Werbung und Marketing im Digitalen Wandel: TschĂŒss Kontrolle, Hallo Change!
// Von Hermann H. Wala
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. TÀglich zeigen uns die VerÀnderungen in den MedienmÀrkten und digitale Innovationen wie Facebook und Twitter, wie sehr sich unsere Welt verÀndert. Was können wir tun?
Wenn Medien sich verÀndert, verÀndert sich die Gesellschaft
Wann immer sich die Medien verĂ€ndern, verĂ€ndert sich die Gesellschaft. Ich bin davon ĂŒberzeugt, dass unsere Gegenwart der Schwellenzeit um 1500 gleicht, als Gutenberg den Buchdruck erfand und Kolumbus Amerika entdeckte. Die bestehenden terrestrischen Handelswege wurden um die neuen, schnelleren maritimen Routen ergĂ€nzt. Auch die Ordnungsmuster der letzten Jahrzehnte haben sich in kĂŒrzester Zeit verĂ€ndert und es ist kein Stillstand in Sicht. Es ist eine groĂe Herausforderung, als Unternehmen in den sich dynamisch verĂ€ndernden MĂ€rkten erfolgreich zu agieren und sich fĂŒr die Zukunft sicher aufzustellen. Die unternehmerische Strategie sollte sein, bestehende und gesunde Unternehmen mit ihren starken Marken erfolgreich weiterzufĂŒhren und gleichzeitig in neue Objekte und lukrative digitale Unternehmungen zu investieren.
FĂŒr die Medienbranche heiĂt das: Unternehmen haben ein reichhaltiges Portfolio an Medien, das nahezu alle menschlichen BedĂŒrfnisse nach Information und Unterhaltung abdeckt. Wir geben den Menschen Orientierung. Neben den klassischen GeschĂ€ftsmodellen konzentrieren wir uns auf den Digitalbereich und neue MĂ€rkte. Wir verbinden das traditionelle GeschĂ€ft mit dem neuen. Doch darf man nicht den Fehler machen, die GesetzmĂ€Ăigkeiten des Internets zu verkennen. Hier gibt es neue Zielgruppen und einen vollkommen neuen Markt. Im Zuge dieser neuen Entwicklung gibt es neue Marktteilnehmer, die uns zur Weiterentwicklung und Investition in neue GeschĂ€ftsmodelle drĂ€ngen. Die groĂen Gewinner der Digitalisierung sind Suchmaschinen wie Google. Das Unternehmen verkörpert geradezu idealtypisch die neue Welt und dominiert den digitalen Markt. Doch zumindest in Deutschland sind Suchmaschinen auf dem Weg zu Infrastruktur-Unternehmen, bei denen Transparenz in den GeschĂ€ftsbeziehungen erforderlich ist. Auch fĂŒr Unternehmen jenseits der Medienbranche haben sich die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren durch neue Medien und neue Kommunikationsmöglichkeiten entscheidend gewandelt. Im globalen Wettbewerb herrschen heute eine nie geahnte Preistransparenz und UnĂŒbersichtlichkeit zugleich. In den westlichen Ăberflussgesellschaften sind viele Kunden kritischer und besser informiert als je zuvor. Sie geben sich immer weniger mit der Rolle des passiven Konsumenten zufrieden, sie blicken hinter die Unternehmenskulissen, sie kaufen sehr bewusst. Auch in dieser neuen Welt haben starke Marken einen festen Platz.
Die neuen Spielgregeln der Marken
Doch die Spielregeln fĂŒr Marken sind im digitalen Zeitalter andere als noch vor zwanzig Jahren. Starke Marken heute â von Coca-Cola bis Google, von Apple bis Audi â sind Identifikationsangebote in einer unĂŒbersichtlichen Welt. Dazu mĂŒssen Marken sich fĂŒr ihre Kunden öffnen, Interaktionsmöglichkeiten bieten, ein »Wir-GefĂŒhl« vermitteln, das in gemeinsamen Werten und Ăberzeugungen wurzelt. Mit anderen Worten: Marken mĂŒssen gelebt, von der UnternehmensfĂŒhrung authentisch verkörpert und von einer glaubwĂŒrdigen (und damit motivierenden) Unternehmenskultur getragen werden.
