Norbert Friedrich
Verbandsprotestantismus und Zweiter Weltkrieg
Folgt man bisherigen Darstellungen und Forschungen, so ist das vorliegende Thema eigentlich gar keins: entweder sparen die einschlägigen Darstellungen die Kriegszeit ganz aus oder behandeln sie als Appendix. Viele Darstellungen lassen den Vereins- oder Verbandsprotestantismus im Prinzip mit dem Kirchenkampf enden, und dieser âKampf in der Kirche um die Kircheâ umfasste nach der einschlägigen Definition von Joachim Mehlhausen lediglich die Jahre 1933/3433, andere ziehen zwar die Linien weiter aus, legen aber keinen Schwerpunkt auf die Jahre nach 1939, dies gilt beispielsweise auch fĂźr die einschlägige Darstellung zur Inneren Mission von Jochen-Christoph Kaiser.34
Die Argumentation fĂźr diese Darstellung ist dabei immer ähnlich: Die den Vereinsprotestantismus tragenden Milieus hätten sich aufgelĂśst, die finanzielle Basis der Vereine sei weggebrochen, die kirchenpolitische Polarisierung habe die Kirche gestärkt, die Vereine aber geschwächt; viele hätten sich der Gleichschaltung nicht entzogen, entziehen kĂśnnen, hätten bereitwillig mitgemacht auch im vorauseilendem Gehorsam. Einziges Ziel der noch bestehenden Vereine sei es gewesen, âihre Existenz nicht zu gefährdenâ, so jedenfalls die vorwurfsvoll klingende und wohl auch so gemeinte Aussage des Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Meier.35 Seine Darstellung ist ein guter Beleg fĂźr diese Sichtweise: Meier widmet dem Gustav-Adolf-Verein und dem Evangelischen Bund nur einen knappen Absatz (bei 700 Seiten insgesamt), auch die Innere Mission kommt nur mal am Rande zur Sprache im Zusammenhang mit dem Geistlichen Vertrauensrat. Ansonsten dominiert in der Darstel lung massiv âdie Kircheâ, der Focus ist die Kirchenleitung, sind Theologen. Dabei wird vergessen, dass viele Vereine und auch Verbände nicht nur weiterexistiert haben, sie haben weitergearbeitet, haben sich arrangiert oder auch nicht, haben Ziele gehabt. Eine Ausnahme in der Forschung bildet â neben Jochen-Christoph Kaiser â ein Aufsatz von Ellen Ueberschär, der den Verbandsprotestantismus aus der geschlechterspezifischen Perspektive behandelt. Ueberschär geht von folgender These aus:36âVon einem Ăberleben der Vereinsarbeit ist nur fĂźr diejenigen Vereine zu sprechen, die entweder ohnehin weibliche Handlungsfelder abdeckten, oder fĂźr die, in denen Frauen männliche Tätigkeitsfelder besetzten.â37
Ob diese These tatsächlich fßr alle Vereine gelten kann, bedarf sicher noch weiterer sozialgeschichtlicher Forschungen. Klar scheint aber zu sein, dass hier durch die Genderperspektive ein neues Erklärungsmuster sowohl fßr den Verbandsprotestantismus als auch fßr die verfasste Kirche gibt. An einigen Vereinen und Verbänden sollen wenige Spezifika fßr die Kriegszeit benannt werden. Da man die Geschichte der Vereine und Verbände im Zweiten Weltkrieg nicht von den Jahren 1933/34, in den sich das Regime festigte und in denen eine zentrale Transformation der Rolle von Kirche, Vereinen und Staat stattfand, trennen kann, muss die Vorgeschichte knapp mit betrachtet werden. Innere Gespanntheit, Aufgaben und Freiraum etc., erklären sich nur aus der Vorgeschichte, aus der Ausrichtung der Vereine und Verbände.
