Europa ist in der Krise. Angesichts Brexit, dringender Flüchtlings- und Einwanderungsfragen, Diskussionen über den Ausschluss insolventer Länder und dem demokratischen Defizit der EU ist dieser Befund zu einem Allgemeinplatz geworden. Als einen Weg aus der Krise schlagen Politiker_innen, EU-Beamt_innen und Intellektuelle oftmals die Stärkung des Zusammenhalts durch die Rückbesinnung auf die angenommene gemeinsame Geschichte Europas und eine daraus erwachsene kulturelle Identität vor.
Dieser Herausforderung stellen sich zunehmend auch aktuelle Nationalmuseen in Europa, indem sie es sich zur Aufgabe machen, sich zu europäisieren: sie setzen es sich zum Ziel, nicht mehr nur die Nation und ihre Geschichte, sondern Europa und europäische Geschichte zu zeigen.
Diese "Museen zwischen Nation und Europa" untersucht das Buch aus medienwissenschaftlicher Perspektive. Anhand dreier aktueller Fallstudien aus Deutschland, Polen und Frankreich (Deutsches Historisches Museum Berlin, Europäisches Solidarno?? Zentrum Danzig, Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée Marseille) geht es den Fragen nach, wie diese Museen Europa und seine Geschichte konstruieren, und was Europa und europäisch in ihren musealen Inszenierungen bedeute. Welche Vorstellungen Europas bringen die Medien der Ausstellungen hervor? Wen und was zeigen sie als europäisch, wer gehört dagegen in den musealen Inszenierungen nicht zu Europa?
Die Studie zeigt, dass die Europäisierung nationaler Museen auf starke nationale und strukturelle Widerstände stößt. Ein gesamteuropäisches Narrativ Europas und seiner Geschichte ist deshalb bislang nicht in Sicht.
Häufig gestellte Fragen
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Szene 1: Danzig, Polen 2015. Am Ende der Dauerausstellung des Europäischen Solidarność Zentrum (ECS) werden die Besucher_innen aufgefordert, ihre Eindrücke auf kleinen weißen und roten Karten zu beschreiben und die Karten so an die Wand zu hängen, dass sich der Schriftzug »Solidarność« ergibt (Abb. 1).
Dietmar schreibt am 7. September 2014 »Great exhibition – a must to see [sic] for all Europeans«. Daneben hängt eine Karte von Tomek, der auf Polnisch schreibt »An Orten wie diesen bin ich stolz, Pole zu sein [Übersetzung: S.C.].«
Szene 2: Berlin, Deutschland 1982. Der Berliner Bürgermeister Richard von Weizsäcker fordert, ein nationales Geschichtsmuseum in Berlin zu bauen, das zur Identifikation der Bürger_innen mit dem Nationalstaat beitragen soll. Bundeskanzler Helmut Kohl unterstützt den Plan und eine von der Bundesregierung eingesetzte Expert_innenkommission beschreibt in der ersten Konzeption das Ziel der neuen Institution mit dem Namen Deutsches Historisches Museum (DHM) wie folgt: »Das Museum soll vor allem den Bürgern unseres Landes helfen, sich darüber klarzuwerden, wer sie als Deutsche und Europäer, als Bewohner einer Region und als Angehörige einer weltweiten Zivilisation sind, woher sie kommen, wo sie stehen und wohin sie gehen könnten« (Stölzl 1988: 310f., Hervorhebung: S.C.).
Abb. 1: Schriftzug »Solidarność« am Ende der Dauerausstellung im ECS in Danzig.