Der Zustand der gegenwĂ€rtigen Werbung könnte in revolutionĂ€rer Anlehnung lauten: »Marketing ist tot, es lebe das Marketing!« Dieses Buches beschreibt deutlich, wie und vor allem, wohin sich das neue Marketing wandeln wird, und worauf der Kunde in Zukunft seine Aufmerksamkeit lenken wird. Weniger Analysen, Konzepte und Marketingstrategien werden Wir-Marken prĂ€gen, sondern gelebte Werte. Viele Marketingagenturen werden vergehen und an ihre Stelle Einrichtungen treten, die Menschen berĂŒhren und deren Bewusstsein erweitern. Wenn vom Ăbergang vom Wissenszeitalter zum Bewusstseinszeitalter die Rede ist, so erscheint das weit entfernt und esoterisch. Aber schon Albert Schweizer wusste: »Die Welt verĂ€ndert sich nicht durch immer neue MaĂnahmen, sondern durch eine neue Gesinnung.«
Verantwortung Werte und Vertrauen einer Marke
Wenn von Verantwortung, Werten und Vertrauen als Basis einer Marke gesprochen wird. Das ist meines Erachtens ein konsequenter, tiefer und sehr sinnvoller Ansatz. Das Konzept der Wir-Marke wendet sich an die Menschen eines Unternehmens und deren Leidenschaft. Es braucht auch die unternehmerische Energie und Gestaltungskraft von EigentĂŒmern und FĂŒhrungskrĂ€ften. Somit verschmilzt es Marketing und FĂŒhrung. Dies ist spannend, weil beides in der Regel eher getrennt gesehen und gelehrt wird. Ganzheitlich denkenden Menschen ist dies bewusst. Auch dass sich die Grenzen zwischen den Disziplinen der Betriebswirtschaft auflösen werden. Viel zu komplex ist das emotionale und seelische Konzept einer Marke geworden, das auf einen nicht minder komplexen Markt trifft.
Aber anstatt ĂŒber KomplexitĂ€t zu klagen und alte Methoden zu wiederholen, diese KomplexitĂ€t »zu managen«, sollte der Blick erweitert werden â konsequent gegen die bestehenden Allmachtfantasien und gegen die oft implizite Forderung »alles unter Kontrolle haben zu mĂŒssen«. Wir werden bald nicht mehr viel unter Kontrolle haben und sollten uns sehr schnell von diesen alten Mustern verabschieden. Die Lösung liegt im Vertrauen â nĂ€mlich Menschen zu vertrauen und auch Marken zu vertrauen.
Wie wirksam ist Werbung noch?
Vielleicht kennen Sie Henry Fords berĂŒhmten StoĂseufzer in Sachen Werbung schon. Auch in der ersten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts war es offenbar nicht einfach, Kunden gekonnt anzusprechen. Doch im Vergleich zu heute befand sich der GrĂŒnder der Ford Motor Company in einer geradezu paradiesischen Situation. Sein Produkt war so innovativ und so begehrt, dass der (Absatz-)Erfolg kaum zu vermeiden war. Hundert Jahre spĂ€ter haben sich die MĂ€rkte dramatisch gewandelt. Nicht nur bei Fahrzeugen, sondern praktisch bei jedem Angebot, vom Automobil bis zur Zahncreme, hat der Kunde die Qual der Wahl. Jeder Kleinstadt-Supermarkt fĂŒhrt mindestens ein Dutzend Sorten Senf, und vor dem KĂŒhlregal könnte man Stunden verbringen, wollte man alle Angebote vergleichen. Auf die Vielfalt der Produkte hat das Marketing mit einem wahren Trommelfeuer an Werbung reagiert. In den Neunzigerjahren schĂ€tzte man, dass jeder Konsument pro Tag durchschnittlich 3.000 Markenbotschaften ausgesetzt war. Glaubt man dem neuen Star der Marketingszene, Martin Lindstrom, ist diese Zahl inzwischen auf 5.000 angestiegen. Kein Wunder, dass die Umworbenen lĂ€ngst vor der Dauerberieselung kapituliert haben und die meisten Botschaften schlicht ignorieren. »1965 erinnerte sich der Durchschnittszuschauer an 34 Prozent der Werbespots im Fernsehen. 1990 konnte er sich nur noch 14,5 Prozent ins GedĂ€chtnis rufen«, schreibt Lindstrom in seinem Buch Brand Sense.
