1. WĂ€re Giordano Bruno mit der gbs einverstanden?
Im Hinblick auf ihn mĂŒssten eigentlich auch Mitglieder der gbs selbst bei relativ geringer Kenntnis dieses Mannes zu dem Schluss gelangen: Unsere Stiftung, die sich doch primĂ€r und schwerpunktmĂ€Ăig als Atheismus und Naturalismus versteht (dem Spiegel-Magazin zufolge: âThink-Tank der deutschen Atheistenâ), fĂŒhrt ihren Namen zu Unrecht. Giordano Bruno wĂ€re mit dieser Gesellschaft nie einverstanden gewesen, hĂ€tte seinen Namen nie fĂŒr sie hergegeben. Hauptgrund: Bruno war Pantheist, glĂŒhender, zutiefst ĂŒberzeugter Pantheist. Die meisten Mitglieder der gbs aber fĂŒrchten den Pantheismus wie der Teufel das Weihwasser, fĂŒrchten ihn mehr als den Monotheismus, einige von ihnen betrachten sogar jede Variante des Pantheismus als faschistoid oder direkt faschistisch.
Dass Bruno einen echten Pantheismus vertrat, keine âhöfliche Form des Atheismusâ (Schopenhauer), keinen âmetaphorischen oder poetischen oder aufgepeppten Atheismusâ (Dawkins), geht aus Hunderten von Aussagen Brunos hervor, so dass einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts, Sir James Jeans, mit Recht markant und lapidar konstatierte: âIn seiner Philosophie war Bruno ein Pantheistâ. Er habe die Natur als eine Welt voll Leben, Schönheit, Erhabenheit und Göttlichkeit gesehen. Bruno habe die IdentitĂ€t von Schöpfer und Schöpfung gelehrt, womit er gegen ihre von der Kirche gepredigte wesentliche Differenz verstieĂ. Aber trotz zermĂŒrbender Verhöre, schwerer Folter, Verbrennung auf dem Scheiterhaufen der Inquisition sei er bei seiner Ăberzeugung von der âgöttlichen Harmonie unseres Weltganzenâ geblieben. Er fĂŒhlte sich âwie ein StĂ€ubchen im Angesicht der Unendlichkeit und dennoch gröĂer als die Gewalt der HimmelskrĂ€fte, da ich sie begreife und teilhabe an der ewigen Weltseeleâ.
Die âGleichhaftigkeit und Göttlichkeit aller Wesenâ stand fĂŒr Bruno zweifelsfrei fest, so dass dem Vorwurf, sein Pantheismus stehe fĂŒr einen elitĂ€ren Faschismus und Rassismus, jeglicher Boden entzogen ist. Nein, so Bruno, in jedem Lebewesen, nicht nur im Menschen spiegle sich das Universum. Der Weltgeist lebe in allem und jedem und daher habe jedes Lebewesen seine unverĂ€nderlichen, unzerstörbaren Rechte.2
Eines geht jedenfalls aus allen Aussagen, die Giordano Bruno gemacht hat, ganz klar hervor: Ein atheistisches, entgöttlichtes, entzaubertes, rein materielles Universum hĂ€tte er nie akzeptiert, und deshalb sollten sich die Atheisten von der Giordano-Bruno-Stiftung nicht auf ihn berufen, seinen Namen nicht fĂŒr ihre Zwecke usurpieren. Auch Denker wie Spinoza, Leibniz, Goethe, Schelling und einige andere, die die gbs gelegentlich fĂŒr ihre Zwecke heranzieht, lieĂen sich von Brunos Pantheismus wesentlich beeinflussen und hĂ€tten auf seiner Seite und nicht der der gbs gestanden.
Zwar gibt die gbs in ihrer Propagandaschrift âAufklĂ€rung im 21. Jahrhundertâ zu, dass Giordano Bruno âkein Atheist, sondern Pantheist warâ (S. 41), zugleich kritisiert sie aber, dass âBrunos Methodik nicht der Herangehensweise der heutigen Naturwissenschaft entsprach und einige seiner mystischen Konzepte sich im Lichte moderner Erkenntnisse kaum noch nachvollziehen lassenâ (S. 8).
