Predigtstudien 2021/2022 - 2. Halbband
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Predigtstudien 2021/2022 - 2. Halbband

Perikopenreihe IV

Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm GrÀb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian StÀblein, Birgit Weyel, Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm GrÀb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian StÀblein, Birgit Weyel

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Predigtstudien 2021/2022 - 2. Halbband

Perikopenreihe IV

Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm GrÀb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian StÀblein, Birgit Weyel, Johann Hinrich Claussen, Wilfried Engemann, Wilhelm GrÀb, Doris Hiller, Kathrin Oxen, Christopher Spehr, Christian StÀblein, Birgit Weyel

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Die Predigtstudien sind eine bewĂ€hrte Arbeitshilfe fĂŒr die qualifizierte und fundierte Predigtvorbereitung. Sie enthalten praxisorientierte Anregungen fĂŒr die Predigt und die Gestaltung des Gottesdienstes. Jeder Predigttext wird von zwei Theologinnen/Theologen aus Gemeindearbeit, Kirchenleitung und Wissenschaft bearbeitet. Dieser Dialog verbindet wissenschaftliches Niveau mit homiletischer Praxis.

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Informations

Éditeur
Kreuz Verlag
Année
2022
ISBN
9783451824876
1. Sonntag nach Trinitatis – 19.06.2022
A
Lukas 16,19–31
Lazarus – eine Zu-Mutung
Lars Christian Heinemann
I Eröffnung: GrÀben
»In all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft.« Diese Kluft besteht nicht nur zwischen den schönen und den weniger annehmlichen Regionen des Totenreichs. Ein Graben liegt auch zwischen materiell Reich und Arm, Leid und Trost, der Welt der Toten und der der Lebenden, der Unbedarftheit frĂŒherer Zeiten, das Leben nach dem Tod auszumalen, und unserer ZurĂŒckhaltung an dieser Stelle – ein Graben liegt zwischen dem Predigttext und mir.
Denn nicht nur der prassende und achtlose Reiche bleibt mir fremd. Sondern auch Lazarus, jenseits der durch (s)einen Namen angedeuteten IndividualitĂ€t ein leeres Blatt, reines Objekt, ohne erkennbare SubjektqualitĂ€ten. Abraham, zwar freundlich im Ton, in der Sache aber knallhart. Ja, Gott selbst, im Hintergrund der Geschichte, von Jesus erzĂ€hlt – einer, der sich, hat man ihn einmal nicht gehört, nicht bitten und nicht erweichen lĂ€sst?
II Erschließung des Textes: Gott hilft
Vorab: Kunstgeschichtlich wie popkulturell ist – von Rembrandt bis hin zu David Bowies letzter, unmittelbar vor dem Tod erschienener Single Lazarus – mit dem Namen Lazarus zumeist die Geschichte aus Joh 11 aufgerufen, in der Christus diesen aus dem Tod ins Leben zurĂŒckholt. Mit jener Geschichte teilt unser Text nur den Namen des Protagonisten.
Der Name – allein hier wird die Figur eines ntl. Gleichnisses namentlich benannt – markiert zugleich eine entscheidende Pointe des Textes: Elazar, »Gott hilft« bzw. »Gott hat geholfen.« Dazu spĂ€ter mehr.
Eine ursprĂŒngliche Fassung des Textes reichte wohl bis V.26. Thema waren Arm und Reich bzw. deren spiegelverkehrtes Geschick in Leben und Tod. Die Erweiterung in V.27–31 verschiebt mit Mose und den Propheten (V.29.31) den Fokus. Mit V.31 rĂŒckt das Thema der Auferstehung (Jesu Christi) ins Blickfeld. FĂŒr die Predigt bieten sich so – quer zur Leitthematik des VerhĂ€ltnisses von Diesseits und Jenseits – drei Themen an: Arm und Reich, die bleibende Bedeutung Moses und der Propheten sowie die Frage der AutoritĂ€t der Auferweckung.
Nachfolgend soll der Themenpfad Arm/Reich verfolgt werden. Denn zum einen gerĂ€t die Figur des Lazarus, ob des anhaltenden Dialogs des Reichen mit Abraham, ab V.27 aus dem Blick, die Negativfigur rĂŒckt ganz ins Zentrum. Zum anderen mag die GrunderzĂ€hlung in V.19–26 jesuanisch sein (Eckey, 718; dagegen Klein, 552).