Szene 3: Paris, Frankreich 1996. Das ethnologische Nationalmuseum Frankreichs, das Musée National des Arts et Traditions Populaires (MNATP), befindet sich, wie viele ethnologische Museen in Europa, in einer Krise: Ethnozentrismus, Rassismus, Nationalismus, Fixierung von Kulturen und allgemeine Verstaubtheit lauteten die Vorwürfe, die sich in sinkenden Besuchszahlen manifestieren. Eine Lösung des Problems sehen die Verantwortlichen in der Europäisierung ihrer Museen und Sammlungen (vgl. Mazé 2013b: 177f.). Auch der damals neue Direktor des MNATP, Michel Colardelle, ruft 1996 dazu auf, das Museum neu zu erfinden: Das Überschreiten nationaler Grenzen und die Öffnung auf Europa und den Mittelmeerraum sind von da an die neuen Ziele der Institution (vgl. Bonnefoy 2013: 40). Als Ergebnis dieser Umwandlung eröffnet im Juni 2013 das Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (MuCEM) in Marseille. »[…] [L] e MuCEM […] se transforme en profondeur. Il change à la fois de site de Paris à Marseille, de territoire de référence de la France à la Méditerranée et à l’Europe, de champ disciplinaire, de l’ethnologie à l’ensemble des sciences humaines et sociales«2, beschreibt der derzeitige Direktor Bruno Suzzarelli (2012: 7, Hervorhebung: S.C.) die Neuausrichtung des Museums.
Diese Szenen stammen aus ganz unterschiedlichen zeitlichen, politischen und nationalen Kontexten. Die genannten Museen haben sehr verschiedene inhaltliche Ausrichtungen und behandeln unterschiedlichste Themen und Zeiträume. Dennoch einen diese Museen drei Beobachtungen, die die vorliegende Studie motivieren:
Erstens lässt sich an diesen Beispielen eine Entwicklung beobachten, die sich seit rund 30 Jahren in europäischen Museen vollzieht: Museen verschiedener Arten, vor allem aber historisch ausgerichtete Museen, setzen es sich zum Ziel, den Rahmen nationaler Erzählungen zu übertreten und öffnen sich auf Europa und europäische Geschichte (vgl. Kaiser et al. 2012, siehe Kapitel 2.6). Die Europäisierung des Museumsfelds stellt einen fundamentalen Wandel für die Institution des Museums dar, denn diese wurde im achtzehnten Jahrhundert im Dienst der Nation gegründet. Nationalmuseen, und auch hier insbesondere geschichtlich ausgerichtete Museen, dienten dazu, die materiellen Errungenschaften der Nation zu sammeln und vor Augen zu führen und damit die imagined community der Nation zu stärken (vgl. Anderson 1996). Die Idee, eine nationale Geschichte, Kultur und Identität zu haben fand im Museum ihre materiellen Beweise (siehe Kapitel 2.5). Mit der aktuell zu beobachtenden Öffnung von Nationalmuseen auf Europa entsteht das Phänomen, das diese Studie untersucht: Museen zwischen Nation und Europa. Alle drei hier ausgesuchten Fälle sind nationale Museumsprojekte, die sich gleichwohl nicht mehr nur auf die Nation, sondern auf Europa beziehen. Ich bezeichne sie deshalb als europäisierte Nationalmuseen. Das Museum in Danzig nennt sich selbst europäisch, obwohl es auf den ersten Blick um eine polnische Geschichte geht. Das Deutsche Historische Museum in Berlin möchte den Deutschen ihre Identität als Deutsche und Europäer_innen vor Augen führen und dazu den »europäischen Charakter der deutschen Geschichte« betonen (Stölzl 1988: 312). Und das MuCEM, das aus dem ethnologischen Nationalmuseum Frankreichs hervorgegangen ist, überschreitet nicht nur nationale, sondern auch europäische Rahmungen, indem es die Beziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum fokussiert. Es ist das Schwanken nationaler Museen zwischen nationalen und europäischen Ausrichtungen, das die drei Fälle vereint und im Zentrum dieser Studie steht.
