Kosmetik und Hygiene
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Kosmetik und Hygiene

von Kopf bis Fuß

Wilfried Umbach, Wilfried Umbach

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Kosmetik und Hygiene

von Kopf bis Fuß

Wilfried Umbach, Wilfried Umbach

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Der wissenschaftliche Fortschritt ist unaufhaltsam. Seit der 2. Auflage hat es auf den Gebieten der Kosmetik und der Hygienemittel sowie der Nachbardisziplinen bedeutende Weiterentwicklungen gegeben. Für die Neuauflage wurden daher die Kapitel grundlegend überarbeitet und aktualisiert. Einen breiten Raum nehmen neue biochemische Erkenntnisse zu Vorgängen in der Haut, physikalische bzw. physikalisch-chemische Messmethoden zur Wirksamkeitsbestimmung, neue Formulierungstechniken in der Produktentwicklung, weitere Optimierung des Verbraucher- und Umweltschutzes sowie der aktuelle Stand der EU-Gesetzgebung ein. Neu aufgenommen wurden die Kapitel über Definition und Bewertung von Cosmeceuticals, neue Erkenntnisse in der Altershautforschung und Herstellung von Parfümölen. Das Werk gibt einen breit gefächerten Überblick über kosmetische Mittel und Hygienemittel von der Forschung über Entwicklung und Anwendung bis zur Herstellung der verschiedenen Produktgruppen unter Berücksichtigung der toxikologischen, dermatologischen und mikrobiologischen Absicherung. Das Buch richtet sich vorwiegend an Chemiker, Biochemiker, Lebensmittelchemiker, Chemieingenieure, Dermatologen, Toxikologen, Mikrobiologen, Pharmazeuten und Physiker mit Tätigkeitsschwerpunkt Kosmetik, Studenten dieser Fachrichtungen, Fachkosmetiker, Mitarbeiter und Verantwortliche des Kosmetik-Marketings, der Untersuchungsämter, der Verbraucherschutzverbände, Wissenschaftsjournalisten und last but not least Kosmetik-interessierte Laien.

