Charles Taylor: Ein sÀkulares Zeitalter
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Charles Taylor: Ein sÀkulares Zeitalter

Michael KĂŒhnlein, Michael KĂŒhnlein

  1. 254 pages
  2. German
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Charles Taylor: Ein sÀkulares Zeitalter

Michael KĂŒhnlein, Michael KĂŒhnlein

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Charles Taylor gehört zu den international renommiertesten Philosophen der Gegenwart. Sein Werk vereinigt auf der Grundlage einer philosophischen Anthropologie starker Wertungen Sprach-, Sozial- und politische Philosophie zu einer umfassenden GĂŒtertheorie der Moderne, die in Taylors Opus Magnum A Secular Age (2007; dt.: Ein sĂ€kulares Zeitalter, 2009) ihren brillanten Abschluss findet. Obwohl noch jung an Jahren, gehört dieses Buch bereits jetzt schon zu den Klassikern der philosophischen Ideengeschichte: In komplexen GedankenfĂŒhrungen erzĂ€hlt Taylor dabei von dem Einstellungswandel im Sozialprestige unserer "FĂŒlle"-Vorstellungen, um die Entstehung des sĂ€kularen Denkens zu erkunden. Dabei spannt er den erzĂ€hlerischen Bogen von den Reformbewegungen des Hochmittelalters ĂŒber die vertragstheoretischen Disziplinierungsmodelle bis hin zum ausgrenzenden Humanismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Dieses Werk wird nun von international ausgewiesenen Fachvertretern durchgĂ€ngig kommentiert, um auf diese Weise Interpretationshilfen fĂŒr ein SchlĂŒsselwerk der Sozialphilosophie anzubieten.

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Informations

Éditeur
De Gruyter
Année
2018
ISBN
9783110409604
Édition
1
Michael KĂŒhnlein

1EinfĂŒhrung: Taylors Gegenwart

Charles Taylor zĂ€hlt zu den einflussreichsten Philosophen der Gegenwart. Sein Werk ist in den letzten Jahren vielfach prĂ€miert und international ausgezeichnet worden – bis hin zur Verleihung des „inoffiziellen“ Nobelpreises fĂŒr Philosophie, den Kluge-Preis, den er 2015 gemeinsam mit JĂŒrgen Habermas entgegennehmen durfte. Damit wurden aber zugleich zwei Denker philosophisch ausgezeichnet, die in ihren Arbeiten pikanterweise von den tragenden Selbst-Vorstellungen der Moderne abgewichen sind: Denn sowohl Habermas als auch Taylor eint die Überzeugung, dass die freiheitlichen Errungenschaften der Moderne auf Dauer nur mit der Religion und nicht gegen sie zu retten sind. WĂ€hrend Habermas hierfĂŒr ein ‚postsĂ€kulares‘ Lernmodell zwischen Vernunft und Religion vorschlĂ€gt, setzt Taylor bei den vorbegrifflichen Sinnbedingungen unseres Daseins an, um bereits auf der Ebene der Selbst-Interpretation den Code des sĂ€kularatheistischen Vernunftdenkens zu entschlĂŒsseln. Nicht sĂ€kulare Übersetzbarkeit (Habermas), sondern die kosmopolitische Anerkennung von spiritueller Vielfalt ist Taylors Weg aus den Malaisen der Moderne. Die Aura des SĂ€kularen – bei Taylor verweht.
Dieses ausgleichende, auf die Überwindung von GegensĂ€tzen abzielende philosophische Naturell ist mit Taylors eigener Biographie auf das Engste verknĂŒpft: 1931 in Montreal geboren, wĂ€chst er in einer traditionell konfliktreichen, mithin ambivalenten Kultur auf, die durch die (politische) Zweisprachigkeit einer eigenstĂ€ndig-frankophonen und einer föderal-angelsĂ€chsischen Lebenswelt geprĂ€gt ist. Schon frĂŒh ist er also mit den Erfahrungen sozial-politischer HeterogenitĂ€t vertraut – und mit den daraus resultierenden Problemen von Anerkennung und Missachtung, von Autonomie und Differenz, von Integration und Ausgrenzung. Taylors Motivation, diese dissoziativen FliehkrĂ€fte der modernen Gesellschaft einzudĂ€mmen, wird deshalb bereits in jungen Jahren zu einer verlĂ€sslichen Quelle seines politischen Handelns; zwar scheitert er mit seinem sozialdemokratischen Engagement fĂŒr die NDP (New Democratic Party) gleich mehrfach bei Mandatswahlen fĂŒr einen Sitz im House of Commons, doch seine Kritik an einer liberal-individualistischen Politik bleibt in Kanada ĂŒber diese parlamentarischen Misserfolge hinaus weiterhin einflussreich (vgl. dazu Honneth 1988; Rosa 1998; Breuer 2000).
Die politischen Ambitionen Taylors sind zu dieser Zeit freilich noch ohne genaue sozialphilosophische RĂŒckkopplung; und eine besondere AffinitĂ€t zu religionsphilosophischen Fragestellungen lĂ€sst sich schon gar nicht ausmachen: ZunĂ€chst studierte Taylor nĂ€mlich an der McGill UniversitĂ€t in Montreal Geschichte; danach wechselte er nach Oxford, um sich der Philosophie zu widmen. Diese Entscheidung brachte ihn in Kontakt mit seinem lebenslangen Lehrer und Freund Isaiah Berlin. Nach seiner Promotion 1961 (The Explanation of Behaviour, veröffentlicht 1964), die eine entschiedene Kritik am Naturalismus formulierte, kehrte er wieder nach Kanada zurĂŒck; zunĂ€chst als Assistenzprofessor, ab 1962 dann als ordentlicher Professor fĂŒr Philosophie und Politikwissenschaften an der UniversitĂ€t in Montreal.

