Erste Hilfe gegen Depressionen Selbstsabotage und Ăngste [+ Selbsttest]
// Von Simon Rego & Sarah Fader
FĂŒr Depressionen kann es verschiedene Ursachen geben. Vielleicht liegt es an den Botenstoffen im Gehirn, doch es kann auch andere GrĂŒnde geben. Ein Ăberblick.
Wer hat ein besonders hohes Risiko fĂŒr Depressionen?
Vielleicht haben Sie schon gehört, dass eine Depression durch ein Ungleichgewicht chemischer Botenstoffe im Gehirn entstehen kann. Das ist eine weitverbreitete, aber umstrittene Ăberzeugung. Dagegen betont die Harvard Medical School auf ihrer Website, dass diese Erkrankung zu komplex ist, um sie nur einer einzigen Ursache zuzuschreiben. Depressionen können aus einer Vielfalt verschiedener Faktoren entstehen.
Zu den möglichen Ursachen gehören: genetische Veranlagung, schwerwiegende Erkrankungen, bestimmte Medikamente, Probleme mit der Stimmungsregulation und belastende Lebensereignisse. Menschen, in deren Familie ein Todesfall aufgetreten ist, die eine Scheidung oder ein traumatisches Ereignis (zum Beispiel physische oder emotionale Misshandlung oder sexuellen Missbrauch) erlebt haben, tragen ein deutlich höheres Risiko, eine Depression zu entwickeln.
Depressionen in Verbindung mit und ohne klare Ursachen
Traumatisierte Menschen leiden hĂ€ufig nicht nur unter einer Depression, sondern gleichzeitig auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Beide Krankheitsbilder Ă€uĂern sich teilweise in Ă€hnlichen Symptomen: zum Beispiel Konzentrationsstörungen, einem GefĂŒhl der Distanz zu anderen Menschen, Schlafstörungen und der Schwierigkeit, positive Emotionen zu empfinden. Eine Depression oder PTBS fĂŒhrt auch zu einer Zunahme negativer Ăberzeugungen oder Erwartungen im Hinblick auf die eigene Person und dazu, dass die Betroffenen weniger Interesse oder Freude an TĂ€tigkeiten zeigen, die ihnen vorher SpaĂ gemacht haben.
Manchmal tritt eine Depression auch ohne erkennbare Ursache auf. Wenn das bei Ihnen der Fall sein sollte, wissen Sie, wie frustrierend das sein kann. Doch Ihre Depression ist trotzdem real â auch wenn Sie nicht wissen, wodurch sie hervorgerufen wurde. Der Depression liegt ein ebenso konkretes Krankheitsgeschehen zugrunde wie jeder anderen Erkrankung; nur leider weiĂ man eben manchmal nicht, wodurch sie entstanden ist. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Selbst wenn wir die Ursache einer Depression nicht kennen, lĂ€sst sie sich doch sehr gut behandeln.
Wie hilft Ihnen ein Depressionsfragebogen?
In den 1960er-Jahren war der Psychiater Dr. Aaron T. Beck ein Wegbereiter der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Die KVT will Menschen helfen, die unter negativen Gedanken (zum Beispiel: »Ich bin ein totaler Versager!«) und maladaptivem Verhalten (zum Beispiel zu viel schlafen, sich von Freunden und Familienangehörigen abkapseln) leiden â typischen Begleiterscheinungen einer klinischen Depression. Die KVT kann solchen Menschen helfen, indem sie ihnen neue FĂ€higkeiten vermittelt, die dazu fĂŒhren, dass es ihnen wieder besser geht. In dem Wissen, dass eine Depression die verschiedensten Symptome verursachen und in unterschiedlichen Schweregraden (von leicht bis sehr schwer) auftreten kann, entwickelte Dr. Beck das Beck-Depressions-Inventar (BDI), das Menschen dabei helfen soll, den Schweregrad der verschiedenen Symptome einer Depression (und der Depression selbst) zu beurteilen.
