5 Manipulationstechniken: Denkfehler Ăngste Gruppenzwang und falsche Annahmen
// Von Simon O. Sinek
Oft genug lassen wir uns von falschen Annahmen, Ăngsten, Gruppenzwang oder fadenscheinigen Versprechungen in die Irre fĂŒhren. 5 klassische Manipulationstechniken im Ăberblick.
Kennedy oder jemand anderes?
Der 34-jĂ€hrige Mann wurde an einem kalten Januartag als FĂŒhrer seines Landes vereidigt. An seiner Seite stand sein VorgĂ€nger, ein berĂŒhmter General, der 15 Jahre zuvor die StreitkrĂ€fte seines Landes in einem Krieg befehligt hatte, in dem Deutschland besiegt wurde. Der junge FĂŒhrer war in römisch-katholischem Glauben erzogen worden. Die folgenden fĂŒnf Stunden verfolgte er Ehrenparaden, er feierte bis drei Uhr morgens.
Es ist unschwer zu erraten, wen ich beschreibe, nicht wahr? Es ist der 30. Januar 1933, ich beschreibe Adolf Hitler und nicht, wie die meisten annehmen wĂŒrden, John F. Kennedy. Der springende Punkt ist, dass wir von Annahmen ausgehen. Wir machen uns eine Vorstellung von der Welt um uns herum, die manchmal auf unvollstĂ€ndigen oder falschen Annahmen beruht. In diesem Fall war die Information, die ich gegeben habe, unvollstĂ€ndig. Viele von Ihnen haben vermutlich geglaubt, dass ich John F. Kennedy beschrieben habe, bis ich ein kleines Detail hinzufĂŒgte: das Datum.
Entscheidungen auf der Basis von Annahmen â nicht Wissen
Das ist wichtig, denn unser Verhalten wird von unseren Annahmen oder von vermeintlichen Wahrheiten beeinflusst. Wir treffen Entscheidungen, die auf dem beruhen, was wir zu wissen glauben. Es ist noch nicht lange her, dass der gröĂte Teil der Menschheit glaubte, die Erde sei eine Scheibe. Diese vermeintliche Wahrheit beeinflusste das Verhalten. In dieser Epoche gab es wenige Entdeckungen. Die Menschen fĂŒrchteten, sie wĂŒrden am Ende der Welt ĂŒber eine Kante fallen, wenn sie sich zu weit vorwagten. Also blieben sie lieber dort, wo sie waren.
Erst mit der Entdeckung eines kleinen Details â dass die Erde rund ist â Ă€nderte sich das. Nach dieser Entdeckung begannen Kulturen, den Planeten zu erkunden. Handelsrouten entstanden, GewĂŒrze wurden gehandelt. Die Gesellschaften begannen, neue Ideen auszutauschen, etwa in der Mathematik, was alle nur erdenklichen Innovationen ermöglichte. Die Korrektur einer simplen falschen Annahme brachte die Menschheit ein StĂŒck voran. Man könnte auch sagen: Verlorene Illusionen sind gewonnene Klarheiten. Aber was können wir tun gegen die Macht der Manipulation?
Mit Zuckerbrot und Peitsche
Es gibt auf dem Markt kein Produkt und kein Serviceangebot, das der Kunde nicht anderswo genauso billig, genauso gut, mit einem ebenso guten Kundendienst und entsprechenden Eigenschaften bekommen kann. Die meisten neuen Produkte verlieren ihren Vorsprung innerhalb weniger Monate. Innovative Produkte bekommen es auf dem Markt in kĂŒrzester Zeit mit ebenbĂŒrtigen oder sogar besseren Produkten zu tun. Und doch werden die meisten Firmen auf die Frage, warum ihnen ihre Kundschaft treu ist, antworten, dass sie besser und billiger sind, ĂŒberlegene Produkte haben und ihre Kunden besser betreuen. Das zeigt uns: Die meisten Firmen wissen nicht, warum ihre Kunden ihre Kunden sind. Und wenn ein Unternehmen nicht versteht, warum ihm seine Kunden die Treue halten, dann wird es auch nicht wissen, warum ihm seine Angestellten die Treue halten.
