ€ufig nur diejenigen ĂŒberleben, die sich unauffĂ€llig verhalten. Genau das ist auch der Rat, den Maier ihren Lesern mitgibt: sich dem schönen Schein so gut wie möglich anzupassen, um zumindest nach auĂen als perfekter Mitarbeiter zu agieren.
Auch wenn Maiers Betrachtungsweise sicherlich ĂŒberspitzt und zynisch ist: Perfektionisten haben hĂ€ufig genau mit dieser Anpassung Problem...