26. Mai 1985, 57° 35â 48â N und 13° 41â 19â W. Tom McClean ist allein. Mitten im Ozean hat man ihn ausgesetzt, auf einem 21 Meter hohen Felsen, umbraust von den wilden Wellen des Nordatlantiks. Als Unterkunft dient ihm nur ein PlastikgehĂ€use, das ihn notdĂŒrftig vor dem unablĂ€ssig ĂŒber ihn hinwegfegenden Sturm schĂŒtzt. Dieser Zustand, so der Plan, soll sich nun mindestens 21 Tage nicht Ă€ndern. So lange braucht es, bis McClean bewiesen hat, dass der Felsen Rockall, 300 km westlich der Hebriden gelegen, eine bewohnbare Insel ist. Und eben nicht nur ein vulkanischer Gesteinsbrocken, der allenfalls als Brutplatz fĂŒr Basstölpel dient. Der ehemalige Elitesoldat McClean ist Brite und hat ein Anliegen: Die reichen Ăl- und Fischvorkommen um Rockall sollen weder den DĂ€nen, noch den Iren oder den IslĂ€ndern zugutekommen, sondern GroĂbritannien.
Bereits seit 1955 hatten die vier Staaten versucht, den Felsen jeweils fĂŒr sich zu erobern. Nie erkannte irgendjemand diese AnsprĂŒche an. Das SeerechtsĂŒbereinkommen von 1982 jedoch gab einen völkerrechtlichen Hinweis, indem es festschrieb, dass Erhebungen aus dem Meer dann als Inseln gelten, wenn sie bewohnbar sind oder wenn auf ihnen eigenstĂ€ndige wirtschaftliche AktivitĂ€ten stattfinden können. Hierauf bezog sich der patriotische Tom McClean. Freilich erkannten Island, DĂ€nemark und Irland seine Aktion nicht als Beweis an. 40 sommerliche Tage â solange harrte er auf dem Felsen aus â, das war ihrer Meinung nach keine Kunst. Im Winter wĂŒrde ein Mensch Rockall jedenfalls nicht ĂŒberleben. Und so blieb die Felseninsel weiter staatenlos. Zwölf Jahre spĂ€ter unterstrich Greenpeace diesen Umstand und rief auf Rockall öffentlichkeitswirksam den freien Staat âWavelandâ aus, um gegen Offshore-Ălbohrungen zu protestieren.1
Szenenwechsel: MĂ€rz 2012, Kayar/Senegal. Die einheimischen Fischer sind wĂŒtend. Demonstrierend ziehen sie durch die Stadt und protestieren gegen die Entscheidung ihrer Regierung, neue Fanglizenzen an auslĂ€ndische Fischereiunternehmen zu verkaufen. Es ist die Angst um ihre Existenz, die sie auf die StraĂe treibt. Denn seit Senegal Lizenzen fĂŒr die technisch hochgerĂŒsteten Fangflotten der EuropĂ€ischen Union ausstellt, damit sie in der 200 Seemeilen-Zone fischen können, fangen die einheimischen Fischer immer weniger. Ihre kleinen Pirogen können mit den Fabriktrawlern der EU nicht mithalten, die weit drauĂen durch den Atlantik pflĂŒgen und dafĂŒr sorgen, dass viele der Fische es gar nicht erst in die NĂ€he der KĂŒste schaffen. 200 Tonnen Fisch fasst ein solcher Megatrawler â eine Piroge höchstens 10. Um ĂŒberhaupt noch etwas zu fangen, fahren die senegalesischen Fischer immer weiter hinaus, was gefĂ€hrlich ist und sich eigentlich nicht lohnt. Von den Einnahmen aus den Lizenzen sehen sie wenig, diese werden anderswo eingesetzt. Und die EU lĂ€sst sich den westafrikanischen Fisch einiges kosten â zu groĂ ist der Druck, die heimischen MĂ€rkte zu versorgen und die hochsubventionierten Fischereiflotten zu erhalten.2
Szenenwechsel: 27. Juni 2008, Karkum/Papua-Neuguinea. Der âRat indigener Bevölkerungsgruppen in der Bismarck- und Salomonenseeâ verabschiedet die âErklĂ€rung von Karkumâ.3 Anlass ist die Absicht der Regierung Papua-Neuguineas, gemeinsam mit dem kanadischen Unternehmen Nautilus Minerals Inc. in der Tiefsee vor Neuguineas KĂŒsten Meeresbergbau zu betreiben. Mit der Lizenzierung durch die Regierung kann das Unternehmen die International Seabed Authority (ISA) umgehen, die die Tiefseeressourcen auĂerhalb der nationalen Wirtschaftszonen als Gemeinsames Erbe der Menschheit verwaltet. Es sind Massivsulfide und Manganknollen, reich an seltenen Erden, deren Ausbeutung hohe Gewinne verspricht. Die in Karkum zusammengekommenen Vertreter indigener Bevölkerungsgruppen fĂŒhlen sich indes ĂŒbergangen und fĂŒrchten GefĂ€hrdungen des Ăkosystems; sie sehen auĂerdem ihre Lebensweise bedroht. In ihrer ErklĂ€rung beklagen sie die mangelnde BerĂŒcksichtigung ihrer Interessen und begrĂŒnden dies mit ihrer besonderen Verbundenheit zum Meer: âUnsere ErnĂ€hrungsgrundlage und unsere Kultur basieren auf diesem Meer, das ein untrennbarer Bestandteil unserer Kultur, unserer IdentitĂ€t und unserer Lebensweise ist. Unser Leben ist verbunden mit den KreislĂ€ufen des Meeres.â4
Die anhand dieser FĂ€lle verdeutlichten unterschiedlichen ZugĂ€nge zum Thema Meeresressourcen deuten das Spannungsfeld an, das sich zwischen diversen Einzelinteressen und globalen BezĂŒgen entfaltet. Die darin aufscheinenden Facetten und Probleme der maritimen Ressourcennutzung in einer globalisierten Welt lassen sich grob in vier Grundannahmen zusammenfassen:
1. Die Verwaltung der Ozeane und ihrer âmarinen Ressourcenâ5 erfordert offensichtlich ein Regime6, das sowohl globale Gemeinwohlinteressen als auch lokale und wirtschaftliche BedĂŒrfnisse integrierend befriedigt und damit zusammenhĂ€ngende Konflikte befriedet.