Letzterer Aspekt gewinnt an Bedeutung, wenn man sich fragt, an wen sich das Gleichnis wendet: Wer ist die Identifikationsfigur fĂŒr die Hörenden – seinerzeit wie heute? In der vorliegenden Gestalt drĂ€ngt sich der Reiche auf, eine sozialkritisch-mahnende Predigt legt sich nahe. Eine Alternative eröffnet sich, wenn man der Spur eines ursprĂŒnglich jesuanischen Kerns der Geschichte folgt und die inhaltliche NĂ€he zu den Seligpreisungen und Weherufen hinzunimmt (Lk 6,20f.24f.). Identifikationsfigur ist dann Lazarus, die Adressat/innen sind die Armen, Grundintention des Gleichnisses ist nicht Mahnung, sondern Trost: »Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer.« (Lk 6,20)
Die Frage, wie es Arm und Reich nach dem Tod ergehen wird, bewegte auch die altorientalische Umwelt. Bei aller verblĂŒffenden ParallelitĂ€t der Geschichten war dort das jenseitige Geschick jedoch letztlich ethisch festgemacht: In einer Ă€gyptischen VolkserzĂ€hlung geben SĂŒnden und gute Taten den Ausschlag, bei Lukian die besonnene Sittsamkeit des Armen gegenĂŒber der ZĂŒgellosigkeit des Reichen, in der rabbinischen Geschichte die eine SĂŒnde bzw. das eine gute Werk (Eckey, 719–721; Bovon, 113–117). Als Maßstab fungiert also nicht die Frage von Armut und Reichtum an sich, sondern der sog. Tun-Ergehen-Zusammenhang bzw. das Modell einer konnektiven Gerechtigkeit (Jan Assmann).
Anders hier: Vom Reichen wird nicht gesagt, dass er aggressiv auf Kosten des Armen lebt, ihn etwa ausbeutet. Vom Lazarus wird nicht erzĂ€hlt, dass er arm geworden ist, weil er etwa seinerseits Besitz an BedĂŒrftige abgegeben hĂ€tte. Arm und Reich stehen merkwĂŒrdig unverbunden nebeneinander und gewinnen kaum ethisches Profil. Postmortal werden die Positionen schlicht getauscht, ohne dass auf ein aktives Verhalten der Antagonisten abgehoben wĂŒrde. Gerade mit Blick auf die anderweitig erstaunliche ParallelitĂ€t zu den Texten der Umwelt verbirgt sich hier eine entscheidende Pointe.
III Impuls: Lazarus – in mir
Die Thematik Arm/Reich legt eine ethisch-sozialkritische Predigt nahe. »Lazarus und Lampedusa«, so eröffnete der Beitrag der Predigtstudien fĂŒr das Jahr 2015 (vgl. zudem die Beispiele unter www.predigtpreis.de). 2021 sind sofort die fassungslose Scham und Wut angesichts des Umgangs mit den sog. OrtskrĂ€ften beim Abzug der westlichen MilitĂ€rs aus Afghanistan Ende August prĂ€sent, auch im Jahr 2022 wird an Beispielen kein Mangel sein. Im Weltmaßstab sind »wir« die Reichen, und auch gesellschaftsintern gehört der Großteil der Kerngemeinde wie der Predigenden materiell wohl kaum auf die Seite des Lazarus. FĂŒr die Predigt bleibt so die Dissonanz, dass wir zwar emotional »Team Lazarus« sein mögen, de facto aber das Leben des Reichen leben, und das nicht schlecht. Es besteht die Gefahr, dass im Modus der (Selbst-)Kritik im Namen Christi doch wieder dem Reichen das BĂŒhnenlicht gehört, wĂ€hrend Lazarus nur als Schatten des eigenen schlechten sozialen Gewissens erscheint.
Eine Alternative ergibt sich, wenn Lazarus in den Mittelpunkt gestellt wird. Dann irritiert zunÀchst dessen extreme PassivitÀt: Als Subjekt wird er nur erkennbar, wo er die Essensreste begehrt. Im postmortalen Dialog Abrahams mit dem Reichen ist er lediglich Objekt der Forderungen und Bitten des Letzteren. Jenseits seiner Armut und Krankheit bleibt Lazarus ein leeres Blatt. Entsprechend schwer fÀllt die Identifikation mit ihm.
Und gleichzeitig liegt hier eine Pointe – und zwar eine hochgradig reformatorische. Denn obwohl Lazarus rein gar nichts Gutes tut, obwohl er nicht einmal irgendetwas leistet, im Grunde keine SubjektqualitĂ€ten besitzt, findet er sich in Abrahams Schoß wieder. Mit seinem Namen: Gott hilft. Und eben nicht: Lazarus, der Reiche, irgendein Mensch hilft. Jesu Gleichnis erweist sich als massiv theozentrisch – fĂŒr uns und fĂŒr unsere Zeit nicht eben leicht auszuhalten.