Ein Unternehmen, das nicht weiĂ, warum seine Kunden und Angestellten loyal sind, kann unmöglich wissen, auf welche Art es neue Mitarbeiter gewinnen und die LoyalitĂ€t der vorhandenen stĂ€rken kann. Die RealitĂ€t ist, dass die meisten Unternehmen ihre Entscheidungen auf der Grundlage von lĂŒckenhaften oder sogar vollkommen falschen Annahmen ĂŒber die KrĂ€fte fĂ€llen, die das Geschehen auf dem Markt bestimmen.
5 Manipulationstechniken: So funktioniert das Beeinflussen von Menschen
Um Menschen zu beeinflussen, kann man zwei Methoden einsetzen: Manipulation oder Inspiration. Manipulation muss durchaus nichts Schlechtes sein; sie ist eine normale Taktik, die nicht zwangslÀufig schÀdlich ist. Wir alle haben in unserer Jugend andere manipuliert. Der Satz »Ich will dein bester Freund sein« ist Ausdruck einer Verhandlungstaktik, die Generationen von Kindern angewendet haben, um von anderen Kindern Dinge zu bekommen, die sie haben wollten. Und jedes Kind, das schon einmal ein Bonbon verschenkt hat, um einen neuen besten Freund zu gewinnen, kann bestÀtigen: Die Taktik funktioniert. Manipulation ist in Verkauf und Marketing weit verbreitet. Das gilt nicht nur in der
Wirtschaft, sondern auch in der Politik. Spielarten der gezielten Manipulation sind PreisnachlĂ€sse, Aktionen, Gruppendruck, das Ansprechen von Ăngsten und WĂŒnschen oder die AnkĂŒndigung von Neuerungen. Diese Mittel werden eingesetzt, um das Kaufverhalten und Wahlverhalten zu beeinflussen oder sich UnterstĂŒtzung zu sichern. Unternehmen und andere Organisationen, die keine klare Vorstellung davon haben, warum ihnen ihre Kunden die Treue halten, neigen dazu, massiv Manipulationstechniken anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Und dafĂŒr gibt es einen guten Grund. Die Manipulation ist erfolgreich.
1. Der Preis als Manipulationstechnik
Viele Firmen haben zwar Vorbehalte gegen PreisnachlĂ€sse, verwenden sie aber, weil sie wissen, dass sie effektiv sind. So effektiv, dass die Versuchung fast unwiderstehlich ist. Es gibt wenige professionell arbeitende Dienstleistungsfirmen, die nicht einfach ihre Preise heruntersetzen, um ein GeschĂ€ft abzuschlieĂen, wenn sich die Chance auf einen groĂen Auftrag ergibt.
Rabatte sind wie Heroinsucht
GleichgĂŒltig wie man es sich selbst oder wie man es dem Kunden erklĂ€rt, der Preis ist eine höchst effektive Manipulationstechnik. Wenn wir den Preis nur tief genug senken, wird der Kunde das Produkt kaufen. Wir sehen das im Einzelhandel beim Saison- »Ausverkauf«. Wenn man die Preise tief genug senkt, leeren sich die Regale schnell und es wird Platz fĂŒr die Ware der nĂ€chsten Saison geschaffen.
Das Arbeiten mit PreisnachlĂ€ssen kann eine Firma jedoch sehr teuer zu stehen kommen und in Schwierigkeiten bringen. FĂŒr den VerkĂ€ufer sind PreisnachlĂ€sse wie eine Heroinsucht. Der kurzfristige Gewinn ist fantastisch, doch je öfter er es tut, desto schwieriger wird es, damit wieder aufzuhören. Wenn sich die KĂ€ufer einmal daran gewöhnt haben, fĂŒr ein Produkt oder ein Service einen unterdurchschnittlichen Preis zu zahlen, ist es sehr schwer, sie dazu zu bewegen, wieder mehr dafĂŒr zu bezahlen. Und die VerkĂ€ufer, die dem starken Druck ausgesetzt sind, die Preise immer tiefer zu drĂŒcken, um konkurrenzfĂ€hig zu bleiben, mĂŒssen hinnehmen, dass auch ihre Gewinnspanne immer kleiner wird.