1.1Hegel

In dieser Zeit, bis zu seinem erneuten Lehrstuhlwechsel nach Oxford 1976, arbeitete Taylor an seiner großen Hegel-Monographie (1975; dt. 1978), die dadurch aufhorchen ließ, dass sie Hegel als einen philosophischen Zeitgenossen portrĂ€tierte, mit dessen Hilfe die FreiheitsirrtĂŒmer der Moderne erstmals umfassend auf den Begriff gebracht werden konnten: „Hegel war [
] einer der grĂŒndlichsten Kritiker desjenigen Begriffs der Freiheit, der diese als AbhĂ€ngigkeit nur vom Selbst definierte. Mit bemerkenswertem Einblick und großer Voraussicht zeigte er dessen Leere und potentiell zerstörerische Wirkung.“ (1978, 747) In dieser frĂŒhen Theoriephase war es also vor allem Hegel, der das Interesse Taylors an einer tieferen Durchdringung des modernen Unbehagens geweckt hat. Er war fasziniert von dessen Versuch, jene Synthese philosophisch zu verwirklichen, „nach welcher die romantische Generation suchte und nach welcher sich das gesamte Zeitalter sehnte, nĂ€mlich: die sich selbst ihr Gesetz gebende rationale Freiheit des Kantischen Subjekts mit der im Menschen vorhandenen Einheit des Ausdrucks und mit der Natur zusammenzubringen“ (ebd., 707). Diese spirituelle Verstehensquelle der modernen IdentitĂ€t hat Taylor immer wieder angezapft – auch wenn Hegels Name in den spĂ€teren Publikationen nicht mehr regelmĂ€ĂŸig fĂ€llt. Seine ZurĂŒckhaltung in der causa Hegel lĂ€sst sich wohl am ehesten damit begrĂŒnden, dass Taylor schon damals die identitĂ€re Logik des Absoluten nicht geteilt hat, von der Hegel meinte, sie seiner Metaphysik unbedingt ĂŒberstĂŒlpen zu mĂŒssen (vgl. ebd., 706f.).
In den darauffolgenden Jahren, die mit philosophischen LehrtĂ€tigkeiten an den UniversitĂ€ten in Oxford (1976–1981) und Montreal verbunden waren (ab 1979), bemĂŒhte sich Taylor deshalb verstĂ€rkt darum, das spekulative Grundsatzprogramm Hegels in eine Anthropologie starker Wertungen umzuarbeiten; so sollten Hegels Einsichten in die expressive Verstehensnatur unseres Handelns gewahrt bleiben, ohne ihren Ausdruck an die geschichtlichen IdentitĂ€tsmanifestationen eines absoluten Geistes zu binden. Doch die weiteren Artikulationsversuche des Guten mussten Taylor von den eingeschlagenen Pfaden Hegels wegfĂŒhren. Denn ihm wurde schnell klar, dass es nicht mehr darum ging, identitĂ€tslogische Sackgassen zu vermeiden; vielmehr musste er insgesamt das philosophische Genre wechseln und eine andere ErzĂ€hlweise entwickeln, um dem ursprĂŒnglichen ausdruckstheoretischen Protest Hegels einen modernen Ausdruck verleihen zu können. Denn wĂ€hrend Hegel von versöhnten Geist-VerhĂ€ltnissen ausging, die der Philosoph in einer Endgeschichte des Begriffs nachzuerzĂ€hlen hatte, betrachtet Taylor post-hegelisch die ErzĂ€hlung selbst als dramatisches Narrativ, in dem sich das Subjekt mit den Transformationen seines SelbstverstĂ€ndnisses auf das Tiefste verbindet. Was also Hegel vormals an ExpressivitĂ€t auf das kosmische Geistgeschehen ĂŒbertragen hatte, nimmt Taylor im Laufe der Zeit wieder zurĂŒck und konzentriert sich auf die vom Vernunftsystem unterdrĂŒckten kreativen Ausdruckspotenziale des Menschen.