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Information

Publisher
Wiley-VCH
Year
2012
ISBN
9783527663507

1

Historische Entwicklung der Kosmetik

1.1 Kulturelle und religiöse Einflüsse auf die Kosmetik

Kosmetik ist mehr, als nur das Körperäußere zu pflegen und zu verschönern. Kosmetik bedeutete auch immer, auf sichtbare, riechbare und fühlbare Weise der Welt und den Mitmenschen zu begegnen. Diese Art der Begegnung hat mit dem jeweiligen Weltverständnis und dem daraus abgeleiteten Menschenbild zu tun. Damit ist Kosmetik unauflösbar mit Religionen und Kulturkreisen verwoben, mehr noch, sie spiegelt die Grundbefindlichkeiten wie auch die technischen Möglichkeiten des Menschen wider.
Im „Darüber hinaus“ der Religion weigert sich der Mensch, seine biologische Begrenztheit anzuerkennen. Wo wird das deutlicher sichtbar als in den Totenkulten der einzelnen Völker, besonders eindrucksvoll dort, wo das Weiterleben nach dem Tod mit der Unversehrtheit der Körperhülle in Zusammenhang gebracht wird? Die Ägypter der Pharaonenzeit entwickelten aus dieser Vorstellung eine ausgefeilte Nekrokosmetik (Abb. 1.1-1) mit Balsamierungstechniken, die heute noch Bewunderung hervorrufen.
Die Religion gab über die Jahrtausende hinweg maßgebliche Impulse für die kosmetische Gestaltung. Bei einer Reihe von afrikanischen Völkern werden bei Initiationsriten Mädchen und Jungen im Gesicht oder am ganzen Körper weiß bemalt, um damit das Absterben – den Tod der Kindheit – und daran anschließend die Wiedergeburt zu symbolisieren. In Indien kennzeichnet ein kleiner kreisförmiger weißer Fleck über der Nasenwurzel die Zugehörigkeit zur Brahmanenkaste.
Die gegenseitige Beeinflussung griechisch-idealistischer Philosophie und christlicher Religion erzeugte vielfach Kosmetikfeindlichkeit. Da der Mensch aber gar nicht anders kann, als sich mit seinem Äußeren zu zeigen, also immer auch ein „anthropos kosmetikos“ ist, kam es aus dieser geistigen Konstellation heraus zu charakteristischen Kosmetikhandlungen: Die Tonsur der Mönche galt als Zeichen ihrer Öffnung für das Göttliche; im 11. Kapitel des 1. Korintherbriefes legte Paulus frommen Frauen und Mädchen das Tragen langer Haartrachten nahe. Kreuzritter ließen sich oftmals ein Kruzifix eintätowieren, um sich dadurch im Todesfall ein christliches Begräbnis zu sichern.
Obwohl Kosmetik zweifellos das Ergebnis eines menschlichen Grundgefühls ist, steht sie seit jeher im Kreuzfeuer der Kritik. Warum? Zum einen: Kosmetik hat mit der Herausstellung der Person zu tun. Persönliche Motive oder persönlicher Geschmack aber sind anfechtbar. Eine Veränderung des Körperäußeren kann als narzisstisch, eitel, wenig anmutend oder sogar hässlich beurteilt werden. In den 1960er-Jahren wurden die „Pilzfrisuren“ der Beatles abgelehnt; heute wundert man sich über das irokesenhafte Aussehen der „Punks“ oder fürchtet sich vor gewalttätigen glatzköpfigen Rechtsradikalen. Zum anderen: Kosmetik folgt nicht nur großen, über Jahrzehnte beständigen Bewusstseinsströmungen, sondern spiegelt ebenso kurze Modewechsel wider und wird daher gern mit dem Attribut „oberflächlich“ gekennzeichnet. Aus alledem leitet sich das Schillernde und zum Widerspruch Reizende der Kosmetik ab. Das Wort „Kosmetik“ selbst zeigt diese Ambivalenz. „Ho kosmos“ ist im Griechischen die Schönheit, die aus der Ordnung kommt. War im alten Sparta der „kosmetes“ noch der hoch angesehene Ordner, der, mit erheblichen Rechten ausgestattet, über die gegenseitige Rücksichtnahme zu wachen hatte, so war schon kurze Zeit später derselbe Wortstamm negativ belegt: „He kosmeter“ ist die eitle, oberflächliche Putzjungfrau. Diesem Auf und Ab kosmetischer Wertschätzung begegnen wir über die Jahrtausende. Das Mittelalter legt Wert auf die unsterbliche Seele des Menschen und verdammt folgerichtig die Eitelkeit menschlicher Schönheitspflege. Von der Renaissance an beginnt der Mensch, sich von geistlichklerikaler Vorherrschaft zu befreien, und wird sich selbst zum Maßstab aller Dinge. Dementsprechend legt er größten Wert auf seine äußere Erscheinung. Selbst in unserer rational bestimmten Zeit erleben wir die ambivalente Haltung zur Kosmetik auf Schritt und Tritt. Von jeder Litfaßsäule lachen uns kosmetikgepflegte Menschen an. Wenn es aber darum geht, Sündenböcke für gesellschaftliche Malaisen zu finden, dann steht die Kosmetik an vorderster Front. Tierversuche für die Kosmetik, für menschlichen Luxus also, wer kann das verantworten?!
Abbildung 1.1-1 Grab des Neb-Amun, Theben: Klagende Witwen vor Mumien (aus Hawkes, J., 1977)
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1.2 Die Kosmetik in den einzelnen Kulturepochen