Die Vereine und Verbände sind dabei Kinder des 19. Jahrhunderts, sie sind, wie Jochen-Christoph Kaiser schreibt âein zentrales Element der modernen BĂźrgerlichkeit zur Mobilisierung des Kirchenvolkes gegen die Säkularisierung und zur Wiederverchristlichung der Gesellschaftâ gewesen.38
Es entstand im 19. Jahrhundert, in mehreren Etappen ein differenziertes Verbandsspektrum, wobei man insgesamt acht Typen unterscheiden kann39, die die Spannweite des Protestantismus abdecken konnten. Schon in der Wachstumsphase des Verbandsprotestantismus war er einem hohen AuĂendruck ausgesetzt, dies gilt besonders fĂźr die Weimarer Republik, wo Staat und Kirche ihren Einflussbereich auf die klassischen Gebiete des Vereinsprotestantismus auszudehnen suchten.
Sozialpolitische Vereine
Viele der sozial- bzw. gesellschaftspolitischen Vereine innerhalb des deutschen Protestantismus fßhrten so schon vor 1933 nur noch ein Schattendasein, nach 1933 gelang es ihnen jedoch oftmals, sich der Gleichschaltung zu entziehen. Ich nenne hier den Evangelisch-sozialen Kongress oder den Kirchlich-sozialen Bund, beide kÜnnen kurz dargestellt werden, da sie besondere Aktivitäten nicht mehr entfalteten.40
Der Kirchlich-soziale Bund, der 1932/33 in einer schweren Finanz- und Personalkrise stand, agierte faktisch kaum noch, er wurde, nach mehreren vergeblichen Wiederbelebungsversuchen erst 1941 aufgelĂśst, die Geschichte des Verbandes endete im Zweiten Weltkrieg. Resignation und das Empfinden, keinen angemessenen Platz fĂźr den Bund im nationalsozialistischen Deutschland zu finden, haben zur AuflĂśsung gefĂźhrt; der Bund sah keine EntfaltungsmĂśglichkeit mehr, Personal stand nicht zur VerfĂźgung.
Etwas anders sieht die Geschichte des Evangelisch-sozialen Kongresses aus, der bis in die Nachkriegszeit hinein existierte, wobei fĂźr die lange Existenz das Engagement und die Arbeit des langjährigen Generalsekretärs Johannes Herz ausschlaggebend gewesen sein dĂźrften.41 Bis 1940 konnte man, vor einer begrenzten Ăffentlichkeit, Jahresversammlungen abhalten, wobei man eine hohe Anpassungsleistung an die NS-Ideologie konstatieren muss, gerade in sozialpolitischen Fragen. Als eine ideologische BrĂźcke diente dabei auch die nationalsoziale Terminologie, wie sie Friedrich Naumann gepflegt hatte. Als widerständige Organisation lässt sich der Evangelisch-soziale Kongress sicher nicht beschreiben.
Der auf den städtischen Raum konzentrierte Verein war von den zunehmenden Einschränkungen des Krieges, der Kriegswirtschaft und besonders der Luftangriffe und ZerstÜrungen stark betroffen, Aktivitäten sind kaum noch zu finden.
Was fßr die sozialpolitischen Vereine gilt, kann auch fßr viele karitative Vereine gesagt werden. Das Blaue Kreuz beispielsweise, welches sich 1933 bereitwillig und freudig hatte gleichschalten lassen, bemßhte sich, seine Arbeit auch unter den Bedingungen des Krieges und der sich verstärkenden Eingriffe des Nationalsozialisten in die einzelnen Vereine und Verbände fortzusetzen.42 Wieder fällt die enorme Anpassungsleistung auf, dazu treten die Berichte ßber die Einschränkungen der Kriegszeit durch die Vernichtung der eigenen Häuser etc. Dabei erzeugte der Krieg offensichtlich auch eine depressive Stimmung, gerade in den Jahren 1940/41 scheinen viele Vereine ßber eine Aufgabe nachgedacht zu haben, dies gilt fßr das Blaue Kreuz43, aber auch fßr diakonische Verbände, auf die ich noch eingehen werde.