Spitze ich die Geschichte des Lazarus so zu, dann ist sie eine Zumutung im doppelten Sinne: Die reine PassivitĂ€t zu ertragen, strengt an. Wie gerne wĂŒrde ich helfen! – und sei es mit Hilfe einer Predigt, die entschieden Partei zugunsten der Armen und Kranken ergreift und mich als Teil der reichen Welt dafĂŒr Kreide fressen lĂ€sst. Aber eben auch das Moment des Trostes, des Mutes, der so zukommt: Noch das, was in den Augen dieser Welt hoffnungslos erscheinen muss, arm, krank, verlassen, schwach, den Hunden vorgeworfen, noch hilft dem Gott. Oder besser: Genau dem hilft Gott. SchĂ€rfer, radikal-reformatorisch: Allein dem hilft Gott.
Diesen passiven, hilflosen Anteilen wĂŒrde ich in der Predigt nachspĂŒren. Und zwar als Anteilen in uns – den Hörenden und mir –, die wir eben nur materiell auf die Seite des Reichen gehören. Was an/in mir ist Lazarus?, so könnte eine Leitfrage in der Vorbereitung lauten. Neben Seiten, wo Reichtum herrscht – im ĂŒbertragenen Sinne: Leistungsbereitschaft und Erfolg, StĂ€rken, alles, was sich gut sehen lassen kann – treten so Seiten, die arm sind, und auf Gottes Hilfe angewiesen. Kommen letztere Anteile sonst eher selten zur Sprache, kann an diesem Sonntag der Fokus auf ihnen liegen.
So ist etwa das Thema Sucht sicherlich eines, das in den unterschiedlichsten AusprĂ€gungen quer durch alle Gesellschaftsteile geht – wobei der/die SĂŒchtige der eigenen Sucht gegenĂŒber qua Definition weitestgehend machtlos ist, und also eben passiv wie Lazarus. Dabei denke ich nicht nur an Alkoholismus, TabakabhĂ€ngigkeit oder Online- bzw. Internetsucht als weitverbreiteten PhĂ€nomenen. Ich denke auch an die Sucht, bestĂ€ndig Leistung bringen oder gefallen zu mĂŒssen, an die Sucht, gegenĂŒber der Partnerin oder dem Partner, den Kindern oder auch sich selbst gegenĂŒber negativ und destruktiv zu kommunizieren. Ich denke an die Sucht nach Harmonie, an die Sucht nach Streit 
 an das Gesamt der Muster also, das uns selbst und unserer Umwelt das Leben zur Hölle machen kann. Möge Gott doch hier helfen! – diese verzweifelte Bitte dĂŒrfte nun wirklich jede/r kennen.
IV WerkstĂŒck Gottesdienst: Predigt (Übergang)
Lazarus, wie er im Mittelmeer ertrinkt, damit wir hier in Europa unter uns bleiben, reich und satt. Lazarus, wie sie unten in der Konstablerwache im MĂŒll nach Flaschen stochert. Lazarus, wie er auf der Zeil um Geld oder etwas zu Essen bettelt. Die Lazarusse der Welt, vor meinem reichen Haus.
Und doch, liebe Schwestern und BrĂŒder, gibt es noch einen anderen Lazarus. Auch er steht meistens nicht im Zentrum, sondern am Rand. Es ist der Lazarus in uns, in dir und in mir.
Denn natĂŒrlich, an Geld fehlt es den meisten von uns wohl kaum. Und seien das keine ReichtĂŒmer – im Maßstab des großen Ganzen sind die meisten von uns trotzdem an der Seite des Reichen, und nicht auf der des Lazarus. Klar: materiell! Aber das ist ja nicht alles. Arm kann man auch sein, wenn das Geld da ist.
Dieser andere Lazarus ist das, was an mir gar nicht toll und reich und prĂ€chtig ist. Die Anteile, die nicht hell scheinen und die mich nicht wie Purpur kleiden. Es sind die Anteile, die arm sind, ja krank, mit denen wir uns nicht einfach selbst helfen können. Die Anteile, bei denen wir Hilfe benötigen. Lazarus – Gott hilft.
Was ist das, dieses Arme und Kranke, in uns? Wo bin ich so passiv, dass ich Hilfe brauche? Wie sieht er aus, dieser Lazarus in uns, in dir und in mir?
Literatur: Wilfried Eckey, Das Lukasevangelium unter BerĂŒcksichtigung seiner Parallelen, Teilband II: 11,1–24,53, Neukirchen-Vluyn 22006; Hans Klein, Das Lukasevangelium (KEK I/3), Göttingen 2006; François Bovon, Das Evangelium nach Lukas (EKK III/3), Neukirchen-Vluyn 2001.