Somit widerlegt sich die gbs selbst, wenn sie ein paar Zeilen weiter Giordano Bruno attestiert, âGrundzĂŒge ⊠einer naturalistischen Welterkenntnisâ gefunden zu haben. Mit einer solchen lassen sich Brunos »Weltgeist« und »Weltseele« sicher nicht vereinbaren.
Mein Vorschlag zur GĂŒte: Die gbs Ă€ndere doch bitte bei derart gravierenden Differenzen einfach ihren Stiftungsnamen!
Dass Bruno laut gbs ein âgroĂer tragischer Held der Wissenschafts- und Emanzipationsgeschichteâ (S. 8) ist, reicht doch als Legitimationsbeweis nicht aus, um ein sich derart von seiner Ăberzeugung unterscheidendes naturalistisches, materialistisches und atheistisches System wie das der gbs mit seinem Namen zu schmĂŒcken.
WĂŒrdigen wir noch einmal umfassender Charakter und Werk dieses Mannes, dessen Namen sich die gbs zu Unrecht angeeignet hat. Der 1548 Geborene erscheint als der erste Vorreiter und Wegbereiter einer neuen SpiritualitĂ€t, maĂgeschneidert fĂŒr Neuzeit und Moderne. Keinen der nachfolgenden Pioniere dieser SpiritualitĂ€t wĂŒsste man zu nennen, der sich von den sprĂŒhenden Ideen Brunos nicht hĂ€tte inspirieren lassen. âDas biogenetische Grundgesetz Ernst Haeckels â er skizzierte es bereits in groben ZĂŒgen. Darwins Evolutionstheorie mit dem Kampf ums Dasein und der Selektion mit der Ausbildung des Instinkts als einer Vorstufe des Intellektes usw. â Bruno hatte auch schon dazu klare und eindeutige GedankengĂ€nge entwickelt. Aber auch einem Kant und Berkeley war Bruno voraus mit seiner Kritik der Sinne und Sinneswahrnehmung, desgleichen einem Albert Einstein durch die Hervorhebung eines allgemeinen RelativitĂ€tsprinzips. Ebenso bahnbrechende Gedanken hatte er zu einer Atomlehre und atomphysikalischen Forschung. Und selbst die Luftfahrt sagte er voraus âŠ
Spinoza war es, der seine Ethik dem LehrgebĂ€ude Giordano Brunos entnahm. Und Leibniz war es, der ⊠seine Lehre von der âPrĂ€stabilierten Harmonieâ, den Begriff Monade und das Gleichnis vom Spiegel dem âGoldbergwerkâ Giordano Brunos entliehâ.3
GroĂe Denker und Dichter der AufklĂ€rung und der Romantik beriefen sich auf ihn. Es gibt nicht wenige Wissenschaftshistoriker, die in ihm den âBegrĂŒnder der modernen Naturphilosophie und wissenschaftlichen Denkweiseâ sowie den ersten âVerkĂŒnder einer astronomisch fundierten Kosmogonieâ sehen.4
Das Staunen ĂŒber das Genie Giordano Bruno wird noch gröĂer, wenn man seinen Werdegang bedenkt. Denn mit FĂŒnfzehn tritt er freiwillig in den mittelalterlichen Orden der Dominikaner ein, und dreizehn lange Jahre lĂ€sst er deren strenge Dressur ĂŒber sich ergehen. Dann aber hĂ€lt es seinen schöpferischen Geist nicht mehr in den Mauern des Klosters und der Kirche. Ruhelos durchwandert er zunĂ€chst sein Heimatland Italien, dann die Schweiz, Frankreich, England, Deutschland, Tschechien. Ăberall konfrontiert er die Menschen mit seinem neuen Weltbild. Die Reaktion bleibt nicht aus. An der Sorbonne, damals Hochburg der Scholastik, darf er nicht mehr weiter lehren, an der UniversitĂ€t Oxford wird ihm die Lehrerlaubnis entzogen und â ironische Pointe des Schicksals! â in Deutschland waren es nicht die Katholiken, sondern die Reformierten, die ihn wegen seiner Lehren exkommunizierten und ihn von seinem Lehrstuhl an der neugegrĂŒndeten Hochschule zu Helmstedt verjagten.
