Zwischen Nation und Europa
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Zwischen Nation und Europa

Nationalmuseen als Europamedien

Sarah Czerney

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  1. 395 pages
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Zwischen Nation und Europa

Nationalmuseen als Europamedien

Sarah Czerney

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Europa ist in der Krise. Angesichts Brexit, dringender FlĂŒchtlings- und Einwanderungsfragen, Diskussionen ĂŒber den Ausschluss insolventer LĂ€nder und dem demokratischen Defizit der EU ist dieser Befund zu einem Allgemeinplatz geworden. Als einen Weg aus der Krise schlagen Politiker_innen, EU-Beamt_innen und Intellektuelle oftmals die StĂ€rkung des Zusammenhalts durch die RĂŒckbesinnung auf die angenommene gemeinsame Geschichte Europas und eine daraus erwachsene kulturelle IdentitĂ€t vor.

Dieser Herausforderung stellen sich zunehmend auch aktuelle Nationalmuseen in Europa, indem sie es sich zur Aufgabe machen, sich zu europÀisieren: sie setzen es sich zum Ziel, nicht mehr nur die Nation und ihre Geschichte, sondern Europa und europÀische Geschichte zu zeigen.

Diese "Museen zwischen Nation und Europa" untersucht das Buch aus medienwissenschaftlicher Perspektive. Anhand dreier aktueller Fallstudien aus Deutschland, Polen und Frankreich (Deutsches Historisches Museum Berlin, EuropÀisches Solidarno?? Zentrum Danzig, Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée Marseille) geht es den Fragen nach, wie diese Museen Europa und seine Geschichte konstruieren, und was Europa und europÀisch in ihren musealen Inszenierungen bedeute. Welche Vorstellungen Europas bringen die Medien der Ausstellungen hervor? Wen und was zeigen sie als europÀisch, wer gehört dagegen in den musealen Inszenierungen nicht zu Europa?

Die Studie zeigt, dass die EuropĂ€isierung nationaler Museen auf starke nationale und strukturelle WiderstĂ€nde stĂ¶ĂŸt. Ein gesamteuropĂ€isches Narrativ Europas und seiner Geschichte ist deshalb bislang nicht in Sicht.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2019
ISBN
9783110603903
Edition
1

