Wer dich "Schwester" nennt, ist nicht immer dein Bruder
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Wer dich "Schwester" nennt, ist nicht immer dein Bruder

Mein Leben zwischen Hiphop, Moscheen und Männern, die eine Religion benutzen, um uns zu missbrauchen

Sahira Awad

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  1. 200 pages
  2. German
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Wer dich "Schwester" nennt, ist nicht immer dein Bruder

Mein Leben zwischen Hiphop, Moscheen und Männern, die eine Religion benutzen, um uns zu missbrauchen

Sahira Awad

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Sahira Awad ist aufstrebende Hip-Hop-Sängerin und aktive Muslima, als sie 2005 ihr Debütalbum Frei Schnauze herausbringt und einen echten Achtungserfolg landet. Doch sie gerät an falsche Freunde und rutscht immer tiefer in eine extremistische Glaubensgemeinschaft hinein. Kurz vor Fertigstellung ihres zweiten Albums Mit reiner Absicht verliert sie sich im maßlos dogmatischen Glauben, lässt sich einreden, dass Musik im Islam verboten sei, und beendet – kurz vor dem Durchbruch – ihre Musikkarriere. Sie heiratet einen religiösen Fanatiker, trägt Vollverschleierung und muss in dieser Ehe Gewalt, Misshandlung und Erniedrigung ertragen. Nach einer Zeit des Martyriums trennt sie sich 2012 von ihrem Mann und schafft den Ausstieg aus der fundamentalistischen Szene. Schritt für Schritt kämpft sie sich jetzt zurück in ihr altes Leben. In ihrem Buch erzählt sie davon, wie radikale Fundamentalisten Menschen manipulieren, bis diese nicht mehr zwischen Richtig und Falsch unterscheiden können, und wie diese Fanatiker den Glauben missbrauchen, um Gewalt zu säen und die Menschen zu spalten und gefügig zu machen.Ein bewegendes Schicksal und ein authentischer Erfahrungsbericht, wie Radikalisierung geschehen kann.

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V. Mein perfektes Leben – meine ersten eigenen Schritte zum Islam