Zweitens sind alle drei Museen historisch ausgerichtet (siehe Kapitel 2.3): Sie widmen sich Vergangenem, das in der Gegenwart durch das Sammeln und Ausstellen von materiellen Dingen präsent gemacht werden soll. Das Ziel des ECS ist es, dass sich die Besucher_innen in die Geschichte vertiefen: »[T]he visitors will delve into history told by archival objects, documents, manuscripts, photographs, video footage and interactive installations« (ECS o. J. a).3 Das DHM macht es sich zur Aufgabe, »Geschichte anhand von historischen Zeugnissen […] anschaulich zu machen und zu belegen« (Ottomeyer 2009: 5). Und auch das MuCEM, insbesondere seine Dauerausstellung, ist als sogenanntes musée de société historisch ausgerichtet. Es möchte die Geschichte von Mittelmeerkulturen und ihren Beziehungen zu Europa von der Vorzeit bis heute ausstellen (vgl. MuCEM o. J. a).
Drittens geht es in den drei Beispielen jedoch nicht nur um Vergangenes, sondern auch um aktuelle Verhandlungen kollektiver Erinnerungen und Identitäten zwischen den beiden Polen Nation und Europa. Dietmar spricht auf seiner Karte am Ende der Ausstellung im ECS von »Europeans« und findet, alle Europäer_innen sollten die Ausstellung des ECS sehen, wohingegen Tomek sich eindeutig als Pole angesprochen und durch die Ausstellung in dieser Identifikation gestärkt fühlt. Offensichtlich bietet das ECS mit seiner Geschichtserzählung der polnischen Solidarność-Bewegung Identitätsentwürfe auf verschiedenen Ebenen an. Auch die Konzeption des DHM spricht von Erinnerung und kollektiven Identitäten: In der ersten Konzeption von 1986 heißt es: »Das Museum soll Ort der Selbstbestimmung und der Selbsterkenntnis durch historische Erinnerung sein« (Stölzl 1988: 311). Der museale Blick in die Vergangenheit soll der »Selbstbestimmung« und »Selbsterkenntnis« in der Gegenwart und für die Zukunft dienen. Durch die als gemeinsam entworfene Geschichte eines »woher sie kommen« sollen verschiedene Gruppen ihre Identitäten erkennen und bestimmen, »wer sie als Deutsche und Europäer […]« sind (Stölzl 1988: 310f.). Wie die hier angerissenen Beispiele zeigen, liegt die Relevanz und Aktualität von Museen zwischen Nation und Europa darin, dass im Fokus dieser Museen nicht nur Geschichte steht. Museen sind nicht nur Institutionen, die sich mit Vergangenem befassen, sondern auch Medien kollektiver Gedächtnisse und Identitäten, mit und in denen eine Gesellschaft verhandelt, was für sie in der Gegenwart und Zukunft wichtig ist. Kapitel 2.4 entwirft deshalb einen differenzierten Begriff von musealer Historiografie, der auch Verhandlungen kollektiver Identitäten in der Gegenwart einschließt. Deren Brisanz zeigt sich an der Frage, was die untersuchten Museen als Europa und europäisch zeigen und wer dabei als nicht-europäisch konstruiert wird.