1Einleitung: Drei museale Szenen

Szene 1: Danzig, Polen 2015. Am Ende der Dauerausstellung des EuropĂ€ischen Solidarnoƛć Zentrum (ECS) werden die Besucher_innen aufgefordert, ihre EindrĂŒcke auf kleinen weißen und roten Karten zu beschreiben und die Karten so an die Wand zu hĂ€ngen, dass sich der Schriftzug »Solidarnoƛć« ergibt (Abb. 1).
Dietmar schreibt am 7. September 2014 »Great exhibition – a must to see [sic] for all Europeans«. Daneben hĂ€ngt eine Karte von Tomek, der auf Polnisch schreibt »An Orten wie diesen bin ich stolz, Pole zu sein [Übersetzung: S.C.].«
Szene 2: Berlin, Deutschland 1982. Der Berliner BĂŒrgermeister Richard von WeizsĂ€cker fordert, ein nationales Geschichtsmuseum in Berlin zu bauen, das zur Identifikation der BĂŒrger_innen mit dem Nationalstaat beitragen soll. Bundeskanzler Helmut Kohl unterstĂŒtzt den Plan und eine von der Bundesregierung eingesetzte Expert_innenkommission beschreibt in der ersten Konzeption das Ziel der neuen Institution mit dem Namen Deutsches Historisches Museum (DHM) wie folgt: »Das Museum soll vor allem den BĂŒrgern unseres Landes helfen, sich darĂŒber klarzuwerden, wer sie als Deutsche und EuropĂ€er, als Bewohner einer Region und als Angehörige einer weltweiten Zivilisation sind, woher sie kommen, wo sie stehen und wohin sie gehen könnten« (Stölzl 1988: 310f., Hervorhebung: S.C.).
Abb. 1: Schriftzug »Solidarnoƛć« am Ende der Dauerausstellung im ECS in Danzig.
Szene 3: Paris, Frankreich 1996. Das ethnologische Nationalmuseum Frankreichs, das MusĂ©e National des Arts et Traditions Populaires (MNATP), befindet sich, wie viele ethnologische Museen in Europa, in einer Krise: Ethnozentrismus, Rassismus, Nationalismus, Fixierung von Kulturen und allgemeine Verstaubtheit lauteten die VorwĂŒrfe, die sich in sinkenden Besuchszahlen manifestieren. Eine Lösung des Problems sehen die Verantwortlichen in der EuropĂ€isierung ihrer Museen und Sammlungen (vgl. MazĂ© 2013b: 177f.). Auch der damals neue Direktor des MNATP, Michel Colardelle, ruft 1996 dazu auf, das Museum neu zu erfinden: Das Überschreiten nationaler Grenzen und die Öffnung auf Europa und den Mittelmeerraum sind von da an die neuen Ziele der Institution (vgl. Bonnefoy 2013: 40). Als Ergebnis dieser Umwandlung eröffnet im Juni 2013 das MusĂ©e des civilisations de l’Europe et de la MĂ©diterranĂ©e (MuCEM) in Marseille. »[
] [L] e MuCEM [
] se transforme en profondeur. Il change Ă  la fois de site de Paris Ă  Marseille, de territoire de rĂ©fĂ©rence de la France Ă  la MĂ©diterranĂ©e et Ă  l’Europe, de champ disciplinaire, de l’ethnologie Ă  l’ensemble des sciences humaines et sociales«2, beschreibt der derzeitige Direktor Bruno Suzzarelli (2012: 7, Hervorhebung: S.C.) die Neuausrichtung des Museums.
Diese Szenen stammen aus ganz unterschiedlichen zeitlichen, politischen und nationalen Kontexten. Die genannten Museen haben sehr verschiedene inhaltliche Ausrichtungen und behandeln unterschiedlichste Themen und ZeitrÀume. Dennoch einen diese Museen drei Beobachtungen, die die vorliegende Studie motivieren:
Erstens lĂ€sst sich an diesen Beispielen eine Entwicklung beobachten, die sich seit rund 30 Jahren in europĂ€ischen Museen vollzieht: Museen verschiedener Arten, vor allem aber historisch ausgerichtete Museen, setzen es sich zum Ziel, den Rahmen nationaler ErzĂ€hlungen zu ĂŒbertreten und öffnen sich auf Europa und europĂ€ische Geschichte (vgl. Kaiser et al. 2012, siehe Kapitel 2.6). Die EuropĂ€isierung des Museumsfelds stellt einen fundamentalen Wandel fĂŒr die Institution des Museums dar, denn diese wurde im achtzehnten Jahrhundert im Dienst der Nation gegrĂŒndet. Nationalmuseen, und auch hier insbesondere geschichtlich ausgerichtete Museen, dienten dazu, die materiellen Errungenschaften der Nation zu sammeln und vor Augen zu fĂŒhren und damit die imagined community der Nation zu stĂ€rken (vgl. Anderson 1996). Die Idee, eine