Wer hĂ€tte angesichts der Tatsache, dass es ihm nicht vergönnt war, irgendwo dauerhaft bleiben zu können, ein gröĂeres Recht gehabt, in seine (italienische) Heimat zurĂŒck zu kehren als Giordano Bruno? Aber schon in Venedig, wo er sich zunĂ€chst niederlassen wollte, erwartete ihn die Inquisition, warf ihn ins GefĂ€ngnis und lieferte ihn ein knappes Jahr spĂ€ter als âFĂŒrsten der Ketzerâ an die oberste Inquisitionsbehörde in Rom aus. Sieben lange Jahre verbrachte er dort in den Kellern des Heiligen Offiziums. Nichts wurde ihm erspart, keine Folter, keine quĂ€lenden Verhöre, keine demĂŒtigenden HassausbrĂŒche seiner Peiniger. Denn man wollte ja den Triumph seines Widerrufs erzwingen.
Aber dieser Heros und MĂ€rtyrer eines spirituellen Pantheismus blieb standhaft. Als er das Todesurteil der Inquisition vernahm, reagierte er mit den Worten: âMit gröĂerer Furcht vielleicht verkĂŒndet ihr das Urteil, als ich es empfange!â Und so fand am 17. Februar 1600 auf dem Campo dei fiori ein groĂes Fest statt, in dessen Mittelpunkt die Verbrennung Giordano Brunos auf dem Scheiterhaufen stand.
Bruno hat die Echtheit und Wahrhaftigkeit seiner neuen Art von SpiritualitĂ€t mit seinem Leben bezahlt und besiegelt. Diese SpiritualitĂ€t hat er noch wĂ€hrend eines der vielen Verhöre gegenĂŒber den Inquisitoren in genialer KĂŒrze formuliert: âAuch ich habe einen Glauben, nicht unedler, als es der christliche ist! Ich bin erfĂŒllt von der göttlichen Harmonie unseres Weltganzen, wie sie â die MĂ€rtyrer â es waren von dem göttlichen Schmerz ihres gekreuzigten Messias. Ich fĂŒhle mich wie ein StĂ€ubchen im Angesicht der Unendlichkeit und dennoch gröĂer als die Gewalt der HimmelskrĂ€fte, da ich sie begreife und teilhabe an der ewigen Weltseele. Ihr habt einen Glauben, der mir geringer erscheint als der meine!â5
Auch moderne Wissenschaftler verneigen sich bewundernd vor der GröĂe des Brunoâschen Genies. So weist z.B. Sir James Jeans, einer der MitbegrĂŒnder der modernen Physik, darauf hin, dass âjede Welt ihre eigene Sonne hat, um die sie kreist. Auf diese Weise ĂŒbertrug Bruno die Astronomie ĂŒber das Sonnensystem hinaus und begrĂŒndete die moderne Ansicht des Sternensystems.
Er ging auf dem Weg, den Nikolaus von Cusa und Kopernikus eröffnet hatten, aber er war unvergleichlich revolutionĂ€rer als beide. Er rĂŒckte nicht nur die Erde, sondern auch die Sonne aus dem Mittelpunkt des Weltalls â ja es gab fĂŒr ihn ĂŒberhaupt keinen Mittelpunkt mehr ⊠Die Kirche war ĂŒber die revolutionĂ€ren Lehren des Kopernikus hinweggegangen, ohne ihre Missbilligung derselben offen zu zeigen, aber diese neue Revolution berĂŒhrte ihre Interessen viel nĂ€her. Die Religion bedeutete nur etwas, wenn der Schöpfer von seiner Schöpfung verschieden war â Bruno predigte, beide seien identisch. â Es war wesentlich fĂŒr die Kirche, dass sie Raum fĂŒr Himmel und Hölle hatte. Bis jetzt hatte sie die Hölle in das Innere der Erde versetzt und den Himmel ĂŒber die âSternensphĂ€reâ. Brunos neuer Kosmos lieĂ keinen Platz fĂŒr einen materiellen Himmel. Des Kopernikus Lehre hatte keine Umgestaltung der Religion erfordert. Nach der neuen Lehre Brunos war diese aber in vielen Teilen nicht mehr gesichert, wenn Gott nicht bloĂ ein Stammesgott des Planeten Erde werden sollteâ.6
Einige Bestandteile von Brunos Welt- und Menschensicht scheinen wichtig, gĂŒltig und wesentlich auch fĂŒr eine SpiritualitĂ€t der Gegenwart zu bleiben, wohlgemerkt: fĂŒr eine einen personalen Gott negierende SpiritualitĂ€t, die sich gleichzeitig aber auch nicht als atheistische versteht.
