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Grundbegriffe, MeĂgröĂen, MeĂverfahren in KĂŒrze
1.1 Chemische Verschiebung
Als chemische Verschiebung bezeichnet man die AbĂ€ngigkeit der Larmorfrequenz eines Kernspins von seiner chemischen Umgebung. Der Kernspin ist der mechanische Drehimpuls des Atomkerns, die Larmorfrequenz seine PrĂ€zessionsfrequenz im statischen Magnetfeld (Abb. 1.1). Sie ist der KraftfluĂdichte B0 des Magnetfelds proportional (vo/B0 = const.) 1-3. Praktischerweise bezieht man die chemische Verschiebung z.B. der Protonen auf den Standard Tetramethylsilan [TMS, (CH3 )4Si] und nicht auf das Proton H+, d.h. man miĂt die Frequenzdifferenz (Hz) zum Signal des Standards (Tetramethylsilan,TMS, fĂŒr lH- und 13C-NMR) und teilt diese durch den der KraftfluĂdichte B0 des Magnetfelds proportionalen Absolutwert der Larmorfrequenz des Standards (z.B. 400 MHz fĂŒr die Protonen und 100 MHz fĂŒr die 13C-Kerne des TMS im Falle eines 400 MHz- Spektrometers mit B0 = 9.4 Tesla). Der Quotient definiert den vom Magnetfeld unabhĂ€ngigen ÎŽ- Wert der chemischen Verschiebung. Dabei wird eine Frequenzdifferenz in Hz durch eine Frequenz in MHz geteilt; da sich beide Frequenzen wie 1:106 verhalten, wird ÎŽ oft in ppm (part per million) angegeben.
Ursache der chemischen Verschiebung ist u.a. die Abschirmung der Kernspins im MolekĂŒl durch die ElektronenhĂŒlle. Die Elektronen erzeugen ein Abschirmfeld, das dem Ă€uĂeren Magnetfeld entgegengerichtet ist, daher die PrĂ€zessionsfrequenz der Kernspins, also ihre chemische Verschiebung verkleinert. Man bezeichnet einen Atomkern (z.B. ein Proton) mit kleiner Verschiebung als abgeschirmt (hohes Abschirmfeld); ein Kern mit groĂer Verschiebung ist dagegen entschirmt (kleines oder tiefes Abschirmfeld, Abb. 1.2).
1.2 Spin-Spin-Kopplung und Kopplungskonstanten
Die indirekte oder skalare Spin-Spin-Kopplung von Kernspins ĂŒber kovalente Bindungen verursacht die Aufspaltung von NMR-Signalen zu Multipletts in der hochauflösenden NMR-Spektros-kopie gelöster Verbindungen. Die direkte oder dipolare Kopplung zwischen Kernspins durch den Raum wird nur in der Festkörper-Kernresonanz beobachtet. In Lösung mittelt die MolekĂŒlbewegung diese Kopplung aus.
Die Kopplungskonstante ist in Spektren erster Ordnung (Abschn. 1.4) der Frequenzabstand J in Hz von zwei MultiplettĂŒbergĂ€ngen. Im Gegensatz zum Frequenzbetrag der chemischen Verschiebung hĂ€ngt die Kopplungskonstante nicht von der MagnetfeldstĂ€rke ab (Beispiel: Abb. 2.7). In der hochauflösenden NMR unterscheidet man zwischen Kopplungen ĂŒber eine Bindung (1J oder einfach J, unmittelbare Kopplungen) und mehrere Bindungen, z.B. ĂŒber zwei (2J, geminale Kopplungen), drei (3J, vicinale Kopplungen), vier und fĂŒnf Bindungen (4J und 5J, Fernkopplungen). Die CH2- und CH3-Protonen der Ethyl-Gruppe des DichloressigsĂ€ureethylesters in Abb. 1.2 sind z.B. durch drei Bindungen getrennt; ihre (vicinale) Kopplungskonstante betrĂ€gt 3J = 7 Hz.
1.3 SignalmultiplizitÀt (Multipletts)
Die SignalmultiplizitĂ€t in NMR-Spektren erster Ordung (Abschn. 1.4) ist der Aufspaltungsgrad eines NMR-Signals infolge der Spin-Spin-Kopplung. Signale ohne erkennbare Aufspaltung bezeichnet man als Singuletts (s), solche mit zwei-, drei-, vier-, fĂŒnf-, sechs-, siebenfacher Aufspaltung als Dubletts (d), Tripletts (t), Quartetts (q Abb. 1.2, 1.3), Quintetts (qui), Sextetts (sxt) und Septetts (sep), aber nur, wenn die einzelnen Signale des Multipletts gleichen Abstand besitzen, also nur eine Kopplungskonstante beteiligt ist. Verursachen zwei bzw. drei verschiedene Kopplungskonstanten ein Multiplett, so handelt es sich um ein Doppeldublett (dd) bzw. Dreifachdublett (ddd, Abb. 1.3). Sind die beiden Kopplungskonstanten eines Doppeldubletts zu Ă€hnlich (J1 ~ J2), so ĂŒberlappen die mittleren Signale; man beobachtet ein âPseudotriplettâ (âtâ, Abb. 1.3).