Wenn sich die Preisspirale nach unten dreht
Zum Ausgleich fĂŒr die Verluste muss mehr verkauft werden. Der schnellste Weg, das zu erreichen, ist wieder der Preis. Und so wird die AbwĂ€rtsspirale der PreisabhĂ€ngigkeit losgetreten. In der Drogenwelt nennt man die SĂŒchtigen Junkies. In der GeschĂ€ftswelt haben diese Rolle die VerbrauchsgĂŒter ĂŒbernommen. Versicherung. Heimcomputer. Handy-Service. Verpackte Waren. Die Liste von VerbrauchsgĂŒtern, die erst durch PreisnachlĂ€sse dazu wurden, ist lang. Fast immer sind die Firmen, die ihre Produkte als VerbrauchsgĂŒter vertreiben mĂŒssen, selbst schuld daran. Sicherlich sind Preisreduzierungen ein durchaus legitimer Weg, VerkĂ€ufe zu steigern; doch die Herausforderung besteht darin, profitabel zu bleiben.
Wal-Mart scheint eine Ausnahme zu sein. Die Kette baute mit ihren PreisnachlĂ€ssen ein ĂŒberaus erfolgreiches GeschĂ€ftsmodell auf. Aber zu sehr hohen Kosten. Nur ihre GröĂe erlaubte der Wal-Mart-Gruppe, die Gefahren, die PreisnachlĂ€sse mit sich bringen, zu umschiffen. Aber die Fixierung des Unternehmens auf den Preis machte es anfĂ€llig fĂŒr Skandale und schĂ€digte sein Image. Auslöser fĂŒr die Skandale war immer der Versuch, die Kosten niedrigzuhalten, um Produkte zu niedrigen Preisen anbieten zu können. Preis hat immer seine Kosten. Die Frage ist nur, was man fĂŒr das Geld, das man verdient, bezahlen will.
2. Manipulation mit Kauf-Anreizen
General Motors hatte ein kĂŒhnes Ziel. Die Firma wollte den gröĂten Marktanteil in der amerikanischen Autozulieferindustrie erringen. In den FĂŒnfzigerjahren hatte es vier Wahlmöglichkeiten in der US-Autoindustrie gegeben: GM, Ford, Chrysler und AMC. Bevor die auslĂ€ndischen Autoproduzenten auf dem Markt auftauchten, dominierte GM. Die neue Konkurrenz erschwerte es jedoch erwartungsgemĂ€Ă, das Ziel zu erreichen. Es ist ĂŒberflĂŒssig, Statistiken vorzulegen, um zu zeigen, was sich in den vergangenen fĂŒnfzig Jahren in der Autoindustrie verĂ€ndert hat. Doch General Motors steuerte erfolgreich durch den gröĂten Teil des vergangenen Jahrhunderts und konnte seine Dominanz mit Hochpreisprodukten behaupten.
Kaufanreize funktionieren nur am Anfang
Seit 1990 aber hat sich der Marktanteil von Toyota am US-Automarkt mehr als verdoppelt. 2007 war Toyotas Marktanteil von lediglich 7,8 Prozent auf 16,3 Prozent geklettert1 . In derselben Zeitspanne brach der US-Marktanteil von GM dramatisch von 35 Prozent im Jahr 1990 auf 23,8 Prozent im Jahr 2007 ein. 2008 wurde das undenkbare RealitÀt: US-Konsumenten kauften mehr auslÀndische als amerikanische Autos.
Mit den Erfolgen der japanischen Konkurrenz konfrontiert, gingen GM und die anderen amerikanischen Autoproduzenten in den Neunzigerjahren dazu ĂŒber, Kaufanreize zu setzen. Das Ziel war es, die schwindenden Marktanteile zu halten. GM bot Kunden, die Autos und Lastwagen kauften, massive Anreize mit Cash-back zwischen 500 Dollar und 700 Dollar. Lange Zeit funktionierten die Aktionen prĂ€chtig. Die VerkĂ€ufe von GM stiegen wieder. Aber auf lange Sicht trugen die Anreize nur zur dramatischen Abnahme der Gewinnspanne von GM bei und waren die Ursache fĂŒr die hohen Schulden des Unternehmens.