Derartige Bestandteile sind:
1. Die nicht personal aufgefasste âuniverselle Gestaltungskraftâ in der gesamten Natur. Bruno nennt sie auch âunendliche Ursacheâ, âunendliche Kraftâ. Diese Ursache, so gewaltig sie auch ist, ist aber ihm zufolge âim gewissen Sinne immanent, wohnt den natĂŒrlichen Dingen inne, ist die Natur selberâ. Das scheint mir ein gĂŒnstiger AnknĂŒpfungspunkt an die heute in der Evolutionsbiologie gelehrte »Selbstorganisation der Lebewesen« zu sein.
2. Wie gesagt, diese universelle Gestaltungskraft ist nicht als göttliche PersonalitĂ€t aufzufassen, aber sie ist nach Bruno auch nicht blind, sondern intelligent, nicht materiell und gefĂŒhllos, sondern empfindend, beseelt. Es ist die âWeltseeleâ im innersten Kern der Natur, alles durchdringend, sozusagen durchatmend und stĂ€rkend.
âJenes Wesen, das wir Gott nennenâ (aber jetzt in einem anderen Sinn als der christliche Gott), âist innerlicher in allem, als man sich die Form des Ganzen denken kann ⊠man schlieĂt daraus, dass Jegliches in Jeglichem ist und dass also alles Eins ist ⊠in der Vielheit Einheit und Einheit in der Vielheitâ.
3. Somit ist das Göttliche in uns, unserem Innersten, und dieses Göttliche in einem jeden von uns ist die Basis aller HumanitĂ€t, die Grundlage und Garantie unverĂ€uĂerlicher menschlicher WĂŒrde.
âWir brauchenâ, sagt Bruno, âdie Gottheit nicht in der Ferne zu suchen, sondern wir haben sie in unmittelbarer NĂ€he, ja in uns selber, wir leben und wohnen in ihr.â In Versform sagt es Bruno noch einmal: âWas sucht Ihr das Paradies in der Ferne? In der eigenen Brust sind Eure Sterne!â
4. Wer aber daraus einen Speziesismus, Elementarismus, Rassismus gegenĂŒber den nichtmenschlichen Lebewesen herauslesen möchte, der sei daran erinnert, dass Bruno ganz entschieden die âGleichhaftigkeit und Göttlichkeit aller Wesenâ betont. In jedem Lebewesen, nicht nur im Menschen, so Bruno, spiegle sich das Universum. Der Weltgeist lebe in allem und jedem und daher habe jedes Lebewesen seine unaufgebbaren Rechte. Den vielfachen Arten und Methoden heutiger Tierverwertung und -ausbeutung, -vernichtung und deren brutalen Verursachern und Organisatoren sei Brunos Diktum entgegengehalten: âEin Ding, sei es so klein und winzig, wie es wolle, es hat in sich einen Teil der seelischen Substanz, die, sobald sie einen geeigneten TrĂ€ger findet, sich entwickelt, sei es zu einer Pflanze, sei es zu einem Tier, und Glied eines beliebigen Körpers bildet, der gemeinhin beseelt genannt wird; denn Seele (als Empfinden) findet sich in allen Dingen, und es ist auch nicht das kleinste Körperchen, das nicht einen solchen Anteil davon hĂ€tte, dass es sich nicht belegen könnte.â
In dieser Beseeltheit und Gleichhaftigkeit allen Lebens trifft sich der grenzenlos offene Geist Brunos mit ostasiatischen SpiritualitĂ€tsformen, von denen der Philosoph der PhĂ€nomenologie Max Scheler mit Recht sagte, sie sĂ€hen alle Wesen in einer âGroĂen Demokratie alles Seienden vereintâ. Alles Hierarchische, Hierokratische sei...