Zu befĂŒrchten steht, dass sich der Erinnerungswert von TV-Werbung heute, gut zwei Jahrzehnte spĂ€ter, noch einmal drastisch verringert hat. Brachten die öffentlichrechtlichen KanĂ€le es bis zur GrĂŒndung der Privatsender gemeinsam auf 20 Minuten Werbung, gehen die Experten von Serviceplan und der Gesellschaft fĂŒr Konsumforschung (Gf K) heute von 10.000 Spots tĂ€glich (!) aus.2 Und dennoch scheint in vielen Unternehmen, in den meisten Agenturen ein hektisches »Weiter so!« den Ton anzugeben. Allein in Deutschland gibt es 80.000 beworbene Marken, im Bereich »Fast Moving Consumer Goods« werden jedes Jahr rund 30.000 Artikel neu eingefĂŒhrt. Nur ein knappes Drittel dieser Produkte ĂŒberlebt das erste Jahr im Handel, rund 70 Prozent verschwinden binnen 12 Monaten wieder aus den Regalen.3 So viel zur Wirksamkeit der Werbung heute. Obwohl die Methoden der Marktforschung immer ausgeklĂŒgelter, die Kampagnen immer aufwendiger werden, drĂ€ngt sich der böse Verdacht eines Trialand-Error-Verfahrens auf, in dem man immer wieder neue Produkte in die Schlacht um die Aufmerksamkeit lĂ€ngst ĂŒbersĂ€ttigter Konsumenten wirft, in der meist vergeblichen Hoffnung, dass es dieses Mal gut gehen wird.
Das Marketing stirbt
In vielen FĂ€llen geht es aber eben nicht gut, und so wird seit Jahren die Krise des Marketings heraufbeschworen. »Weder innovative Produkte oder Dienstleistungen noch ausgeklĂŒgelte Vertriebs- und Preisstrategien oder kreative Werbung sind heute eine Garantie fĂŒr Erfolg«, schreibt etwa Klaus-Dieter Koch von der Beratung Brand Trust. »Das Marketing, wie es in den letzten Jahren in vielen Unternehmen betrieben wurde, stirbt. Die Welt der Checklisten, der sicheren Rezepte und Regeln, der richtigen Antworten und ausgefeilten Methoden bricht zusammen«, sekundiert der Schweizer Marketingexperte Otto Belz in einer Standortbestimmung. Selbst Philip Kotler, der Marketingpapst der Neunzigerjahre, beginnt Texte inzwischen gerne mit dem apodiktischen Statement: »Marketing funktioniert nicht mehr.« Symptomatisch fĂŒr ein inzwischen verbreitetes Misstrauen in die Erfolgsversprechen klassischen Marketings ist der Reflex, die Budgets gerade in Krisenzeiten drastisch
zu kĂŒrzen. Wenn Marketing funktioniert, sollte bei schwĂ€chelndem Absatz dort eigentlich mehr Geld hineinflieĂen, nicht weniger. Auch das hektische Propagieren immer neuer Erfolgsmethoden, vom Guerilla-Marketing ĂŒber Neuromarketing bis zum Social-MediaHype, ist ein ausgeprĂ€gtes Krisensymptom. Denn teure Hirnscans zeigen nur, welche (existierenden) Marken die Kunden lieben. Warum sie das tun, diese Frage beantwortet der Magnetresonanztomograph nicht, und ebenso wenig kann er Erfolgsprognosen fĂŒr die Zukunft abgeben. Es gibt keinen »Kaufen!«-Knopf im Gehirn, der sich per Scan eindeutig identifizieren lieĂe, wie Hans-Georg HĂ€usel, ein namhafter Vertreter des Neuromarketings, betont. Es ist an der Zeit, einen Moment innezuhalten und sich wieder auf das zu besinnen, was Unternehmen tatsĂ€chlich Kunden beschert: eine starke Marke. Ob Coca-Cola als Traditionsmarke oder Google als Shootingstar des letzten Jahrzehnts, ob Apple als Kultmarke in der Informationstechnologie oder Nespresso als Goldgrube im hart umkĂ€mpften Kaffeemarkt: Erfolgreiche Marken sind die LeuchttĂŒrme in einem Meer gesichtsloser Produkte. Was macht eine Marke zu einer starken Marke? â so lautet die Eine-Million-Dollar-Frage des Marketings. Es lohnt sich, diese Frage neu zu stellen, denn nicht nur die MĂ€rkte haben sich verĂ€ndert, sondern auch die Menschen. Marketing wird nicht nur deshalb schwieriger, weil es von vielem ohnehin schon zu viel gibt und jedes neue Produkt sich gegen eine groĂe Zahl von Mitbewerbern durchsetzen und um Aufmerksamkeit kĂ€mpfen muss. Marketing wird schwieriger, weil die tradierten Rezepte nicht mehr greifen. Die Kunden kapitulieren ni...