Ich wohne jetzt schon drei Monate bei den Vogels. Die Familie Vogel, das sind Ruth und Sven mit ihrem kleinen Sohn Fabian. Wie es angefangen hat? Tja, gute Frage. Also, eine Freundin hat mich vorgestellt. Ich habe ein neues Zuhause gebraucht und meine liebe Freundin Claudia hatte diese super Idee: „Die Vogels haben ein großes Haus und viel Platz“, hat sie gemeint. „Die vermieten manchmal auch Zimmer an Studenten und so.“
Also sind wir zusammen zu den Vogels gefahren und Claudia hat ihnen meine Situation erklärt. Die Familie hat mich freundlich angesehen und hatte viele Fragen. Aber das ist normal: Natürlich will man Informationen über einen neuen Mitbewohner: Wer ist das? Woher kommt er? Was macht er so? Ach ja, auch das Essen war ein Thema. Vegetarier: Ja oder nein? Das hat die Eltern sehr interessiert. Lieber Bratwurst oder lieber Pizza? Das war für Fabian wichtig. Mit den Antworten waren alle ganz zufrieden, glaube ich.
Sie haben mich sympathisch gefunden. Und ich sie auch. Sie waren also einverstanden und eine Woche später habe ich schon bei ihnen gewohnt.
Ein Glück für alle, denke ich. Die Vogels sind eine tolle Gastfamilie. Und ich bin ein guter Mitbewohner, finde ich. Nicht schwierig und sehr ruhig. Sonntags spielt Fabian oft mit Freunden sehr laut im Wohnzimmer. Aber das stört mich nicht. Ich höre gerne Musik, aber ganz leise. Ich habe fast nie Gäste. Nur Claudia kommt manchmal auf einen Tee.
Ich bin gerne mit Leuten zusammen, aber ich kann auch gut alleine sein. Ich will nicht nerven. Das ist alles.
Und: Ich kann gut zuhören. Herr Vogel hat das sofort verstanden und findet das super. Abends sitzt er manchmal mit einem Bierchen lange bei mir auf dem Sofa und erzählt mir seine Geschichten. Sehr spannende Geschichten.
„Amadeo versteht mich“, sagt er oft zu seiner Frau, „dem Amadeo kann ich alles sagen.“ Sie muss da immer ein bisschen lachen. Ich glaube, Frau Vogel findet unsere „Männerabende“ etwas komisch. Aber die Geschichten interessieren sie natürlich auch. Da bin ich fast sicher.
Frau Vogel ist auch freundlich, aber nicht so herzlich wie Sven. Manchmal bringt sie mir ein kleines Geschenk mit, aber sie spricht nicht viel mit mir. Ich denke, sie findet mich ziemlich langweilig. Wie schade!
So ist das, oder besser gesagt: So war das. Bis jetzt. Denn gestern Abend ist etwas passiert ... Also: Es ist spät, ich schlafe schon fast. Da höre ich jemanden an der Tür.
Herr Vogel, denke ich. Will er mit mir reden? So spät?
Aber es ist … Frau Vogel! Frau Vogel kommt in mein Zimmer, im
Pyjama und mit einem Glas Wein in der Hand.
Was macht die denn hier?
Schon ist sie direkt vor mir. Mit großen Augen sehen wir uns an. Das ist wirklich noch nie passiert. Was will sie von mir? „Na, mein Freund, wie geht’s dir?“, beginnt sie. „Du, ich muss dir etwas sagen. Ich …“
Sie spricht nicht weiter. In diesem Moment öffnet sich die Tür und Herr Vogel steht im Zimmer.
Oh nein, was muss der jetzt denken? Frau Vogel und ich, so spät, so zusammen … das findet er sicher gar nicht lustig.
Aber er bleibt ganz ruhig und kommt langsam zu uns.
„Hey, ihr zwei Hübschen, was macht ihr da?“ Er sieht mich an.
„Na, Amadeo, was erzählt sie dir?“
Was soll ich tun? Ich bleibe ganz ruhig. Auch Frau Vogel sagt nichts. Kein Wort.
Langsam legt er den Arm um seine Frau, gibt ihr ein Küsschen und sieht wieder zu mir. „Dem Amadeo kann man alles sagen, nicht wahr? Der Amadeo versteht uns.“
Glück gehabt, denke ich, Herr Vogel ist gar nicht böse. Er hat kein P...