Der 11. September – aufgerüttelt

Wie kann ein Kapitel, das die Überschrift »Mein perfektes Leben« trägt, mit einem Datum beginnen, das zur Stunde null des Terrors wurde?
Aus Tod und Zerstörung erwächst nichts Gutes. Das weiß ich. Und doch steht der 11. September am Anfang meiner Hinwendung zum Glauben.
Meine Geschichte ist voller Fragezeichen, ich versuche, die Fäden zu entwirren, und verwickele mich in neue Widersprüche. Trotzdem mache ich weiter. InshaAllah wird sich alles finden, alles wird einen Sinn ergeben, wenn ich weiterrede.
Die Erinnerung braucht Worte, damit sie lebendig wird.
Markus und ich waren im Spätsommer 2001 nicht mehr zusammen, aber auch noch nicht getrennt. Es war nicht klar, was aus uns würde. Vielleicht kennt ihr diesen Schwebezustand: Obwohl du spürst, dass eine Beziehung zu Ende ist, gestehst du es dir noch nicht ein. Du bemühst dich weiter, du kämpfst um verlorenes Gebiet.
Als die ersten Bilder aus Manhattan um die Welt gingen, saßen Markus und ich wie ganz Berlin, wie ganz Deutschland und die ganze westliche Welt gebannt vorm Fernseher. Soweit ich mich erinnere, haben wir stundenlang kein Wort gesprochen. Ich weiß nicht, was in Markus vorging, der seine Kindheit in New York verbracht hatte.
Immer wieder sahen wir dieselben Szenen, die glänzenden Gebäudefassaden, der sich vergrößernde Riss, der Rauch und der gewaltige Einsturz.
Immer wieder wurden die Nachrichten verlesen, die verzweifelte Söhne an ihre Mütter geschickt hatten, bevor sie starben, immer wieder wurde der Name der Terrororganisation genannt, gleichzeitig wurden die Gesichter der Opfer gezeigt, in Großaufnahme, die Gesichter der Hinterbliebenen, das Weinen der Mütter, die Wut und die Angst.
Solange eine realistische Einschätzung der Anschläge nicht möglich war, wurden dieselben Bilder gezeigt, Tod in Dauerschleife, auf Repeat. Die Berichterstattung war ungebremst emotional. Die Szenen verdunkelten die Köpfe und Herzen der Zuschauer.
Es waren Bilder der Zerstörung, und aus Zerstörung erwächst nichts Gutes.
Ich hatte genug.
Ich wusste, dass das nicht mehr aufhören würde.
Ich hörte die Schreie der Menschen im World Trade Center, aber ich hörte auch die Schreie der Menschen von Sabra und Schatila, ich hörte die Schreie der Irakis, als die US-amerikanischen Bomben niedergingen, ich hörte die Schreie meines Onkels, den sie in einem Bunker in Israel folterten. Während Markus und ich vor dem Fernseher saßen, wurden andere, alte Bilder in mir wach. Seelenflimmern. Über meine Seelenleinwand flimmerte der Tod.
Nichts mehr sehen, dachte ich, es ist genug.
Dann stand ich auf und schaltete das Gerät aus.
Nine-Eleven war für die westliche Welt die Stunde null.
Das Ende der Welt.
Nine-Eleven war der Moment der Wahrheit: der Moment, als Europäer und US-Amerikaner ihre Verletzlichkeit spürten.
US-Amerika führt Krieg, seit ich denken kann. Aber das Blutvergießen fand stets außerhalb der Landesgrenzen statt. Amerikas Kriege waren immer weit weg. Sie waren im Sucher der Drohnen und Kampfbomber, in den Zahlen und Meldungen, die über den Newsticker von CNN liefen. In den Augen der Veteranen, die mit zerbrochener Seele aus dem Krieg zurückkehrten. Aber sie waren nicht im Herzen der Nation.
Für den Westen war Nine-Eleven die Stunde null. Aber nicht für mich. Ich war Deutsche, ich war im Westen aufgewachsen, aber der Tod, der im Nahen Osten wütete, hatte mich nicht verschont. Ich war allein mit meinen Toten, der Westen weinte nicht um sie.
Das klingt hart.
Aber ich will offen sein. Nur wer den Abgrund sieht, kann eine Brücke bauen, die darüber führt.
Nachdem ich das Gerät ausgeschaltet hatte, sah ich Markus an. »Ich glaube, jetzt beginnt die Hetzjagd auf uns Muslime«, sagte ich mit sicherer Stimme.
Ich wusste, was Krieg bedeutete und wie Feindbilder entstanden. Ich kannte die Mechanismen der Propaganda.
Al-Qaida hatten erklärt, sie wollten einen alle islamischen Länder und Gebiete umspannenden »Gottesstaat für alle Rechtsgläubigen« gründen. Sie nannten sich Gotteskrieger, genau wie die Verbrecher in Syrien es heute tun. Sie missbrauchten Allahs Namen und die Heilige Schrift des Islam für ihre verbrecherischen Ziele. Ich nenne sie übrigens »Shaytan-Krieger«!
Was das für uns bedeutete, für uns Muslime, die in Europa und in den Staaten lebten, konnte ich mir an fünf Fingern abzählen. Die Spaltung würde beginnen. Zwischen uns Muslimen und dem Rest der Welt. Alle Brücken würden ab diesem Moment durch mediale Propaganda eingerissen werden. Das konnte ich spüren.
Angst differenziert nicht. Angst ist ein großer Gleichmacher. Wir beteten zu Allah und die Terroristen gaben vor, es auch zu tun. Fünf Mal am Tag riefen unsere Muezzine »Allahu akbar – Allah ist der Größte«, wenn sie zum Gebet einluden. Die Terroristen riefen Allahu akbar, bevor sie ein Flugzeug mit Zivilisten in ein Wahrzeichen des Westens lenkten, bevor sie ihre Sturmgewehre durchluden oder ihre Sprengstoffgürtel explodieren ließen. War es ihnen egal, dass sie nicht nach dem Islam handelten? War es ihnen wirklich so egal, dass sie Allahs Gesetze ignorierten und ihre eigenen schufen?
Die Medien würden die Angst schüren, und Dietmar von nebenan, der Hartz IV bekam und am Stammtisch über Ausländer schimpfte, die ihm die Jobs wegnahmen, Dietmar von nebenan würde ein neues Feindbild haben, an dem sich seine Rachegedanken festmachten. Rachefantasien und Tötungswünsche leben auch im Westen. Sie sind nur weniger offenbar als in den Kriegsgebieten dieser Welt.
Ich bat Markus, auf Saleem aufzupassen, steckte einen Block und einen Stift in meine Tasche und fuhr mit der Ringbahn durch Berlin. Ich guckte mir die Leute an. Ich notierte Eindrücke. Ich wollte sehen, was auf der Straße vor sich ging. Herausfinden, ob sich Berlin ...

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