Museen zwischen Nation und Europa, so lässt sich einleitend festhalten, eröffnen ein Spannungsfeld zwischen nationaler und europäischer Historiografie, da sie den bisher dominanten Bezugsrahmen der Nation durch die Ausrichtung auf Europa zur Disposition stellen. Innerhalb dieses Spannungsfeldes verhandeln sie jedoch nicht nur Geschichte, sondern auch aktuelle Themen, Identifikationsangebote und Zugehörigkeiten zwischen den beiden Polen Nation und Europa. Ihre Besucher_innen sollen sich nicht nur als Angehörige einer Nation, sondern als Europäer_innen fühlen. Ausgehend von diesen Beobachtungen stellt sich für die vorliegende Studie die Frage, wie aktuelle historisch ausgerichtete Nationalmuseen Europa und europäische Geschichte entwerfen. Diese Hauptfrage gliedere ich in zwei Unterfragen: Erstens gehe ich aufbauend auf konstruktivistischen Museumstheorien davon aus, dass Museen Wirklichkeit und Geschichte nicht vorfinden und abbilden, sondern aktiv an ihrer Hervorbringung mitwirken (siehe Kapitel 2.1). Europa und europäische Geschichte sind in dieser Perspektive keine feststehenden, klar definierbaren Größen mit bestimmbaren Wesenszügen, sondern sich stetig wandelnde Konstruktionen, die jedoch den Anschein von Fakten erlangt haben. Da diese Konstruktionen immer abhängig sind von den Medien, die ihnen zur Verfügung stehen, liegt das Augenmerk dieser Studie insbesondere auf den Medien der musealen Historiografie (siehe Kapitel 2.2): Wie, das heißt mit welchen Medien und Medienkonstellationen machen die untersuchten Nationalmuseen Europa und europäische Geschichte in ihren Ausstellungen wahrnehmbar und vorstellbar? Um diese Frage bearbeiten zu können, entwickelt die vorliegende Studie das Konzept der Europamedien (siehe Kapitel 2.6). Als Europamedien bezeichne ich Dinge, die Vorstellungen von Europa und europäisch hervorbringen, verhandeln und verbreiten. Die Bilder und Narrative Europas und europäischer Geschichte, die sie hervorbringen, werden dabei in entscheidender Weise durch ihre je spezifische Medialität geprägt. Europamedien arbeiten mit daran, was und wer als Europa und als europäisch gilt. Dies führt zur zweiten Unterfrage: Welche Narrative, Bilder und Topoi Europas und seiner Geschichte inszenieren aktuelle Nationalmuseen als Europamedien? Was bedeuten »Europa« und »europäisch« in den untersuchten Museen? Was und wen zeigen sie als europäisch? Wer gehört dagegen in den musealen Historiografien nicht zu Europa?
Den Gegenstand der Untersuchung bilden die drei eingangs genannten Beispiele aktueller europäisierter Nationalmuseen in Deutschland, Polen und Frankreich: das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin, das Europäische Solidarność Zentrum in Danzig (ECS) und das Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (MuCEM) in Marseille. Diese Museen sind sehr verschieden: Sie wurden zu unterschiedlichen Zeiten, in verschiedenen Ländern und politischen Kontexten gegründet. Zudem behandeln sie sehr diverse Themen: deutsche Kulturgeschichte der letzten 2500 Jahre, die Geschichte und Kultur des Mittelmeerraumes von der Antike bis in die Gegenwart, sowie die Geschichte der polnischen Oppositionsbewegung Solidarność vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den politischen Umbrüchen 1989/1990. Außerdem sind sie Beispiele verschiedener Museumstypen: Das DHM ist ein allgemeines nationales Geschichtsmuseum, das ECS bezeichnet sich als themenspezifisches Zentrum und das MuCEM ist aus einem ethnologischen Nationalmuseum hervorgegangen und gehört zum neuen Museumstyp der musées de société (siehe Kapitel 2.3). Trotz dieser Diversität, so meine Argumentation, lassen sich die drei Museen gemeinsam untersuchen, denn sie können als europäisierte Nationalmuseen beschrieben werden. Als solche erfüllen sie die folgenden drei Kriterien: Erstens sind alle drei Museen Nationalmuseen (siehe Kapitel 2.5). Sie wurden von nationalen Regierungen initiiert oder beschlossen, werden überwiegend aus nationalen Geldern bezahlt und ihre Sammlungen sind zum größten Teil nationale Sammlungen.4 Zweitens verfolgen alle drei untersuchten Museen das Ziel, den nationalen Bezugsrahmen zu übertreten und Europa und europäische Geschichte zu thematisieren (siehe Kapitel 2.6). Es handelt sich um nationale Institutionen, die sich europäisieren. Sie beziehen sich in verschiedenen Formen auf Europa, indem sie sich zum Beispiel »europäisch« nennen (ECS Gdańsk), »Europa« im Titel führen (MuCEM Marseille), oder es sich in ihren Konzeptpapieren zum Ziel setzen, Nationalgeschichte in ihren europäischen Dimensionen zu zeigen (DHM Berlin). Drittens sind die Museen historisch ausgerichtet (siehe Kapitel 2.3): Sie arbeiten mit der gemeinsamen Grundoperation, Objekte – sogenannte originale oder primäre Museumsdinge – zusammenzutragen und auszustellen, um Vergangenes zu zeigen.