2. Staatliche SouverĂ€nitĂ€t ĂŒber natĂŒrliche marine Ressourcen konkurriert mit dem Prinzip der âGlobal Commonsâ (globale AllmendegĂŒter). Wie und in welchem AusmaĂ eine Ressource genutzt wird, entscheidet entweder ein Staat in Gestalt seiner Regierung oder Vertreter eines quasi-globalen Kollektivs.
3. Die sogenannte âOcean Governanceâ wird von diversen Akteuren in einem Mehrebenensystem verhandelt und gestaltet. Dazu zĂ€hlen Staaten, internationale Organisationen, StaatenverbĂŒnde oder -gruppen mit gemeinsamen Interessen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), aber auch WirtschaftsverbĂ€nde und Unternehmen. Diese unterschiedlichen Stakeholder agieren sowohl auf internationaler, transnationaler und nationaler als auch auf subnationaler, ergo regionaler und lokaler Ebene (manchmal nur auf einer dieser Ebenen, manchmal auch auf mehreren zugleich).
4. Das Meer ist ProjektionsflĂ€che fĂŒr zahlreiche, kulturell geprĂ€gte Naturkonzepte, aber auch â und dies ist besonders im Ressourcenkontext bedeutsam â fĂŒr teilweise deutlich miteinander konfligierende Verteilungsmodelle. WĂ€hrend beispielsweise das Konzept vom Gemeinsamen Erbe der Menschheit eine gemeinsame Bewirtschaftung und gerechte Verteilung der MeeresschĂ€tze vorsieht und dabei die Endlichkeit dieser Ressourcen annimmt, impliziert der Begriff der âFreiheit der Meereâ eine Unerschöpflichkeit, die einen uneingeschrĂ€nkten Zugriff fĂŒr jeden zulĂ€sst.
Historischer Fluchtpunkt fĂŒr diese Ăberlegungen ist die dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen (UNCLOS III), die in elf Sitzungsperioden von 1973 â 1982 stattfand und mit der Verabschiedung des SeerechtsĂŒbereinkommens endete. Inkrafttreten konnte das Ăbereinkommen erst 1994, nachdem Teile des Vertragstextes nachverhandelt worden waren und die erforderlichen 60 Staaten die Konvention ratifiziert hatten. Das Ăbereinkommen bildet das rechtliche Rahmenwerk fĂŒr die Ocean Governance und den Hintergrund der beschriebenen Sachlagen und KonfliktfĂ€lle. Mit ihr wurde die 200 Seemeilen (dies entspricht ungefĂ€hr 370 km) breite âAusschlieĂliche Wirtschaftszoneâ kodifiziert, die alle in diesem Gebiet befindlichen lebenden und nichtlebenden Ressourcen der Jurisdiktion beziehungsweise SouverĂ€nitĂ€t des jeweiligen KĂŒstenstaates unterstellt. FĂŒr die Hohe See auĂerhalb dieser Zonen gilt bis dato weiterhin die Freiheit der Meere, wohingegen die Ressourcen des darunterliegenden Meeresbodens (âthe areaâ/âdas Gebietâ) als Gemeinsames Erbe der Menschheit in der Konvention verankert und damit dem freien Zugriff entzogen sind. Das Abkommen enthĂ€lt zudem Regelungen fĂŒr den Meeresumweltschutz, die wissenschaftliche Meeresforschung sowie die friedliche Streitbeilegung. Nicht zuletzt sind der Internationale Seegerichtshof in Hamburg, die Meeresbodenbehörde (ISA) mit Sitz in Kingston/Jamaika und die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels, die in der Regel in New York tagt, Resultate der Konvention.
Mitnichten war die Seerechtskonferenz eine rein juristische Veranstaltung. Vielmehr verhandelten die Konferenzteilnehmer7 ambitioniert ĂŒber Ressourcenverteilung und damit auch ĂŒber Ressourcengerechtigkeit. Im Zuge der Seerechtskonferenz wurde das Meer von einem der âFreiheit der Meereâ unterliegenden open access good zu einem quasi-territorialisierten Raum, in dem neben der Meeresfreiheit zwei weitere GrundsĂ€tze zum Tragen kamen, nĂ€mlich das Prinzip der RessourcensouverĂ€nitĂ€t und das Prinzip des Gemeinsamen Erbes. Die Geschichte der Meere lĂ€sst sich folglich in ein âVorâ und ein âNachâ der Konferenz periodisieren und zwar in rechtlicher, geopolitischer und geoökonomischer Hinsicht. Im Hinblick auf ressourcenbezogene Verteilungsfragen kommt jedoch vor allem dem âDazwischenâ besondere Bedeutung zu.
Begreift man nÀmlich die Seerechtskonferenz als einen Transformationsprozess, wi...