1.2.1 Kosmetische Praktiken in sehrfrühen Kulturen

Aus Funden in Alicante und Lascaux wissen wir, dass schon in prähistorischer Zeit Frauen ihre Gesichter mit roter Farbe bemalten. Ähnliche Praktiken haben sich bei Naturvölkern in Reservaten bis in unsere Tage erhalten; z. B. bemalen sich die Jivaro-Indianer im Amazonasgebiet mit eigenartigen Mustern; die Papuas bemalen ihre Gesichter und schmücken sich mit schillernden Federn von Paradiesvögeln, um ihre Schönheit und männliche Stärke zur Geltung zu bringen.
Mit dem Auftreten der Völker in Indien und im Vorderen Orient nimmt unser Wissen auf dem Gebiet der Kosmetik schlagartig zu. Assyrer, Chaldäer und Babylonier verbrannten in öffentlichen Tempeln oder in Hausschreinen aromatische Substanzen, Harze, spezielle Hölzer oder Riechgummen. Sie legten damit die Anfänge der Parfümerie. Das alte Ägypten könnte man als die Wiege der Kosmetik bezeichnen. Beide Geschlechter dieses alten Kulturvolkes schminkten Lippen und Wangen in verschiedenen Rottönen, zogen die Brauen mit Stibium (Antimon) nach und färbten die unteren Augenlider mit pulverisiertem Malachit. Zur Färbung der Haare waren Henna und Indigo weit verbreitet (Abb. 1.2-1). Auch das jüdische Nachbarvolk besaß hohes kosmetisches Wissen. Im Buch Esther wird beschrieben, wie eine atemberaubend schöne junge Jüdin zwölf Monate lang für die Brautschau am persischen Hof in Susa vorbereitet wurde: Sechs Monate wurde sie jeden Tag mit Myrrhenöl eingerieben, sechs Monate mit Spezereien und anderen Schönheitsmitteln.

1.2.2 Zusammenhang zwischen Pharmazie und Kosmetik in der hellenistischen Periode

Die Unterscheidung zwischen Innerem und Äußerem des Menschen, wie es für die Moderne typisch ist, zwischen nur Ästhetischem und Körperlich-Funktionalem war der Antike fremd. Dementsprechend gab es zu dieser Zeit auch keine strikte Trennung zwischen Medizin und Kosmetik. Hippokrates von Kos (4. Jh. v. Chr.) – der „Vater der Medizin“ – überliefert in seinem 2. Buch der Abhandlungen über Frauenkrankheiten eine umfangreiche Sammlung kosmetischer Rezepturen, z. B.: Um dem Gesicht ein schönes Aussehen zu verleihen, verreibe man die Leber einer Eidechse mit Olivenöl und streiche sie mit unverdünntem Wein auf. Zur Glättung von Runzeln verreibe man Molybdän in einem steinernen Mörser, gieße abgestandenes Wasser darüber, forme Kügelchen daraus, trockne sie und lasse sie vor dem Gebrauch in Olivenöl zergehen. Bei Haarausfall verreibe man Labdanum zusammen mit Rosen- und Liliensalbe und behandle damit die Kopfhaut.
Abbildung 1.2-1 Letzte Handreichung der Königin Anchsen-Amun bei der Toilette des Königs (aus Desroches-Noblecourt, C., 1963)
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Athen war Modezentrum und Hochburg der griechischen Kosmetik. Man bezog aus Ägypten und Phönizien Spiegel, Schminktöpfchen, Hautsalben und parfümierte Seifen. Die vornehme Griechin schmückte sich in ausgesuchter Weise für den Gatten. Sie zog sich die Augenbrauen mit Schwärze nach und bemalte die Lippen. Zum blonden Haar wünschte sie sich eine möglichst schneeweiße Haut. Diesem Ziel wurde mit kräftigem Auftrag von Bleiweiß-Schminke nachgeholfen. Sie wusste um die Begrenztheit ihres Tuns; ihre Vorbilder waren die Göttinnen, und so wünschte sie sich, schön zu sein wie Aphrodite, klug wie Athene und tüchtig wie Hera, die Gemahlin des Zeus.

1.2.3 Kosmetik bei den Romern

Im Laufe ihrer Geschichte veränderte sich die Lebensweise der Römer vom Asketisch-Einfachen hin zum Angenehmen, wenn nicht gar zum Luxuriösen. Senat und Kaiser schenkten dem Volk nicht nur Sportplätze zur körperlichen Ertüchtigung, sondern auch großartig ausgestattete Bäder. In diesen Caldarien, „Heißbädern“, trafen sich Clubs von Müßiggängern, Geschäftsfreunden und Sportlern, um sich der Unterhaltung und Körperpflege gleichermaßen zu widmen.
Kosmetik war noch ein fester Bestandteil der Medizin. Plinius der Ältere (24–79 n. Chr.) schrieb eine Enzyklopädie, die nicht nur das chemische, botanische und pharmazeutische Wissen der damaligen Zeit zusammenfasste, sondern auch ausführlich auf kosmetische Formulierungen und Parfümkompositionen einging.
Galenus von Pergamon (129–199 n. Chr.), der berühmteste Arzt der damaligen Zeit, erforschte gründlich die Gebiete der Anatomie, Hygiene, Pathologie und Pharmazie und wurde der Begründer der Galenik, also der Kunst der Zubereitungen auf dem pharmazeutischen und kosmetischen Gebiet. Berühmt ist seine Kaltcreme (unguentum refrigerans), die aus 12,5% Bienenwachs, 50% Olivenöl und 37,5% Rosenwasser bestand. Sie war bei römischen Frauen außerordentlich beliebt als Mittel gegen trockene Haut, besonders aber um die Spuren des Alterns zu mildern.
In Rom war alles erhältlich, was der Schönheit und dem Gepflegtsein diente: Parfums aus dem Osten, die Haare germanischer Sklavinnen, Lippenstifte, Schminken, Bastperücken oder Schönheitspflästerchen aus Ägypten.