Die Auswahl der drei Länder Deutschland, Frankreich und Polen orientiert sich an folgenden Gründen: Der Prozess der Europäisierung von Museen ging in den 1980er und 1990er Jahren von Deutschland und Frankreich aus und verbreitete sich von dort aus in andere europäische Länder (vgl. Mazé 2013a: 498). Mit einem der zwei großen nationalen Geschichtsmuseen in Deutschland, dem DHM, das 1987 gegründet wurde, und dem europäisierten ehemals ethnologischen Nationalmuseum in Frankreich, dem MuCEM, dessen Pläne bis ins Jahr 1996 zurückgehen, untersuche ich zwei Beispiele dieser ersten Welle.5 Nach dem Zerfall des kommunistischen Ostblocks 1989 erfasst der Prozess der Europäisierung von Museen inzwischen auch Ostmitteleuropa, wobei dort gleichzeitig starke Renationalisierungstendenzen erkennbar sind.6 Bisherige Untersuchungen der Europäisierung von Museen, insbesondere die 2012 erschienene grundlegende Studie »Europa Ausstellen« (Kaiser et al. 2012), bleiben jedoch bei der Feststellung dieser – zweifellos vorhandenen – Renationalisierungsbestrebungen in osteuropäischen Museen stehen, da sie ihren Fokus klar auf Westeuropa richten.7 Europäisierungstendenzen in Museen in Osteuropa wurden daher bisher nicht untersucht. Insbesondere die polnische Museumslandschaft ist seit Beginn der 2000er Jahre von einer sehr dynamischen Entwicklung und einem regelrechten Museumsboom gekennzeichnet (siehe Kapitel 3.2.1). Besonders die Ausrichtung von Museen auf Europa und europäische Verflechtungen von Geschichte ist ein sehr neues Phänomen. Das ECS in Danzig, das im August 2014 eröffnet wurde, ist in dieser Entwicklung das erste und zum derzeitigen Stand einzige europäisierte Nationalmuseum in Polen.8 Die Erforschung dieses neuen Feldes der polnischen Museumslandschaft beginnt gerade erst und findet in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Museen in Europa bisher wenig Beachtung. Selbst im explizit auf Polen, Deutschland und Frankreich ausgerichteten Sammelband zur Geschichtspolitik in Europa nach 1989 findet sich kein Artikel über europäisch ausgerichtete Museen in Polen (vgl. François et al. 2013). Um dementgegen den neuesten Entwicklungen musealer Europäisierungsprozesse im östlichen Europa Rechnung zu tragen und die bisher etablierte Opposition von europäisierendem Westeuropa und renationalisierendem Osteuropa zu hinterfragen, untersucht diese Studie Fälle aus west- und ostmitteleuropäischen Ländern.
Des Weiteren fehlt in der bisherigen Forschung zu europäischen Narrativen in Museen die Verbindung der Frage nach der Europäisierung von Museen mit Analysekategorien, die helfen, strukturelle Ein- und Ausschlüsse aufzuzeige...
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titelseite
Impressum
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Vorwort: Zwischen Nation und Europa
1 Einleitung: Drei museale Szenen
2 Museen zwischen Nation und Europa: Theoretische Verortung
3 Nationalmuseen als Europamedien: Fallstudien
4 Schluss: Museen zwischen Nation und Europa
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Liste der Interviews
Einstellungsprotokoll Ausschnitte aus der »mur de portraits«