Zuvor muss aber noch eine wesentliche Entwicklung auf politischem Gebiet angesprochen werden: die offene und subtile Bekämpfung von Vereinen und Verbänden, von Kirchen und kritischen Organisationen durch die sich verschärfende Pressegesetzgebung der Nationalsozialisten. Gerade fĂźr viele Vereine und Verbänden stellten die Publikationen wichtige Kommunikationsmittel dar; hier konnten Informationen weiterge geben werden, hier konnten Leitlinien entwickelt bzw. weitergegeben werden, gemeinsame Positionen entwickelt werden, Informationen ausgetauscht werden. So trafen auch die massiven Einschränkungen Vereine und Verbände im Kern. Häufig war, durch die Kriegswirtschaft Papierknappheit das Argument. Mit dem faktischen Verbot wurde eine lange protestantische Pressetradition beendet, nach 1945 konnte sich die Kirchenpresse in dieser Form nicht wieder bilden.44 Besonders im diakonischen Bereich gab es jedoch, z.T. erst durch schwierige Verhandlungen erreicht, Ausnahmen fĂźr vereinsinterne Publikationen. Damit konnte dann zumindest eingeschränkt der Informationsfluss unter den Mitarbeitern und Mitgliedern sichergestellt werden. Anders als die in Nischen beheimateten kleinen Vereine â häufig nur von einer Idee und Aufgabe getragen â war die Innere Mission positioniert, die noch immer ein in bestimmten Bereichen geduldeter wichtiger Anbieter auf dem sozialen Sektor war.
Im Folgenden sollen am Beispiel des Kaiserswerther Verbandes die Handlungsspielräume und Probleme des Verbandsprotestantismus im Zweiten Weltkrieg näher studiert werden.
Der Kaiserswerther Verband im Dritten Reich45
Der 1916 gegrĂźndete Kaiserswerther Verband ging organisatorisch geschwächt in das Jahr 1933, nachdem er in der Weimarer Republik sowohl einen raschen Aufstieg wie einen jähen Sturz verkraften musste. 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg als eine innerdeutsche Interessenbewegung der Mutterhäuser Kaiserswerther Prägung gegrĂźndet, kĂźmmerte sich der Verband um einen ganzen StrauĂ von Fragen, von der Diakonissentracht bis zur Altersversorgung, von wirtschaftlichen Fragen bis zu verbandspolitischen Interessen. Zielpunkt war jeweils der Austausch und die Vereinheitlichung unter den selbstständigen Mutter häusern sowie die Vertretung nach auĂen. Der Versuch, einen Ausgleich zwischen den groĂen und kleinen Mutterhäusern zu erreichen, bestimmte die Arbeit. Der Verband hat unter den Bedingungen des Weimarer Wohlfahrtsstaates zunächst eine erfolgreiche Entwicklung genommen. Man stellte einen hauptamtlichen Verbandsdirektor ein â Johannes Thiel (1874-1941)46 â sowie einen weiteren Referenten, Pastor Ernst Siebert. 1927 errichtete man das Referat Kinderpflege, Leiterin wurde Auguste Mohrmann (1891-1967)47. In Berlin-Wilmersdorf richtete man schlieĂlich auf eigenem GrundstĂźck eine Geschäftsstelle ein.
Der VerbandsgeschäftsfĂźhrer D. Johannes Thiel, vormals Vorsteher des Diakonissenhauses Berlin-Bethanien, war ein Multifunktionär, fest eingebunden in die Strukturen des Central-Ausschusses und der freien Wohlfahrtsverbände. Mit dem Devaheim-Skandal48, dem groĂen Finanzskandal der Inneren Mission, geriet auch der Verband in Unruhe. Der VerbandsgeschäftsfĂźhrer war in den Skandal involviert, er musste von seinem Amt zurĂźcktreten, damit stand der Verband vor seiner grĂśĂten Krise. Diese bestimmte di...