1.2.4 Einflüsse des Orients auf die Kosmetik im Früh- und Hochmittelalter

Bei der Verschmelzung von einzelnen Kulturen und Weltanschauungen gewann im Abendland das Christentum die Oberhand. Seine insbesondere in der Zeit der Kirchenväter betonte Leibfeindlichkeit wirkte sich auf die Kosmetik negativ aus. Kaiser Theodosius ging so weit, im Jahr 395 n. Chr. öffentliche Bäder und alle nackt ausgeführten sportlichen Aktivitäten zu verbieten. Die geistliche Führungsschicht wurde ermutigt, kosmetische Mittel (insbesondere Lippenstifte und Rouge) als heidnisch zu verdammen. Eine Frau, die ihr Gesicht bemalte, galt als Hure. Wegen dieser Engstirnigkeit im westlichen Kulturkreis verlagerten sich viele wissenschaftliche Aktivitäten ins Morgenland. Byzanz wurde zur Kulturmetropole; orientalische, vor allem arabische Einflüsse gewannen zunehmend an Bedeutung.
Kaiser Justinian schloss 529 n. Chr. die berühmte von Plato eingerichtete Akademie in Athen und vertrieb damit die bedeutendsten Professoren seiner Zeit. Viele von ihnen fanden in der indischen Universität in Jundishapar neue Wirkungsmöglichkeiten. Hier vermischten sich abendländische und orientalische Einflüsse und befruchteten die unterschiedlichen Wissensgebiete – auch die Kosmetik und als ein Teilgebiet davon die Zubereitung wertvoller Parfums.
Der Islam, der sich vom 7. Jh. n. Chr. an erstaunlich schnell zu einer Weltreligion entwickelte, zeigte sich weltoffen und zerstörte nicht das, was er vorfand. Indem die großen Werke aus allen Ländern ins Arabische übersetzt wurden, avancierte die arabische Welt zur Hauptträgerin des damaligen Wissens, auch des Wissens auf den kosmetikbezogenen Gebieten der Physiologie, Hygiene, Ernährung, Gymnastik und Massage.
Mit dem Zerfall des islamischen Reichs im 11. Jh. n. Chr. gewann Europa wieder an kultureller Bedeutung. Es wurden neue Universitäten gegründet und viele wissenschaftliche Schriften ins Lateinische übersetzt. Nikolas von Salerno veröffentlichte die erste Pharmacopeia und beschrieb darin 150 Drogen. Immer noch wurden Pharmazie, Medizin und Kosmetik als zusammengehörende Wissensgebiete verstanden.