1.2Die vergessenen Quellen des Selbst

In dieser Zeit des Nachdenkens fĂ€llt die Entstehung der großen Publikation ĂŒber die Quellen des Selbst (1989; dt.: 1994). Sie liest sich in weiten Teilen wie eine weiterfĂŒhrende Kritik Hegels an den Freiheitsverstellungen des politischen Liberalismus – dieses Mal aber mit der hermeneutischen Pointe, dass ihre Artikulationen nicht hinter dem absoluten Geist, sondern hinter dem historisch bereits erreichten Ausdrucksniveau des Guten zurĂŒckbleiben. Taylor versucht daher, das Unbehagen an der Moderne (so ein weiterer Buchtitel von 1995) von der Genealogie der neuzeitlichen IdentitĂ€t her zu beantworten. Mit der peniblen Rekonstruktion ihrer Entstehungsgeschichte will er an jene konstitutiven GĂŒter erinnern, die (wie Platons Idee des Guten, der christliche Theismus oder der romantische Naturbegriff) einmal fĂŒr den Selbstausdruck der Moderne bestimmend waren – und es nun nicht mehr sind, weil das Desengagement der Vernunft die instrumentelle Kontrolle ĂŒber unsere GefĂŒhle und Handlungen ĂŒbernommen hat. Insofern droht die Moderne, an sich selbst zu ersticken, weil sie ihre Verbindung zu den eigenen Ausdruckswurzeln interpretatorisch kappt.
FĂŒr Taylor kulminiert daher die Selbstbejahungskrise der Moderne in der menschlichen UnfĂ€higkeit zur Bejahung des Guten. Dieses Unvermögen verhindert einen dauerhaften authentischen Freiheitsausdruck in den Selbsteinstellungen der modernen SubjektivitĂ€t. Denn ohne Bejahung reduziert sich die Welt auf das, was sie ist, wobei in einer solchen naturalistischen Erkenntnishaltung ein sinnvolles Sprechen ĂŒber die Dialektik der AufklĂ€rung nach Taylor auch nicht mehr möglich wĂ€re. Hier vermutet er also in den Versuchen der liberalistischen Gegenseite, die Pathologien der Moderne rein mit den autonomen Mitteln der Vernunftkritik durchdenken zu wollen, einen expressivistischen Selbstwiderspruch: „Auch unter der Voraussetzung, daß wir die WĂŒrde der desengagierten Vernunft oder die GĂŒte der Natur vollstĂ€ndig anerkennen, fragt es sich, ob das tatsĂ€chlich ausreicht zur Rechtfertigung der Wichtigkeit, die wir ihr beimessen, des moralischen Werts, den wir ihr zuschreiben, oder der Ideale, die wir darauf errichten.“ (1994: 561; vgl. dazu KĂŒhnlein 2008; ergĂ€nzend: Abbey 2000, 195 ff.).
Taylors Ausdrucksanthropologie will also Wirklichkeit nicht nur einfach beschreiben, sondern selbst hervorbringen. Und zu dieser inhaltlichen Vermittlungsform des Guten gehört eben nicht nur Kunst und Philosophie, sondern auch Religion, um in der klassischen Trias von Hegel zu bleiben. Mit diesen Überlegungen weist Taylor der Religion nun endgĂŒltig eine tragende Rolle in der BewĂ€ltigung der Malaisen der Moderne zu. Denn ihre semantischen Ressourcen zur Wiederherstellung unserer Disposition zur Bejahung des Guten hĂ€lt er im Grunde fĂŒr unverwĂŒstlich; sie sind aus Taylors Sicht „unvergleichlich viel grĂ¶ĂŸer“ (1994, 894) als reine Vernunftlösungen: Die „zentrale Verheißung einer göttlichen Bejahung des Menschlichen“ gilt ihm als umfassender, als „sie von Menschen ohne Hilfe“ (ebd., 898) jemals hĂ€tte ersonnen werden können.
Mit diesem persönlichen Glaubensbekenntnis endet Taylors Buch zu den Quellen des Selbst. Die damit verbundene normative Aufwertung des Theismus konnte er zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch nicht validieren, denn dafĂŒr hĂ€tte er nicht eine Geschichte ĂŒber die neuzeitliche IdentitĂ€t, sondern vielmehr eine Geschichte ĂŒber den Mythos und die Wirklichkeit der SĂ€kularisierungstheorie selbst schreiben mĂŒssen. Doch dafĂŒr hatte Taylor Ender der 1980er Jahre noch nicht die begrifflichen Mittel; allerdings war die zukĂŒnftige Argumentationsstrategie aufgrund der ideengeschichtlichen Vorleistungen Taylors bereits vorgegeben: Denn wenn es keinen philosophischen Grund mehr geben konnte, Gott oder die Religion aus den modernen SelbstverstĂ€ndigungsprozessen herauszulassen, konnte mit den linearen Entzauberungsteleologien (im Sinne von Max Weber) irgendetwas nicht stimmen; der Sinn des SĂ€kularen musste demnach in etwas anderem bestehen als in der bloßen Auslöschung des Sakralen. Die Antwort darauf lieferte Taylor in seinem Opus magnum 18 Jahre spĂ€ter.