nationale Geschichte, Kultur und IdentitĂ€t zu haben fand im Museum ihre materiellen Beweise (siehe Kapitel 2.5). Mit der aktuell zu beobachtenden Öffnung von Nationalmuseen auf Europa entsteht das PhĂ€nomen, das diese Studie untersucht: Museen zwischen Nation und Europa. Alle drei hier ausgesuchten FĂ€lle sind nationale Museumsprojekte, die sich gleichwohl nicht mehr nur auf die Nation, sondern auf Europa beziehen. Ich bezeichne sie deshalb als europĂ€isierte Nationalmuseen. Das Museum in Danzig nennt sich selbst europĂ€isch, obwohl es auf den ersten Blick um eine polnische Geschichte geht. Das Deutsche Historische Museum in Berlin möchte den Deutschen ihre IdentitĂ€t als Deutsche und EuropĂ€er_innen vor Augen fĂŒhren und dazu den »europĂ€ischen Charakter der deutschen Geschichte« betonen (Stölzl 1988: 312). Und das MuCEM, das aus dem ethnologischen Nationalmuseum Frankreichs hervorgegangen ist, ĂŒberschreitet nicht nur nationale, sondern auch europĂ€ische Rahmungen, indem es die Beziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum fokussiert. Es ist das Schwanken nationaler Museen zwischen nationalen und europĂ€ischen Ausrichtungen, das die drei FĂ€lle vereint und im Zentrum dieser Studie steht.
Zweitens sind alle drei Museen historisch ausgerichtet (siehe Kapitel 2.3): Sie widmen sich Vergangenem, das in der Gegenwart durch das Sammeln und Ausstellen von materiellen Dingen prĂ€sent gemacht werden soll. Das Ziel des ECS ist es, dass sich die Besucher_innen in die Geschichte vertiefen: »[T]he visitors will delve into history told by archival objects, documents, manuscripts, photographs, video footage and interactive installations« (ECS o. J. a).3 Das DHM macht es sich zur Aufgabe, »Geschichte anhand von historischen Zeugnissen [
] anschaulich zu machen und zu belegen« (Ottomeyer 2009: 5). Und auch das MuCEM, insbesondere seine Dauerausstellung, ist als sogenanntes musĂ©e de sociĂ©tĂ© historisch ausgerichtet. Es möchte die Geschichte von Mittelmeerkulturen und ihren Beziehungen zu Europa von der Vorzeit bis heute ausstellen (vgl. MuCEM o. J. a).
Drittens geht es in den drei Beispielen jedoch nicht nur um Vergangenes, sondern auch um aktuelle Verhandlungen kollektiver Erinnerungen und IdentitĂ€ten zwischen den beiden Polen Nation und Europa. Dietmar spricht auf seiner Karte am Ende der Ausstellung im ECS von »Europeans« und findet, alle EuropĂ€er_innen sollten die Ausstellung des ECS sehen, wohingegen Tomek sich eindeutig als Pole angesprochen und durch die Ausstellung in dieser Identifikation gestĂ€rkt fĂŒhlt. Offensichtlich bietet das ECS mit seiner GeschichtserzĂ€hlung der polnischen Solidarnoƛć-Bewegung IdentitĂ€tsentwĂŒrfe auf verschiedenen Ebenen an. Auch die Konzeption des DHM spricht von Erinnerung und kollektiven IdentitĂ€ten: In der ersten Konzeption von 1986 heißt es: »Das Museum soll Ort der Selbstbestimmung und der Selbsterkenntnis durch historische Erinnerung sein« (Stölzl 1988: 311). Der museale Blick in die Vergangenheit soll der »Selbstbestimmung« und »Selbsterkenntnis« in der Gegenwart und fĂŒr die Zukunft dienen. Durch die als gemeinsam entworfene Geschichte eines »woher sie kommen« sollen verschiedene Gruppen ihre IdentitĂ€ten erkennen und bestimmen, »wer sie als Deutsche und EuropĂ€er [
]« sind (Stölzl 1988: 310f.). Wie die hier angerissenen Beispiele zeigen, liegt die Relevanz und AktualitĂ€t von Museen zwischen Nation und Europa darin, dass im Fokus dieser Museen nicht nur Geschichte steht. Museen sind nicht nur Institutionen, die sich mit Vergangenem befassen, sondern auch Medien kollektiver GedĂ€chtnisse und IdentitĂ€ten, mit und in denen eine Gesellschaft verhandelt, was fĂŒr sie in der Gegenwart und Zukunft wichtig ist. Kapitel 2.4 entwirft deshalb einen differenzierten Begriff von musealer Historiografie, der auch Verhandlungen kollektiver IdentitĂ€ten in der Gegenwart einschließt. Deren Brisanz zeigt sich an der Frage, was die untersuchten Museen als Europa und europĂ€isch zeigen und wer dabei als nicht-europĂ€isch konstruiert wird.