Seitdem wurden noch viele andere Inventare und Fragebögen zur Beurteilung von Depressionen entwickelt. Einige davon (zum Beispiel der im Folgenden abgedruckte Fragebogen) entsprechen den neun Hauptkriterien fĂŒr eine Depression aus dem DSM-5. Dieser Fragebogen vermittelt Ihnen eine Vorstellung von den Symptomen, auf denen die Diagnose »Depression« beruht. AuĂerdem macht er Ihnen bewusst, wie stark diese Symptome bei Ihnen ausgeprĂ€gt sind und wie schwer Ihre Depression ist. Der Fragebogen kann Ihnen auch bei der Entscheidung helfen, ob Sie professionelle Hilfe suchen sollten oder nicht. Der unten stehende Selbsttest ist der Patientenfragebogen (PHQ-9). Machen Sie diesen Test gleich jetzt, um eine bessere Vorstellung vom jetzigen Schweregrad Ihrer Depression zu gewinnen. Zu jeder Frage können Sie eine von vier Antworten ankreuzen. Schreiben Sie die Zahlen, die Ihren Antworten entsprechen, in die Leerzeilen neben den Fragen. Sie können diesen Test jederzeit wiederholen â entweder in regelmĂ€Ăigen ZeitabstĂ€nden wĂ€hrend der LektĂŒre dieses Buches oder zumindest dann, wenn Sie es fertig gelesen und alle Ăbungen gemacht haben â, um festzustellen, ob sich etwas am Schweregrad Ihrer Depression verĂ€ndert hat.
Patientenfragebogen (PHQ-9)
Diesen Depressionstest können Sie selbst auswerten. Das Ergebnis finden Sie am Ende des Tests. Wie oft fĂŒhlten Sie sich im Verlauf der letzten zwei Wochen durch folgende Beschwerden beeintrĂ€chtigt?
1. Wenig Interesse oder Freude an Ihren TĂ€tigkeiten? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
2. Niedergeschlagenheit, Schwermut oder Hoffnungslosigkeit? ____
- 0 Ăberhaupt nicht1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
3. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen, oder vermehrter Schlaf? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
4. MĂŒdigkeit oder das GefĂŒhl, keine Energie zu haben? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
5. Verminderter Appetit oder ĂŒbermĂ€Ăiges BedĂŒrfnis zu essen? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
6. Schlechte Meinung von sich selbst; GefĂŒhl, ein Versager zu sein oder die Familie im Stich gelassen zu haben? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
7. Schwierigkeiten, sich auf etwas zu konzentrieren, zum Beispiel beim Zeitunglesen oder Fernsehen? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
8. Waren Ihre Bewegungen oder Ihre Sprache so verlangsamt, dass es auch anderen auffallen wĂŒrde? Oder waren Sie im Gegenteil »zappelig« oder ruhelos und hatten dadurch einen stĂ€rkeren Bewegungsdrang als sonst? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
9. Gedanken, dass Sie lieber tot wĂ€ren oder sich Leid zufĂŒgen möchten? ____
- 0 Ăberhaupt nicht
- 1 An einzelnen Tagen
- 2 An mehr als der HĂ€lfte der Tage
- 3 Beinahe jeden Tag
Die Auswertung des Selbsttests
Rechnen Sie alle Punkte in den Leerzeilen zusammen und schreiben Sie die Summe in die unten stehende Zeile. (Die höchstmögliche Punktzahl betrÀgt 27, die niedrigste Punktzahl 0.)