1.3Über die nicht erzĂ€hlte Hintergrundgeschichte des sĂ€kularen Zeitalters

Charles Taylors monumentale Studie ĂŒber Ein sĂ€kulares Zeitalter zĂ€hlt gegenwĂ€rtig zu jenen raren BĂŒchern, die die philosophischen, politischen und religiösen Herausforderungen der Zeit angenommen und begriffen haben. Hier hat der luzide Hegel-Kenner Taylor von Hegel offensichtlich viel gelernt – ohne sich von ihm allerdings intellektuell abhĂ€ngig zu machen. Denn anders als Hegel geht es ihm nicht um das objektivistische Begreifen einer Universalgeschichte aus der Sicht des Absoluten oder um dessen religionssoziologische Übersetzung in sĂ€kular-teleologische Stellvertretungstheorien wie bei Max Weber, sondern er schlĂŒpft meisterhaft in die Rolle des homo narrans, der die verborgene, aber komplementĂ€re Hintergrundgeschichte zur Geschichte des Westens zu erzĂ€hlen versucht.
Taylors ErzĂ€hlmotive nehmen dabei ihren Anfang im sozial-expressivistischen ‚Unterbau‘ des sĂ€kularen Wandels: Sie sollen jene normativen VerĂ€nderungen in den vorgĂ€ngigen kulturellen Sinn- und Verstehensbedingungen des Guten zum Ausdruck bringen, die sich auf die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen Imaginationsformen immanent ausgewirkt haben. (Den Begriff des ‚Unterbaus‘, den meines Wissens nach Taylor so nicht verwendet, setze ich hier bewusst ein, um Taylors methodisches Vorgehen der Artikulation von ökonomisch-materialistischen Interpretationen des gesellschaftlichen Überbaus in der Nachfolge von Marx und Engels zu unterscheiden.) FĂŒr Taylor ist Geschichte deshalb immer schon artikulierte Geschichte und in den Kreislauf der ewigen WiedererzĂ€hlung eingeschlossen – sie kann also nie auserzĂ€hlt oder von einem hermeneutisch privilegierten Nullpunkt der Erfahrung, dem meta-ethischen „Blick von nirgendwo“ (Nagel 1992), fortschrittsideologisch eingefroren werden: Nicht Entzauberung, sondern die „Entzauberung der Entzauberungstheorie“ (KĂŒhnlein 2014, 127) ist Taylors narratives Mantra der Moderne.
Diese expressivistische Wende in den neutralen Selbstdarstellungsmedien der aufgeklĂ€rten Vernunft, die man analog zur kopernikanischen Wende Kants in der Erkenntnistheorie auch als eine hermeneutische Kopernikanisierung der sozialwissenschaftlichen Denkungsart bezeichnen könnte, verĂ€ndert die ErzĂ€hl-Statik der Moderne von Grund auf. Denn Taylor geht es hier nicht mehr um das apriorische Festschreiben einer sĂ€kularen IdentitĂ€t, die sich quasi in dem Moment unwiderruflich zu formieren beginnt, wo die Religion ihren eigenen TĂ€uschungen erliegt. An dieser meta-ethischen Darstellung einer archimedischen Punktlandung der zeitlos-liberalen IdentitĂ€t in der westlichen Ideengeschichte hegt Taylor grundstĂ€ndige Zweifel, da sie ihre eigenen WertĂŒberzeugungen naturalistisch verschleiern und wesentlich „subtraktionslogisch“ argumentieren mĂŒsse: „Dieser Subtraktionsgeschichte zufolge ist die Moderne das Ergebnis des Wegwischens des alten Horizonts, und der moderne Humanismus könne nur durch das Schwinden Ă€lterer Formen zustande gekommen sein. Nur als Resultat des Todes Gottes sei er denkbar. Daraus folgt, daß man die humanistischen Anliegen eigentlich nicht rĂŒckhaltlos vertreten kann, wenn man die alten Überzeugungen nicht abgeschĂŒttelt hat. Man kann nicht wirklich in der Moderne angekommen sein und dennoch an Gott glauben. Oder wenn man trotzdem glaubt, hat man Vorbehalte und steht zumindest teilweise – und vielleicht insgeheim – auf der gegnerischen Seite.“ (955)
DemgegenĂŒber favorisiert Taylor einen ErzĂ€hlstil, der den sĂ€kularen Wertewandel zunĂ€chst einmal von den kulturhistorischen Rahmenbedingungen des Guten her verstĂ€ndlich zu machen versucht. Dabei interessiert ihn besonders die Frage, inwieweit die verĂ€nderten Einstellungen in den sĂ€kularen Auffassungen der menschlichen Natur auf einen verĂ€nderten Ausdruck in unseren moralischen Selbstwahrnehmungen zurĂŒckzufĂŒhren sind. Das Sein bestimmt also nicht mehr das Bewusstsein, sondern das Bewusstsein in die Welt gestellter Subjekte „umgreift“ (zu diesem wichtigen Begriff vgl. Jaspers 41987, 38ff.) das Sein – zumindest in der Weise, als dass ersichtlich wird, dass es keine unabhĂ€ngige wissenschaftliche Entdeckung gibt, die nicht durch vorgĂ€ngige Wertentscheidungen des Guten motiviert worden wĂ€re. So ist der Aufstieg der modernen Naturwissenschaften nach Taylor nur denkbar, weil er im Glauben an die SouverĂ€nitĂ€t Gottes fest verankert ist. Die Mechanisierung des Weltbildes verteidigt die göttliche Wahlfreiheit und entschĂ€rft die existenzielle Theodizeefrage (Leibniz). Insofern fĂŒhrt die Entdeckung der Natur „keinen Schritt, nicht einmal einen Teilschritt“, aus der „religiösen Auffassung“ heraus (169); auch der sĂ€kulare Humanismus der Moderne ist fĂŒr Taylor kein rein epistemisches Projekt, da er in seinem universellen WohltĂ€tigkeitsstreben eine tiefe LoyalitĂ€t zum christlichen Erbe erkennen lĂ€sst (vgl. 956). Und das Gleiche gilt schließlich auch fĂŒr den Atheismus der Gegenwart: Dessen moralische Anziehungskraft fĂŒhrt Taylor nicht auf den natĂŒrlichen Tod Gottes zurĂŒck (Nietzsche), sondern auf das Ideencharisma eines radikalen Existierens, wie es in dem Gedanken der unvordenklichen Selbstwahl zum Ausdruck kommt (Sartre, Camus). In den transzendenten Ablehnungsmotiven lĂ€sst sich somit eine vorgĂ€ngige „ethische Einstellung“ identifizieren, die nach Taylor „zur Abgeschlossenheit drĂ€ngt“ (913).