Museen zwischen Nation und Europa, so lĂ€sst sich einleitend festhalten, eröffnen ein Spannungsfeld zwischen nationaler und europĂ€ischer Historiografie, da sie den bisher dominanten Bezugsrahmen der Nation durch die Ausrichtung auf Europa zur Disposition stellen. Innerhalb dieses Spannungsfeldes verhandeln sie jedoch nicht nur Geschichte, sondern auch aktuelle Themen, Identifikationsangebote und Zugehörigkeiten zwischen den beiden Polen Nation und Europa. Ihre Besucher_innen sollen sich nicht nur als Angehörige einer Nation, sondern als EuropĂ€er_innen fĂŒhlen. Ausgehend von diesen Beobachtungen stellt sich fĂŒr die vorliegende Studie die Frage, wie aktuelle historisch ausgerichtete Nationalmuseen Europa und europĂ€ische Geschichte entwerfen. Diese Hauptfrage gliedere ich in zwei Unterfragen: Erstens gehe ich aufbauend auf konstruktivistischen Museumstheorien davon aus, dass Museen Wirklichkeit und Geschichte nicht vorfinden und abbilden, sondern aktiv an ihrer Hervorbringung mitwirken (siehe Kapitel 2.1). Europa und europĂ€ische Geschichte sind in dieser Perspektive keine feststehenden, klar definierbaren GrĂ¶ĂŸen mit bestimmbaren WesenszĂŒgen, sondern sich stetig wandelnde Konstruktionen, die jedoch den Anschein von Fakten erlangt haben. Da diese Konstruktionen immer abhĂ€ngig sind von den Medien, die ihnen zur VerfĂŒgung stehen, liegt das Augenmerk dieser Studie insbesondere auf den Medien der musealen Historiografie (siehe Kapitel 2.2): Wie, das heißt mit welchen Medien und Medienkonstellationen machen die untersuchten Nationalmuseen Europa und europĂ€ische Geschichte in ihren Ausstellungen wahrnehmbar und vorstellbar? Um diese Frage bearbeiten zu können, entwickelt die vorliegende Studie das Konzept der Europamedien (siehe Kapitel 2.6). Als Europamedien bezeichne ich Dinge, die Vorstellungen von Europa und europĂ€isch hervorbringen, verhandeln und verbreiten. Die Bilder und Narrative Europas und europĂ€ischer Geschichte, die sie hervorbringen, werden dabei in entscheidender Weise durch ihre je spezifische MedialitĂ€t geprĂ€gt. Europamedien arbeiten mit daran, was und wer als Europa und als europĂ€isch gilt. Dies fĂŒhrt zur zweiten Unterfrage: Welche Narrative, Bilder und Topoi Europas und seiner Geschichte inszenieren aktuelle Nationalmuseen als Europamedien? Was bedeuten »Europa« und »europĂ€isch« in den untersuchten Museen? Was und wen zeigen sie als europĂ€isch? Wer gehört dagegen in den musealen Historiografien nicht zu Europa?
Den Gegenstand der Untersuchung bilden die drei eingangs genannten Beispiele aktueller europĂ€isierter Nationalmuseen in Deutschland, Polen und Frankreich: das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin, das EuropĂ€ische Solidarnoƛć Zentrum in Danzig (ECS) und das MusĂ©e des civilisations de l’Europe et de la MĂ©diterranĂ©e (MuCEM) in Marseille. Diese Museen sind sehr verschieden: Sie wurden zu unterschiedlichen Zeiten, in verschiedenen LĂ€ndern und politischen Kontexten gegrĂŒndet. Zudem behandeln sie sehr diverse Themen: deutsche Kulturgeschichte der letzten 2500 Jahre, die Geschichte und Kultur des Mittelmeerraumes von der Antike bis in die Gegenwart, sowie die Geschichte der polnischen Oppositionsbewegung Solidarnoƛć vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den politischen UmbrĂŒchen 1989/1990. Außerdem sind sie Beispiele verschiedener Museumstypen: Das DHM ist ein allgemeines nationales Geschichtsmuseum, das ECS bezeichnet sich als themenspezifisches Zentrum und das MuCEM ist aus einem ethnologischen Nationalmuseum hervorgegangen und gehört zum neuen Museumstyp der musĂ©es de sociĂ©tĂ© (siehe Kapitel 2.3). Trotz dieser DiversitĂ€t, so meine Argumentation, lassen sich die drei Museen gemeinsam untersuchen, denn