1.2.5 Trennung der Kosmetik von der Medizin im Spütmittelalter

Mit dem raschen Erkenntniszuwachs und einer allmählichen Entwicklung eines neuen Verständnisses der Wirklichkeit wurden viele Wissensgebiete selbstständig, so auch die Kosmetik. Erste Ansätze dazu finden sich bei Henri de Mondeville zu Beginn des 14. Jh. n. Chr. Er schrieb ein großes Lehrbuch der Chirurgie und unterschied darin klar zwischen pathologischen Veränderungen der Haut, die medizinischer Therapie bedürfen, und verschönernden Behandlungen der Haut, für die kosmetische Mittel zuständig sind. Von diesem Zeitpunkt an entwickeln sich Kosmetik und Dermatologie zu unterschiedlichen Disziplinen.
In Europa finden im ausgehenden Mittelalter, ganz besonders aber in der Zeit der Renaissance, auf allen Gebieten tiefgreifende Veränderungen statt. Der Mensch löst sich mehr und mehr von kirchlicher Bevormundung und entdeckt sich selbst. Nahezu alle Gebiete der Wissenschaft und Kunst erfahren eine Blütezeit, auch die Kosmetik. Allerdings ist die Kosmetik noch nicht im modernen Sinn verwissenschaftlicht. Ihr haftet noch immer viel Mysteriöses an; sie ist von magischen und abergläubischen Praktiken durchdrungen und steht der geheimnisumwitterten Lehre der Alchemie nahe. So nimmt es nicht wunder, dass in dieser Zeit viele Scharlatane ihr Unwesen treiben, z. B. Guiseppe Balsame, der Scharen von Gläubigen hinterging, indem er behauptete, er sei im Besitz einer wirksamen Rezeptur zur Erlangung ewiger Jugend.
In Frankreich wird die elegante Lebensführung Ziel aller Wünsche, am stärksten zur Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. ausgeprägt. Man trägt immer höhere und verrücktere Perücken, klebt sich Mouches (Abb. 1.2-2) ins Gesicht, um schöner und interessanter zu erscheinen, und pudert Perücke, Gesicht, Kleider und alle Körperteile. Die oftmals stark parfümierten Puder sollten Körperschmutz und -geruch verbergen, was bei vielen Menschen damals durchaus notwendig war, da sie wochenlang nicht badeten.
Abbildung 1.2-2 Mouche-Büchse, Email (Deutschland, 1770; aus Kloos,W., 1979)
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1.2.6 Einfluss von Wissenschaft und Industrialisierung auf die Kosmetik der Neuzeit

Was im ausgehenden Mittelalter bereits angelegt war – die objektive Betrachtungsweise der Welt, die Betonung der menschlichen Vernunft als Instrument für die Verbesserung des Lebens und schließlich die Erhebung des Menschen zum Maß aller Dinge – wird in der Neuzeit ungeheuer gesteigert. Spekulatives Denken wird zurückgedrängt; durch experimentelle Methoden werden gesicherte Erkenntnisse über Welt, Natur und Mensch gesammelt.
Das Wissen auf allen Gebieten nimmt explosionsartig zu. Für die Kosmetik ist der Aufstieg der Chemie von besonderer Bedeutung. Diese liefert Stoffe, die bisher kaum oder gar nicht zugänglich waren. Daher werden Produkte, die früher nur mit größter Mühe und in kleiner Stückzahl produziert werden konnten, zu billigen Gebrauchsartikeln, über die jedermann verfügen kann. Das Zeitalter der Industrialisierung und Vermassung beginnt.
Immer besser gelingt es, das menschliche Äußere im gewünschten Sinne zu pflegen und zu verändern. Chirurgische und prothetische Techniken gewinnen an Bedeutung: Facelifting, Haartransplantation und Kontaktlinsen sind dafür nur einige Beispiele. Eine hochentwickelte Galenik sowie neue chemische Wirkprinzipien ermöglichen in einfacher und sicherer Weise lang erträumte kosmetische Effekte: Haare können permanent gefärbt, blondiert und dauergewellt werden, Sonnenschutzcremes bieten sicheren Schutz vor schädlicher Strahlung, spezielle Abrasionskörper in Zahnpasten reinigen in schonender Weise Zahnoberflächen. Praktisch alle in dem vorliegenden Buch beschriebenen kosmetischen Mittel und Möglichkeiten haben ihren Ursprung in dem Erfindungsgeist der letzten zwei bis drei Jahrhunderte. Wichtiger als alle neuen technischen Möglichkeiten ist jedoch die Tatsache, dass moderne kosmetische Mittel im Gegensatz zu den „Geheimrezepten“ früherer Zeit für die Gesundheit unbedenklich sind.