B
Anna Böllert
IV Entgegnung: Zwei unsympathische Typen – aber wo ist Gott?
Ich teile das GrundgefĂŒhl von A: Dem Text ist schwer beizukommen, das Evangelium muss ihm mĂŒhsam abgerungen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die ErzĂ€hlung vom reichen Mann und armen Lazarus weder durch Jesus eingeleitet noch ausgelegt wird. Sie steht fĂŒr sich und fordert die Leser und Hörerinnen – ja wozu eigentlich?
A konzentriert sich auf die Gestalten des Reichen und des Lazarus und hadert mit deren PassivitĂ€t. Auch mir stĂ¶ĂŸt die GleichgĂŒltigkeit auf, mit der beide das Schicksal des jeweils anderen beĂ€ugen. Lazarus und der Reiche machen nicht nichts falsch, sondern sie machen einfach: nichts. Und damit provoziert der Text mich zumindest in der Erstbegegnung zu einer produktiven Konfrontation mit den beiden Figuren.
Zum Reichen: Gegen die Lesart von A sehe ich die UntĂ€tigkeit des Reichen nicht ethisch neutral. Wer jeden Tag ĂŒber einen Armen hinwegsteigt, um in seinen Palast zu kommen, darf sich nicht wundern, dass er sich damit nicht den Platz in Abrahams Schoß sichert. Denn geboten ist der wohlhabenden Oberschicht, zu der der Reiche wohl gehört, nicht nur, niemanden bewusst auszubeuten – sondern eben auch jene Ignoranz zu ĂŒberwinden, mit der ich den Reichen naserĂŒmpfend seinen purpurnen Rock heben sehe, damit sein Saum nicht versehentlich die GeschwĂŒre des Armen streift. Da fordern Mose und die Propheten mehr – gegenĂŒber dem Reichen und in einer sozialkritischen Auslegung und Predigt auch von uns: nĂ€mlich die Armut nicht erst dort zu wahrzunehmen, wo sie uns einen Schild ins Gesicht hĂ€lt mit der Aufschrift »Ich habe Hunger« und wir uns herablassen, ihr ein GeldstĂŒck zuzuwerfen mit dem guten Rat, nicht alles fĂŒr Alkohol auszugeben – nur, damit uns selbst der Wein am Abend noch schmeckt. So beschĂ€mt die Armut zuvorderst nicht Lazarus, sondern den Reichen in seiner Tatenlosigkeit und uns in unserem Wegsehen.
Zu Lazarus: Mein Problem mit der Perikope ist, dass mir auch Lazarus nicht sympathisch wird. Er bleibt farblos, meinungslos, ohne eigenen Text und ohne eigenen Schritt. Erst liegt er vor dem Haus des Reichen, dann wird er von den Engeln getragen, dann liegt er in Abrahams Schoß. Diese Apathie nervt mich, macht mich gar wĂŒtend. Lazarus erweckt bei mir einen so unterwĂŒrfigen Eindruck, dass ich ihm unterstelle: HĂ€tte Abraham es zugelassen, er hĂ€tte sich noch im Himmel vom reichen Mann zum Laufburschen machen lassen – nicht aus einer eigenen Position der Hilfsbereitschaft oder des Mitleides heraus, sondern schlicht aus DuckmĂ€usertum und Ergebenheit. Mir kommt das PhĂ€nomen der erlernten Hilflosigkeit in den Sinn, die durch negative Erfahrungen gewonnene Grundhaltung, sich selbst nicht aus seiner Lage befreien oder auch nur irgendeine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können.
Überhaupt wirft das Stichwort Hilfe ein spannendes Licht auf die Figur des Lazarus: A entdeckt im Namen des Lazarus – Gott hilft/Gott hat geholfen – die rettende Pointe des Textes. Aber ich frage mich: Wo steckt Gott in diesem Text? Dass Lazarus in den Himmel und gleich in den Schoß Abrahams einzieht, klingt fĂŒr mich fast wie ein Automatismus, den Abraham dem Reichen auch bereitwillig erklĂ€rt: »Gedenke, Kind, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, er aber leidet Pein.« (V.25)
Was fĂŒr ein Gottesbild steckt dahinter? Erwarte ich von Gott nicht eigentlich rettendes Eingreifen – gerade im Durchbrechen von solchen Strukturen und Mechanismen? Wo ist die Gnade, wo das Erbarmen?
So vage Gott bleibt, so deutlich wird der Predigttext ĂŒberraschenderweise hinsichtlich zweier son...

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