In dieser Perspektive ist der Erfolg des sĂ€kularen Denkens vor allem einem neuen Erleben der conditio humana geschuldet, die durch die individualistischen Wertvorstellungen eines autonomen SelbstverstĂ€ndnisses performt wird. Hier wird allerdings nichts mehr ‚entdeckt‘, was nicht schon vorher im Zirkel menschlichen SelbstverstĂ€ndnisses ontologisch angelegt ist. Jede Theorie bleibt daher von der Art ihrer ErzĂ€hlung abhĂ€ngig. Hier gibt es nichts mehr, was sich ‚autonom‘ oder ‚neutral‘ konstruieren ließe. Und in diesem Sinne bringt nach Taylor der sĂ€kulare Wandel im menschlichen Erfahrungsbegriff kein meta-ethisches Faktum ĂŒber die objektive Natur des Menschen zur allgemeinen Kenntnis, sondern er etabliert vielmehr eine weitere Ausdruckskonkurrenz in den tradierten Beziehungen auf das Gute, die motivational in einer alternativen Auffassung von Ethik verankert ist – einer Ethik, die jetzt von den humanistischen Idealen der souverĂ€nen Selbstbehauptung angetrieben wird. Das anhaltende Mysterium des sĂ€kularen Erfolges ist fĂŒr Taylor also letztlich in den vorgĂ€ngigen ethischen Einstellungen zu suchen: „In Wirklichkeit ist die Erfahrung durch eine leistungsfĂ€hige Theorie zurechtgestutzt worden, die den Primat des Individuellen, des Neutralen und des Innerpsychischen als Ort der Gewissheit fordert. Welcher Motor treibt diese Theorie? Nun, bestimmte ‚Werte‘, Tugenden, VorzĂŒge – nĂ€mlich die des unabhĂ€ngigen, desengagierten Subjekts, das reflektiert und selbstverantwortlich [
] seine eigenen Denkprozesse steuert. Darin liegt eine bestimmte Ethik der UnabhĂ€ngigkeit, der Selbstbeherrschung, der Selbstverantwortung und des Kontrolle ermöglichenden Desengagements. Diese Haltung setzt Mut voraus sowie die Weigerung, sich mit den billigen Bequemlichkeiten der AutoritĂ€tshörigkeit, den Tröstungen der verzauberten Welt oder der Kapitulation vor den Regungen der Sinne abzufinden. Dieses ganze von ‚Werten‘ durchsetzte Bild, das ein Ergebnis der sorgfĂ€ltigen, objektiven und voraussetzungslosen Forschung sein soll, wird jetzt so prĂ€sentiert, als sei es von Anfang an da gewesen und habe den ganzen Prozeß der ‚Entdeckung‘ vorangetrieben.“ (933 f.)
Mit diesem Einblick in die expressivistischen Voraussetzungen des epistemischen Vernunftstrebens richtet sich Taylors ErzĂ€hlziel neu aus. Oder um es griffiger zu formulieren: Taylor strebt eine umfassende ‚Motivationsgeschichte‘ der Moderne an, in der die wissenschaftliche Entdeckung des SĂ€kularen vor dem Hintergrund der Neubildungen der moralischen IdentitĂ€t rekonstruiert wird. Nicht die institutionelle VerdrĂ€ngungskraft, sondern die verĂ€nderte Wahrnehmung auf unsere IdentitĂ€t, auf „unseren Ort in der Welt und den impliziten Werten“ (943), steht im Mittelpunkt einer solchen ErzĂ€hlung. Taylors Geschichte ist also eine Geschichte ĂŒber die beweglicher gewordenen ontologischen Rahmenbedingungen des Guten, die aus dem Gottesglauben eine Option gemacht haben. WĂ€hrend subtraktionslogische Vorstellungen hier nur einseitige BegrĂŒndu...

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