1.2.7 Veränderte Schwerpunkte für die Kosmetik in unserer Zeit

Die gegenwärtigen Anforderungen an die Kosmetik lassen sich aus der Gesetzeslage ablesen. Kosmetische Mittel werden immer mehr vereinheitlicht und internationalisiert, sie müssen für die Gesundheit des Verbrauchers völlig unbedenklich sein und sollen die Umwelt möglichst wenig belasten. Immer mehr „Lebenswege“ kosmetischer Präparate werden in Ökobilanzen ermittelt. Nicht mehr die kosmetische Wirkung des Stoffes, die er am Körper vollbringt, steht allein im Vordergrund, sondern auch, ob er ressourcenschonend gewonnen und ohne Schaden für die Umwelt entsorgt werden kann. Die Gesetzgebung will darüber hinaus auch irreführenden Werbeaussagen ein Ende setzen. Schon in naher Zukunft müssen alle ausgelobten Wirksamkeiten objektiv überprüfbar sein. Diese Anforderungen können gestellt und realisiert werden, weil in den letzten Jahren die Informationstechnik sich geradezu explosionsartig entwickelt hat; sie beeinflusst inzwischen alle logistischen, formulierungs-, produktions- und messtechnischen Vorgänge und gestaltet sie übersehbarer und schneller. Die Entwicklungszeiten für neue Produkte werden kürzer, das Zeitrad dreht sich immer rascher, der Fortschritt wird zur Gewöhnung! Fragen jedoch wie „Wozu?“, „Sollen wir alles tun, was wir können?“, „Was ist der Sinn unserer Aktivität?“ werden immer hartnäckiger gestellt. Ein großer Teil der Bevölkerung verlangt die Rückbesinnung auf überkommene Werte, auf Sinngehalte, die von einem ganzheitlichen Eingefügtsein des Menschen in soziale und welthafte Beziehungen ausgehen. Die Stärke einer modernen Kosmetik wird sich darin erweisen, inwieweit sie sich auf diese Fragestellungen einlässt.
Kosmetik hat zu tun mit der Pflege und der Verschönerung des Menschen. Was ihr im Laufe der Geschichte nicht gelungen ist und was ihr auch in Zukunft nicht gelingen wird, ist die Aufhebung menschlicher Begrenztheit. Sichtbares Zeichen unseres Begrenztseins ist das Altern, gegen das weder Technik noch kosmetisches Verdecken helfen. Hier müssen andere Kräfte freigesetzt werden! Dabei sollte bedacht werden: Die Aufgabe der Kosmetik besteht darin, unsere Person hervorzuheben und zur Geltung zu bringen. Sie hat dann ihr Ziel erreicht, wenn sie uns das werden lässt, was wir sein wollen. Versteht sie sich jedoch als eine menschliche Aktivität, die lediglich unserer Sucht nach „Mehr scheinen wollen“ nachkommt, wird sie sich durch Goethes Faust belehren lassen müssen:
„Du bist am Ende – was du bist.
Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer, was du bist.“

1.3 Literatur

DESROCHES-NOBLECOURT, C. (1963),Tutench-Amun, Ullstein Verlag, Berlin.
HAWKES, J. (1977), Bildatlas der frühen Kulturen, Bertelsmann Verlag, Gütersloh.
kLOOS,W. (1952), Spiegel der Schönheit, Coriolan GmbH, Hamburg.
kLOOS,W. (1979), Die Sammlung Schwarzkopf im Herrenhaus Steinhorst, Karl Wachholtz, Neumünster.
PAQEL, J. (1912), Geschichte der Kosmetik, in Handbuch der Kosmetik, Joseph, M. (Hrsg.), von Veit & Comp., Leipzig, S. 746ff.
SCHADEWALDT, H. (1975), Zur Geschichte der Kosmetik, Ärztl. Kosmetologie 2, 74–85.
WALL, F. E. (1974), Historical Development of Cosmetic Industry, in Balsam, M.S., Sagarin, E. (Hrsg.), Cosmetics Science and Technology, John Wiley & Sons, New York, S. 37–161.

2

Gesetzgebung und Kosmetik

2.1 Hintergrund

Die Einführung des europäischen Binnenmarktes hat insbesondere auch zum Ziel, in der gesamten Europäischen Union (EU) einheitliche Regelungen zu schaffen. Für kosmetische Mittel besteht eine solche Gesetzgebung in Form der EG-Kosmetik-Richtlinie (EG-KRL) bereits seit 1976. Allerdings ist die Umsetzung dieser Gesetzgebung in den einzelnen Mitg...

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