sie können als europĂ€isierte Nationalmuseen beschrieben werden. Als solche erfĂŒllen sie die folgenden drei Kriterien: Erstens sind alle drei Museen Nationalmuseen (siehe Kapitel 2.5). Sie wurden von nationalen Regierungen initiiert oder beschlossen, werden ĂŒberwiegend aus nationalen Geldern bezahlt und ihre Sammlungen sind zum grĂ¶ĂŸten Teil nationale Sammlungen.4 Zweitens verfolgen alle drei untersuchten Museen das Ziel, den nationalen Bezugsrahmen zu ĂŒbertreten und Europa und europĂ€ische Geschichte zu thematisieren (siehe Kapitel 2.6). Es handelt sich um nationale Institutionen, die sich europĂ€isieren. Sie beziehen sich in verschiedenen Formen auf Europa, indem sie sich zum Beispiel »europĂ€isch« nennen (ECS GdaƄsk), »Europa« im Titel fĂŒhren (MuCEM Marseille), oder es sich in ihren Konzeptpapieren zum Ziel setzen, Nationalgeschichte in ihren europĂ€ischen Dimensionen zu zeigen (DHM Berlin). Drittens sind die Museen historisch ausgerichtet (siehe Kapitel 2.3): Sie arbeiten mit der gemeinsamen Grundoperation, Objekte – sogenannte originale oder primĂ€re Museumsdinge – zusammenzutragen und auszustellen, um Vergangenes zu zeigen.
Die Auswahl der drei LĂ€nder Deutschland, Frankreich und Polen orientiert sich an folgenden GrĂŒnden: Der Prozess der EuropĂ€isierung von Museen ging in den 1980er und 1990er Jahren von Deutschland und Frankreich aus und verbreitete sich von dort aus in andere europĂ€ische LĂ€nder (vgl. MazĂ© 2013a: 498). Mit einem der zwei großen nationalen Geschichtsmuseen in Deutschland, dem DHM, das 1987 gegrĂŒndet wurde, und dem europĂ€isierten ehemals ethnologischen Nationalmuseum in Frankreich, dem MuCEM, dessen PlĂ€ne bis ins Jahr 1996 zurĂŒckgehen, untersuche ich zwei Beispiele dieser ersten Welle.5 Nach dem Zerfall des kommunistischen Ostblocks 1989 erfasst der Prozess der EuropĂ€isierung von Museen inzwischen auch Ostmitteleuropa, wobei dort gleichzeitig starke Renationalisierungstendenzen erkennbar sind.6 Bisherige Untersuchungen der EuropĂ€isierung von Museen, insbesondere die 2012 erschienene grundlegende Studie »Europa Ausstellen« (Kaiser et al. 2012), bleiben jedoch bei der Feststellung dieser – zweifellos vorhandenen – Renationalisierungsbestrebungen in osteuropĂ€ischen Museen stehen, da sie ihren Fokus klar auf Westeuropa richten.7 EuropĂ€isierungstendenzen in Museen in Osteuropa wurden daher bisher nicht untersucht. Insbesondere die polnische Museumslandschaft ist seit Beginn der 2000er Jahre von einer sehr dynamischen Entwicklung und einem regelrechten Museumsboom gekennzeichnet (siehe Kapitel 3.2.1). Besonders die Ausrichtung von Museen auf Europa und europĂ€ische Verflechtungen von Geschichte ist ein sehr neues PhĂ€nomen. Das ECS in Danzig, das im August 2014 eröffnet wurde, ist in dieser Entwicklung das erste und zum derzeitigen Stand einzige europĂ€isierte Nationalmuseum in Polen.8 Die Erforschung dieses neuen Feldes der polnischen Museumslandschaft beginnt gerade erst und findet in der wissenschaftlichen BeschĂ€ftigung mit Museen in Europa bisher wenig Beachtung. Selbst im explizit auf Polen, Deutschland und Frankreich ausgerichteten Sammelband zur Geschichtspolitik in Europa nach 1989 findet sich kein Artikel ĂŒber europĂ€isch ausgerichtete Museen in Polen (vgl. François et al. 2013). Um dementgegen den neuesten Entwicklungen musealer EuropĂ€isierungsprozesse im östlichen Europa Rechnung zu tragen und die bisher etablierte Opposition von europĂ€isierendem Westeuropa und renationalisierendem Osteuropa zu hinterfragen, untersucht diese Studie FĂ€lle aus west- und ostmitteleuropĂ€ischen LĂ€ndern.
Des Weiteren fehlt in der bisherigen Forschung zu europĂ€ischen Narrativen in Museen die Verbindung der Frage nach der EuropĂ€isierung von Museen mit Analysekategorien, die helfen, strukturelle Ein- und AusschlĂŒsse aufzuzeige...

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