Meine Punktzahl: ____/ 27
Was bedeutet Ihre Punktzahl im PHQ-9? 0â4 Punkte: Gesund 5â9 Punkte: UnauffĂ€llig 10â14 Punkte: Leichte Depression 15â19 Punkte: Mittelgradige Depression 20â27 Punkte: Schwere Depression
Falls Sie bei Frage 9 mehr als null Punkte erhalten haben sollten, suchen Sie bitte sofort professionelle Hilfe. Eine Punktzahl zwischen 15 und 27 erfordert in der Regel eine aktive Behandlung mit Psychotherapie, Medikamenten oder einer Kombination aus beidem. Spiegelt sich in Ihrer Punktzahl Ihre jetzige Stimmung wieder? Warum oder warum nicht? Haben einige Ihrer Antworten auf diese Fragen Sie ĂŒberrascht? Warum oder warum nicht? Schreiben Sie Ihre Ideen oder Kommentare zu Ihren Antworten bitte in die unten stehenden Leerzeilen:
Welche Depressionsformen gibt es? Werden Sie sich ĂŒber Ihre Probleme klar
Eine Depression kann sich auf viele verschiedene Arten und in unterschiedlichen Schweregraden Ă€uĂern. AuĂerdem kann sie mit anderen psychischen Erkrankungen wie beispielsweise einer Angst- oder Panikstörung, ADHS oder Substanzmissbrauch einhergehen. All das sind Begleiterkrankungen einer Depression, auf die wir an spĂ€terer Stelle in diesem Kapitel noch nĂ€her eingehen werden.
VorlÀufig wollen wir uns erst einmal mit den Erkrankungen beschÀftigen, an die man im Allgemeinen denkt, wenn man das Wort Depression hört. Dazu gehören: die Major Depression (auch als klinische Depression bezeichnet), die Dysthymie (persistierende depressive Störung), die bipolare Störung und die Wochenbettdepression. UnabhÀngig von der Art der Depression, an der Sie leiden, kann dieses Arbeitsbuch Ihnen helfen, wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Major Depression/Klinische Depression
Wer unter einer Major Depression (auch als klinische Depression oder manchmal einfach nur als Depression bezeichnet) leidet, ist niedergeschlagen und/oder seine Motivation, sich mit seinen Alltagsaufgaben zu beschĂ€ftigen, hat nachgelassen. Um als klinische Depression bezeichnet zu werden, muss diese VerĂ€nderung der Stimmungslage und/oder Motivation mindestens zwei Wochen lang anhalten und mit mehreren anderen Symptomen (siehe Seite 12) einhergehen. Die niedergeschlagene oder schwermĂŒtige Stimmung und das daraus resultierende Verhalten unterscheiden sich erheblich davon, wie man sich verhĂ€lt, wenn man in bester Stimmung ist.
Um die Kriterien einer klinischen Depression zu erfĂŒllen, muss diese Erkrankung auch Probleme im Arbeitsleben, in den sozialen Interaktionen mit Freunden, in der BewĂ€ltigung der hĂ€uslichen Aufgaben und/oder dem Studium beziehungsweise der Ausbildung des Patienten verursachen. Er leidet unter einer starken StimmungsverĂ€nderung, die sich eindeutig auf sein Verhalten auswirkt. Ein Student, der an einer Major Depression leidet, erhĂ€lt vielleicht plötzlich sehr viel schlechtere Noten. Möglicherweise kapselt er sich auch von seinen Freunden ab, indem er Einladungen zu sozialen AnlĂ€ssen ablehnt.
Persistierende Depressive Störung (Dysthymie)
Die Symptome einer persistierenden depressiven Störung (Dysthymie) Ă€hneln denen einer Major Depression, halten aber meist monatelang an. Die Symptome sind normalerweise schwĂ€cher ausgeprĂ€gt, treten aber dafĂŒr jahrelang immer wieder auf, wĂ€hrend Episoden einer Major Depression kĂŒrzer andauern. Der Schweregrad der depressiven Symptome bei einer Dysthymie kann im Lauf der Jahre erheblich schwanken; doch die typischen Merkmale â niedriges SelbstwertgefĂŒhl, Schlafstörungen, Energiemangel oder Erschöpfung (Fatigue), VerĂ€nderungen des Appetits, Konzentrationsprobleme und GefĂŒhle der Hoffnungslosigkeit â verschwinden dabei nie lĂ€nger als fĂŒr einen Zeitraum von zwei Monaten.