Kunden als Cashback-Junkies
2007 verlor GM 729 Dollar pro Auto, vor allem wegen der Anreize. Als man erkannte, dass das Modell nicht aufrechtzuerhalten war, schrĂ€nkte GM die Rabatte ein, damit gingen aber auch die VerkĂ€ufe wieder zurĂŒck. Kein Bargeld, keine Kundschaft. Die Autoindustrie hatte aus Kunden Cash-back-Junkies gemacht; die Kunden waren nicht mehr gewillt, den vollen Preis zu zahlen.
Ob »Zwei zum Preis von einem« oder »Plus Gratisspielzeug« â solche Aktionen sind derart weit verbreitet, dass wir oft vergessen, dass wir manipuliert werden. Achten wir beim nĂ€chsten Digitalkamerakauf darauf, nach welchen Kriterien wir unsere Kaufentscheidung treffen. Es ist einfach, eine Kamera zu finden, die den Anforderungen entspricht â GröĂe, Megapixel-Zahl, guter Preis, bekannter Markenname. Aber mit einer dieser Kameras ist vielleicht eine Aktion verbunden â eine Gratis-HĂŒlle oder eine Gratis-Memory-Karte. Angesichts der relativen Gleichwertigkeit von Eigenschaften und Leistung gibt dieses kleine Extra nicht selten den Ausschlag fĂŒr ein Produkt. Im B2B-Bereich nennt man das »Wertsteigerung«. Das Prinzip ist immer dasselbe: etwas zu verschenken, um das Verkaufsrisiko zu verringern.
Der Gipfel der Manipulation: 40 Prozent der Kunden verzichten unfreiwillig auf Rabatte
Wie beim Preis sieht man: Aktionen haben Erfolg. Manipulationen bei Aktionen sind im Einzelhandel so weit verbreitet, dass die Branche einem der angewandten Prinzipien einen Namen gab. Sie nennen das Abbruchrate. Die Abbruchrate misst den Prozentsatz der Kunden, die die Aktionen nicht in Anspruch nehmen und stattdessen den vollen Preis zahlen. Das geschieht normalerweise dann, wenn KĂ€ufer sich nicht um die notwendigen FormalitĂ€ten fĂŒr die Beanspruchung des Rabatts kĂŒmmern, einem Vorgang, der vorsĂ€tzlich kompliziert oder unpraktisch gestaltet wurde, um die Wahrscheinlichkeit von Fehlern oder passiver Haltung zu steigern und die Abbruchrate hoch zu halten.
FĂŒr die Inanspruchnahme von Rabatten muss der Kunde normalerweise die Kopie einer ZahlungsbestĂ€tigung einsenden oder den Bar-Code auf einer Verpackung ausschneiden und ein Rabatt-Formular mit Produkteinzelheiten und detaillierten Angaben zum Kaufverhalten exakt ausfĂŒllen. Die Einsendung des falschen Verpackungsteils oder die Auslassung eines Details im Antragsformular verzögert oft die Auszahlung des Rabatts um Wochen und Monate oder macht ihn ungĂŒltig. Die Rabatt-Branche hat auch einen Namen fĂŒr Kunden, die sich schlicht und einfach nicht um die Beantragung der Rabatte kĂŒmmern oder die Rabattgutscheine, die sie erhalten, nie einlösen. Das sind die sogenannten Aussteiger.
FĂŒr die Wirtschaft liegen die kurzfristigen Vorteile der Rabatte und anderer Manipulationen auf der Hand: Ein Rabatt bringt den Kunden letztlich dazu, den vollen Preis fĂŒr ein Produkt zu zahlen, das er möglicherweise nur deshalb kaufte, weil er mit einer TeilrĂŒckerstattung rechnete. Aber an die 40 Prozent der Kunden erhalten niemals den Preisnachlass, den sie erwarte...