Das 1H-NMR-Spektrum des DichloressigsĂ€ureethylesters (Abb. 1.2) zeigt z.B. ein Triplett fĂŒr die CH3-Gruppe (zwei vicinale H), ein Quartett fĂŒr die OCH 2-Gruppe (drei vicinale H) und ein Singulett fĂŒr das CHCl2-Fragment (kein vicinales H als Kopplungspartner).
1.4 Spektren erster und höherer Ordnung
Multipletts erster Ordnung liegen vor, wenn die Kopplungskonstante klein im Vergleich zur Verschiebungsdifferenz der Kopplungspartner ist (vXâvA >> JAX). Man spricht dann von AmXm- Systemen, wobei Kern A die kleinere, Kern X die deutlich gröĂere Verschiebung zugeordnet wird. Ein AX-System (Abb. 1.4) besteht aus dem A-Dublett und dem X-Dublett mit der gemeinsamen Kopplungskonstanten JAX.
MultiplizitĂ€tsregeln gelten fĂŒr Spektren erster Ordnung (AmXm-Systeme): nX koppelnde Kernspins X mit Kernspin-Quantenzahl I = 1/2 bewirken eine (nX +l)-fache Aufspaltung des A-Signals; die IntensitĂ€ten der einzelnen Signale eines Multipletts erster Ordnung folgen dem Pascalschen Zahlendreieck (Abb. 1.5). Die Protonen der Ethyl-Gruppe in DichloressigsĂ€ureethylester (Abb. 1.2) bilden z.B. ein A3X2-System mit der Kopplungskonstanten 3JAX = 7 Hz; die A-Protonen (mit der kleineren Verschiebung) spalten in ein Triplett t auf (zwei vicinale Protonen X, nX +l = 3); die X- Protonen bilden wegen der drei vicinalen A-Protonen ein Quartett (nA + 1 = 4). FĂŒr nX koppelnde Kernspins mit beliebigen Kernspinquantenzahlen IX zeigt das A-Signal eine (2nXIX +l)-fache Aufspaltung (Beispiel: Abb. 1.9).
Multipletts (Spektren) höherer Ordnung liegen vor, wenn die Kopplungskonstante die GröĂenordnung der Verschiebungsdifferenz der Kopplungspartner erreicht. Man spricht dann von AmBn- Systemen, wobei Kern A die kleinere, Kern B die gröĂere Verschiebung zugeordnet wird.
Ein AB-System (Abb. 1.6) besteht z.B. aus dem A-Dublett und dem B-Dublett mit der gemeinsamen Kopplungskonstanten JAB , wobei die Ă€uĂeren Signale beider Dubletts geschwĂ€cht, die inneren verstĂ€rkt werden. Man spricht vom AB-Effekt, einem zum Zentrum des AB-Systems symmetrischen âDacheffektâ. Dieser wird in Protonen-NMR-Spektren beobachtet (Abb. 1.2, Ethyl-Quartett und Triplett), wenn die MagnetfeldstĂ€rke der Bedingung (VX-vA >> JAX ) nicht hinreichend genĂŒgt. Die chemischen Verschiebungen vA und vB entsprechen dann nicht mehr den Zentren sondern den Schwerpunkten der beiden Dubletts; sie nĂ€hern sich den intensiveren inneren Signalen.
1.5 Chemische und magnetische Ăquivalenz
Chemische Ăquivalenz: Atomkerne in gleicher chemischer Umgebung sind chemisch Ă€quivalent, zeigen daher dieselbe chemische Verschiebung. Die 2,2â- und 3,3â-Protonen eines 1,4-disubstituierten Benzen-Rings sind z.B. aus GrĂŒnden der MolekĂŒlsymmetrie chemisch Ă€quivalent.
Magnetische Ăquivalenz: Chemisch Ă€quivalente Atomkerne sind magnetisch Ă€quivalent, sofern sie mit allen anderen Kernspins des MolekĂŒls dieselben Kopplungskonstanten aufweisen. Die 2,2â- (AAâ-) und 3,3â- (X,Xâ-)-Protonen eines 1,4-disubstituierten Benzen-Rings wie 4-Nitroanisol sind z.B. magnetisch nicht Ă€quivalent, weil das 2-Proton A mit dem 3-Proton X eine ortho- (etwa 7-8 Hz), mit dem 3â-Proton Xâ dagegen eine para-Kopplung (etwa 0.5 bis 1 Hz) aufweist. Man spricht daher weder von einem A2X2- noch von einem (AX)2-, sondern von einem AAâ XXâ-System (Beispiel: Abb. 2.6). Das 1 H-NMR-Spektrum ist in diesem Fall nicht erster Ordnung; ebensowenig gelten die MultiplizitĂ€tsregeln. Die Methyl-Protonen des DichloressigsĂ€ureethylesters (Abb. 1.2) sind dagegen chemisch und magnetisch Ă€quivalent, da die 3 JHH -Kopplungskonstanten von den geometris...