ZusÀtzlich zur Dysthymie können auch noch depressive Episoden auftreten; das bedeutet, dass diese leichte Niedergeschlagenheit gleichzeitig mit einer Major Depression-Episode bestehen kann. Dieses PhÀnomen bezeichnet man normalerweise als doppelte Depression.
Bipolare Störung
Die (frĂŒher als manische Depression bezeichnete) bipolare Störung geht mit erheblichen Stimmungsschwankungen und entsprechendem Verhalten einher: von ĂŒberschwĂ€nglicher Euphorie bis zu völliger Hoffnungslosigkeit. »Bipolar« bedeutet nichts anderes als zwei Pole, mit anderen Worten: zwei einander entgegengesetzte Stimmungslagen. Die gehobene Stimmungsphase wird als manische (bipolare Störung Typ I) oder hypomanische (bipolare Störung Typ II) Episode bezeichnet, die gedrĂŒckte Stimmungsphase als depressive Episode. Menschen mit bipolarer Störung machen zwischendurch auch immer wieder Phasen »normaler« oder »stabiler« Stimmung durch â vor allem, wenn sie mit Medikamenten und Psychotherapie behandelt werden.
Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Ansicht haben nicht alle Menschen mit bipolarer Störung ausgeprĂ€gte manische Phasen. Patienten mit bipolarer Störung Typ II erleben in den Zeiten, in denen sie gehobener Stimmung sind, eine Hypomanie (leichte Manie), die sie in ihrem sozialen oder beruflichen Leben nicht beeintrĂ€chtigt und auch keinen Krankenhausaufenthalt erforderlich macht. Manchmal fĂŒhlt sich das einfach nur gut an, und vielleicht ist man in solchen Phasen auch besonders produktiv. Doch leider kann sich der hypomanische »Lichtschalter« blitzschnell umlegen, und dann verfĂ€llt der Patient in eine Depression.
Wochenbettdepression
Die Wochenbettdepression ist eine erstaunlich hĂ€ufige Form der Depression: Jede neunte Frau leidet nach der Geburt eines Kindes darunter. Frauen mit Wochenbettdepression erleben ĂŒberwĂ€ltigende GefĂŒhle, die von Traurigkeit bis hin zu starker Angst reichen. Manchmal sind sie körperlich und emotional total erschöpft; das erschwert es ihnen, gut fĂŒr sich und ihr Baby zu sorgen. Es ist nicht die Schuld der jungen Mutter, wenn sie an einer Wochenbettdepression erkrankt: Diese Depression ist eine ebenso ernst zu nehmende psychische Erkrankung und erfordert die gleiche Beachtung und FĂŒrsorge wie jede andere Depressionsform.
Depressionen und Begleiterkrankungen
Menschen mit Depressionen können zusĂ€tzlich unter einer oder mehreren der unten beschriebenen Begleiterkrankungen leiden. Oft geht eine Depression beispielsweise mit einer Angststörung einher. Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie schon einmal unter Symptomen der unten stehenden Begleiterkrankungen gelitten? Oder befĂŒrchten Sie, dass bei Ihnen irgendwann solche Symptome auftreten könnten?
Angststörung
Zu den Symptomen einer Angststörung gehören beunruhigende Gedanken, NervositĂ€t und ein GefĂŒhl des inneren Unbehagens. Wir alle haben hin und wieder Angst; das gehört zum Leben dazu. Doch wenn die Angst tagtĂ€glich Ihr Denken und Handeln beherrscht, wird sie zur Angststörung.
Wenn Sie unter einer solchen Störung leiden, ĂŒberfĂ€llt Sie vielleicht auch hin und wieder plötzlich ein GefĂŒhl extremer Angst. Auf dieses Problem, das man als Angst- oder Panikattacke bezeichnet, kommen wir gleich noch zu sprechen. Zu ihrer Angststörung hat Sarahs Psychotherapeut ihr einmal erklĂ€rt, Depression und Angst seien zwei Seiten ein und derselben Medaille; und das erschien ihr auch durchaus plausib...